Ikigai – für eine starke Resilienz

Haben Sie schon einmal von „Ikigai“ gehört? Falls nein – darf sich das nun schnell ändern! :-) Falls ja: Dann ist die Frage: Wie und was genau?

Denn es gibt da so ein kleines, bzw. großes Missverständnis. Klaus Motoki Tonn, Ikigai Coach und Autor des Buches „Ikigai: Das Geheimnis der kleinen Dinge“ (2023) spricht von dem „IKIGAI SKANDAL“ und dass es hierzu ähnlich viele Missverständnisse gebe, wie zum Thema Stress. Resilienz Akademie | Ikigai - für eine starke ResilienzUm Licht ins Dunkel zu bringen, klärt Motoki Tonn gemeinsam mit seinem Team von „Finde Zukunftauf, was wirklich hinter „Ikigai“ (kurz: Iki=Leben, Kai/Gai= Wert, wertvoll) steckt. Dabei erhalten wir viele spannende Einblicke in die japanische Kultur und können auch Bezüge zum Thema Resilienz entdecken.

Warum beschäftigen wir uns mit Ikigai?

Besonders in der Seelischen Resilienz beschäftigen wir uns mit dem Schutzfaktor „Sinn“ und Fragen wie: Welchen Einfluss hat Sinnerleben auf den Umgang mit Stress und unsere Gesundheit? Welche Bedeutung haben unsere Sinnquellen, wenn wir in schweren Krisen sind und wie können sie uns helfen, diese besser zu bewältigen? Hierzu finden Sie Ausführungen beispielsweise im Text „Sinn in Krisen und Erleben von Leid“.

Zentral ist für uns selbstverständlich die Auseinandersetzung mit Viktor E. Frankl (1905–1997) –Begründer der Logotherapie – (lat. lógos=„Sinn, Gehalt“; Sinnzentrierte Psychotherapie) und  Existenzanalyse. Seine Werke gehören zu den wichtigsten Quellen, wenn man sich mit Sinn und Resilienz beschäftigen möchte.

Doch wussten Sie, dass genau zur Lebenszeit Viktor E. Frankls auch in Japan eine Frau Namens Mieko Kamiya (1914-1979) zur Bedeutung von Sinn forschte? Sie wird auch als „Mutter der Ikigai Psychologie“ bezeichnet. Dank der wertvollen Hinweise und Recherchearbeit von Motoki Tonn und seinem Team wurden wir auf diese bemerkenswerte Frau und ihr zentrales Werk “Ikigai ni Tsuite” („Über den Sinn des Lebens“ oder „Was unser Leben lebenswert macht“) aus dem Jahr 1966 aufmerksam, in dem sie sich sogar direkt auf Viktor E. Frankl bezog:

“Es gibt zwei Möglichkeiten, das Wort „Ikigai” zu verwenden: Es kann sich auf die Quelle oder das Objekt des Lebenswerts beziehen, wie in „Dieses Kind ist mein Ikigai”, oder es kann sich auf den geistigen Zustand des Gefühls des Ikigai beziehen. Letzteres ist das, was Frankl den „Sinn des Sinns” nennt. Ich werde ihn „Ikigai-Kan” nennen, um ihn von dem ersteren „Ikigai” selbst zu unterscheiden.“ – Mieko Kamiya  

Mieko Kamiya – Ein Blick in die japanische Sinnforschung

Mieko Kamiya war Ärztin, Psychiaterin, Autorin und Übersetzerin. Sie sprach und unterrichtete mehrere Sprachen, lehrte Psychiatrie an mehreren Universitäten und war die erste Forschende zu Ikigai. Sie beschäftigte sich dabei vor allem mit Lebrapatient:innen. Ihr Buch „Ikigai Ni Tsuite“ entstand maßgeblich durch ihre Erfahrungen und die Arbeit mit Menschen, die schwer krank waren und von der Gesellschaft sehr stark ausgegrenzt wurden.

Mieko Kamiya selbst hatte – ebenso wie Viktor E. Frankl – ein sehr leidgeprüftes Leben. Denn sie verlor schon in jungen Jahren ihre große Liebe. Ihre Biographie ist sehr bewegend und gibt ebenso Mut. Sie widmete sich trotz – oder gerade wegen ihrer Erfahrungen, der Forschungsfrage nach dem Sinn im Leben und was passiert, wenn eben dieser den Menschen fehlt.

Da das Buch leider nie in anderen Sprachen übersetzt wurde, ist auch ihr Leben und Wirken im westlichen Raum kaum bekannt. Das Team von Finde Zukunft hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, die Gedanken aus ihrem Werk an Menschen weiterzutragen. Danke dafür!

Für unseren Resilienzkontext ist zum einen natürlich ihre Biographie hoch spannend, in der wir Krisen, Schmerzen und viele Herausforderungen sehen und gleichzeitig das Wachstum, die Offenheit für Veränderungen und, aus der Krise heraus, sich einem Thema und der Hilfe für andere Menschen zu widmen. Laut M. Tonn sind in ihrer Biographie auch innere Selbstzweifel und Hadern zu erkennen. Sie schrieb aber ihr Buch und fand scheinbar eben genau im Schreiben über Ikigai und der Forschung darüber ihre Berufung.

„Oh god, if this is truly my mission, please give me the will and power to accomplish it. Please keep me alive until I complete this work.“ – Mieko Kamiya

Außerdem ist für uns interessant, dass sie Ikigai aus zwei Perspektiven beleuchtete, die sie, wie oben im Zitat erwähnt, in „Ikigai Quellen“ und „Ikigai-Gefühlen“ unterscheidet. Letztere sind das, was Menschen fühlen, wenn sie Sinn in ihrem Leben entdecken. Auch wir beschäftigen uns im Kontext von Resilienz einerseits mit den Quellen unseren Schutzfaktoren, aus denen wir neue Kraft für den Umgang mit Stress und Krisen schöpfen. Andererseits spielen Emotionen eine zentrale Rolle und wie Resilienz bewusst durch Emotionsregulation gesteuert und gestärkt werden kann.

Depositphotos_Ikigai - Japanese, Resilienz Akademie

Was steckt nun hinter Ikigai?

Ikigai findet den Ursprung im Begriff  „ikiru-kahi“, der sich bis zur Heian-Zeit 747 v. Chr. bis 1192 zurückführen lässt. In der japanischen allgemeinen Literatur findet sich Ikigai seit 1908. (Vgl. www.Finde-Zukunft.de).

Der Begriff Ikigai besteht aus zwei Silben:

生き Iki“ kann mit „Leben“ übersetzt werden (Verb: Ikiru) und steht auch für Geburt oder Alltag.

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甲斐  „Kai“ bedeutet so viel wie „Wert“ oder „wertvoll“. Die Endung „Gai“ verwenden die Japaner, wenn sie etwas als wertvoll erachten. (Vgl. Tonn 2023)

So kann Ikigai wortwörtlich als etwas beschrieben werden, was das Leben lebens-wert macht. Das Spannende ist, dass hinter dem Begriff einerseits die große Welt der japanischen Lebensphilosophie steckt und andererseits für die Japaner:innen der Begriff etwas ganz Alltägliches zu sein scheint. Sie verwenden Ikigai für eben all die Dinge, die für sie das Leben im Alltag bedeutsam, wertvoll, kostbar machen. Damit ganz eng verbunden ist eine hohe Achtsamkeit und die Haltung der Dankbarkeit. Dankbar, am Leben zu sein und dankbar für die Dinge, die dem Leben einen Wert schenken.

Ikigai ist deshalb etwas hoch Individuelles, das nicht von außen bestimmt werden kann. Jeder Mensch darf sich auf eine eigene Reise begeben, um die persönlichen Ikigai-Quellen zu entdecken. Laut M. Tonn gehe es weniger darum, was Ikigai ist, sondern die spannende Frage ist, wieso es für diese Person so wertvoll ist und wie sie damit in ihrem Leben umgeht.

„Die japanische Kultur kann ganz anders sein als unsere europäische. Das macht sie für viele so interessant, ja gerade zu geheimnisvoll. Auch Ikigai wohnt das Geheimnis der japanischen Kultur inne. Daher wird jede indirekte Übersetzung seiner wahren Bedeutung nicht gerecht.“  – Motoki Tonn 2023

Ikigai ist kein (!) Diagramm

Wie eingangs beschrieben, verbinden viele Menschen mit „Ikigai“ ein Diagramm aus vier Kreisen und vier zentralen Fragen. Hierzu gibt es aber laut M. Tonn zwei ganz wesentliche Dinge zu beachten:

  1. Der Urheber dieses Diagrammes ist der spanische Astrologe Andrés Zuzunaga, der so gut wie nie benannt wird.
  2. Er konzipierte 2012 sein Modell „Propósito“- und beschäftigte sich mit der Sinnfrage („Purpose“).  Der Begriff „Ikigai“ fiel bei ihm aber nicht! Ihm ging es darum, Menschen einen Anstoß zu geben, den Sinn in der Arbeit zu erkennen – in Verbindung mit den Fragen: Was ist meine Leidenschaft? Worin bin ich gut? Was braucht die Welt? Wofür bezahlt mich die Welt?

Resilienz Akademie | Ikigai - für eine starke ResilienzNach M. Tonn ist die „bestechend einfache Sinn-Schablone“ auf große Resonanz gestoßen, da wir Menschen auf der Suche nach klaren Antworten sind – besonders dann, wenn es um komplexe Themen wie Sinn und Berufung geht. Die Bekanntheit erhielt das Diagramm später vor allem durch einen Blogger und Autor Namens Marc Winn, der auf das Modell von A. Zuzunaga gestoßen ist, als er zu Ikigai und der Langlebigkeit von Menschen in Japan recherchierte.

Er fügte dem Diagramm die Überschrift „Ikigai“ zu. Durch Blogbeiträge und TED Talks wurde das Diagramm letztlich mit Ikigai in Verbindung gesetzt, verbreitete sich weltweit und findet sich heute sogar in Ausbildungsprogrammen wieder. Etliche Coaches und Trainer:innen werben heute damit, dass durch die Beantwortung der vier Fragen und entsprechenden Überschneidungen, zügig der persönliche Lebenssinn gefunden werden kann.

Motoki Tonn betont, dass die vier Fragen mit dem Venn-Diagramm reizvoll und, je nach Kontext, auch relevant sein können, wenn es um die berufliche Orientierung und finanzielle Themen geht. Wichtig sei aber, um die Verwechslung zu wissen, da gerade das Thema Geld in der eigentlichen Bedeutung von Ikigai überhaupt nicht vorkommt.

„Das alles erstaunt Japaner*innen zutiefst. Denn das Diagramm hat nicht mit der wahren japanischen Bedeutung von Ikigai zutun.“ – Motoki Tonn 2023

Worum geht es wirklich?

Die Suche nach Sinnhaftigkeit im Leben ist auch nach Viktor E. Frankl eine zutiefst persönliche Frage und führt uns zu unseren existentiellen Quellen. Wenn Menschen den Sinn im Leben von äußeren Faktoren und der Frage abhängig machen, warum sie für etwas bezahlt werden sollten, geht dies wortwörtlich an dem Sinn von Ikigai komplett vorbei.

„Deine Karriere kommt Dich nicht im Krankenhaus besuchen.“ – Motoki Tonn im Gespräch mit Sebastian Mauritz, Resilienz Kongress 2022

Ikigai in der östlichen Tradition fragt laut M. Tonn nicht danach, wie wir bestmöglich viel Geld verdienen können, sondern vielmehr, wo bereits Reichtümer in unserem Leben vorhanden sind. Es gehe um eine Haltungsfrage: „Wie und Warum du etwas tust ist wichtiger als Was du tust.“ Gerade in der westlichen Welt würden Menschen aber verstärkt nach dem „Was“ fragen. Das ursprüngliche Ikigai sei aber unabhängig von sozialen Status und frei Karrieredruck oder Gewinnorientierung.

Wie stärkt Ikigai unsere Resilienz?

Spannend ist, wie erwähnt, die Verbindung besonders zu Viktor E. Frankl. Denn ebenso wie in der Logotherapie, geht es auch im japanischen Ikigai weniger um das Warum, sondern um das Wozu und wofür wir unsere (Krisen)-Erfahrungen und Ressourcen in Zukunft einsetzen und stärken möchten.

Es geht im Kern um die Dinge und Momente im Leben, die dazu beitragen, dass wir uns für das Leben entscheiden. Wir können uns fragen: Mit welcher Brille gehen wir heute durch den Tag? Wie sehr nehmen wir die kleinen (für uns großen) Reichtümer wahr? Ikigai ist eine Haltung. Es geht um die Wertschätzung der oft unscheinbaren, kleinen Dinge, aus denen wir Kraft schöpfen für die Krisen von morgen.

„Ikigai gibt dem Leben einen Sinn und das verleiht uns das Durchhaltevermögen zum Weitermachen.“ – Ken Mogi 2022 

Fünf Wege zum Ikigai

Ken (Kenchiro) Mogi zeigt in seinem Buch „Ikigai. Die Japanische Lebenskunst “ fünf Wege auf, um mehr Ikigai im Leben zu kultivieren. Das Team von Finde Zukunft gibt hier noch Impulse, tiefer einzusteigen und mit Fragen sich diesen Ebenen persönlich zu nähern:

  1. Klein anfangen (Welchen kleinen Dingen können Sie mehr Aufmerksamkeit schenken?)
  2. Loslassen (Was möchten Sie loslassen?)
  3. Harmonie und Nachhaltigkeit (Wie können Sie mehr Harmonie – im Sinne eines Friedens, der anwesend ist, stärken? Wie können Sie Ihr Leben nachhaltiger gestalten?)
  4. Freude an kleinen Dingen (Welche kleinen Dinge bereiten Ihnen im Alltag Freude?)
  5. Im Hier und Jetzt sein (Wie können Sie mehr im Hier und Jetzt ankommen?) 

Als Beispiel für „die kleinen Dinge“ beschreibt Ken Mogi, dass es für viele Japaner:innen ein festes Ritual sei, am Morgen etwas Süßes zu essen und einen traditionellen grünen Tee zu trinken. In Japan – dem „Land der aufgehenden Sonne“ gehört es zur Tradition, früh aufzustehen – synchron mit dem Lauf der Sonne.

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Die Sonne ist ein Objekt der Verehrung und Symbol des Lebens und Energie. Und die Wissenschaft bestätigt: Morgenrituale und das natürliche Sonnenlicht haben sehr viele positive Effekte für Körper, Geist und unsere Seele. Das Belohnungszentrum im Gehirn wird aktiviert, es werden schmerzlindernde und motivierende Hormone wie Serotonin, Dopamin und Noradrenalin ausgeschüttet und nachweislich das Immunsystem stärkt.

Dieses Mitschwingen im Tages- und Nachtrythmus – in Einklang mit der Sonne zu leben – hat für Japaner:innen kulturell einen sehr wichtigen Stellenwert. Ein zentrales Element der japanischen Kultur ist Harmonie „Wa“ (和), das schon in der ersten Verfassung in Japan als ein wichtiges Staatsprinzip benannt wurde und eng mit Ikigai, als Lebensphilosophie, verbunden ist.

„Diese Harmonie meint mehr als die Abwesenheit von Schlechtem (Krieg, Konflikt), sie bedeutet die Anwesenheit einer friedvollen Qualität.“ – M. Tonn 2023

Positive Effekte auf die Gesundheit

Ikigai zeigt sich also in den Dingen, die Menschen dazu antreiben, am nächsten Morgen wieder aufzustehen. Vielleicht auch unter schwersten Widrigkeiten und Bedingungen. Die internationale Sinnforschung beschäftigt sich mit den Fragen, welche Faktoren es sind, die Menschen von innen heraus motivieren, Sinn erleben lassen und welche Wirkung dies auf die körperliche, mentale und seelische Gesundheit hat.

Eine japanische Studie, in der 43.000 Personen nach ihrem „Ikigai“ befragt wurden, zeigte beispielsweise, dass diejenigen die von ihrem gefundenen Ikigai sprachen, sieben Jahre später eine deutlich bessere körperliche Gesundheit vorweisen konnten. Sie hatten weniger Schmerzen und Beeinträchtigungen der körperlichen Funktionsfähigkeit. Gleichzeitig zeigte sich bei Menschen ohne Ikigai ein 50% höheres Sterblichkeitsrisiko innerhalb der untersuchten sieben Jahre (vgl. Schnell 2020; Bezug auf Studie Sone et. al 2008).

Weiter wird durch die Sinnforschung beispielsweise die Reduktion von Herz-Kreislauf Erkrankungen, Rheuma, Krebserkrankungen und die Senkung von Entzündungswerten bestätigt. Für die hohe Lebenserwartung durch ein starkes Ikigai ist die Insel „Okinawa“ am ostchinesischen Meer bekannt. Auf dieser Insel leben „(…)überdurchschnittlich viele aktive und gesunde Hundertährige, die ihr Ikigai tagtäglich praktizieren“ (Vgl. Finde Zukunft). Die Forschungen bestätigen, dass die Lebenserwartung maßgeblich von psychosozialen Faktoren beeinflusst wird und Ikigai, als Haltung, sich beispielsweise durch eine hohe Achtsamkeit im Tagesverlauf und der Wertschätzung gegenüber dem Leben widerspiegelt.

Zeit und Raum für das, was gut tut!

Welche Rituale sind Ihnen zum Beispiel wichtig und tun Ihrer Seele gut? Oft sind es Gewohnheiten oder fest etablierte Rituale, die mit Sinn gefüllt sind und hinter denen sich viele wichtige Werte entdecken lassen. Japaner:innen treffen sich zum Beispiel gemeinsam zum Morgensport im Park oder sie fahren jeden Tag gemeinsam zur Arbeit und verbinden die Bahnfahrt mit einem Spiel oder einer gemeinsamen Aktivität (vgl. Mogi 2022). Hier zeigen sich Werte und Schutzfaktoren, beispielsweise wie soziale Unterstützung, Bindung, Gemeinschaft, Kreativität etc.

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Ein gutes Indiz für persönliches Sinnerleben ist, wenn Sie Zeit und Raum vergessen – vielleicht, weil Sie einer Leidenschaft nachgehen. Etwas, das Ihre Sinne aktiviert und Sie den Moment einfach genießen lässt. Ikigai kann sich in der Zubereitung von Sushi zeigen, in der Liebe zum Detail, Fürsoge für einen anderen Menschen, der Naturverbundenheit, Gartenarbeit oder sich in schöpferischen Akten und der Kunst ausdrücken – im Tanzen, Muizieren, Zeichnen oder Erlenen eines Handwerks. Wenn Menschen ganz in „ihrem Element“ sind und sich dabei konzentriert einer Sache ganz hingeben, spricht man auch von einem „Flow Zustand“ (n. Mihály Csíkszentmihályi).

Schauen Sie einmal vielleicht in der kommenden Woche: Wobei vergessen Sie Zeit und Raum? In welchen Dingen entdecken Sie Ihre persönliche Liebe zum Detail? Was bringt Sie in einen produktiven Zustand und gibt Ihnen das Gefühl, vielleicht morgen eben genau dafür wieder aufstehen zu wollen?

Wohin führt uns Ikigai?

„Wenn wir aus dem Schlaf aufwachen, werden wir vom Morgen begrüßt. Wir haben den Morgen nicht erschaffen; er ist irgendwie gekommen, um uns die Chance zu geben, einen weiteren Tag zu leben. Wir wachen auf und entdecken den Morgen. Der Sinn des Lebens ist wie der Morgen.”  – Mieko Kamiya

Der Einblick in das Leben Mieko Kamiya berührt und ihre Forschung zeigt uns, wie eng Ikigai mit Schutzfaktoren der (seelischen) Resilienz in Verbindung steht. Sie entwickelte beispielsweise in ihrer Sinnforschung 7 Dimensionen, die zur Förderung von Ikigai beitragen:

  1. Ganzheitliche Lebenszufriedenheit
  2. Wachstum und Veränderung
  3. Gute Zukunft
  4. Resonanz
  5. Freiheit
  6. Selbstverwirklichung
  7. Bedeutung und Wert

Die Dimensionen zeigen, wie allumfassend und existenziell Ikigai ist und welch hohen Wert das Schöpfen aus Sinnerleben in unseren Lebensbereichen erhalten sollte. Im Punkt „Wachstum und Veränderung“ entdecken wir beispielsweise ein resilientes Mindset – aus den Erfahrungen der Krise zu wachsen und eine Haltung der Offenheit und Neugier gegenüber Veränderungen einzunehmen. Anknüpfend ist auch die „Selbstverwirklichung“ ein zentraler Resilienzfaktor – sich einlassen, Mut fassen, neue Dinge ausprobieren und Ressourcen für die Dinge einzusetzen, die den eigenen Werten entsprechen und Potentiale entfalten lassen.

Vertrauen

In der seelischen Resilienz, die nach unserer Definition die Fähigkeit beschreibt, in Krisen loszulassen und in die Sinnhaftigkeit des Lebens zu vertrauen, sprechen wir auch von dem Vertrauen in unsere Begabungen, Talente, Intuition und Berufungsgedanken. Sich wieder an die Ursprungsressourcen zu erinnern, die uns in diesem Leben geschenkt wurden und auf die wir uns – auch in schwerster Not – verlassen dürfen. Denn sie sind immer da – die Frage ist nur, wie sehr sie uns bewusst sind und was wir aktiv tun, um uns mit ihnen zu verwirklichen.

Resonanz

Auch das Thema der „Resonanz“ ist unglaublich spannend und ein Mehrwert für unsere seelische Resilienz. Wie gehen wir in Resonanz mit uns oder der Umwelt? Motoki Tonn beschreibt zum Beispiel sein Resonanzempfinden mit dem „Rhythmus der Natur im Einklang“ zu sein: „Ikigai zeigt sich in den Schwingungen (dem Resonanzerleben), die wir in solchen Momenten von Einklang erfahren.“ 

In der seelischen Resilienz geht es auch um diese ursprüngliche, besondere Art des Wahrnehmens und Mitschwingens. Die Intuition ist ein Kernelement der seelischen Resilienz, um die „Verbindung (wieder-)herzustellen“. In Verbindung zu treten mit anderen Menschen (und/oder einer höheren Wirklichkeit) und auf diese Hilfe auch in Krisen vertrauen zu dürfen. Der Glaube an die Dinge, die „mitschwingen“– die wir mit unserem kognitiven Verstand nicht beschreiben – dafür aber umso stärker spüren können. Prof. Dr. Alfried Längle, einer der bekanntesten Schüler Viktor E. Frankls, spricht auch davon, „sich berühren lassen“ – von dem Sinn im Leben.

Berührung und Erfüllung

Und eben diese Berührung finden wir auch in der Beschäftigung mit Ikigai – dieses Geheimnis, von dem M. Tonn spricht. Nicht alles in eine Schablone pressen zu müssen, sondern sich einzulassen, Neues zu entdecken und von Ikigai-Momenten überraschen zu lassen. Dieser Raum ist es, der echte, tiefe Berührung ermöglicht. Dann sind wir in Kontakt mit unserer Seele. Dann stärkt der Sinn unsere seelische Gesundheit.

Durch die Momente, in denen wir wieder aufrichtig lächeln können oder mit anderen Menschen zusammengeführt werden. Die Dinge, die uns auch den morgigen Tag bewältigen lassen, so schwer er auch sein mag, und vielleicht sogar wie Mieko Kamiya zu einer Art Berufung führen.

„So wie ein Regenbogen ein Spektrum von Millionen Farben enthält, darf dein Ikigai ein ganze eigenes Farbspektrum enthalten. Es ist individuell und nichts Feststehendes. Es ist nicht das Ende, sondern der Beginn einer Suche nach einem lebenswerten Leben.“ K. Motoki Tonn 2023   

Resilienz Akademie | Ikigai - für eine starke Resilienz

Quellen:

  • Mogi, Ken (Übersetzung Blind, Sofia): Ikigai. Die japanische Lebenskunst, DuMont 2017.
  • Schnell, Tatjana: Psychologie des Lebenssinns, Springer 2020. 
  • Tonn, Motoki: Ikigai: Das Geheimnis der kleinen Dinge, Yuna 2023. 
  • Bilder Depositphotos: Picturesque mountain landscape and beautiful rainbow in sky @ NewAfrica, Ikigai – Japanese philosophy and life style landscape@PixelsAway; Mount Fuji and Torii Gate@dayzeren

Für mehr Ikigai im Leben:

  • BUCHEMPFEHLUNG. Tonn 2023 (Mit Tests, Reflexionen und Übungen für die Praxis)
  • Auf www.Finde-Zukunft.de finden Sie/ findest Du eine Vielzahl an wertvollen Impulsen und Kursen, um Ikigai noch näher zu erkunden.

Resilienz Akademie | Ikigai - für eine starke ResilienzChristina Comnick, M.A. Management–Education–Diversity (Sozial- und Gesundheitsmanagement), ist Kooperationspartnerin der Resilienz Akademie und Expertin für „Seelische Resilienz“. Gemeinsam mit Sebastian Mauritz entwickelt sie das Konzept und leitet die dazugehörige Fortbildung. Sie ist Resilienz-Trainerin & Coachin, Antigewalt- und Kompetenztrainerin und setzt sich seit ca. 15 Jahren für die Prävention seelischer Gesundheit und Krisenintervention ein. Ihre Schwerpunkte liegen auf den Themen: Sinn, Spiritualität, Intuition, Emotionsregulation und Deeskalation. (www.christinacomnick.de)


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Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 200 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de).

 

 

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