Woran denken Sie, wenn Ihnen das Wort SINN begegnet? An Ihren Beruf, die Familie, ein Hobby oder vielleicht einen philosophischen Diskurs am Abend? Wie wäre es zur Abwechslung mit… sagen wir mal: Fitness? Ja, richtig. Denn Sinn steht im unmittelbaren positiven Zusammenhang mit unserer Gesundheit. Und das nicht allein auf mentaler und seelischer, sondern ebenso auf körperlicher Ebene.
Warum Sinn für die körperliche Gesundheit interessant ist
Die Aufrechterhaltung und Stärkung unserer Gesundheit kann als ein wesentliches Ziel von Resilienz beschrieben werden. Wir schauen uns deshalb die Aspekte an, die uns helfen, auch in stressigen Zeiten bestmöglich gesund und regulationsfähig zu bleiben. Dabei fallen uns Methoden und Instrumente ein, die wir auch gut als „Sofortmaßnahmen“ einsetzen können. Beispielsweise Atem- oder Klopftechniken, Journaling, Meditation, Embodiment oder Sport in der Natur. Es gibt eine Fülle an Möglichkeiten, um Gesundheit auf ganzheitlicher Ebene zu stärken. Doch wie und wann denken wir dabei schon an ein Thema wie Sinn? Wie wird über die Wirkung von Sinn diskutiert, beispielsweise in Einrichtungen des Gesundheitswesens, im Schulsystem, der beruflichen Beratung oder in Wirtschaftsunternehmen?
Laut Dr. Nico Rose ist Sinnerleben für die Motivation mindestens genauso wichtig, wie das monetären Einkommen. Eine Befragung eines Onlineanbieters aus San Francisco zeigte zum Beispiel, dass von mehr als 2000 Arbeitnehmer:innen, rund 90% einverstanden wären, für mehr Sinnwahrnehmung weniger Gehalt zu bekommen. Wie sehr sich Menschen nach Sinn sehnen, zeige sich nach entsprechend in der Frage, was sie zu opfern bereit sind (Vgl. Rose 2020, Bezug auf Achor et. al. 2018). Sinn als Motivator zur Fachkräftegewinnung wird zwar zunehmend erkannt, doch das Potential der Gesundheitsaufrechterhaltung unseres Erachtens (noch) zu wenig – wenn man bedenkt, wie sehr Führungskräfte in der heutigen Zeit nach Antworten ringen, um den Krankenstand ihrer Mitarbeiter:innen zu senken.
Das Interesse nach Strategien ist entsprechend auf individueller und organisationaler Ebene groß – und die gute Nachricht ist: „Lebenssinn motiviert zu gesundheitlichen Verhalten“ (Schnell 2020).
Was Sinn für die körperliche Gesundheit bedeutet
Die empirische Sinnforschung beschäftigt sich unter anderem mit den Fragen, wie und wann Menschen ihr Leben als sinnvoll erachten und welche Zusammenhänge hieraus ersichtlich werden. Sinn beschreibt Prof. Dr. Tatjana Schnell als „multidimensionales Konstrukt“ wie folgt: „überträgt man die etymologischen und philosophischen Aspekte der Begriffsbestimmung auf das Konzept des Lebenssinns, so lässt sich dieser bestimmen durch:
- Die subjektive Bewertung des eigenen Lebens als mehr oder weniger sinnvoll,
- die spezifischen, dem Leben beigelegten Bedeutungen und
- den dynamischen, variablen Charakter von Sinnerfüllung und Bedeutungen“ (Schnell 2009, 2014)
Damit verbunden ist einerseits die Frage nach der Sinnqualität: Nehmen wir das Leben eher als sinnvoll oder sinnleer wahr? Andererseits werden die Ursprünge und Erfahrungen hinterfragt: Welche Bedeutung schreiben wir dem Leben zu? Dass wir Menschen unser Leben und uns als Person in dieser Welt als bedeutsam empfinden, ist zentral für den Umgang mit Stressoren und Widrigkeiten. Lesen Sie HIER mehr zum Schutzfaktor Sinn.
Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass die Bedeutungen, die wir dem Leben zuschreiben, auch unsere größten Motivatoren sind. Die Dinge, die wir als sinnvoll erachten, puffern laut der Forschung Stressoren ab. Das bedeutet, wir empfinden weniger Stress, wenn wir wissen wofür wir etwas tun – und weniger Stress führt wiederum zu verbesserten Gesundheitswerten.
Die Aufgabe besteht für jeden Einzelnen darin, die persönlichen Sinnquellen zu erforschen, um daraufhin diese aktiv für die persönliche Gesundheit zu stärken. Denn das, was für einen persönlich sinnerfüllend ist, wird der Nächste vielleicht nicht so empfinden. Beispiele können morgendliche Rituale, ein Tanzkurs, das Zusammensein mit der Familie, die Hilfe in einer Gemeinde, der Beruf oder schöpferisches Gestalten wie Malen, Fotografieren, Musizieren etc. sein. Diese kleinen und großen Momente sind es, in denen Menschen Zeit und Raum vergessen oder von innen heraus angetrieben werden, sich für etwas Größeres einsetzen.
Wie Sinn die körperliche Gesundheit stärkt
Eine Reihe internationaler Forschungsarbeiten zeigen, dass Sinnerleben mit einer verbesserten Gesundheit einhergehen kann. Nach M. Besthorn hängt dies damit zusammen, dass eine höhere Sinnerfüllung zu mehr gesundheitsfördernden Verhalten führt. Außerdem ist die Unterscheidung in eine „subjektiv-wahrgenommene Gesundheit“ und „objektiv-körperliche Gesundheit“ interessant, die jeweils auch in Verbindung stehen mit Resilienzfaktoren wie beispielsweise Selbstregulation, Selbststeurung oder einem gesunden Optimismus.
Gesundheitsförderndes statt gefährdendes Verhalten
Wenn Menschen wissen, wofür sie etwas tun, sind sie laut der Forschung auch eher dazu bereit, sich mehr um ihre Gesundheit zu kümmern. Dr. Tatjana Schnell beschreibt Sinn deshalb auch als Motivator. Wenn ein Mensch beispielsweise mit einer schweren Krankheit konfrontiert wird, kann eine höhere Sinnerfüllung dazu führen, regelmäßig Arzttermine wahrzunehmen, wichtige Medikamente zu nehmen, sich mehr zu bewegen und die Ernährung langfristig umzustellen.
Der innere Antrieb FÜR eine Sache oder die Liebe zu einer Person (Viktor E. Frankl), wirkt sich entsprechend positiv auf unser Verhalten in der Gegenwart aus. Kennen Sie Beispiele aus Ihrem Leben, im Bekanntenkreis oder der Arbeit? Aus Trainer- und Coachperspektive ist es hilfreich, einen Blick auf die Sinnquellen zu richten, die Klient:innen oder Coachees zu gesundheitsfördernden Verhalten antreiben. Wer oder was kann dazu beitragen, sich zum Beispiel eine Stunde am Tag in der Natur zu bewegen oder den nächsten Vorsorgetermin wahrzunehmen?
Andersherum zeigt sich, dass Sinnerfüllung gesundheitsgefährdendes Verhalten verringert. Studien zeigen, dass das Risiko von Suchtverhalten, wie Rauchen, Alkohol und Kokain, und eines Rückfalls nach der Behandlung geringer ist. Besteht eine höhere Sinnerfüllung, beispielsweise durch das Enkelkind oder soziales Engagement – im Wissen, dass man gebraucht wird – führt dies auch zu mehr resilienter Selbststeuerung und der Fähigkeit „Nein“ zu sagen, wenn es Dinge sind, die der Gesundheit schaden.
Subjektive Wahrnehnung
Ein weiteres Kriterium ist die subjektive Wahrnehmung – hier mit besonderem Blick darauf, wie Menschen ihr Sinnerleben einordnen und davon berichten. Die Frage ist, welche Wahrnehmungsbrille wir Menschen tragen und worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Eine Studie zeigte zum Beispiel, dass Krebspatientinnen mit höherer Sinnerfüllung sich auch psychosozial besser anpassen konnten. Hiermit stehen auch Resilienzfaktoren wie Kommunikation, Bindung oder soziale Unterstützung in Verbindung. Außerdem geht die Wahrnehmung von Sinnerleben mit einem positiven Lebensgefühl einher. Sinn ist nach T. Schnell kein Gefühl, sondern sinnerfüllende Momente werden in der Regel von angenehmen Emotionen begleitet wie Liebe, Freude, Ehrfurcht oder Dankbarkeit.
Durch die Aktivierung dieser kraftvollen Emotionen werden Hormone wie Oxytocin, Dopamin oder Serotonin ausgeschüttet, was nachweislich die körperliche Gesundheit auf vielfältiger Weise verbessert. Was empfinden Sie zum Beispiel, wenn Sie einer Leidenschaft nachgehen? Welche Emotionen zeigen sich und was können Sie tun, um diesen Sinnmoment mit dieser Emotion mehr in Ihren Alltag zu integrieren?
Objektive Gesundheitskriterien
Die Studien aus der Sinnforschung zeigen weiter, dass Sinnerfüllung dazu führt, dass Menschen weniger stark leiden und sich deutlich weniger Symptome zeigen.
„In Bezug auf körperliche Gesundheit gibt es spektakuläre Hinweise auf Zusammenhänge mit Lebenssinn.“ (T. Schnell 2020)
Beispielsweise zeigt eine Metaanalyse Zusammenhänge zu „objektiven Gesundheitsmaßen“, wie die Verfügbarkeit natürlicher Killerzellen und der Herzrate (Czekierda et al. 2017). „Die Effekte konnten in aussagekräftigen experimentellen und Längsschnittstudien ebenso festgestellt werden, wie in den weitaus üblicheren Querschnittstudien.“ (Schnell 2020). Ein schönes Beispiel ist auch eine japanische Studie, in der 43.000 Personen nach ihrem „Ikigai“ befragt wurden (kurz: Japanische Lebensphilosohpie; persönlicher Lebenssinn). Diejenigen, die ihr „Ikigai“ hatten, wiesen 7 Jahre später eine deutlich höhere körperliche Gesundheit vor. Sie hatten weniger Schmerzen und Beeinträchtigungen der körperlichen Funktionsfähigkeit. Gleichzeitig konnte bei nicht vorhandendem „Ikigai“ ein 50% höheres Sterblichkeitsrisiko innerhalb der untersuchten sieben Jahre festgestellt werden (Vgl. Schnell; Studie Sone et. Al 2008).
Ebenso zeigten weitere Studien den Zusammenhang zum Sterblichkeitsrisiko – und das unabhängig vom Alter. Eine amerikanische Studie zeigte besonders deutlich, dass Sinnerfüllung das „generelle Sterblichkeitsrisiko um 23 % senkte und das Risiko eines Herzinfarkts, Schlaganfalls oder der Notwendigkeit einer Bypass Operation oder Stent Implantation um 19 % verringerte“ (vgl. Schnell; Studie Mount Sinai Medical Center 2015).
Die positiven Effekte von Sinnerleben zeigten sich auch in einer amerikanischen Studie durch ein verringertes Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Deutlich erkennbar ist der Zusammenhang zur Verbesserung des Immunsystems. Durch geringere Aktivierung auf stressauslösende Reize wird unser Stresssystem beruhigt und nachweislich Entzündungswerte verringert. Über „alltägliche“ Probleme und Stresseinladungen hinaus, zeigt sich die Gesundheitsförderung durch Sinn auch besonders in schweren Krisen und traumatischen Erlebnissen. Das Forschungsfeld der positive Psychologie beschäftigt sich unter anderem mit Posttraumatischen Wachstum, das ebenso durch eine höhere Sinnerfüllung gestärkt werden kann. Hier sind aber viele Aspekte in Bezug auf mentale und seelische Prozesse zu betrachten. Im Artikel „Sinn in Krisen und Erleben von Leid“ erfahren Sie hierzu mehr.
Weshalb es sich lohnt, dran zu bleiben
Das Thema Sinn ist folglich nicht mehr „nur“ in der Philosophie und Psychologie zu Hause, sondern wird unseres Erachtens richtig spannend, wenn es aus verschiedensten Perspektiven, wie der Medizin, beleuchtet wird. Für die steigenden Herausforderungen in der Arbeitswelt kann der Blick ins „Innere“ nur hilfreich sein, um Krankenstand zu senden und mit steigendem Wettbewerb umzugehen.
Eine starke Resilienz zeichnet sich vor allem durch eine gute Wahrnehmung für die gesundheitsfördernden Aspekte im Leben aus. Häufig ist also schon ein großer Schritt damit getan, wenn das Bewusstsein für die „kleinen“, sinnstiftenden Dinge im Alltag geschärft wird, die langfristig große Wirkung auf unser Immunsystem haben.
Schauen Sie zum Beispiel einmal in Ihre resiliente Vergangenheit zurück. Gab es in Ihrem Leben schon einmal eine Situation, in der Sie eine Verbindung zwischen Sinnerfüllung und Ihrer körperlichen Gesundheit erkennen können? Wenn ja, welche Aspekte führten zur Verbesserung? Und wie können Sie diese heute weiter aktivieren, um präventiv Ihre Gesundheit für morgen zu stärken?
Quellen:
- Besthorn, Manu; Studienbezug: Roepke, A. M., Jayawickreme, E., & Riffle, O. M. (2014). Meaning and health: A systematic review. Applied Research in Quality of Life, 9(4), 1055-1079.
- Schnell, Tatjana: Psychologie des Lebenssinns, Springer 2020 (+ internationale Forschungsergebnisse: Sinn, Gesundheit und Krankheit).
- Rose, Nico: Führen mit Sinn. Wie Sie die Führungskraft werden, die Sie sich früher immer gewünscht haben, Haufe 2020.
- www.depositphotos.com, Grandfather and child using tablet computer in park @ PantherMediaSeller
- www.depositphotos.com, Man with glass of whiskey and woman refusing to drink in bar @ serezniy
- www.depositphotos.com, Healthy breakfast @ magone
Christina Comnick, M.A. Management–Education–Diversity (Sozial- und Gesundheitsmanagement), ist Kooperationspartnerin der Resilienz Akademie und Expertin für „Seelische Resilienz“. Gemeinsam mit Sebastian Mauritz entwickelt sie das Konzept und leitet die dazugehörige Fortbildung. Sie ist Resilienz-Trainerin & Coachin, Antigewalt- und Kompetenztrainerin und setzt sich seit ca. 15 Jahren für die Prävention seelischer Gesundheit und Krisenintervention ein. Ihre Schwerpunkte liegen auf den Themen: Sinn, Spiritualität, Intuition, Emotionsregulation und Deeskalation. (www.christinacomnick.de)
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 150 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de).