„Our world has a pain in its heart right now.”
So beschrieb es Lisa Miller, Professorin für klinische Psychologie [Teachers College Columbia University u. Direktorin des Spirituality Mind Body Institute] Ende letzten Jahres – bezugnehmend auf ihre neusten Forschungsergebnisse zur Verbindung von Spiritualität, Neurobiologie und der Auswirkung von Krisen auf unsere Resilienz.
Heute erleben wir eine weitere Dimension tiefer Erschütterung – ja, unsere Welt leidet. Aktuelle Geschehnisse lassen uns fassungslos dar stehen. Krieg, Machtausübung, Hochmut, Instrumentalisierung und Manipulation von Individuen sowie gesamtgesellschaftliche globale Herausforderungen, eine steigende Zahl psychischer Erkrankungen, Zerrissenheit und Isolation … Die Liste ließe sich fortführen.
Warum es gerade in Krisen wichtig ist, auf den Sinn zu schauen
Äußere Erschütterung führt nicht selten zur Inneren. Gefühle von Machtlosigkeit, Trauer, Ärger oder Angst kommen vielleicht hoch, die wiederum zu einer unserer biologischen Stressreaktionen Flucht, Kampf, Starre führen und uns aus dem Gleichgewicht bringen können. Wir wissen, wie wichtig es ist, unser Stressempfinden wahrzunehmen und für eine Ausbalancierung zu sorgen. Sind wir uns aber bewusst, welchen Einfluss auch ein übergeordnetes Erleben von Leid auf unser seelisches Befinden hat?
Wir Menschen sind Meister darin, Fragen wie diesen auszuweichen. Zugegebenermaßen – Leid, Seele, Sinn…die Macht der Sprache schlägt hier zu, nicht wahr? So groß und ehrfürchtig die Worte aber sein mögen, so klein und heilsam, fast schon geheimnisvoll, sind die Schritte, die uns zu ihnen führen. Denn festzuhalten gilt: Je lauter es im Außen wird, desto mehr sollten wir – gerade jetzt – den Blick auf unser Innerstes richten. Dahin, wo es ganz ruhig, ganz leise ist. Wo wir anfangen, wieder ruhig atmen zu können, unser Herz zu fühlen. Wahrzunehmen, sowohl was uns verletzt – als auch was uns berührt und lieben lässt. Auf diesem Weg werden wir auch zu unserer Komfortzone geführt. Dort haben wir Zugang zu unseren Schutzfaktoren und treffen schließlich auf unseren wohl tiefsten Kern und elementarsten Schutzfaktor – unseren persönlichen Lebenssinn.
Was bewirkt Sinn in Krisen?
Nach Aaron Antonowsky ist die Dimension „sense of meaningfulness“ ein zentraler Teil unseres Kohärenzgefühls, der eine steuernde Funktion in unserem Leben übernimmt. Wenn Sie ihr Handeln als emotional sinnvoll und lohnenswert erachten, investieren Sie auch Energie und dies hat direkte Auswirkung auf Ihre Motivation, Zielsetzung – und ja, Ihre körperliche und seelische Gesundheit. Diese Argumente sind keine bloßen Vermutungen, sondern spiegeln sich, dank der Sinnforschung, in konkreten Zahlen wider.
Sinn als Moderator
Prof. Dr. Tatjana Schnell forscht und lehrt am Institut für Psychologie der Universität Innsbruck und beschreibt Sinn als einen Moderator mit der Funktion eines „Puffer-Effekts“. Durch das Erleben von Sinnhaftigkeit können unsere Stressoren abgefedert bzw. die Belastungen des Stressors und das Empfinden von Leid heruntergeregelt werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist eine Untersuchung von älteren Patient:innen mit Arthrose, die nach einer Knieoperation sechs Monate später zu ihren Einschränkungen befragt wurden. Die Menschen mit höheren Sinnerfüllung berichteten von einem wesentlich besseren psychischen und körperlichen Gesundheitszustand, als diejenigen, die vor der Operation eine geringe Sinnerfüllung angaben.
Zu beachten ist, dass unser Immunsystem eben auch auf psychosozialen Stress reagiert. Wenn uns etwas belastet – eine Erkrankung, die berufliche Tätigkeit oder auch Einsamkeit, signalisiert unser Gehirn dies unserer Nebenniere, woraufhin unser stoffwechselanregendes Hormon Cortisol (auch als Stresshormon bezeichnet) abgesondert wird. Entzündungen, Schlafstörungen und Krankheiten können entstehen, wenn dieser Prozess der psychischen Belastung länger anhält, da unser Immunsystem quasi von dem ansteigenden Cortisol unterdrückt wird.
Um Cortisol effektiv abzubauen, ist es also ratsam, dass wir beginnen, unseren Blick auch auf unser seelisches Befinden zu richten und aktiv daran arbeiten, unser Sinnerleben zu stärken. Denn laut einer Studie aus der Sinnforschung zu Entzündungswerten von Biomarkern wird weniger Morgen- und Tagescortisol ausgeschüttet, wenn Menschen einen Lebenssinn erkennen. Hinzu kommen zum Beispiel noch „weniger Interleukin, ein besseres Taille Hüft-Verhältnis, höhere HDL Cholesterin Werte sowie ein effektiveres Schlafmuster“.
Fakt ist, dass Entzündungsprozesse zwar nicht beseitigt werden können, wenn wir einem Stressor ausgesetzt sind. Die Auswirkungen der Störungen können aber bei höherer Sinnerfüllung deutlich verringert werden, was auch eine Untersuchung im Kontext von multiplen, chronischen Störungen (Bluthochdruck, Arthritis, Asthma, Diabetes, Autoimmunerkrankungen) und den darauffolgenden, positiven Entzündungswerten bestätigte. Sinn (beispielsweise in Form von Naturverbundenheit, Gemeinschaft, Religion) kann demnach Stressoren „herunterregeln“, wenn wir Belastungen nicht mehr als gefährlich und unüberwindbar betrachten, sondern sie annehmen und in Relation mit anderen Lebensbereichen setzen können.
Prof. Dr. Tatjana Schnell , Psychologie des Lebenssinns
Auf www.sinnforschung.org und in ihrem Fachbuch „Psychologie des Lebenssinns“ gibt Prof. Dr. Tatjana Schnell spannende Einblicke in aktuelle, wissenschaftliche Erkenntnisse der internationalen Sinnforschung. Durch die transdisziplinäre Herangehensweise wird das Thema Sinn u.a. aus Perspektiven der Gesundheit, Arbeitswelt, Krisen und gesellschaftlichen Entwicklungen beleuchtet. Darüber hinaus helfen praktische Beispiele und Fragestellungen zur Vertiefung dabei, sich der Frage nach dem persönlichen Lebenssinn zu nähern oder auch in der Arbeit mit Klient:innen, Sinnfragen und Lebensbedeutungen zu erforschen.
Trauma und Sinnkrisen – Inneren Widersprüchen begegnen
Die Logotherapie (Logos = Sinn; Begründer V. E. Frankl) beruht auf der Annahme, dass wir Menschen zutiefst nach Sinnerfüllung und innerem Frieden streben. Dies geht mit einem Verantwortungsgefühl für das eigene Leben einher und schließt den Wunsch nach Zugehörigkeit und Identifikation mit der Gesellschaft ein. Werden also unsere Werte und moralischen Vorstellungen gebrochen oder gerät unser bisheriges Lebenskonstrukt ins Schwanken, kann dies zu einer Sinnkrise führen. Eine Sinnkrise entsteht nach Tatjana Schnell, wenn „(…) innere Widersprüche ein kritisches Maß überschreiten“, Vertrautes plötzlich infrage gestellt wird, die Realität eine andere ist oder ein „Bewusstsein des Alleinseins“ sich einstellt.
Ähnliches zeichnet sich auch in der Reaktion auf eine traumatische Erfahrung ab (Trauma = „extrem bedrohliches oder schreckliches Ereignis“ ICD-11 (WHO); Beispiel Kriegsgeschehnisse, Tod des Partners), wodurch unsere grundlegenden Glaubenssätze und zentralen Denkmuster über uns und unsere Umwelt erschüttert werden.
Prof. Dr. Judith Mangelsdorf spricht sich in ihrem Vortrag des Resilienz-Kongresses 2022 dafür aus, auch die sekundäre Traumatisierung ernst zu nehmen. Eine Traumatisierung könne nicht nur primär, also von den Betroffenen selbst, erlebt werden, sondern beispielsweise im Kontext von Krieg und Leid auch durch Bilder und Geschichten, denen wir uns sehr nahe fühlen, was die Notwendigkeit, auch die Auswirkungen von globalen Geschehnissen auf unser seelisches Befinden ernst zu nehmen, unterstreicht.
Prof. Dr. Judith Mangelsdorf leitet Deutschlands ersten Masterstudiengang für Positive Psychologie und Coaching an der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport und ist Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie. Ihr Vortrag „Vom Glück in der Krise – Positive Psychologie in Zeiten von Krieg und Leid“ aus dem Interview ist kostenlos online abrufbar.
Vertrauen und Verbundenheit
In unserem Verständnis von Resilienz ist deshalb der Blick auf die Vulnerabilität ein besonders wichtiger Faktor. Es gibt im Leben Situationen, in denen unserm Atem stockt, Ohnmachtsgefühle sich ausbreiten und wir in sekundenschnell eine tiefe Gewissheit in uns tragen – nein, es wird eben nicht mehr so wie es mal war. Momente, in denen wir keinen Sinn erkennen können und es, ja, manchmal schlichtweg ums Aushalten geht. Zu einem Realitätscheck gehört eben auch, die dunklen Tage, die in Wellen unerwartet auf uns zukommen, anzunehmen – in tiefem Vertrauen, dass hellere wieder folgen werden. Dieses Vertrauen gilt es zu stärken. Tatjana Schnell spricht auch von einem „Vertrauensschuss“ in die Sinnhaftigkeit des Lebens.
Dieses Vertrauen können wir zum Beispiel durch kleine Taten, generative Handlungen und soziales Engagement bestärken. Auch in der Forschung der Positiven Psychologie wird die „Soziale Unterstützung“ als eine der drei zentralen Faktoren benannt, die im Erleben von Leid helfen und posttraumatisches Wachstum unterstützen können. In Beziehung gehen, sich einlassen, Raum für Verbundenheit und Fürsorge schaffen und – auch während des eigenen Leidens – anderen Menschen zur Seite stehen.
„Helfen hilft – und zwar beiden!“ ist deshalb eine zentrale Message von Prof. Dr. J. Mangelsdorf im Interview des Resilienz Kongresses. Aktiv herauszugehen und Unterstützung anzubieten, könne gleichzeitig uns in der Begegnung mit unserem eigenen Leidempfinden helfen und Gefühlen von Machtlosigkeit etwas entgegensetzen.
Dankbarkeit
Als weiteren zentralen Faktor benennt Judith Mangelsdorf die „Anwesenheit positiver Emotionen“. Dass es gerade in den schwierigsten Zeiten unseres Lebens wichtig ist, Momente des Glücks hervorzurufen, konnte durch zahlreiche Forschungen (u.a. Barbara Fredrickson) bestätigt werden. Demnach können Sie bereits durch kleinste Situationen, in denen Sie Sinn erkennen, in einen Zustand gelangen, der es Ihnen wieder ermöglicht, aktiv zu werden und sich auf Beziehungen einzulassen. Hier bedingt sich auch die Stärkung unserer Resilienz, da langfristig neue Ressourcen aufgebaut werden und diese zu Wachstum und Verbesserung von Gesundheit und unserem persönlichen Erfüllungserleben führen können. Letzteres spiegelt sich in der internationalen Vergleichsstudie im dritten, zentralen Leitfaktor wider.
Das „Schöpfen von Sinn aus dem Erlebten“ konnte als „hochgradig mit posttraumatischem Wachstum assoziiert“ werden. Hier verweist Judith Mangelsdorf auf eine 2008 veröffentlichte Forschungsarbeit von Watkins und Kollegen, die aufzeigte, dass Personen, die in der Beschreibung einer unangenehmen Erinnerung zusätzlich den Fokus auf Emotionen und die Perspektive der Dankbarkeit legten, eine positivere Wirkung erzielten und neue Lösungswege finden konnten.
Kraftvolle Vulnerabilität – die Wertschätzung von Wunden
Es geht somit nicht darum, dem Sturm in einer Krise mutig entgegen zu treten, standzuhalten und danach in den alten Zustand zurückzukehren. Vielmehr braucht es unseres Erachtens ein Stück mehr Nachsicht und würdevollen Umgang – mit uns selbst, unseren Wunden und dem Tal, durch das wir schreiten, wenn es uns nicht gut geht. Ein schöner Vergleich ist hier auch die japanische Reparaturmethode Kintsugi, in der metaphorisch Fehler gewertschätzt und veredelt werden. Nicht die Perfektion, sondern unsere Narben tragen zu unserer Schönheit und inneren Kraft bei.
„What we can feel, we can heal“ – J. Mangelsdorf 2022
Da unser seelisches Befinden eng verflochten sowohl mit unserer Weltanschauung als auch Gewissensfragen und Ambivalenzen ist, erstaunt es nicht, dass im Erleben von Leid und Sinnkrisen Angst– als Hüterin unserer Sicherheit eine der vorherrschenden Emotionen ist. Die Beschäftigung mag gerade bei der existentiellen Angst anfangs schmerzhaft sein – sie ist aber von großer Bedeutung, um einen funktionalen Umgang mit ihr zu schaffen.
Wichtig ist es, dass wir versuchen, die Emotionen, die sich in Momenten des Leids bemerkbar machen, anzunehmen – in dem Wissen, dass sie nicht auf Dauer da sein werden. Denn festzuhalten gilt: Je mehr wir in den Widerstand gehen und uns gegen unseren Schmerz stemmen, desto größer wird unser Leidempfinden (Leid= Schmerz*Widerstand, Mangelsdorf 2022). Geben wir uns mehr Zeit, und schaffen wir es vielleicht sogar, uns für einen Moment von Erwartungen zu lösen, so erhalten wir die Möglichkeit, dass sich ein Raum öffnet, in dem wir auf die Fragen, die gerade in schweren Zeiten oft sehr laut werden, anknüpfen können und, wie schon V. Frankl sagte, durch Leid wachsen und reifen können. Nach T. Schnell kann eine Sinnkrise die wertvolle Möglichkeit bereithalten, auf eine „illusionslose“ – von Oberflächlichkeit befreite – Suche nach dem Lebenssinn zu gehen.
Erweitertes Bewusstsein
Dass aus einer Krise und Erleben von Leid etwas Neues in uns erwachen und regelrecht erblühen kann, bestätigt nun mehr auch die Psychologieprofessorin Lisa Miller erstmals im Rahmen der klinischen Wissenschaft. Wie eingangs zitiert spricht sie vom Schmerz der Welt – sie geht dabei aber der spannenden Frage nach, in wie weit sich Spiritualität im Gehirn verorten lässt und konnte nachweisen, wie Gene und Neurotransmitter zusammenspielen und in Folge von Depressionen, Verzweiflung, Krisen und Leiderfahrungen zu einem erweiterten Bewusstsein und Erwachen führen können.
Auf der Annahme, dass wir alle eine natürliche spirituelle Veranlagung in uns tragen, spricht sie sich dafür aus, unsere innere Weisheit, unser Bauchgefühl als spirituelles Potential und „echte Daten“ anzuerkennen, in unser Leben fest zu integrieren und (u.a. auch in Unternehmen/Teamprozessen) nutzbar zu machen. Gehen wir achtsam mit uns um und erfahren wir, dass wir durch unsere Intuition zu guten Entscheidungen geführt werden, folgt ein Gefühl des inneren Friedens und Stärkung unserer Resilienz.
Auffangnetz
Vielleicht kennen Sie sogar die Zeilen aus dem Lied 533 des ev. Gesangbuches. Hier schrieb Arno Pötzsch (Seelsorger und Pfarrer) 1941 mitten im Zweiten Weltkrieg, als er in Holland stationiert war, die Zeilen: „Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand“. Wer oder was Gott an dieser Stelle auch für uns sein mag – die Worte lösen möglicherweise ein Stück Trost, Ruhe, Zuversicht aus und vermitteln uns: Wenn wir fallen, werden wir in Liebe aufgefangen. Wir sind nicht allein. Wir dürfen weinen. Wir dürfen vertrauen.
Man könnte es als eine Art Auffangnetz beschreiben. Wenn etwas auf uns hineinbricht und wir das Gefühl von Perspektivlosigkeit empfinden, brauchen wir umso mehr Sicherheit. Und Sinnerleben schafft mehr Sicherheit – wir können dadurch wieder ein Stück Kontrolle zurückgewinnen und flexibler reagieren.
Um ein Netz zu weben, müssen aber vorerst kleine, filigrane Verbindungen hergestellt werden, die für eine Ausbalancierung und Stabilität sorgen.
Es braucht eben Feinfühligkeit und Zeit – Sinn braucht Zeit. Und zu beachten gilt auch: Bevor es an die Feinarbeit geht, weben beispielsweise Spinnen einen Rahmen. Geben wir uns einen geschützten, wertungsfreien Raum und lassen wir uns Zeit für Tränen und Würdigung von Leid, ebnen wir eine gute Grundlage für den Schritt hin zu mehr Selbstwirksamkeit.
Wie können wir unser Erleben von Sinn in Krisen stärken?
Lassen Sie uns an dieser Stelle Sinn (urspr. sent: gehen, reisen) als einen leisen, fast schon bescheidenen, aber äußerst kraftvollen und existentiellen Begleiter unseres Lebens festhalten, der uns in Zeiten des Leidens (urspr. fahren, reisen) zu uns führt, motiviert, reguliert – und dabei unsere Resilienz (Flexibilitätskompetenz) in ihrer Ganzheit stärkt. Es wird deutlich: Die drei Begriffe stehen in Zusammenhang mit einer Dynamik und einem Weg – unserem ganz persönlichen Weg. Und genau hier liegt die Besonderheit und Kraft zur Entfaltung. Wenn wir unter hohem Stress stehen oder Leid erfahren, gibt es vielleicht Momente, in denen wir besonders sensibel und empfänglich sind. Wir suchen nach Antworten, die uns eine Richtung vorgeben. Umso wichtiger: Nur Sie können die Antworten in sich finden. Aus diesem Grund ist die Praktik der Selbstreflexion im Resilienz Coaching zentral, um Gedanken zu sortieren und Faktoren wie Dankbarkeit, Verbundenheit, Optimismus und Ihre Intuition zu stärken.
Hierzu möchten wir Ihnen aus der Positiven Psychologie und aus Sicht des Resilienz Coachings ein paar Ideen mitgeben, die sich als effektiv erwiesen haben.
Tipps aus der Positiven Psychologie
Leitfragen
Zur Stärkung von Dankbarkeit ein paar Leitfragen, die zu einem Perspektivwechsel führen können:
- Aus heutiger Sicht: Wofür war es gut?
- Wie können Sie die Erfahrungen, die Sie gesammelt haben, heute für sich oder andere nutzbar machen?
- Wozu hat Sie die Erfahrung befähigt?
Um positive Emotionen zu bestärken bietet J. Mangelsdorf drei kurze, aber sehr wirkungsvolle Interventionen an. (Eine kurze Anmerkung: Eigentlich sehen wir in der Resilienz-Akademie davon ab, von positiven Emotionen zu sprechen, da jede Emotion für uns wertvoll ist. Deshalb sprechen wir lieber von angenehmen/unangenehmen bzw. funktionalen/dysfunktionalen Emotionen.)
- Drei gute Dinge am Ende jeden Tages aufschreiben
- 4-Evening-Questions: Rückblick auf den Tag mit vier Fragen:
- Was hat mir heute Freude bereitet?
- Wofür und wem kann ich heute dankbar sein?
- Wo habe ich mich heute lebendig gefühlt?
- Welche Stärken konnte ich heute ausleben?
- (Zusatz: Wie kann mir diese Stärke bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderung konkret nutzen?)
- Miniurlaub: Eine umfangreiche Liste von positiven Aktivitäten erstellen, die als wohltuend und beglückend erlebt werden.
Proaktives Coping
Im Resilienz Coaching und Training liegt ein wichtiger Schwerpunkt darauf, Stress zu verstehen und herauszufinden, wie Sie bisher mit Stress und schwierigen Situationen im Leben umgegangen sind. Diese persönlichen Bewältigungsstrategien nennt man auch Copingstile. Die Frage ist, ob Ihre Copingstrategien eher funktional oder dysfunktional sind – das heißt, zum erwünschten Erfolg führen oder nicht. Die gute Nachricht ist: Wir können unsere Copingstile verändern und positiv stärken. Resilienz ist hier unsere große Unterstützung, die uns zu funktionalem und proaktiven Umgang mit Stress führt. Je flexibler wir mit verschiedenen Copingstilen umgehen und uns anpassen können, desto höher ist unsere Resilienz.
In der positiven Psychologie finden sich verschiedene Methoden zu Proaktivem Coping:
- Problem- und Lösungsfokussiertes Coping: Worauf habe ich aktuell Einfluss? Schon eine Kleinigkeit durch aktives Handeln hilft, das Gefühl von Kontrolle und Sicherheit zurück zu gewinnen.
- Emotionsfokussiertes Coping: Den Blick auf eigene Emotionen richten, ggf. versuchen, den Stressor zu verändern (zum Beispiel Nachrichtenkonsum), die Gegenwart wahrnehmen und erkennen, dass das Gefühl kein dauerhafter Zustand ist.
- Soziales Coping: Wissen um Verbundenheit und Beziehungen, Sorgen und Gedanken teilen, gemeinsame Erfahrungen sammeln, Mitstreitende, Mitwissende, Professionelle Unterstützung zum Austausch suchen, Gemeinsam aktiv werden etc.
- Bedeutungsfokussiertes Coping: Erlebnissen in Krisen einen neuen Bedeutungsrahmen geben. J. Mangelsdorf beschreibt „(…) auch das – gerade hier Bedeutung zu finden, ist Teil der großen Kunst“ und benennt als Beispiele zum Kriegsgeschehen unsere gemeinsamen Werte, das Einsetzen für Frieden in Europa und neue Lernerfahrungen des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft.
Reflexion – Sinn durch Gemeinschaft
- Resilienz Coaching: Ziel unseres Resilienz Coachings ist es wie erwähnt die Selbstwahrnehmung, Selbstreflexion und Selbstwirksamkeit zu stärken und den „Rahmen“ zu geben auf der Suche nach dem persönlichen Lebenssinn. Gestützt auf Methoden beispielsweise der Emotionsregulation, Achtsamkeit, Wertearbeit können Schutzfaktoren erforscht werden, die im Leben Sinn und Halt geben.
- Tiefergehende professionelle Begleitung: Psychotherapie, Logotherapie, Seelsorge, Soziale Beratung (…) Sollten Sie sich aktuell in einer schweren Zeit befinden, scheuen Sie sich bitte nicht in Krisen, nach Hilfe zu fragen und sprechen Sie mit anderen über Ihre Sorgen und Ängste, z.B. mit ihrem Hausarzt oder der Telefonseelsorge (0800/111 0 111, 0800/111 0 222, anonyme, kostenlose Beratung zu jeder Tages- und Nachtzeit; auch Mail- und Chat-Beratung).
- Soziale Unterstützung: Auch die Sinnforschung bestätigt eindeutig, dass ehrenamtliches Engagement, das Helfen und Eingebunden sein in sozialen Projekten unser Gemeinschaftsgefühl, Vertrauen in unsere eigene Kraft und das Gefühl von Sinnhaftigkeit stärkt – wir werden gebraucht und tragen Verantwortung.
- Der Fragebogen mit 26 Lebensbedeutungen unterteilt in 5 Dimensionen, der von Prof. Dr. T. Schnell entwickelt wurde, kann helfen, um sich dem Thema des Lebenssinns zu nähern und persönliche Fragen mit Handlungsoptionen zu erforschen. Empfohlen wird hier zu Zweit in den Austausch zu gehen.
- Die Kraft der Worte: Sowohl das Aussprechen als auch das Schreiben und Lesen von Gebeten, Psalmen, Affirmationen etc. kann helfen, wenn wir das Gefühl haben, keinen Boden unter den Füßen zu haben. Die Kraft der Worte ist besonders im Erleben von Leid oder Sinnkrisen besonders groß. Unser Herz ist offen und empfänglich. Vielleicht berührt uns plötzlich auch ein Wort, ein Zitat, was wir eigentlich schon lange kennen– jetzt aber erst verstehen lernen.
Wenn Worte fehlen – Sinn durch Stille
- Eine Kerze anzünden und dabei an eine Person oder Situation denken („Solange die Kerze brennt, geht mein Gebet zum Himmel“ (Dr. theol. Anselm Grün)
- Meditation: Ein Beispiel zur Stärkung von Verbundenheit ist die Metta Mediation „Liebende Güte“
- Mantra: Zum Beispiel „Das ist ja interessant“, „Ich bin mir sicher, dass das Sinn ergibt“, „Etwas (Anteil, Bedürfnis) in mir versucht zu kommunizieren, zu heilen, mit mir in Kontakt zu treten…Willkommen“
- Rituale: Zur Wertschätzung von Wunden, Trauer oder auch Vergebung, Dankbarkeit, inneren Einkehr. Das können kleine Rituale über den Tag verteilt oder auch Jahresrituale und Traditionen sein. Rituale sind wertvolle Begleiter in Krisenzeiten, da sie Stabilität und Verbundenheit schaffen
- Sinne aktivieren: Besonders in schweren Zeiten ist es umso wichtiger, unser Fühlen – unsere Sinne – wieder zu aktivieren, um langfristig heilen zu können. Schon kleine Schritte haben eine große Wirkung! Eine Berührung – von Mensch, Tier oder eine Selbstumarmung (zum Beispiel Butterfly Hug), der Spaziergang in die Natur, ein vertrauter Duft, der Klang eines Instruments, das Genießen eines Abendessens oder der Weitblick ins Grüne (…). Was es auch sein mag – als eine Art Faustregel gilt: Alles was Ihnen das Gefühl von Lebendigkeit schenkt und ihrer Seele guttut, senkt ihr Stresshormon und führt zu innerer Ruhe und emotionalen Stabilisierung.
- Kraft des Friedens: Vorstellen, verinnerlichen und ein Licht der Liebe gedanklich dort hinsenden, wo es aktuell nötig scheint.
Wohin führt uns Sinn in Krisen?
„Das Leiden schafft also eine fruchtbare, man möchte sagen: eine revolutionäre Spannung, indem es den Menschen das, was nicht sein soll, als solches überhaupt empfinden lässt. In dem Maße, in dem er sich mit dem Gegebenen gleichsam identifiziert, eliminiert er die Distanz zum Gegebenen und schaltet die fruchtbare Spannung zwischen Sein und Seinsollen aus.“ – Viktor E. Frankl 1985 –
Weiter…
Fakt ist: Wohl jede:r von uns ist sich dessen bewusst, dass Leid und Krisen zu unserem Leben dazugehören. Unsere Lebenswelt kann sich schlagartig durch Ereignisse ändern. Leid kann unplanbar auf uns zu kommen und unsere Grundannahmen von der Welt plötzlich zutiefst erschüttern. Entscheidend ist der darauffolgende Weg und ob eine Diskrepanz zwischen dem Erlebten und unseren mentalen Strukturen liegt. Ist dies der Fall – und schaltet sich unser Stresssystem – ist es wichtig, dass wir durch Akkommodation, die neuen Informationen in unsere Psyche integrieren. Durch bewusste Ressourcenaktivierung und positives Coping können wir versuchen, uns den neuen Umweltbedingungen anzupassen und selbst aus traumatischen Erfahrungen vielleicht sogar eine Weiterentwicklung ermöglichen.
„Ein posttraumatisches Wachstum kann als Potenzial eines dynamischen Systems gesehen werden, sich an aversive Ereignisse anzupassen und dadurch die vorherigen Ressourcen zu erweitern. Auf einem individuellen Level können diese Ressourcen psychische Komponenten wie beispielsweise das Wissen um den eigenen Lebenssinn beinhalten, aber auch soziale Aspekte wie etwa die Tiefe von Beziehungen.“ – Mangelsdorf 2020 –
Prosilienz
Mit Blick auf die erhöhte Lebensqualität durch eine Verringerung von Entzündungswerten, unserer Umgangsweise mit Stressoren und auch Phänomenen wie des posttraumatischen Wachstums, ist es wohl Zeit, dem Schutzfaktor Sinn mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Je früher wir der Frage nach dem Sinn nachgehen, unser Auffangnetz anfangen zu weben, desto größer wird (bereits in diesem Prozess) unser Vertrauen in die (Spann-) Kraft, die uns durch Leid trägt und halten kann.
„Prosilienz® ist deshalb von zentraler Bedeutung, um Sinnkrisen vorzubeugen oder sich auf Zeiten seelischer Dysbalance vorzubereiten. Lebenssinn ermöglicht es letztlich, dass uns ein Stressor nicht vollumfänglich einnimmt, sondern durch andere Lebensbereiche ausgeglichen werden kann. Entscheidend ist also, wie wir Leid und Stressoren begegnen und wann wir anfangen, unsere Aufmerksamkeit auf das richten, was unsere Seele schützt und unser „Trotzdem ja zum Leben“ (Viktor E. Frankl) stärkt.
„Wenn ich an die Grenzen meines Lichtes komme… und in den Schatten trete, dann habe ich entweder festen Boden unter den Füßen oder ich lerne zu fliegen.“ – Elisabeth Kübler-Ross –
Christina Comnick, M.A. Management–Education–Diversity (Sozial- und Gesundheitsmanagement), ist Kooperationspartnerin der Resilienz Akademie und Expertin für „Seelische Resilienz“. Gemeinsam mit Sebastian Mauritz entwickelt sie das Konzept und leitet die dazugehörige Fortbildung. Sie ist Resilienz-Trainerin & Coachin, Antigewalt- und Kompetenztrainerin und setzt sich seit ca. 15 Jahren für die Prävention seelischer Gesundheit und Krisenintervention ein. Ihre Schwerpunkte liegen auf den Themen: Sinn, Spiritualität, Intuition, Emotionsregulation und Deeskalation. (www.christinacomnick.de)
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 150 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de).
Quellen
- Frankl, Viktor E. (2019), Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn. Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk. Mit einem Vorwort von Konrad Lorenz. Piper Verlag, München.
- Mangelsdorf, Judith (2020), Posttraumatisches Wachstum, Springer, Online publiziert: Posttraumatisches Wachstum | SpringerLink
- Mangelsdorf, Judith (2022), Vortrag: „Vom Glück in der Krise – Positive Psychologie in Zeiten von Krieg und Leid im Interview mit Sebastian Mauritz: Resilienz-Kongress 2022 – kostenlos & online vom 11.-16. März
- Miller, Lisa (2021), Artikel: Author Talks: How spiritual health fosters human resilience | McKinsey
- Schnell, Tatjana (2020), Psychologie des Lebenssinns, Heidelberg/ Berlin.