Coping ist ein wesentlicher Schutzfaktor der Resilienz. Er beschreibt, wie wir mit Stress, Belastung und Krisen umgehen, was sich aus dem Namen ableiten lässt. Das englische „to cope“ bedeutet soviel wie „bewältigen“ oder „umgehen“. Dabei umfasst der Begriff Coping nicht eine einzige Bewältigungsstrategie. Denn es gibt viele verschiedene Arten, wie wir versuchen mit Stress umzugehen. Ende der 80er Jahre stellte eine Forschergruppe heraus, dass es insgesamt 15 Coping-Strategien gibt, die wir anwenden.
Warum wir alle auf Stress gleich reagieren
Jeder Mensch ist individuell. So liegt auch die Vermutung nahe, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg findet, Belastung zu reduzieren und Stress abzubauen. Dazu passt auch der Gedanke, dass resiliente Menschen wohl einfach die besseren Coping-Strategien haben müssten, denn sie können Stress besonders gut regulieren.
Doch so wie es eine unendliche Vielfalt an Menschen gibt, so gibt es dennoch Muster im menschlichen Verhalten. Stress ist ein biologisches Programm, das in uns allen verankert ist. Schließlich dient es dazu, in Extremsituationen das Überleben zu sichern. Wir reagieren also bei einem Stressor – einem Stress auslösenden Reiz – alle mit der gleichen Stressreaktion. Im Laufe des Lebens müssen wir jedoch lernen, dass solche Stress auslösenden Reize nicht immer von allein verschwinden. Und so entwickeln wir Möglichkeiten, diesen Reizen zu entgehen oder sie zu beseitigen. Mit anderen Worten: wir lernen Coping-Strategien.
Coping-Stile und Coping-Strategien
Coping-Strategien sind demnach jene Muster, die wir anwenden, um Stress zu vermeiden. Sie sind eher kurzfristig ausgerichtet und können sich je nach Stressor unterscheiden. So nutzt nicht jeder von uns stetig alle 15 von der Forschung identifizierten Coping-Strategien. Vielmehr tendieren wir in bestimmten Situationen zu bestimmten Strategien. Und so entstehen die Coping-Stile.
Sie beschreiben die übergeordneten Muster unserer Stressbewältigung. Eine der bekanntesten Einteilung von Coping-Strategien in Stile ist die Unterscheidung von problemfokussiertem und emotionsfokussiertem Coping. Hierbei stellt sich die Frage, ob wir unser Handeln auf den Reiz ausrichten, der Stress verursacht oder eher auf die Emotionen, die durch den Stress ausgelöst werden.
Darüber hinaus gibt es noch zwei weitere Unterscheidungsmöglichkeiten:
- Aktivitätsausrichtung: Engagement Coping bezeichnet die aktive Auseinandersetzung mit den Stressoren, wohingegen Disengagement Coping das Umgehen eines Problems beschreibt.
- Zeitpunkt: reaktives Coping ist die Anwendung von Coping während oder nach dem Stressreiz, wobei proaktives Coping die Vorbereitung auf potenziellen Stress bedeutet.
Das bedeutet zum Beispiel, bei einem Konflikt auf Ihrer Arbeit tendieren Sie dazu sich aktiv mit dem Konflikt auseinander zu setzen, nachdem er aufgetreten ist. Ihr Coping-Stil wäre dann eher problemfokussiert, reaktiv und engagiert. Die Einordnung der Strategien in diese Stile schauen wir uns gleich noch genauer an. Doch zuerst möchte ich noch einmal auf die Frage zurückkommen: Haben resiliente Menschen einfach bessere Coping-Strategien oder -Stile?
Resilienz und Coping
In der Resilienzforschung ist die Rolle den Copings noch nicht ganz eindeutig. Zwar sind sich alle Experten darin einig, dass Coping und Resilienz sehr eng miteinander verbunden sind, die Frage ist jedoch noch offen, wie genau diese Verbindung aussieht. Ein Teil der Forschung geht davon aus, dass Coping ein Bestandteil der Resilienz ist. Eine andere Forschungsrichtung postuliert dagegen, dass Resilienz das Resultat von erfolgreichem Coping ist.
Ob nun das eine oder andere wahrer ist, kann noch niemand schlagkräftig behaupten. Doch fest steht, dass Resilienz nicht gleichbedeutend mit Coping ist. Obwohl Resilienz in vielen Definitionen für eine Bewältigung von Stress steht, so gibt es einen gravierenden Unterschied zwischen den Begriffen. Coping enthält nicht unbedingt auch die Prämisse, dass der Stress erfolgreich bewältigt wird. Coping kann funktional und erfolgreich sein, oder aber auch dysfunktional und weniger erfolgreich, wenn nicht sogar kontraproduktiv. Wohingegen es keine dysfunktionale Resilienz gibt.
Resilienz könnte man also durchaus als die Anwendung funktionaler Coping-Strategien beschreiben. Die Forschung hat jedoch gezeigt, dass es weniger auf die Strategien selbst ankommt. Viel wichtiger ist die sogenannte „Coping Diversity“. Sie beschreibt die Flexibilisierung der eigenen Coping-Stil-Präferenz, um angepasst an die konkrete Situation eine Auswahl an Coping-Strategien zur Verfügung zu haben. Resilienz ist damit die Adaptationsfähigkeit des Copings an den Stressor.
Wie Sie Coping verbessern und Resilienz stärken
Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis ist, dass sich ein guter Umgang mit Stress und eine hohe Resilienz aus der Kompetenz ergibt, viele verschiedene Coping-Strategien zu kennen und angepasst anwenden zu können.
Bei der Flexibilisierung Ihrer Coping-Stile hilft Ihnen zunächst einmal die Kenntnis Ihrer eigenen Präferenzen. Dazu finden Sie nun eine Übersicht der 15 Coping-Strategien. nach Carver, Scheier und Weintraub.
Die Coping-Strategien der COPE-Scale
Die Forscher Carver, Scheier und Weintraub entwickelten 1989 die sogenannte COPE-Scale (Carver, Scheier, & Weintraub, 1989). Dieser Fragebogen umfasst die 15 (im Original 14) übergeordneten Coping-Strategien von Menschen. Nach den Forschern lassen sich diese Strategien in neun funktionale und sechs dysfunktionale Strategien unterteilen. Nach aktuellen Erkenntnissen lässt sich jedoch nicht pauschal jede Strategie in funktional oder dysfunktional einteilen, da hier der Kontext oder die Zeitspanne des Copings eine zentrale Rolle spielen (mit einer einzigen Ausnahme).
Aus diesem Grund finden Sie in dieser Übersicht eine Einteilung der Strategien in die Coping-Stile.
Gehen wir nun im Folgenden nun auf die einzelnen Strategien ein.
Aktives Coping
Diese Strategie ist wohl am Umfassendsten an Möglichkeiten und gerade deswegen auch so unscharf in der Definition. Aktives Coping kann alles sein, das sich direkt mit dem Problem, dem Stressor, der Belastung auseinandersetzt. Die American Psychological Association (APA) definiert aktives Coping als „eine Stressbewältigungsstrategie, bei der eine Person direkt daran arbeitet, einen Stressor durch angemessenes, gezieltes Verhalten zu kontrollieren, indem sie die Verantwortung für die Lösung der Situation mithilfe ihrer verfügbaren internen Ressourcen übernimmt. Diese Art von Bewältigungsstrategie kann verschiedene Formen annehmen, wie z. B. die Änderung etablierter Gewohnheiten“ (frei übersetzt).
Es lassen sich zahllose Beispiele für aktives Coping finden, denn das ist eine der Strategien, die wir alle mehr oder weniger häufig anwenden. So verwundert es auch nicht, dass viele der unten beschriebenen Coping-Strategien uns dazu bemächtigen, im Endeffekt aktives Coping zu betreiben.
Planung
Planung ist eine der wenigen proaktiven Coping-Methoden, wobei diese sowohl problemfokussiert als auch emotionsfokussiert sein kann. Denn hierbei geht es um das Antizipieren möglicher Stressoren und möglicher Reaktionen, um mit dem Stress umzugehen. Die Forschung unterscheidet dabei zwischen „action planning“ und „coping planning“. Ersteres ist, wie der Name schon sagt, die Planung von konkreten Handlungsschritten. Coping planning ist dagegen eher eine Selbstregulations-Strategie, die die „mentale Brücke zwischen der antizipierten Risikosituation und passenden Coping-Reaktionen schlägt“ (Sniehotta, Schwarzer, Scholz, & Schüz, 2005). Es ist die geistige Vorbereitung auf engagiertes reaktives Handeln oder Regulieren.
Einen Erste-Hilfe-Kurs zu belegen ist ein klassisches Beispiel für action planning. Wenn Sie allerdings schon jetzt wissen, wen Sie anrufen, wenn es Ihnen schlecht geht und wann Sie jemanden zum Reden brauchen, ist das coping planning.
Konkurrierende Aktvitäten unterdrücken
Bei dieser Coping-Strategie handelt es sich um einen Zwischenschritt oder eine begleitende Strategie zum aktiven Coping. Es handelt sich um eine funktionale Fokussierung auf das Problem. Es bedeutet jegliche Aktivitäten, die vom aktiven Bewältigen einer stressigen Situation abhalten, zu unterlassen.
So sagen Sie zum Beispiel ein Treffen mit Freunden ab, um eine wichtige Aufgabe zu erledigen oder legen das Buch zur Seite, um einen Partnerschaftskonflikt zu besprechen.
Positive Neubewertung und Wachstum
Die Positive Neubewertung, das „positive Reappraisal“ oder in der Ericksonschen Hypnotherapie, wie auch im NLP als Refraiming bekannt, ist eine der am besten untersuchten Coping-Strategien. Sie setzt nicht am Problem direkt an, sondern an der Bewertung des Problems und ermöglicht dadurch eine Stressregulation. Ärger als Hüter der Werte, ist ein Beispiel für eine solche Umdeutung. Aber Sie können auch ganze Situationen neu Bewerten. So wird aus der Krebserkrankung der Weckruf, sich viel eher auf die Dinge im Leben zu konzentrieren, die für einen persönlich wirklich wichtig sind, wie Lance Armstrong in seiner Biografie „Tour des Lebens“ beschreibt. Und daran zeigt sich die enge Verbindung zu Wachstum.
Die positive Umdeutung lässt sich auch als Sinnfindung beschreiben. Wir versuchen das Positive in Belastungen zu sehen, und geben ihnen damit einen für uns wertvollen Sinn bzw. einen Nutzen. Sinnhaftigkeit ist ein Faktor des Kohärenzgefühls, der laut Forschung eng mit Gesundheit und posttraumatischem Wachstum zusammenhängt (Sears, Stanton, & Danoff-Burg, 2003).
Zurückhaltung
Zurückhaltung gehört im Gegensatz zu den bisher genannten Arten des Copings zum Disengement. Denn hierbei geht es darum sich zunächst vom Stressor zu entfernen, statt zu handeln. Doch auch diese Strategie ist lediglich ein Zwischenschritt vor dem aktiven Coping. Die Zurückhaltung, oder im Englischen „restraint coping“, beschreibt das Warten auf den richtigen Zeitpunkt zur Handlung.
In der ursprünglichen Einteilung gehört diese Strategie zum funktionalen Coping, doch eine Studie aus dem Jahr 2015 konnte zeigen, dass Abwarten nicht zwangsläufig funktional ist. Im Experiment wurden zwei Personengruppen einem Stressreiz ausgesetzt. Die Probanden wurden unterteilt in Menschen, die eher zur Coping-Strategie Zurückhaltung neigen und jene, die diese Präferenz nicht aufwiesen. Es zeigte sich, dass die Menschen mit einer Neigung zur Zurückhaltung nach dem Stressreiz einen höheren Cortisolwert aufwiesen, als die Kontrollgruppe, und das, obwohl die direkte Stressreaktion bei beiden Gruppen identisch war (Roos, Adams, Amstadter, Thomas, & Danielson, 2015).
Cortisol ist sowohl ein Hormon, das bei Stress ausgeschüttet wird, doch es soll auch dazu dienen, den Stress zu regulieren. Worauf die Studie hindeutet ist, dass Zurückhaltung mit einer geringeren Regulationsfähigkeit gegenüber Stress einhergehen könnte. Die Forschung hierzu steckt allerdings noch in de Kinderschuhen.
Soziale Unterstützung (emotional und instrumentalisiert)
Soziale Unterstützung ist ein enorm wichtiger Schutzfaktor in Bezug auf Stressregulation und Resilienz. Die Entwickler der COPE-Scale haben keinen expliziten Unterschied zwischen emotionaler und instrumenteller sozialer Unterstützung gemacht, in dieser Aufzählung macht die Unterscheidung jedoch Sinn. Denn es gibt einmal problemfokussierte soziale Unterstützung und emotionsfokussierte soziale Unterstützung.
Wenn wir von sozialer Unterstützung sprechen, meinen wir häufig die emotionale. Wenn Sie also einen Freund oder eine Freundin anrufen, um ein offenes Ohr zu finden, bei dem Sie Ihren Emotionen freien lauf lassen können und Mitgefühl und Beistand finden, dann ist das emotionale soziale Unterstützung. Sie hängt eng positiv mit mentaler sowie physischer Gesundheit zusammen (Moak & Agrawal, 2010).
Wenn Sie allerdings einen Freund oder eine Freundin bitten, Ihnen beim Beseitigen eines Problems zu helfen oder konkreten Rat suchen, dann handelt es sich um instrumentelle soziale Unterstützung. Allerdings besteht in der Forschung Zweifel daran, dass nicht auch bei der instrumentellen sozialen Unterstützung, die emotional bedeutsame Komponente eine zentrale Rolle spielt und somit nicht losgelöst voneinander betrachtet werden könne (vgl. Semmer et al., 2008).
Religion
Mit Religion ist hier die Zuwendung zu einer höheren Macht oder Instanz gemeint. Das kann eine fest etablierte religiöse Gemeinschaft sein, jedoch zählt hierzu auch jegliche Form der Spiritualität eine Rolle. Religion kann zwar reaktiv sein, zum Beispiel wenn sich Menschen nach einer Naturkatastrophe an Gott oder eine höhere Macht wenden. Jedoch wirkt Religion hauptsächlich proaktiv.
Denn das gewählte Glaubenssystem fungiert als Sinn-System, welches vor allem den Stress-verstärkenden Unterschied zwischen der zugeschriebener und globaler Bedeutung von Ereignissen verringern soll. Es verkleinert die Ist-Soll-Diskrepanz und reguliert so Stressempfinden herunter. In einer Studie zeigte sich, dass Religion als „meaning-making-coping“ – bedeutungsgebendes Coping – nicht nur zu Wohlbefinden sondern auch zu Wachstum führt (Park, 2005).
Humor
Humor, besonders in Form von Sarkasmus oder Ironie ist eine emotionsfokussierte Strategie, sich emotional vom Problem zu entfernen. Wir versuchen eine belastende Situation umzukehren und sehen dann, anstelle des Nutzens wie bei der positiven Neubewertung, das Absurde im Stressreiz.
Eine Studie aus den 90ern zeigte, dass Menschen, die zu dieser Coping-Strategie neigen, weniger Depression oder Einsamkeit und ein höheres Selbstwertgefühl aufwiesen, allerdings ohne Langzeiteffekt (Overholser, 1992).
Fokus auf und Rauslassen von Emotionen
Sicher kennen Sie den Ausdruck „Dampf ablassen“. Es hält sich hartnäckig der Mythos, dass es gut tut, Frust einfach mal, übertrieben gesprochen, hinauszuschreien. Eine Studie konnte allerdings zeigen, dass das reine Rauslassen von unangenehmen Emotionen wie Ärger oder Trauer nicht signifikant zur Emotionsregulation beiträgt. Was jedoch zur Regulation beitrug, war die auf das Rauslassen der Emotionen folgende Interaktion. Das Rauslassen funktioniert besonders dann als funktionales und effektives Coping, wenn darauf eine Interaktion folgt, die dazu führt, dass eine Re-Interpretation des Stressors erfolgt. Die Re-Interpretation sorgt dann dafür, dass aktives Coping möglich wird.
Zum Beispiel regen Sie sich darüber auf, dass ein Kollege seinen Teil der gemeinsamen Präsentation noch nicht fertig hat. Sie machen diesen Ärger ihm gegenüber Luft, woraufhin der Ihnen erklären kann, weshalb er seinen Teil noch nicht fertig hat und sich entschuldigt. Danach sind Sie offener für eine Klärung.
Verweigerung
Verweigerung ist ebenso wie Planung eine Coping-Möglichkeit, die sowohl problemfokussiert als auch emotionsfokussiert sein kann. Wie der Name schon vermuten lässt, geht es darum die Existenz des Stressors zu negieren oder den Einfluss des Stressors nicht wahrhaben zu wollen.
Diese Art der Verdrängung wird generell als dysfunktional angesehen, wahrscheinlich, weil Probleme nur selten von alleine weggehen oder sich unsere Bewertung von allein wandelt. Hierbei besteht sogar die Gefahr, dass die Belastung nur noch stärker wird. Aber diese Coping-Strategie hätte sich nicht entwickelt, wenn sie nicht auch einen positiven Einfluss auf unsere Stressregulation hätte.
So konnten Forscher aufzeigen, dass Verweigerung besonders im Umgang mit akutem und unausweichlichem Stress eine effektive Coping-Methode ist. Dazu wurde zunächst die Tendenz zur Verweigerung bei den Teilnehmenden der Studie gemessen. Dann wurden sie in drei Gruppen aufgeteilt, wobei alle eine Gedächtnisaufgabe machen sollten. Den Gruppen wurde 1. auf jeden Fall, 2. nur wahrscheinlich oder 3. gar kein Elektroschock angedroht. Zwar wurde keinem der Teilnehmer tatsächlich ein Schock verpasst, doch es zeigte sich, dass jene Teilnehmer:innen, die eine Neigung zur Verweigerung hatten, ein geringeres Stresslevel hatten und eine bessere Leistung in der Gedächtnisaufgabe zeigten (Houston, 1973).
Mentaler Rückzug
Der mentale Rückzug ist eine emotionsfokussierte Strategie, bei der wir uns selbst von den unangenehmen Emotionen, die durch den Stress entstehen, ablenken, z.B. durch andere Aktivitäten. Ähnlich der Verweigerung setzten wir uns so nicht aktiv mit unseren Gefühlen auseinander, doch wir gehen nicht soweit ihre Existenz zu negieren. Vielmehr richtet sich der Fokus dabei auf andere, weniger unangenehme Dinge.
Auch diese, als dysfunktional eingeordnete Coping-Strategie, kann in bestimmten Kontexten funktional sein. Zum Beispiel wenn Sie im Urlaub sind und den Stress der Arbeit nicht mit in die Südsee nehmen wollen, ist ein mentaler Rückzug ein effektives Coping. Allerdings gilt dies nur für einen begrenzten Zeitraum, auf Dauer und im Umgang mit extremer Belastung ist diese Methode wenig wirksam.
Verhaltens-Rückzug
Die problemfokussierte Variante ist der Verhaltens-Rückzug. Auch hierbei handelt es ich um Disengagement, wobei es sich eher um proaktives Coping handelt. In dem Sinne proaktiv, dass Bemühungen gar nicht erst aufgenommen werden oder das Erreichen eines Ziels aufgegeben wird, wenn ein potenzieller Stressor damit verbunden ist. Das Coping ist eher reaktiv, wenn die Bemühungen eingestellt werden ein Problem aktiv zu bewältigen.
Eine Studie mit Patient:innen, die auf eine Herztransplantation warteten zeigte, dass ein Verhaltens-Rückzug mit Depression korreliert und sogar die Mortalitätsrate erhöhte (Burker, Evon, Loiselle, Finkel, & Mill, 2005). Ein Verhaltens-Rückzug kann allerdings auch von Vorteil sein, wenn es im Rahmen der Selbstfürsorge geschieht. Zum Beispiel den Kontakt zu Personen abzubrechen, die einem selbst nicht gut tun oder Kraft rauben, statt zu geben.
Akzeptanz
Akzeptanz ist eine der sieben Säulen der Resilienz (in diversen Säulen-Modellen der Resilienz) und eine wichtige innere Ressource im Umgang mit Belastungen – insbesondere solchen, die wir nicht anders bewältigen können. So ist Akzeptanz zum Beispiel ein wichtiger Schutzfaktor im Umgang mit chronischen Schmerzen (McCracken & Eccleston, 2003). Dennoch ist diese Coping-Variante in der Unterteilung von Carver, Scheier und Weintraub dysfunktional.
Diese Diskrepanz erklären zwei Forscher sehr gut, indem sie zwei Formen der Akzeptanz unterscheiden (Nakamura & Orth, 2005):
- Aktive Akzeptanz: Sie ist adaptiv und verbunden mit positiver psychischer Gesundheit.
- Resignierende Hinnahme: Sie ist nicht adaptiv und verbunden mit negativer mentaler Gesundheit.
Wenn wir etwas aktiv akzeptieren und emotional für uns annehmen, ändern wir die Bewertung des Stressors. Die Ist-Soll-Diskrepanz löst sich und der Stress wird reguliert. Wenn wir jedoch etwas hinnehmen und aufgeben, erhalten wir die Diskrepanz und den Stressor damit aufrecht.
Alkohol und Drogen
Die letzte der Coping-Strategien ist auch jene, die zumindest aus gesundheitlichen Aspekten rein dysfunktional ist. Die Forschung zeigte keinen klaren Mehrwert von Alkohol- und Drogen-Konsum auf die Emotionsregulation. Die physische Gesundheit betreffend, kann sich jeder ein eigenes Bild verschaffen, die Forschung ist dahingehend deutlich.
Was eine Studie allerdings aufzeigte, war, dass beispielsweise das Rauchen, wenn es als Coping-Strategie eingesetzt wurde, nicht vereinbar ist mit sozialer Unterstützung (in beiden Formen) zu sein scheint. Die Studienteilnehmenden, die ihre Probleme eher alleine lösen wollen, nahmen signifikant mehr Substanzen zu sich und passten sogar die Stärke der Zigarette der empfundenen Größe des Stressors an (Revell, Warburton, & Wesnes, 1985).
Stressessen – Sekundäres Coping
Was machen wir, wenn diese Coping-Strategien versagen oder zu ineffektiv für eine gelingende Emotionsregulation sind? Eine Möglichkeit ist der Wechsel zu einer anderen Strategie, die innerhalb der eigenen Coping-Stil-Präferenz liegt. Besonders bei Menschen, die eher emotionsfokussiertes Coping betreiben, ist „Emotional Eating“ – Stressessen – eine weit verbreitete sekundäre Coping-Strategie.
So konnte eine Studie aus dem Jahr 2012 zeigen, dass Teilnehmende, die erfolgreich ihren Stress mittels positiver Neubewertung regulieren konnten, weniger zu Snacks wie Chips und Schokolade griffen, als jene Teilnehmenden, die Emotionen unterdrückten oder keine Regulations-Technik anwandten. Wenn sie dann doch anfingen zu essen, so aßen sie um 61-68% weniger als die beiden anderen Versuchsgruppen. Oder anders formuliert, jene Personen, die den ausgesetzten Stress weniger effektiv regulieren konnten, neigten eher zum Essen (Taut, Renner, & Baban, 2012). Stressessen kann auch als mentaler Rückzug angewandt werden, ist jedoch häufig ein eigenständiger Versuch, Emotionen durch häufig Süßes oder Fettiges zu regulieren.
Coping-Strategien flexibilisieren
Wir alle können auf diese 15 Coping-Strategien zugreifen. Doch wir nutzen nicht alle gleich stark und häufig. Vielmehr haben wir uns Muster, nämlich individuelle Coping-Stile, über die Jahre angeeignet. Mit diesen Verhaltens- oder Denk-Mustern kamen wir bisher mehr oder weniger gut durch den normalen Alltag.
Der Knackpunkt dabei ist allerdings, dass eine Krise daraus besteht, dass die gewohnten Muster nicht mehr funktionieren. Je kleiner unser Repertoire an Coping-Strategien ist, desto eher kommen wir in Irritationen, desto eher geraten wir ins Straucheln. Um sich also gegen Probleme und Krisen zu immunisieren und eine starke Resilienz aufzubauen, braucht es eine möglichst breite Auswahl an Coping-Mechanismen, die dann angepasst auf die Situation angewendet werden können.
Und diese Flexibilisierung erreichen Sie zum einen, indem Sie neue Möglichkeiten der Regulation kennenlernen. Im Resilienz-Training lernen Sie insbesondere aktives Coping, sowie emotionsfokussiertes Engagement. Zum anderen hilft Ihnen vor allem eins: Ausprobieren und Üben. Beginnen Sie im Sinne der Prosilienz®, die proaktive Resilienz, mit dem coping planning: Stellen Sie sich vor, welche Möglichkeiten Sie zum Umsetzen von verschiedenen Coping-Arten haben, und setzen Sie diese bei kleinen Mengen Stress um.
Wozu funktionales Coping führt
Zusammenfassend lässt sich schließen, dass es relativ egal ist, welche Coping-Strategie Sie nun anwenden. Es gibt nicht die eine Bessere, es gibt lediglich die eine Passendere für Ihre Situation. Und Sie sind der einzige Mensch, der das entscheiden kann. Funktionales Coping ist angepasstes Coping, denn nur dann ist die Stressregulation auch nachhaltig erfolgreich.
Dies verhilft Ihnen zu Wohlbefinden und Gesundheit, mental wie körperlich und stärkt Ihre Resilienz im Umgang mit Problemen, Stress und Krisen.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienzexpert*innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).
Guten Herr Mauritz,
super Artikel zum Thema Coping und Resilienz. Ich selbst bin persönliche und betriebliche Resilienztrainerin. Gerade in der momentanen Situation sind die Themen Coping und Resilienz enorm wichtig. Dabei geht es auch aus meiner Sicht nicht darum, zu wissen, wann ich welche Strategie einsetze, sondern es geht darum zu erkennen, wann ICH welche Strategie brauche und für mich eine sinnvolle Kombination finde.
Viele Grüße Brigitte Berberich
Hallo, Guten Abend!
Ich habe eine ähnlich fundierte Darstellung über Resilienz anderswo noch nicht gefunden. Danke für diense Veröffentlichung
mit freundlichen Grüßen
Peter G.
Kann zu starke Resilienz nicht auch gefährlich werden, weil man dadurch grosses Unrecht erträgt ohne es zu beseitigen?
Danke für den Beitrag!
Kennen Sie das Buch „Warum Babys weinen “ von Aletha Solter? Empfehlung!
Sie beschreibt, wie Kontrollmuster beim Menschen bereits im Säuglingsalter entstehen und wie ein Mensch emotional gesund wird und bleibt.
Kontrollmuster im Babyalter wie zB ein Schnuller (- Baby weint, hat Stress, möchte sich davon lösen, bekommt aber statt Empathie und Zuhören einen Schnuller) könnte im Kinderalter Nägel beißen sein und im Erwachsenenalter Rauchen.
Stressesser könnten vermehrt die Brust anbieten, Leute die sich ablenken durch Putzen/Social Media, könnten auch zum Ablenken (Buch, Mobile anschauen…) neigen.
Alles Liebe und danke für Ihre Arbeit!