Resilienz stärken mit japanischen Lebenssichtweisen

Die japanische Kultur ist in vielerlei Hinsicht faszinierend. Doch ein Aspekt sticht insbesondere in Bezug auf Resilienz besonders hervor: Es gibt diverse japanische Philosophien oder eher Konzepte, die ein resilientes Mindset fördern. Diese können wir unabhängig von der Kultur anwenden, um unsere Anpassungsfähigkeit und einen gelingenden Umgang mit Stress zu fördern.

Tatsächlich ist Japan in seinen Weisheiten viel von der Kampfkunst der Samurai, der Kunst der Kalligrafie und dem Zen-Buddhismus beeinflusst. Aber haben die Japaner dadurch auch einen Vorsprung in Sachen Resilienz?

Japanische Konzepte, die Resilienz fördern

Wahrscheinlich gibt es noch viele weitere Haltungen und Konzepte, die sich hier aufzählen ließen, um durch die dahinterstehende innere Haltung Resilienz zu fördern. Allein die spezielle Zubereitung von Tee könnte hier schon als Entschleunigung und praktizierte Achtsamkeit angesehen werden. Fühlen Sie sich deshalb frei, die im Folgenden aufgezählten Konzepte und Haltungen für sich zu erweitern.

Ikigai

Sinn ist einer der größten Resilienzfaktoren, den wir kennen. Er gehört auch als Sinnhaftigkeit benannt zu den salutogenen Faktoren, die Gesundheit bewahren und herstellen. Kein Wunder also, dass der Sinn auch in anderen Kulturen eine zentrale Rolle spielt.

Ikigai (生き甲斐) findet den Ursprung im Begriff  „ikiru-kahi“, der sich bis zur Heian-Zeit 747 v. Chr. bis 1192 zurückführen lässt. In der japanischen allgemeinen Literatur findet sich Ikigai seit 1908. (Vgl. www.Finde-Zukunft.de). Der Begriff Ikigai besteht aus zwei Silben: 生き  „Iki“ kann mit „Leben“ übersetzt werden (Verb: Ikiru) und steht auch für Geburt oder Alltag. 甲斐  „Kai“ bedeutet so viel wie „Wert“ oder „wertvoll“. Die Endung „Gai“ verwenden die Japaner, wenn sie etwas als wertvoll erachten. (Vgl. M. Tonn 2023)

Ikigai kann also als etwas beschrieben werden, was das Leben lebens-wert macht und „wofür es sich lohnt, morgens aufzustehen“. Damit verbunden ist eine hohe Achtsamkeit und die Haltung der Dankbarkeit. Dankbar, am Leben zu sein und dankbar für die Dinge und Reichtümer, die wir bereits im Leben haben und die es kostbar machen.

Das persönliche Ikigai ist dabei höchst individuell – es gibt keine allgemeine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Ikigai kann nach Mieko Kamiya („Die Mutter der Ikigai Psychologie“) in „Ikigai-Quellen“ und „Ikigai-Gefühle“ unterschieden werden. (Vgl. Tonn 2023). Ikigai-Quellen können all die Dinge sein, die das Leben lebenswert machen, wie beispielsweise die Familie, Natur, Reisen, Muszieren oder Erlernen eines Handwerks etc. Ikigai-Gefühle zeigen sich wiederum im Erleben von Sinn, wie Dankbarkeit, Lebensfreude, Ehrfurcht, Leichtigkeit oder Liebe.

Resilienz Akademie | Resilienz stärken mit japanischen LebenssichtweisenWichtig ist, dass Ikigai – als japanische Lebensphilosophie und Haltung – nichts (!) mit dem Diagramm zu tun hat, das im Internet weit verbreitet ist und das Thema Finanzen mit einbezieht. Ikigai-Experte Motoki Tonn spricht hier auch von dem „Ikigai-Skandal“, da eine große Verwechslung vorliegt. Lesen Sie HIER mehr zum Thema IKIGAI und was genau dahinter steckt.

Kintsugi

Im Gegensatz zu Ikigai handelt es sich hierbei nicht um einen Resilienzfaktor, der gefördert wird. Kintsugi (金継ぎ) ist vielmehr ein Sinnbild für eine innere Haltung der Resilienz. Es handelt sich um eine traditionelle japanische Reparaturmethode, bei der zerbrochene Keramik nicht nur wieder zusammengesetzt, sondern der Riss mit Gold verziert wird.

Die Metapher ist deswegen so passend, weil Sie gleich zwei wertvolle innere Haltungen vermittelt. Zum einen ist es die Abkehr vom Perfektionismus. Hierbei kommt sogar noch ein weiteres japanisches Konzept ins Spiel: wabi-sabi (侘寂) als Konzept, dass Schönheit nicht im Perfekten, sondern im Vergänglichen und im Unvollkommenen liegt. So auch bei zerbrochenen Vasen, Tassen oder Schüsseln. Statt sie zu entsorgen und zu ersetzen, werden ihre Makel als Einzigartigkeit wertgeschätzt. Gerade in unserer Leistungsgesellschaft sind Fehler nicht erwünscht. Diese mental zu vergolden, schafft einen wertschätzenderen Umgang mit uns selbst.

Zum anderen verdeutlicht diese Metapher, dass Ganzwerdung Zeit braucht. Nach der Tradition ist diese Veredelung des Zerbrochenen ein langwieriger Prozess. Ebenso wie die Heilung nach einer Krise Geduld, Achtsamkeit und Zuwendung braucht, um die „Stress-Narben“ als Auszeichnung zu tragen.

Chōwa

Resilienz Akademie | Resilienz stärken mit japanischen LebenssichtweisenEin letztes Konzept, das als innere Haltung Resilienz fördern kann, ist Chōwa. Die Autorin Akemi Tanaka erläutert in ihrem Buch „Die Kraft des Chōwa“, was diese Lebenshaltung ausmacht. Übersetzt bedeutet es sowiel wie „Suche nach dem Gleichgewicht/ der Harmonie“. Tanaka beschreibt, dass sich diese Tradition um Ausgleich dreht, und wie dieser Ausgleich in der japanischen Kultur erreicht wird. Zum Beispiel Dankbarkeit gegenüber seinem Heim in Form von Pflege zeigen. Oder Ausgleich zu finden, indem man das Schöne, wie auch das störende in der Natur wahrnimmt und wertschätzt.

Gleichgewicht ist in meinem Verständnis kein Resilienzfaktor, sondern das Ziel der Resilienz. Durch eine hohe Resilienz sind wir in der Lage eine gesunde Homöodynamik, unser körperliches wie auch geistiges Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Das Bildnis des Ausgleichs passt daher sehr gut zum Resilienzverständnis: für ein gesundes Leben, in dem wir Stress und Krisen begegnen und dennoch gesund bleiben, braucht es Ausgleich. Es braucht Adaptation, aber eben auch den Ausgleich: die Regulation. Chōwa, Fähigkeit zur Oszillation mit dem Ziel des Ausgleichs, kann als Sinnbild der Resilienz stehen.

Wozu Ihnen japanische Konzepte helfen

Was bringen nun diese drei japanischen Konzepte? Eine mögliche Antwort auf diese Frage ist, dass sie Ihnen Bilder an die Hand geben, was mit Resilienz alles gemeint sein kann. Der Begriff der Resilienz ist weder in der Forschung noch im Volksmund eindeutig definiert. Und so kann es helfen, sich mittels japanischer Traditionen ein Bild davon zu machen, wie Resilienz gemeint sein und gelebt werden kann.

„Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, sagte der Philosoph Ludwig Wittgenstein einst. Wenn wir unser Wort-Repertoire, und sei es durch japanische Begriffe, erweitern, erweitern wir damit auch unsere innere Welt – unser Verständnis von der Welt. Nutzen Sie weitere Begriffe und Konzepte, die Ihnen dabei helfen, Ihr Resilienzverständis noch weiter auszubauen und letztendlich für sich im Alltag einsetzen zu können.

Es ist eines, sich selbst zu sagen „Fehler sind Helfer“ oder ein Bild von einem goldenen Riss vor dem inneren Auge zu haben. Innere Bilder können unsere innere Haltung beeinflussen und so Ihre Resilienz stärken.


Resilienz Akademie | Resilienz stärken mit japanischen LebenssichtweisenSebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 150 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de).

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