Der Begriff VUCA hat in der Organisations-Welt ganz schön die Runde gemacht. Schließlich fasst das Akronym auf einfache Weise zusammen, welchen Herausforderungen Unternehmen und auch Arbeitnehmende sich immer stärker entgegengestellt sehen. So wird Stress im Berufsalltag oft auf diese vier Faktoren zurückgeführt. Was dabei jedoch meist untergeht ist, dass jeder der vier Aspekte die Chance auf Weiterentwicklung und Wachstum bietet. Alles was es dafür braucht, ist ein Perspektivwechsel.
Wir zeigen Ihnen, wie VUCA Stress auslöst und wie Sie VUCA als Kompetenz nutzen können.
Was ist VUCA?
Der Begriff setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der vier Bestandteile zusammen:
- Volatilitiy (Volatilität – Unbeständigkeit)
- Uncertanty (Unsicherheit)
- Complexity (Komplexität)
- Ambiguity (Ambiguität – Mehrdeutigkeit)
Er stützt sich auf die Führungstheorien von Warren Bennis und Burt Nanus und wurde 1987 das erste Mal veröffentlicht. Ursprünglich sollte VUCA die Welt nach dem Zusammenbruch der UdSSR beschreiben, dem US Army War College zufolge. Heute wird er allerdings vielmehr in der Organisationsentwicklung und Unternehmensführung verwendet.
VUCA steht in der heutigen Zeit besonders für den technologischen, demografischen und wirtschaftlichen Wandel. Die voranschreitende Digitalisierung ist das Paradebeispiel für diesen Wandel und die Notwendigkeit zur Adaptabilität, also Anpassungsfähigkeit.
Volatilität
Der Faktor Unbeständigkeit bezieht sich auf eine hohe Schwankungsbreite und eine erhöhte Veränderungsgeschwindigkeit. Das heißt, Unternehmen müssen zunehmend mit hohen und unvorhersehbaren Ausschlägen in kurzen Zeitintervallen rechnen. Zudem schließt Volatilität auch die Instabilität von bisherigen Zuständen mit ein. Es ist nicht berechenbar in welche Richtung Entwicklungen in so kurzer Zeit gehen und welche Folgen das haben kann. Besonders digitale Märkte sind davon stark betroffen, sodass es zu einem Prinzip des „the winner takes it all“ kommt: Die großen Konzerne werden immer stärker, während kleinere vom Markt verschwinden.
Unsicherheit
Unsicherheit bedeutet in diesem Kontext, dass Variablen und kausale Zusammenhänge zwischen Variablen nicht bekannt sind. Unternehmen befinden sich also in einem Dauerzustand, der mit einem unbekannten Risiko behaftet ist. Das macht es schwierig Prognosen und Vorhersagen zu treffen. Da hinzu kommen Phänomene wie Disruption, sodass ganze Märkte neu entstehen oder von der Bildfläche verschwinden. Es wird immer schwieriger die Eintrittswahrscheinlichkeit für bestimmte Ereignisse zu erkennen. Außerdem haben Wissen und Kompetenzen durch den schnellen Wandel und sich ändernde Anforderungen an Berufe eine immer kürzere Halbwertszeit. Für Unternehmen wie für Arbeitnehmende ergibt sich daraus Fachkräftemangel, bzw. die Unsicherheit der Beschäftigung.
Komplexität
Die steigende Komplexität von Systemen macht es nahezu unmöglich in Ursache-Wirkungs-Mechanismen zu denken. Elemente in den Systemen sind so eng und teils undurchsichtig miteinander verknüpft, dass eine Änderung daran kaum absehbaren Folgen hat. Mehr noch, nicht nur das veränderte System ist betroffen, durch zunehmende globale Vernetzung betrifft eine Änderung auch andere Systeme. Entscheidungen zu treffen wird somit erschwert, denn Zusammenhänge und Geflechte sind unübersichtlich und Ergebnisse von Entscheidungen nicht vorhersehbar.
Ambiguität
Ambiguität heißt Mehrdeutigkeit in Bezug auf Informationen oder Situationen. Durch diese Mehrdeutigkeiten kommt es eher zu Missverständnissen, weil Rollen uneindeutig werden, Aufträge und Schnittstellen sich vermehren und vielschichtiger werden. Sachverhalte können gar widersprüchlich sein, was Entscheidungsfindungen erschwert und Fehlinterpretationen wahrscheinlicher werden lässt. Das hat auch zur Folge, dass „best practice“ spärlich anwendbar ist, schließlich wird die Optionenvielfalt immer größer.
Die Auswirkungen der VUCA-Welt
Die Unvorhersehbarkeit, die in allen vier Aspekten von VUCA eine Rolle spielt, schafft stetige Unsicherheit im Arbeitsleben. Die Digitalisierung treibt das Tempo der Arbeitswelt in die Höhe und schafft gleichzeitig Verbindungen, die zur Komplexität beitragen. Auswirkungen der Entwicklung sind unter anderem:
- Karrieren lassen sich nicht planen: Berufsbilder, Funktionen und erforderliche Fähigkeiten verändern sich so schnell, dass lebenslange Karrieren in ein und demselben Unternehmen nicht mehr existieren. Berufe fallen weg und es kommen neue hinzu. Für Arbeitnehmende bedeutet das flexibel auf Arbeitsplatzwechsel zu reagieren und kontinuierliche Persönlichkeitsentwicklung zu betreiben.
- Steigende Fluktuation in Unternehmen: Für Unternehmen bedeutet die fehlende Planbarkeit von Karrieren unter anderem auch eine höhere Fluktuation. Hierbei kommt hinzu, dass Arbeitnehmende ein sehr großes Arbeitsangebot haben. Der „War for Talents“ geht durch die globale Vernetzung auch über Ländergrenzen hinaus und Fachkräfte lassen sich schwerer an ein Unternehmen binden.
- Kürzere Lebensdauer von Unternehmen: Die VUCA-Welt macht es möglich, dass kleine Start-Ups den Markt komplett umkrempeln und Unternehmen in ihren angestammten Marktsegment nicht mehr relevant sind. Das heißt auch Marktführer sind nicht sicher, ewig Bestand zu haben.
Stress in der VUCA-Welt
Das Akronym VUCA wird gerne als Erklärung genutzt, warum Berufstätige immer größerem und langanhaltenderem Stress ausgeliefert sind. Es gibt zwei maßgebliche Gründe, warum VUCA Stress begünstigt.
Stress durch Unsicherheit
Erstens widersprechen die vier Aspekte in ihrer Bezeichnung dem menschlichen Grundbedürfnis nach Ordnung und Stabilität. Das Verlangen nach Sicherheit kann in der VUCA-Welt nicht erfüllt werden und das löst permanente Stressreaktionen aus. Aus evolutionsbiologischer Sicht leuchtet dieser Fakt noch mehr ein.
Stress ist für unseren Körper als Kurzzeit-Notfallsystem gedacht. Es war für uns überlebensnotwendig auf Unbekanntes, und damit Unsicheres, mit Stress zu reagieren. Denn im Angesicht einer potenziellen Bedrohung sind die Stressreaktionen Flucht, Kampf oder Starre die einzigen Möglichkeiten das Überleben zu sichern. Im heutigen Unternehmensalltag bringen uns unbekannte Faktoren mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit um, dennoch reagieren wir mit Stress. Alle vier Aspekte fördern das Bedürfnis der Unsicherheit durch Flucht, Kampf oder Starre zu entkommen. Kurz gesagt: Veränderung verursacht Stress.
Stress durch dysfunktionale Adaptation
Zweitens fordert die heutige Arbeitswelt Anpassung im Akkord. Adaptabilität ist ein wichtiger Bestandteil der Resilienz. Wir können Krisen nur dann gesund überstehen und sogar an ihnen wachsen, wenn wir es schaffen, uns an Veränderungen anzupassen. Das gelingt, indem wir uns mit einem positiven Affekt, also aus einem guten Zustand heraus, aus dem Normalen (der Komfortzone) heraus begeben und offen für das Lernen sind.
Die VUCA-Aspekte zwingen uns jedoch zur Anpassung und lösen Stress aus. Wir versuchen uns dann mit einem negativen Affekt, aus einem gestressten Zustand heraus, anzupassen. Das nennt sich dysfunktionale Adaptation, weil uns die Anpassung nur weiter unter Druck setzt. Mit einem Gefühl von Unsicherheit, Angst oder gar einer abwartenden Haltung können Menschen ihre Kompetenzen nicht sinnstiftend und zielfördernd einsetzen und die Anpassung misslingt.
VUCA anders denken – Stress lösen
Für beide Stressfaktoren, also die Unsicherheits-fördernde Beschreibung der Aspekte und den Drang zur Anpassung, hilft ein Perspektivwechsel auf die Aspekte von VUCA. Jeder der Aspekte bietet die Chance auf Weiterentwicklung und Wachstum. Und diese Chance lässt sich dann ergreifen, wenn wir die Aspekte anders wahrnehmen und anders bezeichnen. Es geht letztendlich darum, VUKA als Kompetenz wertzuschätzen und so zu nutzen, dass sich Stress verringert.
Volatilität – Hüterin der Veränderung
In der Volatilität steckt die Kompetenz zur Veränderung und damit auch zur Verbesserung. Es ist die interne Recyclingfähigkeit eines Unternehmens die Strukturen anzupassen, um beweglich und offen für Neues zu sein. In einer volatilen Welt liegt auch die Freiheit und das Abwechslungsreichtum. Wenn wir diese Kompetenzen wertschätzen, wirkt die Unbeständigkeit nicht länger bedrohlich, sondern sie birgt den Schlüssel zur Flexibilität.
Dafür brauchen Unternehmen jedoch die Akzeptanz, dass Veränderungen dazugehören. Außerdem helfen ein gesunder Optimismus, eine klare Ziel- und Lösungsorientierung und ein Growth Mindset dabei, Veränderungen im System aktiv zu begegnen und die eigene Fehlertoleranz im Umgang mit Veränderungsprozessen zu steigern.
Der Gegensatz zur Volatilität ist die Beständigkeit. Für eine starke Resilienz, mit der Stress reduziert wird, ist es wichtig auch den Gegenpol im Unternehmen wertzuschätzen und einzubringen. Resilienz bedeutet die Oszillation zwischen Flexibilität und Stabilität, um hier das Grundbedürfnis nach Sicherheit zu befriedigen. Nur so können Menschen Veränderungen aus einem guten Zustand heraus begegnen und Unternehmen können sich Schwankungen des Marktes anpassen.
Unsicherheit – Hüter der Flexibilität und Spontanität
Wenn wir die Unsicherheit als Wahlfreiheit und als Chance zur Neugier verstehen, löst die Unsicherheit weniger Stress aus. Risiken einzugehen und ergebnisoffen zu bleiben sind für Unternehmen wichtige Kompetenzen im Angesicht von Disruption.
Für einen guten Umgang mit Unsicherheit und einem Verständnis als Hüterin der Flexibilität, ist die Orientierung an gemeinsamen Visionen wegweisend – ein zentraler Schutzfaktor der organisationalen Resilienz. Der Gegenpol dieser Kompetenz ist die Hüterin der Sicherheit. Wenn sich Sicherheit auf dem Markt nicht herstellen lässt, ist psychologische Sicherheit im Team und im Unternehmen umso wichtiger. Hierfür ist emotionale Intelligenz und eine hohe Empathiefähigkeit hilfreich. Das Handeln aus einem guten Zustand heraus, der durch Sicherheit begünstigt wird, fördert die Kompetenz spontan und flexibel auf Veränderungen zu reagieren.
Komplexität – Hüterin der Vielfalt
In der Komplexität von Systemen, Aufgabenbereichen und auch Herausforderungen liegt die Vielfalt. Sie ermöglicht, Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und ein breites Spektrum zu erfassen. Vielseitigkeit bedeutet gleichzeitig, dass mehrere Lösungswege zum Ziel führen, was es Komplexität auch zu einer Kompetenz der Defokussierung macht. Eine komplexe Welt bedeutet eine Welt voller Optionen und Varianten.
Damit beim Erkunden der Varianten die Folgekosten möglichst gering bleiben, ist es nützlich die Komplexität dennoch übersichtlich zu gestalten. Hierbei hilft die Hüterin der Einfachheit – oder anders formuliert, die Strukturgrundlage des 4MATs. Um Komplexität eine Ordnung zu geben, bieten sich die vier Fragen an: Warum, Was, Wie und Wozu. Mit der Beantwortung werden Informationen nicht nur gehirngerecht aufgearbeitet, es werden auch die drei wichtigsten Faktoren für gute Kommunikation bedient: Verstehbarkeit, Machbarkeit und Sinnhaftigkeit.
Ambiguität – Hüterin der Perspektiven
Die Ambiguität kann als Kompetenz im Unternehmen nützlich sein, denn durch sie werden Kreativität, Innovation und Neuausrichtungen gefördert. Die Vielseitigkeit und Mehrdeutigkeit von Sachverhalten ermöglicht es neue Perspektiven einzunehmen und mit anderen Sichtweisen auf Herausforderungen zu schauen. Gerade bei Ambivalenzen ist es jedoch wichtig, auch die Hüterin der Eindeutigkeit als Gegenpol im Unternehmen wertzuschätzen.
Hierfür ist eine Rollenklärung bzw. -entmischung notwendig, um Klarheit herzustellen und Konflikte zu vermeiden. Eine weitere Methode Stress durch Ambiguität zu vermeiden, ist die Zwickmühlenkommunikation. Es werden mehrere Perspektiven wertgeschätzt und gleichzeitig Eindeutigkeit hergestellt.
VUCA im guten Zustand begegnen
Der gute Zustand ist das A und O, um in einer Arbeitswelt, die unbeständig, ungewiss, überfordernd und mehrdeutig ist gesund und handlungsfähig zu bleiben. Denn der gute Zustand ermöglicht auf der einen Seite, die Aspekte der VUCA-Welt als Kompetenzen wahrzunehmen und sie positiv umzudeuten. Wenn Unternehmen die Kompetenzen in den VUCA-Aspekten nicht nur sehen sondern auch anwenden können, wird weniger Stress ausgelöst und Grundbedürfnisse nicht länger verletzt.
Auf der anderen Seite ist er die Voraussetzung für eine funktionale Anpassung. Das heißt nur mit einem guten Zustand sind wir in der Lage Veränderungen anzunehmen und flexibel zu reagieren. Damit Unternehmen auf dem Markt bestehen und Arbeitnehmende dem Konkurrenzdruck und den Arbeitsanforderungen standhalten können, ist die Wertschätzung und Umdeutung der stressenden Faktoren ein wichtiges Mittel individuelle und organisationale Resilienz zu stärken.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).