Was ist ein gelingendes Leben? Wann sind wir wirklich kompetent, um mit den Anforderungen, die uns immer wieder im Alltag begegnen, umzugehen? Mit diesen Fragen hat sich auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) befasst und ist dabei auf zehn Kernkompetenzen gestoßen – die „Life Skills for Psychosocial Competence“.
Die Suche nach übergeordneten Schutzfaktoren
Doch was ist eigentlich diese psychosoziale Kompetenz? Die Suche nach jenen Faktoren, die dazu beitragen, dass Menschen ihr Leben ohne Auswirkungen psychischer Belastung bewältigen, ist der antreibende Motor der Resilienzforschung. Es gibt Menschen, die auch unter widrigen Umständen mental gesund bleiben, ihr Leben selbstbestimmt führen und so Wohlbefinden und Erfolg im weitesten Sinne aufrecht erhalten.
Die Forscherin Emmy Werner zeigte mit ihrer Langzeitstudie bei hawaiianischen Kindern, dass Grundvoraussetzungen für Resilienz schon sehr früh im Leben gesetzt werden können. Das soll aber nicht heißen, dass Resilienz sich nur als Kind erwerben lässt – denn diese Fähigkeit der inneren Widerstandskraft können Sie ein Leben lang ausbauen und trainieren.
Doch der Idee, die elementaren Lebenskompetenzen für positives Gesundheitsverhalten und die Prävention negativer Gesundheitsprobleme schon früh zu fördern, verschrieb sich auch die WHO. Deshalb stellte sie 1997 ein Trainingskonzept für Schulen auf, dass Kindern und Jugendlichen die elementaren Life Skills für psychisches Wohlbefinden vermitteln soll.
Die Life Skills
Die sogenannten Life Skills nach der WHO stärken die Adaptabilität und ermöglichen Verhaltensmuster, die zu einem gelingenden Umgang mit den Anforderungen und Herausforderungen des Alltags beitragen. Die WHO stellt dabei heraus, dass es zwar schier unzählige Faktoren gibt, die zur mentalen Gesundheit beitragen können und diese auch von Kultur zu Kultur variieren können. Allerdings stellen die zehn folgenden Kompetenzen übergreifende zentrale Schlüsselkompetenzen für Gesundheit und Wohlbefinden bei Kindern und Jugendlichen dar.
Die Life Skills sind:
- Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen
- Problemlösefähigkeiten
- Kreatives Denken
- Kritisches Denken
- Effektive Kommunikationsfähigkeit
- Interpersonale Beziehungsfertigkeiten
- Selbstwahrnehmung
- Empathie
- Gefühlsbewältigung
- Stressbewältigung
Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen
Unser Leben ist voll von Entscheidungen. Um es drastisch auszudrücken, jede Handlung, die Sie bewusst ausführen, beruht auf einer von Ihnen getroffenen Entscheidung – von der Entscheidung, welche Socken Sie heute tragen bis hin zum Entschluss, welches Auto Sie kaufen. So können Entscheidungen auch weitreichende Folgen für die Gesundheit haben. Laut WHO ist diese Lebenskompetenz damit verbunden, Einschätzung über die zur Verfügung stehenden Optionen und deren Auswirkungen treffen zu können – besonders in Bezug auf Gesundheit.
Problemlösefähigkeit
Besonders im Erwachsenenalter werden gefühlsmäßig Probleme eher mehr und komplexer. Doch auch als Kind sind wir mit Herausforderungen konfrontiert, für die wir noch keine Lösungsstrategie parat haben. Zu lang ungelöste Probleme können sich negativ auf die mentale Gesundheit auswirken, weshalb eine geförderte Problemlösefähigkeit schon in jungen Jahren dabei hilft, psychische Belastung zu minimieren.
Kreatives Denken
Diese Fähigkeit hilft beim Treffen von Entscheidungen wie auch bei der Problemlösung, denn es ist die Fähigkeit vorhandene Alternativen zu entdecken und sich mögliche Konsequenzen von Handlungen oder eben unterlassenen Handlungen auszumalen. Mit Kreativität schauen wir über unsere eigenen Erfahrungen hinaus und das fördert somit unsere Anpassungsfähigkeit an ungewohnte Situationen.
Kritisches Denken
Kritisches Denken befähigt uns Informationen zu analysieren und Erfahrungen auch von außen betrachtet zu bewerten. Besonders in Bezug auf Gesundheit ist das eine wertvolle Fähigkeit, denn so bemerken wir eher schädliche Einflüsse wie Gruppenzwang, Medienmissbrauch oder gesundheitsschädigendes Verhalten.
Effektive Kommunikation
Hiermit ist gemeint, dass wir uns sowohl verbal als auch nonverbal an unseren kulturellen Normen angepasst ausdrücken können. Außerdem zählt dazu die Kommunikation der Situation entsprechend. Es ist die Fähigkeit Wünsche, Bedürfnisse, Meinungen oder Ängste ausdrücken zu können, ebenso wie nach Hilfe zu fragen, wenn notwendig.
Interpersonale Beziehungsfertigkeiten
Durch diese Fertigkeiten können wir authentische und positive Beziehungen zu den Menschen aufbauen, mit denen wir im Alltag interagieren. Das beinhaltet sowohl stabile Beziehungen zu wichtigen Bezugspersonen aus der Familie wie auch freundschaftliche Beziehungen. Diese stärken psychisches wie soziales Wohlbefinden und sind eine Quelle sozialer Unterstützung. Neben dem Pflegen und Aufbauen gehört allerdings auch das konstruktive Beenden von Beziehungen zu diesen Fertigkeiten.
Selbstwahrnehmung
Die Selbstwahrnehmung ist ein wichtiger Resilienzfaktor. Er umfasst das Bewusstsein unseres Selbst, unseres Charakters, unserer Stärken und Schwächen sowie unserer Wünsche und Abneigungen. Selbstwahrnehmung trägt außerdem stark zur Gesundheit bei, denn durch sie spüren wir Stress und Belastungen, dem wir dann entgegenwirken können. Zudem ist sie oft Voraussetzung für eine empathische Kommunikation.
Empathie
Empathie, insbesondere die kognitive Empathie („ich sehe, was du fühlst“ statt „ich fühle, was du fühlst“), ist eine grundlegende Fähigkeit für starke Beziehungen. Sie ist die Grundlage, sich in andere Menschen einzufühlen, um Reaktionen auf Situationen zu verstehen, die wir selbst noch nicht erlebt haben. Sie ist damit auch die essentielle Fähigkeit für interkulturelle Resilienz. In Bezug auf Gesundheit wirkt Empathie einerseits selbst-stärkend, durch den Aufbau von Beziehungen, und andererseits stärkt sie die Gesundheit anderer, durch pflegendes Verhalten gegenüber pflege- und hilfsbedürftigen Menschen.
Gefühlsbewältigung
Hierzu gehört das Erkennen von eigenen Emotionen bei sich selbst und auch das Erkennen bei anderen. Wenn wir wissen und verstehen, dass und wie Emotionen sich auf unser Verhalten auswirken, können wir angemessen mit ihnen umgehen, sie ausdrücken und auch regulieren. Besonders dysfunktionale Emotionen haben Auswirkungen auf die Gesundheit – z.B. schwächt dysfunktionaler Ärger massiv das Immunsystem.
Stressbewältigung
Stressbewältigung beginnt schon beim Erkennen, was in unserem Leben Stress auslöst. Darüber hinaus beinhaltet dieser Life Skill stressreduzierendes Handeln: Zum einen durch das Ausfindig machen von Stressquellen und die Reduktion äußerer Stressoren, wie eine gute Ergonomie am Arbeitsplatz oder eine gesündere Ernährung. Zum anderen gehören hier auch Techniken zum Stressabbau des Körpers dazu, wie Entspannungsübungen, Sport und ausreichend Regeneration.
Life Skills Teil zur Verbesserung der psychischen Gesundheit
Wie bei allen Resilienzmodellen, gilt auch hier, dass nicht alle dieser Life Skills bis zur Perfektion erlernt und ausgebaut werden müssen, damit wir ein gesundes und erfolgreiches Leben führen können. Vielmehr bieten diese Faktoren einen Einblick in die grundlegenden Kernkompetenzen, die alle dazu beitragen psychische Gesundheit aufrecht zu erhalten oder zu fördern.
Allerdings weist die WHO darauf hin, dass die vorgestellten Life Skills lediglich ein Teil zur Förderung der Gesundheit beitragen. Die Skills dienen nämlich als Verbindung zwischen der intrinsischen Motivation (bestehend aus Wissen, Haltungen und Werte) und gesundheitsförderndem Verhalten (bedingt durch Verstärkung oder Veränderung bestehenden Verhaltens). Zusammen führen diese drei Faktoren zu positivem Gesundheitsverhalten, was wiederum zur Prävention von Krankheit und gesundheitlichen Problemen führt.
Die folgende Grafik (angelehnt an WHO, 1997) verdeutlicht Ihnen den Rahmen, in dem die Life Skills zu verstehen sind.
Die Life Skills verstehen und fördern
Abschließend stellt sich die Frage, wozu Sie die Life Skills für psychosoziale Kompetenz kennen sollten. Die Frage ist einfach zu beantworten: Für Ihr persönliches Wohlbefinden und das Ihrer Mitmenschen. Insbesondere in lehrenden Tätigkeiten dienen diese Life Skills dazu, junge Menschen dabei zu unterstützen, Kernkompetenzen für einen gesundheitsfördernden Umgang mit sich und anderen zu erlernen und Gewohnheiten zu bilden, die psychischen Erkrankungen präventiv entgegenwirken.
Diese Resilienzfaktoren zu kennen ist ein erster Schritt in Richtung Ausbau und Förderung der eigenen Kernkompetenzen. Welcher Skill kommt Ihnen häufig im Alltag und im Umgang mit Stress zugute? Bei welchem Skill haben Sie vielleicht noch ein Lernfeld? Nutzen Sie das Wissen um diese Lebensfähigkeiten für psychosoziale Gesundheit zur Selbstreflexion und vielleicht auch zur Stärkung anderer.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).