Schon lange ist das Internet kein Neuland mehr für uns. Im Gegenteil: Unternehmen, Bildungseinrichtungen, Behörden – Alles soll digitaler werden. Das zeigt sich dann bei jedem Einzelnen in den zahlreichen Geräten und hundertfachen Anwendungen, die wir so im Laufe unseres Alltags verwenden. Es beginnt mit einer E-Mail und endet mit 10 verschiedenen Apps mit eigenen Kommunikationskanälen. Hyperkonnektivität – also die starke digitale Vernetzung – könnte als zentraler Faktor eine sinnvolle Ergänzung zur VUKA-Welt darstellen. Wir schauen uns hier die Aspekte dieser VUKAH-Welt an und wie wir resilient damit umgehen können.
Warum Hyperkonnektivität Resilienz erfordert
Ich arbeite regelmäßig mit sieben Programmen, die allein der Kommunikation dienen, oder die Möglichkeit zum Austausch bieten. Das ist wohl der Punkt, den das Wort mit dem Zusatz „Hyper“ ausdrücken soll – wir haben eine geradezu übermäßige Vernetzung, die sich auf alle Bereiche des Lebens auszubreiten droht.
Nicht umsonst gibt es den Begriff des „Digital Detox“ – sich von den Giftstoffen der Medien befreien und fernbleiben von sozialen Netzwerken. Im Privaten mag das vielleicht, abhängig vom Durchhaltevermögen, gehen, doch beruflich ist das Fernbleiben von Technik nicht möglich. Selbst wenn es kein Büro-Job mit sehr PC-lastiger Arbeit ist, wird wohl kaum ein Handwerker heute noch über die klassischen „Gelben Seiten“ gefunden. Verbunden zu sein ist ein Kern der heutigen Arbeit. Doch das kann anstrengen. Zur großen Anzahl an Programmen und Kommunikationsmöglichkeiten kommt hinzu, dass die Hyperkonnektivität einen zusätzlichen Antreiber hervorzubringen scheint: Sei immer erreichbar.
So schreibt auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung zum Thema Hyperkonnektivität, dass 2020 acht Milliarden Geräte digital vernetzt waren. Im Jahr 2030 sollen es schätzungsweise 50 Milliarden sein. Das heißt, wir müssen uns zwangsläufig damit auseinandersetzen, wie wir trotz exzessiver Nutzung von Technik und verbindenden Medien psychisch gesund und widerstandsfähig gegen Stress sein können.
Was ist Hyperkonnektivität?
Der Begriff der Hyperkonnektivität stammt von den kanadischen Soziologen Anabel Quan-Haase und Barry Wellman (2001). Vereinfacht ausgedrückt kann man sagen, dass alles miteinander kommuniziert – Mensch-zu-Mensch, Mensch-zu-Maschine und Maschine-zu-Maschine. Und das so gut wie rund um die Uhr. Wir leben in einer Welt, in der unser Kühlschrank uns eine Nachricht auf unser Handy senden kann, was wir noch einkaufen wollten, oder wo wir per Spracherkennung unserem Licht sagen können, dass es in einem bestimmten Raum einen anderen Farbton annehmen soll.
Zum einen ist also diese Ultra-Vernetzung besonders im Hinblick auf Mensch und digitaler Technik gemeint. Zum anderen ist es aber eben auch die hochgradige Nutzung an Kommunikationsangeboten, die wir in unserem Alltag nutzen. Dabei scheint es fast so, als hätte die Gesellschaft einen unbändigen Drang, der digitalen Vernetzung kontinuierlich einen neues Maximum zu verleihen.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Entwicklung des 5G-Netzwerks. Der wohl größte Unterschied zwischen 4G und 5G ist die Latenzzeit – 5G soll so gut wie Echtzeitkommunikation möglich machen. Gleichzeitig verbessern sich die Möglichkeiten der Kommunikation in Hinblick auf die Stabilität des Netzwerks, was die Nutzung von digitaler Steuerungstechnik in der Landwirtschaft, Einsatz im Verkehrsmanagement oder Smart-Home-Technologien unterstützt. Wir schaffen uns also geradezu ständig die Voraussetzungen, die Hyperkonnektivität noch weiter zu fördern.
Hyperkonnektivität im Arbeitskontext
Wie bereits angesprochen, betrifft die digitale Vernetzung nicht nur einzelne Branchen, sondern zeigt sich in so gut wie jedem Berufsfeld auf sehr deutliche Art und Weise. Sie können sich ja gerne den ‚Spaß‘ machen, und einmal nachzählen, wie viele verschiedene Kommunikationswege für Ihre Tätigkeit relevant sind.
Selbst, wenn es sich nur um ein oder zwei Tools handelt, unterschätzen wir häufig, wie viel Energieaufwand diese Kommunikationswege fordern. Schließlich folgt jeder Kommunikationsweg seinen eigenen Regeln, die erlernt werden müssen. Wobei bei den digitalen Lösungen sogar noch die Soft-Skills zur Nutzung hinzukommen.
Allerdings ist das nur ein Teil der Stress auslösenden Faktoren, die die Hyperkonnektivität am Arbeitsplatz mit sich bringt. Eine Studie des Thinktanks „Next Work Innovation“ konnte ganz deutlich zeigen, dass Arbeitsunterbrechungen, bzw. Fragmentierung des Arbeitsalltags, einer der größten Stressauslöser sind. Schockierend war, dass Beschäftigte im Schnitt 15 Mal pro Stunde unterbrochen wurden. Das Fatale daran ist, dass unser Gehirn so jedes Mal erst erneut Konzentration aufbauen muss und diese Unterbrechungen (sei es eine Mitteilungseinblendungen am Bildschirmrand) uns damit zusätzlich Kraft und Aufmerksamkeit rauben. Im Artikel 4 Minuten Fokuszeit lesen Sie mehr zur Studie und wie wir resilient mit Arbeitsunterbrechungen umgehen.
Hyperkonnektivität am Beispiel ChatGPT
Eine Entwicklung, die Hyperkonnektivität sehr deutlich macht, ist die Anwendung und Einbettung von künstlicher Intelligenz in den Alltag. Gerade wenn wir über die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine sprechen, liegt es nahe, an die Interaktion mit der KI ChatGPT zu denken. Diese künstliche Intelligenz basiert auf schriftlicher Kommunikation. Zum Beispiel habe ich in das Textfeld folgendes eingetippt: „Gib mir eine sehr kurze Zusammenfassung von ChatGPT“.
Die Antwort der KI: „Ich bin ChatGPT, ein großes Sprachmodell, das auf der GPT-3.5-Architektur von OpenAI basiert und eine breite Palette von Aufgaben im Bereich der natürlichen Sprachverarbeitung ausführen kann.“
Die Berichterstattung und die Nutzerzahlen sprechen dafür, dass anscheinend ein sehr hoher Bedarf darin besteht, auf diese Art – nämlich durch ganz normale Sprachmuster und nicht eben das bloße Eingeben von Schlagworten in eine Suchmaschine – mit einer Maschine zu kommunizieren und sie nutzen zu können. Die Hyperkonnektivität unterstützt auch einen wichtigen Gedanken in der Debatte, ob KI den Platz von menschlicher Wissensarbeit einnehmen kann.
Thomas W. Malone, amerikanischer Organisationstheoretiker sagte bei einem Vortrag in Zürich, dass die künftige Arbeitswelt von „Human-Computer-Superminds“ geprägt sein wird. Damit meint er, dass es kein Wettlauf zwischen Roboter und Mensch sei, sondern ein Wettlauf zwischen Menschen oder Organisationen, die gelingend mit KI zusammenarbeiten, und jenen, die sich gegen die Hyperkonnektivität in dem Sinne wehren. ChatGPT hat gewissermaßen für die breite Masse den Startschuss gesetzt, wer sich im Rennen um die digitale Vernetzung und die Kooperation mit Technik behaupten kann.
Wie wir resilient mit Hyperkonnektivität umgehen können
Alle Zeichen deuten darauf hin, dass wir die Konnektivität nicht runterfahren, sondern eher noch erhöhen. Wir werden sehr wahrscheinlich immer neue Wege finden sowohl miteinander als auch mit digitalen und technischen Anwendungen verbunden zu sein. Wir müssen daher zwangsläufig Wege finden, wie wir trotz Aufmerksamkeitsräuber und „Sei immer erreichbar“-Antreibern psychisches Wohlbefinden fördern.
Im Folgenden sehen Sie die topp 3 Resilienz-Tipps für einen stressfreieren Umgang mit digitaler Vernetzung.
#1 Unterbrechungen minimieren
Wenn wir ehrlich zu uns sind, so ganz wollen wir auf kleine Unterbrechungen ja nicht verzichten. Denn es hat schließlich auch einen positiven Aspekt, sich von seiner aktuellen Tätigkeit kurz abzuwenden, dem Gehirn eine klare Pause zu geben und sich kurz in ein anderes Thema flüchten. Zum Beispiel kurz in den Instagram-Feed abdriften oder auf der Lieblings-Newspage scrollen.
Ein resilienter Weg, nicht 15 Mal am Tag, sondern eher 5 Mal am Tag abgelenkt zu werden, ist die Bündelung. Nehmen Sie sich aktiv 10 Minuten, um Ihre Whatsapp-Nachrichten zu checken, in ein soziales Netzwerk reinzuschauen oder einem anderen Aufmerksamkeitsräuber Raum zu schenken. Das gleiche können Sie auch mit Ihrem E-Mail-Postfach tun. Statt auf jede eingeblendete Benachrichtigung sofort zu reagieren, planen Sie sich feste Zeiten ein, zum Beispiel einmal Vormittags und einmal Nachmittags. Natürlich in einem für Ihre Tätigkeit angemessenen Rahmen.
Zum Minimieren von Unterbrechungen gehört übrigens auch, dass Sie Benachrichtigungen pausieren oder ausschalten, um gar nicht erst in Versuchung zu kommen, nachzuschauen.
#2 Grenzen setzen
Grenzen zu setzen ist eine elementare Fähigkeit, um die eigene Resilienz zu stärken und Stress zu vermeiden (oder zu reduzieren). Besonders was die ständige Erreichbarkeit betrifft, ist es ratsam zum einen eine Grenze zwischen beruflicher digitaler Vernetzung und privater aufzubauen. So kann ein Arbeits-Handy zum Beispiel dafür sorgen, dass Sie diese Trennung auch haptisch greifbar haben.
In der Pandemie haben viele Beschäftigte, teilweise auch notgedrungen, das Arbeiten im Home Office kennengelernt. Gerade wenn die räumliche Trennung von beruflich und privat fehlt ist es wichtig, diese Grenze anderweitig zu wahren – entweder durch strikte Einhaltung von Zeitstrukturen oder den Kontextwechsel durch ein anderes Outfit.
Allerdings sollten wir für einen gesunden Umgang mit der Hyperkonnektivität auch eine Linie innerhalb der privaten Sphäre ziehen. Weil es für die Schlafhygiene sehr viel besser ist, die Handynutzung vor dem Schlafengehen einzustellen, ist das ein sehr sinnvoller Tipp für eine höhere Resilienz. Eine Studie aus dem Jahr 2016 (und der Handy Konsum hat sich seit dem sicher nicht verringert) zeigte, dass jene Befragten, die das Handy noch im Bett benutzten (60% der Befragten), eine geringe Erholungsrate im Schlaf, längere Zeit zum Einschlafen, mehr Schlafstörungen und höhere Erschöpfung am Tag angaben (Exelmans & Van den Bulck, 2016).
Der Tipp an dieser Stelle also: Nehmen Sie also das Handy gar nicht erst mit ins Schlafzimmer.
#3 Digitale Vernetzung durch Begegnungen im Offline-Leben ersetzen
Zugegebenermaßen, das Wort „ersetzen“ ist hier nicht ganz passend. Denn wir haben es uns in dieser ultimativen Konnektivität auch so eingerichtet, dass wir Freunde am andern Ende der Welt haben können oder Seminare in einem anderen Land besuchen, ohne vor die Tür zu gehen. Allerdings ist es auch zur Bequemlichkeit geworden, mit Freunden über einen längeren Zeitraum zu chatten, statt sich in Person zu verabreden. Das meint hier der Begriff des Ersetzens.
Bindung ist ein zentraler Resilienz-Faktor und sicher haben Sie auch schon einmal die Erfahrung gemacht, dass ein persönliches Treffen nicht durch einen Chat oder auch einen Videoanruf ersetzt werden kann. Stärken Sie reale (bzw. offline) Bindungen, um die digitale Nutzung zu reduzieren und ihr soziales Netzwerk gleichzeitig zu stärken.
Hyperkonnektivität und Resilienz
Stress und Technik scheinen eng miteinander verwoben. Wir sind gestresst, wenn sie nicht so funktioniert, wie sie soll. Und wir sind auch gestresst, wenn sie zu gut funktioniert und jeden Bereich unseres Lebens Stück für Stück einnimmt. Resilienz ist dabei die Kompetenz, mit diesem Stress gelingend umzugehen.
Allein die Bewusstheit zu stärken, dass wir stetig in Kommunikation mit Menschen und mit Maschinen stehen, trägt schon zu einem besseren Umgang mit digitalen Medien bei. Zusätzlich stärkt eine hohe Resilienz die Fähigkeit zur Stressregulation in einer VUKAH-Welt, durch Emotionsregulation und Coping-Strategien. So sind vor allem die Resilienzfaktoren Bindung und Sebstreflexion entscheidend für das gelingende Leben mit permanenter Vernetzung.
Wir brauchen in einer volatilen, unsicheren, komplexen, mehrdeutigen und hypervernetzten Welt eine Fähigkeit, die uns Anpassungsfähig an Veränderungen macht. Die ständige technologische Weiterentwicklung zwingt uns, uns mit digitalen Wandlungen und gleichzeitig auch mit uns selbst in Kontakt zu gehen. Wenn wir widerständiger, resilienter, sind, können wir uns nicht nur zwangsweise an die geforderte Nutzung anpassen, sondern sie funktional und in einem gesunden Maß in den Alltag integrieren. Sodass die Kommunikationsmöglichkeiten, die wir heute haben und die noch kommen werden, das Leben erleichtern statt es zu belasten.
Quellen:
Exelmans, L., & Van den Bulck, J. (2016). Bedtime mobile phone use and sleep in adults. Social Science & Medicine, 148, 93-101.
Wellman, Barry (June 2001). „Physical Place and Cyber Place: The Rise of Networked Individualism“. International Journal of Urban and Regional Research. 25 (2): 227–52.
https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/digitale-wirtschaft-und-gesellschaft/hyperkonnektivitaet/
https://www.news.uzh.ch/de/articles/2018/Zukunft-der-Arbeit.html
www.depositphotos.com, Best Internet Concept of global business from concepts series @ stori
www.depositphotos.com, Internet of things (IOT) and digital business process automation concept supporting industrial value chain @ nils.ackermann.gmail.com
www.depositphotos.com, Vectorstock das Gehirn ist mit dem Netzwerk verbunden @ VectorStory
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 200 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de).