„Lieber Körper“, sprach die Seele, „hilf mir! Es geht mir nicht gut, aber er hört nicht auf mich“. „Liebe Seele, ich werde dir helfen“, antwortete der Körper. „Ich werde ihn krank machen, dann kümmert er sich um dich“.
Waren Sie schon einmal zu Beginn Ihres Urlaubs oder nach einer sehr stressigen Zeit krank? So oder so ähnlich könnte dann ein Gespräch zwischen dem Körper und der Seele aussehen, wenn wir uns beide als Charaktere vorstellen. Unser Körper zeigt uns besonders zu Beginn der Freizeit dann sehr deutlich: „Nimm dir jetzt Zeit für mich“, und zwingt uns meist mit Krankheitssymptomen zur Ruhe. Das nennt sich Poststress-Syndrom oder auch Leisure Sickness.
Was ist Leisure Sickness?
Freizeit und Urlaub sind eigentlich Situationen, die wir mit Entspannung und Wohlbefinden in Verbindung bringen. Dabei ist es gar nicht so unüblich, dass zumindest ein Teil dieser Ruhezeit vom Körper mit Unwohlsein oder Krankheit gefüllt wird. Als würde der Stress abfallen und die Krankheit jetzt die Oberhand gewinnen.
Leisure Sickness, auf deutsch „Freizeitkrankheit“, meint das Auftreten von Krankheitssymptomen in Phasen, an denen für gewöhnlich Stress nachlässt, wie an Wochenenden oder im Urlaub. Dazu gehören Erschöpfung, Migräne und Kopfschmerzen, Muskelschmerzen und Übelkeit, aber auch Erkältung oder Grippe.
Warum wir Leisure Sickness bekommen – Macht Freizeit krank?
Studien zeigen auf, dass es einen signifikanten Zusammenhang zwischen Krankheitssymptomen und Freizeitperioden gibt. Doch woran liegt das, ist es wirklich zu viel Stress, der zu Leisure Sickness führt? Es gibt verschiedene Ansätze, die das Poststress-Syndrom erklären, die sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern vielmehr sogar ergänzen können.
Stress und Anpassungsfähigkeit
Dass zu langanhaltender und zu intensiver Stress eine Belastung für die physische und psychische Gesundheit ist, sollte allgemein bekannt sein. Dann müsste man eigentlich meinen, dass die Stressreduktion durch Freizeit prinzipiell einen guten Einfluss auf die Gesundheit haben sollte, statt diese zu beeinträchtigen. Was dabei allerdings zu beachten ist, ist der extreme Wechsel von Stressor zu kein Stressor.
Mit anderen Worten: Leisure Sickness entsteht durch die fehlende oder zu langsame Anpassung des Körpers. Bei extremem Stress muss unser Körper eine enorme Leistung erbringen, um das bereits an den Stressor angepasste innere physiologische Gleichgewicht aufrecht zu erhalten (Allostase). Wenn diese Leistung plötzlich nicht mehr erforderlich ist, und das System den gewohnten Gegendruck nicht rechtzeitig hemmen kann, gerät es aus dem Gleichgewicht und wird anfälliger für Krankheiten. Das gilt übrigens auch kumulativ: Wenn die Regenerationsphasen zu kurz sind, bleibt das Immunsystem geschwächt und es kommt eher zu Symptomen.
Selbstwahrnehmung für Leisure Sickness steigt
Eine weitere Erklärung für ein Gefühl von Unwohlsein in der Freizeit, ist die steigende Selbstwahrnehmung. Stellen Sie sich dazu folgendes Bild vor: Ihre Wahrnehmung hat nur ein bestimmtes Kontingent zur Verfügung. Es kann sich auf die Signale aus dem Inneren richten, oder auf die Reize der Außenwelt. Je stärker Ihre Umwelt Ihre Aufmerksamkeit fordert, desto weniger Achtsamkeit können Sie auf Ihre Körperrückmeldungen legen.
Dieses Erklärungsmodell, genauer gesagt das Symptom-Wahrnehmungsmodell nach Pennebaker, erklärt zumindest, weshalb wir an freien Tagen im Vergleich zu arbeitsreichen Tagen leichte Beschwerden wie Gliederschmerzen, Erschöpfung oder Kopfschmerzen vermehrt spüren. Es erklärt allerdings nicht Leisure Sickness im Sinne von Erkältung, Fieber oder Migräne.
Starker Lebensstilwandel
Neben einer fehlenden Anpassung an die Stressbelastung, kann auch ein drastischer Wandel des Lebensstils zwischen Wochentags und Freizeit das Poststress-Syndrom hervorrufen. Für die meisten Menschen ist es natürlich, sich am Wochenende oder im Urlaub anders zu verhalten als Werktags – sehr viel länger oder kürzer schlafen, mehr oder weniger Alkohol oder auch Kaffee zu sich nehmen. Auch das kann Auswirkungen auf die Gesundheit haben.
Aber auch die Aktivitäten, die wir in unserer Freizeit und während der Arbeitszeit nicht machen, können sich auf die Gesundheit auswirken. So kann es auch sein, dass der Stress durch die Arbeit nicht zu viel ist, sondern die Freizeit an sich Stress auslöst. So gibt es Menschen, bei denen die fehlende Struktur am Wochenende, obligatorische Aufgaben wie Aufräumen und Reparaturarbeiten oder Einsamkeit Stress auslösen.
Darüber hinaus gibt es noch den sogenannten Freizeitstress, der Aktivitäten beinhaltet, die uns ebenfalls belasten können, auch wenn wir diese meist freiwillig tun, wie zum Beispiel Familienbesuche, Ausflüge oder Sportaktivitäten. Freizeitstress per se fällt allerdings nicht unter den Begriff der Leisure Sickness.
Persönlichkeit und Haltung gegenüber Arbeit
Obwohl der Zusammenhang zwischen Arbeitshaltung und Leisure Sickness noch nicht ausreichend wissenschaftlich beforscht ist, scheint eine Verbindung doch naheliegend. Besonders Perfektionisten und „Workaholics“ zeigen ebenfalls eine dysfunktionale Anpassung an die Zeit ohne Arbeit. So können Schuldgefühle aufgrund von empfundener Unproduktivität ebenfalls zum Poststress-Syndrom führen.
Neben der Einstellung zur Arbeit, scheinen jedoch auch Persönlichkeitseigenschaften eine Rolle zu spielen. Besonders extravertierte Menschen können unter der fehlenden Stimulation am Wochenende und im Urlaub leiden. In Situationen mit wenig Außenreizen tendieren Extravertierte eher zur Unterstimulation, und das hat die gleichen Effekte wie dauerhafte Überstimulation. Kurz: Langeweile hat die gleichen Auswirkungen wie Stress.
Wie Sie Leisure Sickness vermeiden
Wie Sie sehen, gibt es verschiedene Gründe für Krankheit in der Freizeit. Das bedeutet aber auch, es kann keine Allzwecklösung gegen Leisure Sickness geben kann – oder? Wenn Sie sich die oben aufgeführten Gründe noch einmal anschauen, bemerken Sie vielleicht eine Gemeinsamkeit: Es hängt alles von der Anpassungsfähigkeit und der Stressregulation ab.
Der erste Schritt hin zu Wohlbefinden in der Freizeit ist Selbstreflexion. Wenn Sie zum Beispiel wiederholt am Wochenende Magenbeschwerden, Kopfschmerzen oder Gliederschmerzen spüren, lohnt sich ein genauerer Blick. Wie fordernd nehmen Sie Ihre Arbeit wahr? Welche Aktivitäten verfolgen Sie am Wochenende und geben oder nehmen Ihnen diese Energie?
Der zweite Schritt ist gezielte Stressregulation, um die Anpassungsfähigkeit zu erhöhen, bzw. die Umstellung zwischen Arbeit und Freizeit zu erleichtern. Hierbei gibt es zwei Möglichkeiten:
- Stress durch Arbeit:
Schaffen Sie eine Grenze zwischen Arbeit und Freizeit auch unter der Woche. Eine gute Möglichkeit Stress abzubauen und sich auch unter der Woche kognitiv von der Arbeit zu lösen, ist körperliche Aktivität. Machen Sie ein kurzes Workout, eine Yoga-Einheit oder einen Spaziergang nach der Arbeit. Das hilft Ihrem Körper und Geist in den Ruhemodus zu schalten und schafft eine Brücke zu den Zeiten ohne Arbeit.
- Stress durch Freizeit:
Machen Sie sich bewusst, was Sie stresst. Ein Resilienztraining kann Ihnen zum Beispiel helfen, innere Antreiber und Schuld zu lösen, wenn Sie am Wochenende am liebsten weiterarbeiten würden. Und füllen Sie Ihre Freizeit mit Aktivitäten, die Ihnen Kraft spenden, Menschen die Ihnen gut tun und ausreichend Regeneration.
Wozu Leisure Sickness auch gut sein kann
Unwohlsein und Krankheit durch Stress ist ein Zustand, den niemand sich wünscht. Doch wie fast alle Dinge im Leben, hat auch Leisure Sickness einen positiven Aspekt. Sie können Poststress-Symptome als Hilfestellung des Körpers sehen, sich mit sich selbst zu befassen. Wie die kleine Geschichte zu Beginn verdeutlicht: Wenn wir krank sind, werden wir gezwungen uns auszuruhen und auf uns acht zu geben. Zumindest ist das in der Regel der Fall.
Krankheit in den ersten Tagen des Urlaubs oder wiederholt am Wochenende ist ein Zeichen dafür, dass unser System Unterstützung bei der Regulation braucht. Dass der Stress in der Zeit davor sehr kräftezehrend war und es neuer Ressourcen bedarf. Nehmen Sie dieses Zeichen ernst und kümmern Sie sich um die Bedürfnisse Ihres Körpers und Ihrer Seele. So vermeiden Sie am besten Leisure Sickness.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).