Traumasensibel arbeiten – der Trauma-informend Ansatz für Coaches, Berater:innen, Trainer:innen

Als Berater:in, Coach, oder Trainer:in haben Sie vielleicht schon die Erfahrung gemacht, dass ein Prozess manchmal einfach nicht zu laufen scheint. Oder, obwohl es in der Zusammenarbeit mit Ihnen klappt, schafft Ihr Kunde oder Ihre Klientin es nicht, die Ergebnisse in den Alltag zu integrieren. An solchen Stellen kann es sein, dass ein Trauma vorliegt und wir den Bereich des klassisch bezeichnet „Gesunden“ verlassen. Hier ist es wichtig, traumasensibel zu arbeiten.

Warum traumasensibel arbeiten immer wichtiger wird

Resilienz Akademie | Traumasensibel arbeiten – der Trauma-informend Ansatz für Coaches, Berater:innen, Trainer:innenWir leben in einer Welt, die schon lange nicht mehr nur VUKA(H) ist – volatil, unsicher, komplex, ambig, hyperverbunden. Auch die neue Beschreibung der Arbeitswelt BANI (brüchig, ängstlich, nicht-linear, unverständlich) scheint die Anforderungen an Menschen heutzutage nicht mehr vollends einzufangen. Was beiden Konzepten fehlt ist die Anfälligkeit für Krisen und Traumen. Wie beispielsweise Corona und der Krieg in Europa gezeigt haben, sind wir immer häufiger mit Umständen konfrontiert, die uns mit extremen Belastungen in Kontakt bringen. Das zeigt sich auch in helfenden Berufen, die sich mit dem „gesunden“ Spektrum psychischer Belastung auseinandersetzen.

Die Berührungen mit Trauma nehmen in Coaching und Beratung immer weiter zu. So ist auch das Thema Resilienz nicht mehr so weit von Trauma entfernt, wie es das vielleicht noch vor zehn Jahren war. Um dennoch auch als Coach oder Berater:in ohne expliziten therapeutischen Hintergrund mit Klienten/ Klientinnen arbeiten zu können, ist die traumasensible Arbeit wichtig.

Hier sind drei Punkte aufgelistet, warum wir traumasensibel arbeiten sollten:

  1. Sicherheit und Vertrauen stärken: Die Beziehung zwischen Klient:in und Coach/ Berater:in ist maßgeblich für den Erfolg der Intervention. Aus diesem Grund sind die Sicherheit und das Vertrauen des Gegenübers für Coaches und Berater:innen das oberste Gebot. Traumasensibel zu arbeiten bedeutet, dem Gegenüber diese Sicherheit zu geben und eventuelle Re-Traumatisierungen zu vermeiden.
  2. Effektivität von Coaching und Beratung erhöhen: Neben der Beziehungstärkung kann der Trauma-informed Ansatz dazu beitragen, die Effektivität des Coachings beispielsweise zu erhöhen, durch eine größere Aufmerksamkeit und Perspektive des Coaches. Wir sind dann sensibler für die Themen und Worte, mit denen Menschen zu uns kommen und haben auch ein größeres Verständnis für das Spektrum menschlichen Verhaltens. Dadurch wird auch der Prozess noch einmal anders betrachtet und kann leichter verändert, angepasst und optimiert werden.
  3. Grenzen von Coaching und Beratung erkennen: Eine der häufigsten Fragen in der regelmäßigen Supervision der Resilienz Akademie Göttingen ist, wo die Grenze zwischen Therapie und Coaching zu ziehen ist und wie wir diese Grenze im Praxisalltag erkennen können. Die Antwort auf diese Frage liefert der Trauma-informed Ansatz. Zudem beinhaltet diese Arbeit auch sehr präzise Handlungsempfehlungen, wenn wir im Coaching ein Trauma aufdecken und mit der ‚normalen‘ Arbeit nicht weiterkommen.

Was bedeutet es, traumasensibel zu arbeiten?

Zunächst sollten wir uns dem Begriff der traumasensiblen Arbeit oder auch des Trauma-informed Ansatzes anschauen. Im Grunde genommen zeichnet diese Arbeit einen geschärften Sinn für die Grenze zwischen noch gesunder Belastung und chronischer, krankhafter Belastung aus.

Wenn ein Mensch zu uns ins Coaching, in eine Beratung oder auch in ein Resilienztraining kommt, wissen wir nicht, was für ein „Päckchen“ dieser Mensch mit sich trägt. Allein das Bewusstsein dafür, was Trauma bedeutet und wie es sich äußert, hilft, dem Menschen mit einer anderen Haltung entgegenzutreten, bewusster auf Sprache und mögliche Auslöser von Re-Traumatisierungen zu achten und so eine nährstoffreiche Atmosphäre für inneres Wachstum zu schaffen.

Der Ursprung des Trauma-informed Ansatzes

Der Trauma-informed Ansatz bezieht sich auf den amerikanischen Biophysiker und Psychologen Dr. Peter A. Levine und seine Methode namens „Somatic Experiencing“ (SE). Es handelt sich um einen körperorientierten therapeutischen Ansatz zur Bewältigung und Heilung von Traumen und anderen stressbedingten Störungen. Diesen Ansatz beschreibt er beispielsweise in seinem Buch „Waking The Tiger: Healing Trauma“ (Levine, 1997).

Levine beobachtete, dass Tiere in freier Wildbahn selten Traumen entwickeln, obwohl sie regelmäßig Bedrohungen ausgesetzt sind. Er schloss daraus, dass Tiere Mechanismen besitzen, um die hohe Erregung nach Bedrohungen zu regulieren und zu entladen, sodass keine traumatischen Symptome zurückbleiben. Diese Mechanismen kennen wir heute als Fight-or-Flight-Reaktionen, die auch wir Menschen bei Stress zeigen.

Ein zentraler Gedanke ist, dass Trauma entsteht, wenn die natürliche Reaktion des Körpers auf eine Bedrohung (z.B. Flucht oder Kampf) unterbrochen wird und die dabei aufgebaute Energie nicht entladen werden kann. Das kennen wir unter dem Begriff Freeze. Dies kann zu einer Festsetzung dieser Energie im Nervensystem führen, die dann zu traumatischen Symptomen führt.

„Trauma ist nicht das Ereignis – sondern eine Regulationsstörung des Nervensystems. Der Organismus ist mit seiner Fähigkeit, Erregungszustände zu regulieren, überfordert.“ – Dr. Peter Levine

Der SE-Ansatz betont die Bedeutung des Körperbewusstseins. Anstatt sich ausschließlich auf verbale Gespräche oder die kognitive Verarbeitung von Erinnerungen zu konzentrieren, werden Patienten angeleitet, ihre körperlichen Empfindungen wahrzunehmen. Im Gegensatz zu einigen anderen therapeutischen Ansätzen, bei denen traumatische Ereignisse direkt konfrontiert werden können, geht Somatic Experiencing behutsam vor und versucht, eine Überwältigung des Patienten zu vermeiden. Es ist wichtig, die individuellen Ressourcen des Patienten zu erkennen und zu nutzen.

Trauma im Coaching erkennen

Mit anderen Worten können wir zusammenfassen: „Ein Trauma ist eine unterbrochene Handlung“. Eine kurze Formel zeigt darüber hinaus, wie wir diese Überforderung des Nervensystems, die zum permanenten Freeze geführt hat, begreifen können: Zu viel, zu heftig, zu schnell und zu plötzlich.

Da diese Überforderung sich aber nicht immer direkt zeigt, oder Klienten und Klientinnen sich Traumen manchmal nicht selbst bewusst sind und diese dementsprechend auch nicht verbalisieren können, gibt es Anzeichen, auf die Coaches (aber auch Berater:innen) achten können. Die folgende Aufzählung basiert auf den Ausführungen von Resilienz-Expertin und Leiterin der ResilienzForum Akademie Ella Gabriele Amann.

Anzeichen im Coaching für ein mögliches vorliegendes Trauma sind:

  • Sprunghaftigkeit: Wenn keine klare Auftragsstellung möglich ist, oder der/die Klient:in jede Sitzung an etwas Neuem arbeiten möchte.
  • Interessensüberlagerungen: „Schattenaufträge“, der/die Klient:in verfolgt im Coaching ein anderes Ziel als vereinbart.
  • Psychologische Abwehrmechanismen: Dissoziation, Leugnung, Banalisierung, Verheimlichung oder Abwertung wird im Prozess sehr deutlich.
  • Keine Annahme von Hilfestellungen: Besonders wenn innere Antreiber so stark vorherrschen, dass Interventionen nicht greifen können.
  • Fixierung auf Coach: Der/die Klient:in ist abhängig von der Co-Regulation und die Integration des Gelernten funktioniert im Alltag nicht.
  • Keine Fortschritte im Prozess: Generell zeigt sich auch nach mehreren Sitzungen keine Bewegung im System, Problemerleben wird nicht weniger.
  • Kein Commitment, keine Compliance: Der/die Klient:in wirkt nicht eigenständig bei einer Integration mit, Mikro-Transferaufgaben werden beispielsweise ignoriert.
  • Unrealistische Erwartungen an den Prozess: Es werden zu schnell zu starke Effekte im Alltag verlangt.

Amann betont dabei, dass Coaches ebenfalls eine sensible Wahrnehmung für diese Anzeichen bei sich selbst haben sollten.

Wie können wir traumasensibel arbeiten? Der Trauma-informed Ansatz in der Resilienzförderung

Resilienz Akademie | Traumasensibel arbeiten – der Trauma-informend Ansatz für Coaches, Berater:innen, Trainer:innenDen Grundstein für ein traumasensibles Arbeiten haben Sie an diesem Punkt schon gelegt. Es geht im ersten Schritt um ein Verständnis dessen, was Trauma eigentlich ist und wie wir unsere Wahrnehmung für vorhandene Traumen schärfen können.

Darüberhinaus gibt es allerdings noch weitere Aspekte, die Ihnen als Coach, Trainer:in oder Berater:in helfen, einen Trauma-informed Ansatz in Ihrer Praxis umzusetzen. Auch hier beziehen wir uns auf die Ausführungen von Ella Gabriele Amann, die im Rahmen der Stiftung ResilienzForum 8 Prinzipien zum Trauma-informed Leben & Arbeiten herausgestellt hat.

1. Prinzip: Trauma verstehen

Wie bereits erwähnt, ist das der erste Schritt. Was sind die neurobiologischen Hintergründe, hinter einem Trauma, was sind psychologische Auswirkungen, welche Symptome zeigen sich? Je mehr Sie zum Thema Trauma erfahren, desto sensibler sind Sie und können Situationen, in denen Ihnen eines der oben genannten Anzeichen auffällt, im Coaching besser einschätzen.

Verstehen Sie die weiteren Prinzipien bitte nicht als Schritte, die der Reihe nach durchlaufen werden müssen. Es handelt sich eher um nebeneinander stehende Aspekte, die den Trauma-informed Ansatz stützen.

2. Prinzip: Trauma vorbeugen

Auch hier geht es um aufklärende Arbeit, die besonders im Rahmen von Resilienz-Coachings oder Resilienztrainings eine wichtige Rolle spielt. Es ist eine wichtige Aufgabe, innerhalb von Systemen – also Familien, Schulen, Unternehmen, Gesundheitswesen, etc. – dafür eine Sensibilität zu schaffen, sodass es nicht zu einer Überforderung des Nervensystems bei einzelnen Personen kommt. Diese Art der Prävention liegt in unserer Verantwortung als Trainer:innen, Berater:innen und Coaches.

3. Prinzip: Trauma heilen

Diese Beschreibung mag zunächst etwas irreführend sein. Es geht hierbei nicht um die direkte therapeutische Arbeit an sich, sondern um die Sensibilität dafür, dass Traumen behandelbar sind. Als Coach, der traumasensibel arbeitet, zeigen Sie solche Behandlungsmöglichkeiten auf und sammeln Wissen über Anlaufstellen für Multiplikatoren – beispielsweise als Resilienz-Lotse (SMA)®.

4. Prinzip: Sicherheit

Wie bereits erwähnt ist die Sicherheit des Klienten/ der Klientin ein sehr wichtiger Teil für einen erfolgreichen Prozess. Deshalb ist es hier auch eines der acht Prinzipien, diese psychologische Sicherheit zu vermitteln und einen Rahmen zu schaffen, der Öffnung und Lernen erlaubt. Hierbei geht es darum von der Co-Regulation zur Selbstregulation zu verhelfen.

5. Prinzip: Transparenz

Zu jedem Zeitpunkt im Prozess ist Transparenz maßgeblich. Das gilt, genau wie für die Sicherheit, nicht nur für traumasensibles Arbeiten. Insbesondere für den Umgang mit Traumen gilt jedoch, dass eine klare Auftragsklärung besteht, und diese auch im Prozess nachjustiert werden kann und sollte.

6. Prinzip: Befähigung

Hierbei geht es ganz klar um die Stärkung von Ressourcen, den Zugang zu bereits vorhandenen Ressourcen (wieder) möglich zu machen und so den Klienten/ die Klientin in das Erleben von Selbstwirksamkeit zu bekommen. Die Erhöhung der Selbst-Kompetenz ist ebenfalls nicht spezifisch für den Trauma-informed Ansatz, sie ist beispielsweise auch fester Bestandteil der integrativen Coaching Ausbildung (ICA). Doch mit dem Hintergrund von einem möglichen Trauma, ist dieser Punkt noch einmal besonders hervorzuheben.

7. Prinzip: Unterstützung

Zentral für eine traumasensible Arbeit ist die Neutralität, bzw. Ergebnisoffenheit des Coaches. Gerade im Coaching bieten wir Unterstützung in Form von Hilfe zu Selbsthilfe. In Beratungsprozessen dagegen geben wir Impulse zur Umsetzung. Egal ob nun aber Coaching, Beratung oder auch Training: Wichtig ist Diskretion und die Herstellung von Vertrauen, damit Unterstützung wirken kann. Gerade beim Trauma-informed Ansatz zur Resilienzförderung spielt auch die Unterstützung der Helfenden eine große Rolle.

8. Prinzip: Zusammenwirken

Das letzte Prinzip umfasst, dass der Prozess sich nicht allein auf den Klienten/ die Klientin bezieht. Bei einem vorliegenden Trauma ist es zentral, eine fächerübergreifende Betreuung anzubieten und als Coach weitere Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten zu begleiten – wie eine Therapie. Zusätzlich geht es hierbei auch um den Einbezug des gesamten Systems (sowohl beruflich, als auch privat). Natürlich immer mit Rücksprache des Klienten/ der Klientin.

Weitere Informationen finden Sie unter www.resilienz-zirkel-training.com.

Wozu traumasensibles Arbeiten beiträgt

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass traumasensibles Arbeiten als Coach, Trainer:in oder Berater:in dazu beiträgt, Umgebungen zu schaffen, die unterstützend, verständnisvoll und heilend für Menschen mit Traumaerfahrungen sind.

Es liegt mit in unserer Verantwortung, ein gesellschaftliches Bewusstsein und ein Verständnis für die Auswirkungen von Trauma auf Menschen zu schaffen und zu stärken. Das kann die Zusammenarbeit in Unternehmen verbessern, insbesondere wenn Teams durch Resilienz-Lotsen oder Resilienz-Facilitator begleitet werden. Gleichzeitig verbessert der Ansatz auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen beispielsweise Coaches, Therapeuten und Ärzten. Das Ziel ist es stets, den Menschen und sein System bestmöglich zu stärken, vor Re-Traumatisierungen zu schützen und Sicherheit zu schaffen.

Indem wir unseren Klienten und Klientinnen, Kunden und Kundinnen traumasensibel gegenübertreten, nehmen wir den Menschen mit all seinen Facetten wahr, ob er uns diese offenbart oder wir ihm schlichtweg den Raum anbieten, sich uns zu öffnen. Traumasensibles Arbeiten heißt nicht, jedem Menschen ein Trauma zu unterstellen. Es bedeutet, wache Sinne und Empathie in der Arbeit mit Menschen und mit belastenden Themen zu haben.

Quellen:

Ella Gabriele Amann – Vortrag Resillienz Deep Dive 2023

Levine, P. A. (1997). Waking the tiger: Healing trauma: The innate capacity to transform overwhelming experiences. North Atlantic Books.

Bildquellen:

Resilienz Akademie | Traumasensibel arbeiten – der Trauma-informend Ansatz für Coaches, Berater:innen, Trainer:innenRebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihre Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.

 


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Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 200 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de).

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