„Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ – ist ein Satz, den jeder als Kind wahrscheinlich schon einmal gehört hat. Bei manchen Menschen gehört dieser Satz jedoch zu einem Mindset, das Denken, Handeln und Fühlen im Alltag bestimmt. Der innere Antreiber „Sei stark“ bringt Menschen dazu, Gefühle zu unterdrücken, um nach außen den Schein einer starken Persönlichkeit zu wahren.
Immer und für alle anderen stark sein zu müssen, zehrt auf Dauer allerdings an den eigenen Kraftreserven. Denn das Gefühl, wie Atlas die Welt auf den Schultern zu tragen, führt nicht nur zu Nackenschmerzen, sondern zu Stress und über lange Zeit hinweg auch zum Burn-out.
Der innere Antreiber „Sei stark“ und seine Folgen
Prinzipiell vertreten die insgesamt 5 inneren Antreiber positive Eigenschaften. So auch der Antreiber „Sei stark“. Denn es ist in manchen Situationen hilfreich sich nicht auf die Stressreaktionen Ärger oder Angst zu konzentrieren, sondern das Ziel hartnäckig zu verfolgen. Diese Hartnäckigkeit trägt leider auch mit sich, dass Menschen mit dem Antreiber selten Hilfe annehmen. Sie vertrauen lieber sich selbst als anderen. Man kämpft sich dann regelrecht durch Aufgaben, um innere und äußere Stärke zu zeigen.
Was ist der innere Antreiber „Sei stark“?
Eric Berne ist Entwickler der Transaktionsanalyse, wobei er fünf innere Antreiber als wichtigen Bestandteil des Verhaltens herausstellt. Neben „Sei stark“ sind das „Sei perfekt“, „Mach es allen recht“, „Mach schnell“ und „Streng Dich an“. Nach Berne entsteht die Ausprägung eines einzelnen Antreibers bereits in der Kindheit. Wem als Kind also oft gesagt oder gezeigt wurde „Reiß dich zusammen“ oder „Gefühle sind ein Zeichen von Schwäche“, hat als Erwachsener eher einen präsenten „Sei stark“ Antreiber.
Der Antreiber „Sei stark“ funktioniert in unseren Gedanken wie ein Schutzschild. Er soll uns vor Verletzlichkeit in emotional bedrückenden Momenten schützen. Der Antreiber hat dabei positive, aber auch negative Einflüsse auf uns. Es ist daher kontraproduktiv Antreiber völlig aus seinem Leben verbannen zu wollen, auch wenn sie Stress auslösen. Die inneren Glaubenssätze sind ein Teil unserer Identität und lassen sich nicht von heute auf morgen verändern. Aber Menschen können lernen ihren Antreiber in Stressmomenten zu spüren, um bewusst auf ihn zu reagieren. Hierbei ist besonders die Resilienz eine wertvolle Fähigkeit.
Vorteile der inneren Stärke
Die Haltung, Stärke zu beweisen, hat vor allem in führenden Positionen große Vorteile. Menschen mit diesem Antreiber zeichnen sich oft durch Autorität und Durchsetzungsfähigkeit aus. Sie sind entscheidungsfreudig und konsequent. Außerdem nehmen sie Herausforderungen eher an und erhöhen damit die Chance an ihnen zu wachsen.
Bei diesem Antreiber geht es besonders um den Schein nach außen, sodass Personen mit „Sei stark“ Antreiber anderen Geborgenheit und Sicherheit in Krisensituationen vermitteln können, auch wenn sie sich selbst nicht danach fühlen. Diese Qualitäten des Antreibers werden bei Führungskräften besonders geschätzt.
Nachteile von „Sei stark“
Dieser ‚Atlas-Zwang‘ – also die ganze Welt auf den eigenen Schultern tragen zu wollen – sorgt allerdings auch dafür, dass Menschen sich in ihrer Rolle als der oder die Starke überlastet fühlen. Auf Dauer verursacht diese innere Haltung Stress. Es ist schlichtweg anstrengend immer stark zu sein, besonders da Gefühle wichtige Hinweisgeber auf unerfüllte Bedürfnisse sind.
Menschen mit dem aktiven Antreiber neigen dazu Gefühle zu unterdrücken und insbesondere vor anderen zu verbergen. Damit ignorieren sie allerdings Signale, die zur Verbesserung des Wohlbefindens vom Körper gesendet werden.
Dazu kommt, dass diese präsentierte Stärke auch negativ auf Außenstehende wirken kann. In Teamarbeit passiert es dann, dass sie den Standpunkt anderer nicht wahrnehmen und Mitglieder so regelrecht mit ihrer eigenen Sichtweise überfahren. Außerdem fällt es Menschen mit dem aktiven Antreiber schwer Hilfe anzunehmen und Nähe zuzulassen. Damit wirken sie oft distanziert und abweisend, wenn auch unbewusst. Der Wunsch nach Unverletzlichkeit führt zu einer Mauer, die auch keine positiven Emotionen hindurch lässt.
Wie Stärke krank machen kann – Stress durch innere Antreiber
Zwei Komponenten des inneren Antreibers „Sei stark“ lösen insbesondere Stress aus. Zum einen ist das die innere Stärke, die wir von uns selbst erwarten. Zum anderen ist das die Erfüllung der selbst zugewiesenen Rolle.
„Beiß die Zähne zusammen“: Mehr als nur Kieferschmerzen
Die innere Haltung, für sich selbst stark zu sein, kann enorm unter Druck setzen. In diesem Punkt sind sich die Antreiber „Sei stark“ und „Streng Dich an“ ähnlich. Es geht darum, um jeden Preis ein Hindernis zu überwinden und weiter zu kommen. Der Preis dafür ist allerdings oft das eigene Wohlbefinden und die Gesundheit.
Es bedarf viel Energie sich selbst zu bestimmten Aufgaben zu zwingen. Das eigene Antreiben hat auch den Vorteil unangenehme Aufgaben zu erledigen, statt sie aufzuschieben beispielsweise. Doch auf Dauer wird es schwer sein, die eigenen Erwartungen an sich immer zu erfüllen. Wenn wir dann Erschöpfung zulassen oder gar nachgeben, kommen gleich Schuldgefühle hoch. Es entwickelt sich zu einem Teufelskreis, denn dann greift wieder der Antreiber ein und will uns dazu bringen, Gefühle zu unterdrücken.
Innere Stärke führt dazu, dass wir unser Bedürfnis nach Regeneration und auch nach Bindung vernachlässigen. Das dauerhaft beiseite zu schieben bedeutet einen starken Einschnitt ins eigene Wohlbefinden.
Äußere Stärke und Rollenkonflikte
Der Antreiber „Sei stark“ ist eng verknüpft mit der Rolle, die wir uns selbst dadurch geben. Die knallharte Businessfrau, der eiserne Türsteher, oder am besten gleich Superman? Lächeln, auch wenn es weh tut (im übertragenen Sinne), löst bei uns eine Zwickmühle aus. Eine Seite in uns möchte Gefühle zeigen, um dadurch Hilfe zu bekommen. Die durch „Sei stark“ angetriebene Seite versucht dagegen mit aller Kraft kein Gefühl nach außen hin zu zeigen, um die Rollenerwartung zu erfüllen.
Durch diesen inneren Konflikt entsteht Stress. Es strengt uns an ein Bild nach außen aufrecht zu erhalten, auch wenn wir uns gerade nicht danach fühlen. Wenn eine andere Person dann doch Hilfe anbietet, signalisiert das dem angetriebenen Menschen eher, dass er noch nicht stark genug wirkt und baut die emotionale Mauer gleich noch ein Stück höher. Das kann dann soweit führen, dass Menschen mit sehr ausgeprägtem Antreiber wenige oder keine tieferen Beziehungen pflegen und ihnen dadurch soziale Unterstützung im privaten wie auch im beruflichen Umfeld fehlt.
Mit Resilienz zu mehr Wohlbefinden und Entspannung
Resilienz ist die Fähigkeit des Menschen flexibel mit Stress umzugehen. Das bedeutet, wenn wir Stress – durch einen aktiven Antreiber – erkennen, kann eine starke Resilienz dabei helfen besser mit diesem Antreiber umzugehen. Dafür ist vor allem das Erkennen, das Würdigen und das Auflösen der Antreiber nützlich.
Den inneren Antreiber „Sei stark“ würdigen
Die Haltung von innerer und äußerer Stärke ist nicht durchweg negativ. Führungskräfte und Menschen mit großer Verantwortung profitieren sehr von einer solchen Einstellung. Sie sorgt für Durchsetzungsstärke und kann beruhigend auf andere wirken.
Der erste Schritt für einen flexiblen Umgang mit Stress ist es, den aktiven Antreiber zu bemerken. In welchen Situationen denken Sie eher Sätze wie:
- Gefühle sind ein Zeichen von Schwäche
- Ich darf keine Schwäche zeigen
- Ein Indianer kennt keinen Schmerz
- Nähe macht verletzlich
Der nächste Schritt ist dann, die Qualitäten des Antreibers zu würdigen.
Wofür ist das gut?
Wenn Sie den Antreiber wertschätzen, gehen Sie damit in einen guten Kontakt zu sich selbst. Sie würdigen einen Teil Ihrer Persönlichkeit und steuern so Selbstvorwürfen und Schuldzuweisungen entgegen.
Den inneren Antreiber mit Erlaubern balancieren
Erlauber funktionieren als Gegenpol zu dem aktiven Antreiber. Sie balancieren die damit verbundenen Glaubenssätze und führen zu mehr Entspannung. Im Grunde handelt es sich hierbei darum, sich die eigene Erlaubnis zu geben, den Antreiber zu deaktivieren. Diese Erlauber helfen Stress durch den Antreiber „Sei stark“ zu lösen:
- „Ich muss nicht immer stark sein“
- „Schwäche ist menschlich und nicht schädlich“
- „Ich darf Gefühle haben und auch zeigen“
- „Ich darf anderen Vertrauen“
- „Es ist ok Hilfe anzunehmen und darum zu bitten“
Auch Indianer kennen Schmerzen
Der innere Antreiber „Sei stark“ resultiert aus dem übersteigerten Wunsch nach emotionaler Sicherheit. Menschen mit dem Antreiber bauen Mauern auf, um Unsicherheit und Empfindsamkeit zu verbergen. Sie wollen sich vor Schwäche schützen, doch damit schwächen sie nur ihr eigenes Wohlbefinden und ihre Gesundheit. Immer und für jeden stark zu sein, verursacht Stress und macht über einen langen Zeitraum hinweg krank.
Gerade deshalb ist es wichtig, dem Antreiber hin und wieder nicht nachzugeben. Die Glaubenssätze sind tief in uns verankert und es braucht Übung und Zeit, sie aktiv zu lösen. Doch wenn wir unsere Antreiber kennen und regulieren können, führt das nachhaltig zu erhöhter Lebensfreude, weniger Stress und mehr Wohlbefinden. Daher der Appell an alle Supermans und Wonderwomen: Stärke in bestimmten Situationen ist gut, Gefühle zeigen jedoch auch!
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).