Enttäuschung und Resilienz

In unserem Streben nach Erfolg und Glück setzen wir oft hohe Erwartungen an uns selbst und andere. Doch was passiert, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden? Enttäuschung kann ein schmerzhafter Rückschlag sein, der uns zu Boden zu drücken scheint. Doch genau in diesem Moment liegt auch eine Chance verborgen – die Chance zur Resilienz.

Enttäuschungen sind jedoch keine Niederlagen, sondern helfen uns zur Anpassung. Sie fordern uns heraus, unsere Erwartungen und Modelle von der Welt zu überdenken und neue Wege zu finden, um mit Herausforderungen umzugehen. Indem wir lernen, flexibler zu sein und uns an Veränderungen anzupassen, können wir aus Enttäuschungen wachsen und gestärkt daraus hervorgehen.

Warum kommt es zur Enttäuschung?

Resilienz Akademie | Enttäuschung und ResilienzAuf unserem Lebensweg ist Enttäuschung oft ein unvermeidlicher Begleiter. Und Schuld daran ist die Funktionsweise unseres Gehirns. Denn unsere Art, uns in der Welt zu orientieren und meistens ohne großen Energieaufwand zu funktionieren, ist das Erstellen von Vorhersagen. Mit anderen Worten, wir generieren permanent Erwartungen. Und natürlich können diese nicht immer zu hundert Prozent mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Dann kommt es zu Ent-Täuschungen – eine Täuschung wird aufgedeckt und zeigt sich. Viele davon sind im alltäglichen Leben allerdings so unbedeutend, dass sie kaum Einfluss auf unser Gefühlsleben oder Stressempfinden haben.

Anders sieht es aus, wenn wir hohe Erwartungshaltungen an uns oder andere haben. Zum Beispiel haben Sie ein persönliches Thema mit einem engen Freund besprochen und erwarten, dass er es für sich behält. Wenn sich herausstellt, dass er das nicht getan hat, spüren Sie sicher Enttäuschung und die Beziehung zu Ihrem Freund wird belastet.

Zu Enttäuschungen kommt es, wenn es eine Diskrepanz zwischen unseren Erwartungen bzw. Vorstellungen und der tatsächlichen Situation kommt. Ein Grund dafür können unrealistische Vorstellungen oder Vorhersagen aufgrund ungenauer Informationen sein. Insbesondere dann, wenn wir uns emotional sehr stark an die Erwartung oder auch Wunschvorstellung binden, ist die Wahrscheinlichkeit einer unangenehmen Erfahrung durch Enttäuschung hoch.

Enttäuschung und unsere Reaktionen darauf

Im Folgenden befassen wir uns genauer damit, wie wir auf Enttäuschungen reagieren. Damit legen wir auch die Basis, wie Sie in Zukunft resilient mit Enttäuschungen umgehen können.

Wenn wir enttäuscht werden

In der Forschung werden die beiden emotionalen Zustände Enttäuschung und Bedauern häufig miteinander in Verbindung gebracht. Denn beide sind eine Reaktion darauf, wenn eine Situation sich nicht so entwickelt, wie gewünscht oder vorgestellt. Beide beziehen sich auf den Gedanken: „Was hätte sein können, wenn die Dinge anders gelaufen wären“. Dabei unterscheiden sie sich auch sehr stakt voneinander. Enttäuschung wird in den meisten Fällen weniger intensiv empfunden als Bedauern und bezieht sich dabei nicht ausschließlich auf das eigene Verhalten. Bedauern kann über eine lange Zeit anhalten und empfinden wir vor allem dann, wenn wir uns einen Selbstvorwurf bezogen auf das eigene Handeln machen (Zeelenberg, Van Dijk, SR Manstead, & der Pligt, 1998).

Wenn es darum geht, wie wir mit Enttäuschungen umgehen, müssen wir zwei Fälle voneinander unterscheiden. Zum einen gibt es da die einzelnen Enttäuschungen, die uns im alltäglichen Leben immer wieder begegnen. In dem Fall fällt es uns in der Regel leichter, die Enttäuschung zu verarbeiten oder auch zu verdrängen und einfach weiterzumachen. Hierbei zeigt sich nur wenig Einfluss auf unsere Fähigkeit zu vertrauen oder unser Stressempfinden.

Die Emotion, die sich in solchen Fällen am häufigsten zeigt, ist Trauer. Trauer als Hüterin unserer Werterinnerung, wie Sie beispielsweise in der Fortbildung Emotionale Resilienz ausführlich lernen werden, gibt uns das Zeichen, von der Vorstellung loszulassen. Es ist anders gekommen, als wir erwartet oder als wir es uns gewünscht haben, und diesen Verlust der imaginierten Zukunft betrauern wir. Wie gesagt, im Alltag kann das ein sehr schneller und nicht allzu intensiver Prozess sein – im Vergleich zu Bedauern, was ebenfalls mit Trauer zusammenhängt.

Wenn wir jedoch ständig enttäuscht werden, bzw. unsere Erwartungen konsequent nicht mit der Realität übereinstimmen, steigt der Stress und wir verlieren das Vertrauen in andere oder in uns selbst. Dieses Gefühl kennen wir insbesondere in Krisen. Denn eine Krise zeichnet sich dadurch aus, dass unsere normalen Muster des Gelingens nicht mehr funktionieren, wir vor einem unlösbaren Problem stehen und unsere Vorhersagen nicht mehr stimmen. Resilienz bedeutet in dem Zusammenhang, einen guten Umgang mit Enttäuschungen zu finden, um nicht von der Trauer in die Resignation zu kommen. Resilienz ist die Fähigkeit, nicht in der Hilflosigkeit zu verharren, sondern selbstwirksam zu agieren – auch in der Krise.

Wenn wir enttäuschen

„Ich bin nicht wütend, ich bin enttäuscht“ – kennen Sie diesen Satz? Besonders aus dem Mund der eigenen Eltern kann so ein Spruch einen ganz schön hart treffen. Denn Enttäuschung führt nicht nur zu einem unangenehmen Erleben, wenn wir die enttäuschte Partei sind, sondern (oder besonders) dann, wenn wir jemand anderen als uns selbst enttäuschen.

Eine niederländische Studie untersuchte in Verhandlungssituationen den Unterschied von einem Ausdruck von Wut zu einem Ausdruck von Enttäuschung (Lelieveld, van Dijk, van Beest, & van Kleef, 2011). Die Forschenden fanden dabei heraus, dass es bei einem Wutausdruck eine Rolle spielte, in welcher Machtposition sich der Ausdrückende befand. Drückte der Höhergestellte Wut aus, so löste das beim Gegenüber Angst aus. Wenn dagegen dem Höhergestellten gegenüber Wut ausgedrückt wurde, rief dies ebenfalls Wut hervor. Bei dem Ausdruck von Enttäuschung war die Machtposition egal, in beiden Situationen rief der Ausdruck von Enttäuschung Schuld hervor. Die enttäuschte Partei war daraufhin zu mehr Verhandlung bereit, im Gegensatz zu der Wut-Gruppe.

Das Fazit, das die Forschenden daraus zogen, war, dass es in der Kommunikation hilfreich sein kann, eher Enttäuschung statt Wut auszudrücken, um den Gegenüber milder zu stimmen und Verhandlungen oder Problemlösen besser möglich zu machen.

Wie können wir resilient mit Enttäuschungen umgehen?

Im Kern geht es bei einem resilienten Umgang mit Enttäuschungen darum, die Selbstwirksamkeit zu bewahren, um ein gesundes Maß an Erwartungserfüllung möglich zu machen. Dazu lohnt es sich, sich mit den folgenden drei Resilienzdieben auseinanderzusetzen.

Schuld als Resilienzdieb

Resilienz Akademie | Enttäuschung und ResilienzSchuld kommt, wie eben beschrieben, meist dann auf, wenn wir jemand anderen enttäuschen. Das ist ein Resilienzdieb in Form einer Emotion, die uns im Grunde genommen helfen will. Zwar zählt sie zu den unangenehmen Emotionen, doch wir können diesen Resilienzdieb auch als Hüterin des Ausgleichs verstehen. Manchmal ist es uns nicht möglich, die Erwartungen anderer zu erfüllen. Das kann dazu führen, dass wir einen Wert bei unserem Gegenüber verletzen. Die Aufgabe von Schuld ist es, das Verhältnis dann wieder gut zu machen.

Wenn wir also noch einmal zu dem Beispiel mit dem Freund oben kommen: Wenn der Freund sich schuldig fühlt, wird er Annäherungssignale zeigen, sodass Sie ihm leichter verzeihen können. In dem Fall sorgt Schuld durch die Handlungsmotivation zum Ausgleich für Selbstwirksamkeit.

Sie blockiert allerdings unsere Resilienz, wenn sich die Annäherungsmotivation in einer aggressiven Art und Weise gegen uns selbst richtet. Wir sprechen dann von Gewissensbissen, die uns lähmen können, in den Ausgleich zu gehen. Das tritt insbesondere dann auf, wenn wir nicht nur den Wert einer anderen Person, sondern auch einen unserer gleich mit verletzen.

Um Schuld zum Resilienzschenker zu machen, braucht es zum einen die Selbstreflexion. Denn nur, wenn wir uns über die Ursachen und Auswirkungen unserer Handlungen bewusst sind, können wir für die Zukunft lernen. Ein Perspektivwechsel kann dabei hilfreich sein, die Situation objektiver zu betrachten und sich von den eigenen Schuldgefühlen zu distanzieren. Und zum anderen braucht es im Sinne der seelischen Resilienz Vergebung. Wenn wir uns selbst vergeben, verringern wir die Angriffsenergie und können in die Selbstwirksamkeit kommen, indem wir das Thema innerlich abschließen.

Selbstvorwurf als Resilienzdieb

Resilienz Akademie | Enttäuschung und ResilienzDieser Resilienzdieb tritt dann auf, wenn wir uns selbst enttäuschen. Für einen Selbstvorwurf braucht es einen Teil in uns, der den Vorwurf macht und einer, dem der Vorwurf gemacht wird. Anders ausgedrückt: Es ist ein innerer Konflikt. Und diesem Konflikt wohnt sowohl eine Annäherungs- als auch eine Vermeidungsmotivation inne.

Die Emotion des vorgeworfenen Anteils ist Scham. Scham dient im Kern als Hüterin des Selbstwertschutzes, und wird von einer Vermeidungsmotivation gekennzeichnet. Wir stoßen unser eigenes Selbst ab. Auch hier greifen ähnliche Mechanismen wie bei Schuld. Denn derjenige, den wir hier enttäuschen, sind wir selbst, was unseren Selbstwert bedroht. Um diesen Fall zu lösen und uns unsere Resilienz nicht selbst zu stehlen, braucht es Vergebung und Selbstmitgefühl – die Impathie.

Die Emotion des vorwerfenden Anteils ist Ärger. Ärger ist der Hüter unserer Werte und zeigt Ihnen in diesem Fall der Enttäuschung an, dass Sie selbst einen wichtigen Wert verletzen oder missachten. Es handelt sich also um einen selbstreferenziellen Ärger, bei dem so Sätze kommen wie: „Mann, warum hab ich das gemacht, ich bin so blöd!“ Das Perfide an der Zwickmühle ist, dass wir uns durch den Ärger gleichzeitig zum Täter und zum Opfer machen. Und das entzieht uns die Selbstwirksamkeit und damit die Resilienz. Um auch diesen Anteil vom Dieb zum Schenker zu machen, braucht es zum einen ein Klarwerden der eigenen Werte und zum anderen die Eigenverantwortung. Wir müssen die Verantwortung dafür übernehmen, dass wir uns in unseren Zielen selbst im Weg stehen oder unsere Werte nicht berücksichtigen.

Nur dann können wir es besser machen und dafür sorgen, dass die Enttäuschung uns nicht in die Resignation bringt, sondern für eine angenehmere Zukunft anspornt.

Erwartungshaltung als Resilienzdieb

Resilienz Akademie | Enttäuschung und ResilienzDer letzte Resilienzdieb könnte auch als die Wurzel des Übels verstanden werden. Denn es sind unsere Erwartungen, die erst Enttäuschungen möglich machen. Die Lösung kann aber nicht sein, gar keine Erwartungen mehr zu haben. Denn das würde unser Gehirn überhaupt nicht hinbekommen, egal wie sehr wir es auch versuchen.

Was uns allerdings gelingen kann, um einen guten Umgang mit unserer Erwartungshaltung zu finden und Enttäuschungen weniger unangenehm zu machen, ist das Bewusstmachen. Gehen Sie in Kontakt mit Ihren Erwartungen und machen sich gleichzeitig bewusst, dass diese erzeugte Zukunft nicht zutreffen muss.

Zusätzlich können wir unsere Erwartungshaltung zum Resilienzschenker machen, indem wir sie kommunizieren. Niemand kann Ihnen in den Kopf gucken, um Ihre Erwartungen zu erfüllen. Deshalb geben Sie Ihren Mitmenschen eine Chance der Erwartungserfüllung, indem Sie ganz klar, und möglichst wertschätzend, Ihre bewusst gemachten Erwartungen mitteilen.

Von der Enttäuschung zur Resilienz

Genauso wie Enttäuschung Teil unseres Lebens ist, ist auch das Lernen aus ihr Teil davon. Das bedeutet, Enttäuschungen können paradoxerweise ein Katalysator für die Stärkung unserer Resilienz sein. Sie zwingen uns dazu, unsere Erwartungen anzupassen und uns auf unerwartete Veränderungen einzustellen. Diese Fähigkeit zur Akzeptanz von Veränderungen ist ein wesentlicher Bestandteil der Resilienz.

Schließlich fördern Enttäuschungen sie die Anpassungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit. Sie drängen uns dazu, unsere Perspektive zu ändern und neue Wege zu finden, um mit Schwierigkeiten umzugehen. Auf diese Weise stärken sie unsere Fähigkeit, mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen und machen uns insgesamt widerstandsfähiger und flexibler im Umgang mit Problemen, Stress und Krisen.

Quellen:

Lelieveld, G.-J., van Dijk, E., van Beest, I., & van Kleef, G. A. (2011). I’m Not Angry with You, I’m Disappointed: The Effects of Reciprocal and Complementary Emotions Evoked by Anger and Disappointment in Negotiations. Paper presented at the IACM 24th Annual Conference Paper.

Zeelenberg, M., Van Dijk, W. W., SR Manstead, A., & der Pligt, J. (1998). The experience of regret and disappointment. Cognition & Emotion, 12(2), 221-230.

Bildquellen:

www.Depositphotos.com: soap bubble @ magann

Zeichnungen: Dylan Sara

Resilienz Akademie | Enttäuschung und ResilienzRebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.

 


Resilienz Akademie | Enttäuschung und Resilienz

Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Moderator des Podcasts „Rethinking Resilience“ (www.Rethinking-Resilience.com) und Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 200 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de).

 

1 Kommentar zu „Enttäuschung und Resilienz“

  1. Gisela Perren-Klingler

    Danke dafür, dass Sie neben der „Schuld“ (ein religiöses und juristisches Konzept) die Scham eingeführt haben;
    Als PSNV (psycho-soziale Notfallversorgung) – Akteurin ist mir dies ein Anliegen; besonders bei Helfern – aber auch z.B. bei Gefolterten tritt immer wieder „Schuld“ auf- meistens in Verbindung mit Omnipotenzansprüchen. Sich dann mit „Schuld“ zu befassen – ist ein Unternehmen, bei dem beide Teile scheitern- hingegen wenn wir die dahinter liegenden Emotionen, wie Scham, Wut, Trauer (und die dabei verletzten Werte) erarbeiten, kann man „Schuld“ sehr potent reframen.

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