Arbeit – gestern und heute
Der Begriff Arbeit hat sich über Jahrhunderte entwickelt und begegnet uns immer und überall. Dennoch ist uns nicht bewusst, was für eine Bedeutung sich hinter dem Wort verbirgt, dass so unverdächtig alltäglich daherkommt. Es ist normal: morgens zu einer bestimmten Zeit aufstehen, sich durch den Berufsverkehr quälen, erschöpft auf den Schreibtischstuhl fallen lassen, unzählige E-Mails verschicken, Ideen krampfhaft in Konzepte fassen, einschläfernden Reden zuhören oder Mitarbeiter für ihre Unpünktlichkeit zur Rede stellen. Jeden Tag. Wir tun das, ohne zu hinterfragen. Dabei ist es fast schon ehrfurchtgebietend, wie sehr sich Arbeit gewandelt hat.
Für unsere Vorfahren in der Stein- und Metallzeit war Arbeit existenzieller Lebensmittelpunkt und eng verbunden mit Familie, Kindern und dem Zuhause. Sie stillte den Hunger, hielt bei Kälte warm, verteidigte gegen Angreifer, zog die Kinder groß und bestellte das Feld. Jagd, Tierzucht, Hausbau, Herstellung von Bekleidung, Waffen und Geräten waren integrativer Lebensbestandteil. Es gab keinen Begriff, der diese vielfältigen Tätigkeiten des Lebens einheitlich umschrieb.
Zeit einen Schritt zurück zu treten und sich die Entwicklung der Wortbedeutung einmal anzuschauen.
Arbeit und seine ursprüngliche Bedeutung
Der Ursprung des Wortes Arbeit kommt aus dem Germanischen. Wurzeln des Begriffs „arebeit“ sind sowohl das Subjekt „arba“, was Knecht bedeutete, als auch das Verb „arbejo“ (= verwaistes und daher zur selbstständigen Beschaffung lebensnotwendiger Dinge gezwungenes Kind). Aus „arbejo“ entwickelte sich das germanische „arbejidiz“ (= Mühsal, Not) und daraus wiederum das im Mittelalter verwendete althochdeutsche „arbeit“, „arabeit“, „arebeit“. Das Wort wurde ganz allgemein für eine mühselige Tätigkeit verwendet und nicht für Arbeit im heutigen Sinne. Beispiel: Einen steilen Felsen hinauf zu klettern war „arbejidiz“.
Fundierte Hinweise auf die Verwendung des Begriffs Arbeit aus heutiger Sicht lassen sich erst in Schriften des Mittelalters finden. Zu der Zeit sicherten immer weniger Tätigkeiten direkt den eigenen Lebensunterhalt, sondern entleerten sich ihres ursprünglichen Sinnes: Handwerker bauten die Häuser anderer, Leibeigene bewirtschafteten das Feld für Großgrundbesitzer, Totengräber begruben Fremde. Die Menschen bekamen im Tausch für ihre Tätigkeit Güter oder Geld. Der althochdeutsche Begriff „arebeit“ – Ausdruck für Mühsal, Plage, Leid, Erdulden und passiv Erlittenes – wurde für diese entfremdeten Arbeiten verwendet.
Der Aspekt der Passivität verlor sich allerdings im Laufe der weiteren Entwicklung. Dennoch galt „arebeit“ auch im Mittelhochdeutschen vorrangig als mühselige, unwürdige Verrichtung zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts wird der Begriff „Arbeit“ in seiner heutigen Form verwendet.
Lexika konfrontieren uns mit zahlreichen Synonymen, die unser gegenwärtiges Verständnis des Wortes Arbeit offen legen: buckeln, malochen, abmühen, rödeln, plagen, strapazieren, ackern, ranklotzen, schuften, schinden und funktionieren. Und deutsche Sprichwörter betonen leichtfertig das Mühsal der Arbeit: „Was man gerne tut, ist keine Arbeit“, „Wer die Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt“, „Das ist eine „Schweinearbeit“ und „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“.
Was Arbeit heute für uns bedeutet
Arbeit ist aufreibend, ermüdend, lästig, einschränkend, mühsam. Doch nicht nur das: Wir kämpfen auch darum, dass es so bleibt. Denn an dem Grad der Anstrengung messen wir unsere Selbstwirksamkeit. „Je schwerer der Kampf, desto ehrenvoller der Triumph. Was wir zu mühelos erhalten, sehen wir als zu gering an: Erst der hohe Preis gibt jedem Ding seinen Wert.“ (Thomas Paine, amerikanischer Handwerker, Lehrer, Politiker, Zollbeamter und Publizist). Je anstrengender etwas ist, umso größer ist unser Selbstwirksamkeitsgefühl – das Gefühl, etwas bewegt zu haben, auch wenn es anstrengend war.
Wir müssen also umdenken. In das Verständnis von Arbeit, das durch seinen düsteren Ursprung immer noch negativ gefärbt ist, lassen sich Selbstentfaltung, Weiterentwicklung und Bedürfnisbefriedigung nicht integrieren. Eine neue Bedeutung, ein neues Wort, eine neue Auffassung müssen her. Doch bei der Suche nach einem positiven Begriff für Arbeit stößt man bei Google, Lycos und Co. auf das ernüchternde Ergebnis: „Not found“. Verständlich, dass wir beharrlich wie Schatzhüter versuchen, den Feind Arbeit vom Heiligtum Leben fern zu halten.
Gute Arbeit – eine Vision
Große Persönlichkeiten wie Johann Wolfgang von Goethe, Leo Tolstoi, Voltaire, Helmut Schmidt und Karl Lagerfeld haben schon lange erkannt, dass wir Arbeit lieben müssen, um sie gut zu machen, dass Arbeit glücklich und kreativ macht, wenn sie ausfüllend ist, man Freiräume hat und Tun und Ruhen im Gleichgewicht sind. Diese Menschen haben die Courage, entgegen gesellschaftlich akzeptierter Normen ihren Tagesrhythmus zu strukturieren und sich individuell passende Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Der Autor Tom Robbins verbringt täglich drei Stunden am Schreibtisch, um an seinen Büchern zu arbeiten. Beethoven war dafür bekannt, seine Arbeitszeit mit Joggingrunden im Freien und einfachem Herumwandern regelmäßig zu unterbrechen – „während der Bewegung arbeiten“ nannte er selbst diese Tätigkeit. Churchill stand morgens recht spät auf und arbeitete niemals zwischen Mittag und 23 Uhr nachts. Viel lieber verbrachte er seine Zeit mit Malerei, Fische füttern und Karten spielen. Seine Philosophie: Unser Kopf braucht mehr Abwechslung als Pausen. Dostojewski benötigte für seinen schriftstellerischen Schöpfungsprozess vor allem Ruhe: „Einsamkeit und Faulheit liebkosen die Fantasie.“
Gandhi war Frühaufsteher. Nachmittags favorisierte er Laufen, lange Bäder und Massagen. Manchmal starrte er auch einfach gedankenversunken zum Horizont. Nietzsche machte sich Notizen während er spazieren ging – in Bewegung kamen ihm die besten Ideen. „Wer von seinem Tag nicht zwei Drittel für sich hat, ist ein Sklave“, fand der Philosoph. Einstein gönnte sich täglich zwölf Stunden Schlaf und Goethe formulierte es ökonomisch: „Unbedingte Tätigkeit macht zuletzt bankrott.“
Diese Menschen haben herausgefunden, welche Art zu arbeiten am besten zu ihnen passt, wie sie ihre Kreativität und ihr Leistungspotenzial am sinnvollsten ausschöpfen können, ohne an Lebensqualität einbüßen zu müssen. Sie wissen, dass Phasen des selbstbestimmten Müßiggangs notwendige Voraussetzung für Kreativität und Produktivität sind. Sie stehen nicht mehr alleine da, denn es weht ein leiser Wind der Veränderung durch unsere Gesellschaft. Ein Wind, der die Spannung zwischen persönlichen Bedürfnissen und Arbeitszwang nach und nach auflöst. Wir wollen mitfliegen. Von oben können wir sehen, dass es hinter dem Horizont weiter geht, die Perspektive ändert sich. Wir wollen mehr.
Arbeit attraktiver machen – organisationale Resilienz
Deutschland braucht qualifizierte Arbeitskräfte? Die Generation der Babyboomer geht langsam in Rente, die Geburtenflaute bleibt, die neue Generation Y und die sogenannten High Potentials sind anspruchsvoll und Deutschland wird als Einwanderungsland für gut ausgebildete Fachkräfte immer unattraktiver. Der War of Talents ist für viele Unternehmen gelebte Realität.
Arbeitgeber müssen sich zunehmend etwas einfallen lassen, wenn sie die besten Köpfe für sich gewinnen und halten wollen. Die klassischen Incentives wie kostenloses Obst und Getränke am Arbeitsplatz, ein Fitnessstudio im Unternehmen, ein firmeninterner Kindergarten, Gleitzeit und Firmenhandy sind notwendig, reichen allerdings längst nicht mehr aus, um attraktiv zu sein. Eine umfangreiche Studie von 2008 bestätigt, dass deutsche Mitarbeiter vor allem eins wollen: mehr Flexibilität (75). Die Studie spiegelt einen Trend wieder, den Unternehmensberater Martin Brübach auch bei seinen Studenten in Deutschland, Österreich und der Schweiz gefunden hat: Junge Menschen wünschen sich Flexibilität – sowohl bei der Arbeitszeit als auch beim Arbeitsort.
Sie wollen mehr Zeit für private Dinge, eine individuelle Bestimmung über ihren Arbeitsrhythmus, Working from home und Homing from Work. Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem halten bei den Nachwuchskräften nicht mehr stand. Der Gefahr der permanenten Abrufbereitschaft begegnen sie, in dem sie keine Scheu haben, das Handy auch mal auszustellen und die E-Mails nicht abzurufen. Doch trotz aller Freiheitswünsche erhoffen sie sich einen festen, persönlichen Arbeitsplatz, an dem sie Wertschätzung für ihre Leistungen erfahren, interagieren und kreativ mit anderen zusammen arbeiten können. Die nächste Generation gibt die Richtung vor, in die es zukünftig gehen wird!
Eine friedliche Lösung, diesen krieg um Talente zu gewinnen, ist organisationale Resilienz. Das Wohlbefinden von Mitarbeitenden steht an oberster Stelle. Denn nur so stärken Unternehmen gleichzeitig die Mitarbeiterbindung, die Leistungsbereitschaft und dauerhaft auch das Überleben des Unternehmens. Gesundes arbeiten ist die grundlegende Prämisse für produktives Arbeiten. Wie kann gesundes Arbeiten aussehen, wenn Obst und Wasser nicht ausreicht? Resilienz im Unternehmen, sprich das mentale Immunsystem eines jeden Einzelnen von der Aushilfe bis zur Chefetage, die resiliente Zusammenarbeit in Teams und die Widerstandskraft der gesamten Organisation gegen Widrigkeiten – zeichnen gesundes und zeitgemäßes Arbeiten aus.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).