Musik ertönt, wir sehen einen leuchtenden Stern am Himmel, gleiten über einen Fluss hin zu einem Märchenschloss, über dem ein Feuerwerk erstrahlt – und am Ende erscheint der Schriftzug „Walt Disney“. Das ist der Moment, in dem für mich Magie beginnt. Die Magie von atemberaubenden, berührenden, lustigen und zauberhaften Geschichten. Disney feiert dieses Jahr 100-jähriges Jubiläum und anlässlich dazu wollen wir einen Blick darauf werfen, wie diese Geschichten uns Resilienz lehren und Ressourcen stärken können. Hier schauen wir gezielt auf den Disneyfilm „Coco – Lebendiger als das Leben“ (2017).
Warum wir aus Disneyfilmen lernen können
Der Mensch ist ein erzählendes Wesen. Und was einst mit Höhlenmalerei begann, zeigt sich heute als animierte Filme. Dabei erfüllen Geschichten, seien sie nun gezeichnet, geschrieben oder verfilmt, weitaus mehr Funktionen als nur Unterhaltung. Sie können uns lehren, mit dem Leben besser umzugehen, indem wir uns ein Beispiel an den Figuren nehmen, uns in ihnen wiederfinden und so auch Verhaltensweisen übernehmen und anpassen können.
Dieses Prinzip nennt Albert Bandura „Modelllernen“ oder auch „beobachtendes Lernen“ (Bandura, 1986). Selbst wenn wir uns nicht voll und ganz mit den fiktiven Figuren identifizieren können, so resoniert oft doch eine Seite in uns oder ein bestimmter Anteil mit Aspekten, die wir im Film sehen. Und das muss nichtmal offensichtlich passieren.
Um den Lerneffekt aber zu verstärken, und Ihnen die Möglichkeit zu geben, gezielt bestimmte Resilienz fördernde Aspekte eher in den Vordergrund zu stellen, schauen wir hier auf den Disneyfilm „Coco – Lebendiger als das Leben“.
Was hat „Coco“ mit Resilienz zu tun?
Eine Einladung vorweg: Wenn Sie den Film noch nicht kennen und Geschichten gerne unbeeinflusst genießen, sollten Sie diesen Text erst lesen, wenn Sie den Film geschaut haben.
Die Handlung von „Coco“ in Kurz
Der junge Miguel Rivera lebt mit seiner Schuhmacher-Familie in einem mexikanischen Dorf und träumt davon, Musiker zu werden, genau wie sein Idol Ernesto de la Cruz. Es gibt jedoch ein Problem: Miguels Familie hat Musik verbannt, weil sie glauben, dass sie von Miguels Ururgroßvater verlassen wurden, als er seinen musikalischen Träumen nachging.
Am Dia de los Muertos (Tag der Toten) will Miguel allerdings seinen Traum nachgehen und an einem Talentwettbewerb teilzunehmen und nimmt dafür heimlich die Gitarre von de la Cruz, den er für seinen Ururgroßvater hält, aus dessen Mausoleum. Dies verflucht ihn und befördert ihn ins Reich der Toten. Hier trifft er auf seine verstorbenen Verwandten, die ihm helfen wollen, zurückzukehren. Dafür braucht er den Segen seiner Familie, der aber an die Bedingung geknüpft ist, dass Miguel seine Musik aufgeben muss. Das lässt Miguel nicht zu und trifft auf der Flucht vor seiner Familie auf den charmanten Toten namens Hector, der verzweifelt versucht, das Reich der Lebenden zu besuchen, um ein letztes Mal seine Tochter zu sehen. Die beiden beschließen sich gegenseitig zu helfen und versuchen, Ernesto de la Cruz zu finden, in der Hoffnung, Miguels Fluch zu brechen.
Im Laufe seines Abenteuers erfährt Miguel, dass nicht de la Cruz sondern Hector sein Ururgroßvater ist und von de la Cruz betrogen und ermordet wurde, damit dieser Hectors Lieder stehlen konnte. Mit der Hilfe seiner Ahnen und Hector konfrontiert Miguel de la Cruz und offenbart die Wahrheit über ihn.
Am Ende kehrt Miguel zurück in die Welt der Lebenden und spielt für seine betagte Urgroßmutter Coco (Hectors Tochter) ein Lied, das Hector für sie geschrieben hatte. Dieses Lied hilft Coco, sich an ihren Vater zu erinnern und bewahrt Hectors Erinnerung vor dem Vergessen. Und so schafft Miguel es auch, dass seine ganze Familie Musik wieder in ihr Leben lässt.
Resilienz-Themen in „Coco“
Schauen wir nun auf jene Themen, die Coco bezüglich Resilienz vermittelt.
Grit
Grit ist ein Begriff nach Angela Duckworth, die damit die Fähigkeit beschreibt, dass wir mit Beharrlichkeit und Leidenschaft an unseren Langzeitzielen dranbleiben (Duckworth, Peterson, Matthews, & Kelly, 2007). Dieses Thema ist besonders vorherrschend, schließlich ist es Miguels Grit, der die Handlung vorantreibt.
Wir sehen als Zuschauende, dass der kleine Junge entgegen seiner Familie Gitarre lernt und die Musik seines großen Idols Ernesto de la Cruz hört. Er beschließt aber, dass er seinen Traum nie wird erfüllen können, wenn er nur heimlich musiziert. Und so folgt er dem Credo seines Idols: „Nutze deinen Augenblick“. Sogar im Angesicht des drohenden Todes gibt Miguel seinen Traum nicht auf und sucht einen Weg, ins Land der Lebenden zurückzukehren und gleichzeitig Musiker sein zu können.
Wir erleben nicht nur mit, welche Herausforderungen Miguel auf dem Weg zu seinem Ziel begegnen, sondern erleben auch seine Erfolgserlebnisse mit, zum Beispiel wie er mit seiner Musik große Begeisterung beim Talentwettbewerb der Toten auslöst. Dabei war es für Miguel nicht selbstverständlich auf die Bühne zu gehen, aber er zeigt Mut: „Wenn ich nicht rausgehen und einen Song spielen kann, wie kann ich mich dann Musiker nennen?“ – Und bekommt die Unterstützung von Hector.
Gerade in unserem Alltag fällt es uns schwer, an unseren Zielen dranzubleiben, gerade weil es viele kleine Schritte auf dem Weg zum Erfolg sind und einige davon uns auch Angst machen. Aber wenn wir sehen, wie ein kleiner Junge die Beharrlichkeit zeigt und wir die Freude beim Ausleben des Traumes sehen, kann uns das inspirieren und motivieren.
Zudem sehen wir auch die Schattenseite von Grit, nämlich die Skrupellosigkeit auf dem Weg seine Ziele zu Erreichen. Ernesto de la Cruz zeigt als Figur, dass auch Grit Grenzen haben muss. Sonst gehen wir buchstäblich über Leichen, um an unser Ziel zu gelangen.
Bindung und Familie
Das zweite Hauptthema in Coco ist das Thema Familie. Schließlich wird das Familienleben als Gegenpol zum Musikerdasein dargestellt. Miguels Ururgroßmutter Imelda formuliert es so, dass sie auch Musik geliebt habe, aber als ihre Tochter Coco geboren wurde, gab es etwas Wichtigeres, als diesen Traum zu verfolgen. Wir sehen, dass es letztendlich auch Hectors innigster Wunsch war, nicht weiter Musik zu machen, sondern zu seiner Familie zurückzukehren.
Wir sehen als Zuschauende, dass es eigentlich nur Verständnis und Respekt auf beiden Seiten bräuchte. Miguel wünscht sich nichts sehnlicher, als dass seine Familie seinen Traum nicht unterbindet und ihm nur einmal zuhören würde. Seine Familie, insbesondere seine Großmutter allerdings wünscht sich nichts mehr, als dass Miguel die Tradition seiner Familie ehrt.
Zum Ende des Films sehen wir, wie diese Einsicht auf beiden Seiten entsteht. Miguel ist bereit seinen Traum aufzugeben, nur um seinen Ururgroßvater Hector vor dem „Letzten Tod“ zu bewahren und die Erinnerung an ihn aufrecht zu erhalten. Auf der anderen Seite stellt Imelda nicht mehr die Bedingung, dass Miguel keine Musik mehr machen soll. Stattdessen sagt sie, Miguel solle nie mehr vergessen, wie sehr ihn seine Familie liebt. Die grundlegende Nachricht, die für uns dahintersteht, ist, dass nicht wichtiger und wertvoller für uns ist, als die Familie.
So überrascht es wahrscheinlich auch nicht, dass soziale Unterstützung als einer der wichtigsten Resilienzfaktoren in der Forschung behandelt wird. Wie aber oben schon beschrieben, muss es nicht immer die Familie sein, die diese Unterstützung gibt, schließlich wussten Miguel und Hector zur Zeit des Talentwettbewerbs noch nichts von der Verwandtschaft.
Vergebung und Akzeptanz
Diese beiden Faktoren hängen eng mit dem übergeordneten Familienthema zusammen. Denn Miguels Problem, dass seine Familie seinen Traum nicht unterstützen kann, beruht auf der tiefen Verletzung von Imelda, die glaubte ihr Mann habe sie und ihr gemeinsames Kind Coco für die Musik verlassen zu haben. Imelda sagt selbst, die Tatsache, dass Hector zurückkommen wollte und dafür von seinem vermeintlichen Freund de la Cruz umgebracht wurde, ändert nichts daran, dass sie ihm nicht vergeben könne.
Miguel zeigt in dem Zusammenhang, dass er gelernt hat, wie wichtig Familie ist: „Du musst ihm nicht vergeben, aber wir sollten ihn nicht vergessen“. Vergebung ist ein seelischer Resilienzfaktor, der nicht so leicht umzusetzen ist, wir der Film darstellt. Denn es ist eine tiefe Wunde entstanden, die vor allem eines braucht: Zeit. So sehen wir nach dem einjährigen Zeitsprung, dass es Imelda sehr wohl gelungen ist, der Liebe ihres Lebens Hector zu verzeihen und sie schließen gemeinsam ihre Tochter Coco in die Arme, die am Ende des Films im Reich der Toten ‚weiterlebt‘.
Veränderungen gehören zum Leben (und anscheinend auch zum Tod) dazu. Wir sehen allerdings, wenn wir diese Veränderungen nicht akzeptieren können, hinterlassen sie Spuren, die sich noch auf Generationen nach uns auswirken können. Akzeptanz, eine Annahme, dessen was ist, hätte vielleicht dazu geführt, dass Musik weiterhin ein Teil der Rivera Familie bleiben konnte. Besonders Dinge, die wir nicht ändern können, wie das Verlassen eines Partners, können schwer sein zu akzeptieren. Doch wir können es im Rahmen von Resilienzförderung lernen und so Stress reduzieren oder tiefe seelische Wunden so gut es eben möglich ist heilen.
Umgang mit dem Tod
Einen letzten Punkt, den wir hier aufführen möchten, ist der Umgang mit dem Tod. Der Film zeigt auf wunderbare Art und Weise, und insbesondere für Kinder schön, dass wir keine Angst vor dem Tod haben müssen. In der mexikanischen Kultur wird der Tod als natürliche Phase im langen Kontinuum des Lebens gesehen. Und das wird am Dia de los Muertos gefeiert. Die Ofrenda als Schrein der Erinnerung zeigt, dass die Toten weiterhin Teil der Familie sind, und durch die Erinnerung eine Brücke zum Leben besteht.
Genau das wird im Film auch gezeigt, tote Familienmitglieder haben weiterhin Teil am Familienleben ihrer Verwandten und obwohl die Lebenden die Toten nicht sehen können, heißen Sie diese ihn ihrem Zuhause herzlich mit Geschenken, Speis und Trank willkommen. Ich finde, für einen Umgang mit der letzten Lebenskrise, dem Tod, ist es ein schönes Bild zu wissen, dass der Tod nicht das Ende, sondern ein Teil des Lebens ist.
Auch der Umgang mit dem „letzten Tod“, wie Hector das endgültige Verschwinden aus dem Reich der Toten nennt, wird insbesondere für Kinder schön dargestellt. Wir sehen das alte Skelett Chicharrón, das aus der Welt verschwindet, da es keine lebende Person mehr gibt, die sich an ihn erinnert. Doch das Skelett scheint das zu akzeptieren. Es wünscht sich ein letztes Mal ein humorvolles Lied zu hören und verschwindet dann friedlich.
Hector erklärt Miguel, und stellvertretend damit allen zuschauenden Kindern, dass niemand weiß, wo wir nach diesem letzten Tod hingehen. Doch wenn der erste Tod schon in eine farbenfrohe, riesige Stadt voller Freude führt, kann der zweite Tod auch nicht so schlimm sein, oder? Sich mit solchen unangenehmen Themen zu befassen, stärkt die Resilienz, da wir – und so schließt sich ein Kreis – einen unveränderbaren Teil des Lebens akzeptieren.
Wozu „Coco“ uns ermutigt
Ist es nicht erstaunlich, dass die Person, nach der der Film benannt ist, so gut wie nichts sagt? Und das wahrscheinlich, weil Coco schon die Aspekte integriert hat, die Ihre Familie durch Miguels Abenteuer erst noch lernt. Wir sehen nicht, wie sie Musik hasst oder ihren Vater aktiv aus ihren Erinnerungen verbannt. Tatsächlich zeigt sie ihrem Urenkel die Briefe, die sie aufgehoben hat und genießt die Musik, die Miguel ihr vorspielt.
Coco hat akzeptiert was ist und vergeben. Sie ehrt ihre Familie und lässt Miguel seinen Traum vom Musikerdasein leben. So ist sie nicht nur der Schlüssel zu Hectors Rettung, sie verkörpert die Lösung der Familienkonflikte.
Insgesamt zeigt der Film „Coco“, dass Resilienz oft aus einer Kombination von Selbstvertrauen, Anpassungsfähigkeit, Unterstützung von anderen und der Fähigkeit, aus der Vergangenheit zu lernen, entsteht. Der Film ist eine wunderbare Erinnerung daran, wie wichtig es ist, unseren Wurzeln treu zu bleiben, während wir uns den Herausforderungen des Lebens stellen. Mal ganz abgesehen von den eindrucksvollen Bildern und der bewegenden Musik ;)
Quellen
Unkrich, L. (Regisseur). (2017). Coco [Film]. Pixar Animation Studios; Walt Disney Pictures.
Bandura, A. (1986). Social foundations of thought and action: A social cognitive theory. NY: Prentice-hall.
Duckworth, A. L., Peterson, C., Matthews, M. D., & Kelly, D. R. (2007). Grit: perseverance and passion for long-term goals. Journal of personality and social psychology, 92(6), 1087-1101.
Bildquellen:
- Depositphotos.com: Dia de los muertos mexikanisches Festtagsbanner @ Seamartini, Tag der Toten @ kobbydogan
- Midjourney
Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 200 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de).