Was ist Selbstwirksamkeitserwartung?
Das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung stammt aus der sozial-kognitiven Theorie nach Bandura. Dabei beschreibt dieser Schutzfaktor die eigenen Erwartungen, Anforderungen und Hindernisse mit den vorhandenen Ressourcen selbst zu bewältigen. Es geht also um eine positive Einschätzung Krisensituationen selbstbestimmt zu meistern – und dies gilt für alle Lebensbereiche.
Oft gibt es auch die Unterteilung von bereichs- und situationsspezifischer Selbstwirksamkeitserwartung. Das Vertrauen in die eigenen beruflichen Kompetenzen gilt als bereichsspezifisch, während die Erwartungen bei einem konkreten Hindernis als situationsspezifisch gelten. Generell entsteht die Selbstwirksamkeitserwartung allerdings aus den individuellen Lernerfahrungen im Zusammenspiel mit positiven Feedback. Es kommt hier besonders auf eine gute Bewertung des Lernerfolges an, indem wir unsere Erfolge unseren eigenen Kompetenzen zuschreiben.
Dieser Schutzfaktor agiert auch zusammen mit anderen Schutzfaktoren. Positive Emotionen beispielsweise verstärken den Effekt der Selbstwirksamkeitserwartung. Und eine optimistische, aber auch realistische Grundhaltung begünstigt die Erwartung auf einen positiven Ausgang.
Was bewirkt Selbstwirksamkeitserwartung?
Die positive Erwartungshaltung aus eigener Kraft Hindernisse zu bewältigen, hat Auswirkungen auf unsere Denken, Handeln und Fühlen wenn wir unter Stress stehen. Viele Studien beweisen, dass hier ein bedeutender Zusammenhang besteht.
Studien stellen heraus, dass eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung zu einer deutlich kleineren psychischen Belastung nach traumatischen Ereignissen führt. Dies zeigte sich beispielsweise bei dem Verlust des Ehepartners an Krebs (Benight u.a. 2001) oder bei Opfern einer Naturkatastrophe (Sumer u.a. 2005).
Als Ergebnis dieser und ähnlicher Studien steht fest, dass Menschen mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung einen besseren Umgang mit Stressoren pflegen. Sie sehen die Situation eher als Herausforderung. Das führt zu einer höheren Frustrationstoleranz und mehr Durchhaltevermögen. Sie schreiben Erfolgserlebnisse den eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten zu, und nutzen eher günstige Bewältigungsstrategien.
Wie wirkt die Selbstwirksamkeitserwartung?
Zur Wirkung von Selbstwirksamkeitserwartung haben Benight und Banduras (2004) drei maßgebliche Mechanismen definiert:
1. Aufmerksamkeitssteuerung und ein sich selbst aufbauendes Vorgehen:
Menschen mit einer hohen positiven Erwartungshaltung halten Situationen dann für bedrohlich, wenn die eigenen Kompetenzen nicht zu den angenommenen Anforderungen passen. Da sie sich aber tendenziell eine hohe Bewältigungskompetenz zuschreiben, geraten sie seltener in Situationen völliger Hilflosigkeit. Das führt zu weniger Stress und hoher Resilienz.
2. Bewältigungsverhalten:
Wenn die Anforderungen einer Situation die eigenen Kompetenzen übersteigen, greifen Menschen auf aktive und Problem-Lösungs-orientierte Strategien zur Bewältigung zurück. Der Schutzfaktor sorgt also für ein besseres Coping, was die Bewältigung, bzw. den Umgang mit Problemen beschreibt.
3. Effektive Gedankenkontrolle:
Eine positive Selbstwirksamkeitserwartung führt dazu, restriktive und sich selbst limitierende Gedanken zu kontrollieren und Vertrauen in die eigene Selbstregulationsfähigkeit zu setzen. Das bedeutet resiliente Menschen lassen sich in heiklen Situationen weniger von ihren eigenen Gedanken beunruhigen und sind resistenter gegen Stress.
Gerade dies lässt sich durch regelmäßige Meditationspraxis lernen und ist ein wesentlicher Aspekte von Resilienz und Achtsamkeitspraxis. Kurz gesagt: Glaub nicht alles, was Du denkst und wenn Du die Horroszenario-Kompetenz Deines Gehirns nutzt, dann sei Dir dessen bewusst.
Aus den drei gerade genannten Mechanismen ergibt sich auch, dass Menschen mit positiven Überzeugungen zur eigenen Selbstwirksamkeit, die von ihnen unternommenen Bewältigungsanstrengungen als positiv bewerten. Somit bekräftigen die positiven Erfahrungen den Schutzfaktor zusätzlich und wirken positiv auf zukünftige Krisensituationen.
Selbstwirksamkeitserwartung und Resilienz
Studien belegten auch die positiven Auswirkungen von Selbstwirksamkeitserwartung und chronischen Stressoren. Hieran zeigt sich der Zusammenhang dieses Schutzfaktors mit dem Konzept individueller Resilienz.
Beispielsweise zeigte eine Studie, dass Lehrkräfte mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung weniger unter Burn-Out-Symptomen litten und ihren Beruf als stressfreier bezeichneten (Schwarzer und Hallum 2008). Auch chronisch körperliche Erkrankungen wurden in vielen Studien im Zusammenhang mit dem Schutzfaktoren und Resilienz untersucht. Beispielsweise zeigte sich bei Patientinnen und Patienten mit einem künstlichen Knie oder einer künstlichen Hüfte deutlich weniger Risiko zur Depression (Hartley u.a. 2008).
Eine Studie stellte heraus, dass die positiven Auswirkungen der Selbstwirksamkeitserwartung auf Resilienz durch die hohe Motivation zur Verhaltensänderung kommen. Wenn Menschen bemerken, dass sie durch eigenes Handeln einen positiven Effekt hervorrufen, arbeiten sie auch eher aktiv an einer Verbesserung. Dies zeigte sich besonders in Studien zu Diabetes (Nelson u.a. 2007, Johnston-Brooks u.a. 2002). Betroffene, die diesen Schutzfaktor aufwiesen, waren zu einer höheren Selbstfürsorge bereit.
Selbstwirksamkeitserwartung in Abgrenzung zu anderen Begriffen
Selbstwirksamkeit, Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl, Selbstverantwortung. Bei diesen Begriffen fällt es nicht so einfach den Überblick zu wahren und die Begriffe voneinander abzugrenzen. Zumal die Begriffe eng miteinander verbunden sind, was sich letztendlich auch in unserer sprachlichen Verwendung zeigt. Um Ihnen dennoch eine Orientierungshilfe zu geben, sehen Sie hier einen kurzen Überblick:
Selbstwirksamkeitserwartung: Es ist der Glaube, dass die vorhandenen Ressourcen zur Bewältigung von Herausforderungen ausreichen oder diese noch erworben werden können.
Selbstbewusstsein: Der Begriff wird umgangssprachlich synonym zum Selbstvertrauen verwendet. Er hat darüber hinaus aber noch die Bedeutungsebene, sich seiner selbst bewusst zu sein und geht damit eher in die Richtung eines kognitiven Gewahrseins der eigenen Identität.
Selbstwertgefühl: Das Selbstwertgefühl ist die Bewertung des wahrgenommenen Selbst durch das Selbstbewusstsein. Es ist dabei kontextspezifisch, sodass wir nicht über ein gesamtes Selbstwertgefühl besitzen, sondern einen situationsabhängigen Selbstwert.
Selbstvertrauen: Es wird auch als Selbstsicherheit beschrieben und ist eine Teilkomponente des Selbstwerts. Es sind die Kompetenzüberzeugungen eines Menschen, mit dem Unterschied zur Selbstwirksamkeitserwartung, dass es hier nur um die bereits erworbenen Fähigkeiten geht.
Selbstverantwortung: Es ist die Verantwortung über das eigene Handeln und die daraus folgenden Konsequenzen.
Selbstwirksamkeitserwartung als Schutzfaktor
Die Studien zur Selbstwirksamkeitserwartung zeigen auf, dass Menschen mit diesem Schutzfaktor eher zu einer positiven und resilienten Anpassung an die Umstände bereit sind. So vermeiden Menschen also Stress, indem sie eine optimistische Grundhaltung und den Glauben in die eigenen Kompetenzen bewahren.
Allerdings hielten andere Studienergebnisse fest, dass der Schutzfaktor erst im Zusammenwirken mit anderen Schutzfaktoren einen schützenden Effekt hat. Zudem kann er auch eine untergeordnete Rolle spielen.
Trotz dieser Vorbehalte ist Selbstwirksamkeitserwartung ein wichtiger Schutzfaktor, der zu psychischen wie auch zur physischen Gesundheit einer Person beiträgt. Gerade weil Studien die Wirkung in unterschiedlichen Kontexten und auch unabhängig vom Erhebungsinstrument aufzeigen, ist dieser Schutzfaktor deutlich messbar.
Menschen mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung wiesen in den Studien deutlich weniger Belastungsstörungs-Symptome auf. Allerdings kann eine übersteigerte Erwartungshaltung auch zu einem Risikofaktor werden. Denn wenn unsere Erwartungen die Realität übersteigen und es zu einer optimistischen Fehleinschätzung kommt, belastet das eher. Auch hier macht die Dosis das Gift.
Wie steigere ich meine Selbstwirksamkeitserwartung?
Der Psychologe Albert Bandura prägte den Begriff der Selbstwirksamkeit oder auch Selbstwirksamkeitserwartung (self-efficacy beliefs). Seit den 1960er Jahren erforschte er in zahlreichen Studien und Experimenten, wie unser Denken und Verhalten durch selbstbezogene Überzeugungen und Lernen beeinflusst wird. Bandura benennt vier Quellen, wie sich Selbstwirksamkeit oder auch Selbstwirksamkeitserwartung stärken lässt. Er unterscheidet dabei eigene Erfahrungen, stellvertretene Erfahrungen, persuasive Botschaften und physiologische Reaktionen. Im Folgenden lernen Sie, wie Sie diese vier Quellen nutzen und damit Ihre Resilienz stärken können.
1. Konzentration auf Erfolgserlebnisse – Selbstwirksamkeits-Quelle: Eigene Erfahrungen
Wir Menschen neigen dazu, Fehlern und Misserfolgen mehr Beachtung zu schenken als dem, was richtig gemacht wurde. Sie kennen diese Erfahrung aus der Schule, wo unter Ihrem Diktat in rot „4 Fehler“ steht anstelle von „Wow, 86 Worte richtig“.
Dahinzu kommt, dass es manchmal passiert, dass wir Misserfolge uns selbst und unseren (mangelnden) Fähigkeiten zuschreiben wohingegen Erfolge den äußeren Umständen und so etwas unbeeinflussbarem wie Glück beigemessen werden. Doch wir können lernen, Erfolge zu feiern und den Fokus auf die positiven eigenen Erfahrungen zu lenken.
Beginnen Sie bei kleinen Erfolgen wie einem gelungenen Gericht. Um die Selbstwirksamkeit zu stärken ist es wichtig, sich Ihrer Erfolgserlebnisse bewusst zu werden und sie auch den eigenen Handlungen und Fähigkeiten zuzuschreiben. Das hat nicht mit Eigenlob zu tun, sondern mit dem Lernen von sich selbst. Sie stärken So Ihr Vertrauen in sich und darin, dass Sie etwas erreichen können.
Wenn Sie Resilienz und Selbstwirksamkeit nachhaltig stärken wollen, machen Sie sich das Aufsetzen der „Erfolgsbrille“ zur Gewohnheit. Fragen Sie sich zum Beispiel jeden Abend: Was habe ich heute durch mein Handeln erreicht, auf das ich stolz bin?
2. Selbstreflexion – Selbstwirksamkeitsquelle: Physiologische Zustände
Unsere inneren Zustände haben einen unheimlichen Einfluss auf unsere Beurteilung von Situationen und der eigenen Handlungskraft. Dabei kommt es nicht nur auf das Wahrnehmen solcher Zustände an, sondern auch um die Interpretation.
Sie kennen das Gefühl sicher, dass Ihre Hände anfangen zu schwitzen, die Knie „weich“ werden oder Ihnen das Herz bis zum Hals schlägt. Das sind alles Beispiele für natürliche physiologische Reaktionen Ihres Körpers, wenn Sie aufgeregt sind. Manche Menschen neigen dazu, solche Zustände als erste Anzeichen für ein Scheitern zu deuten. Dabei Stress, der sich in diesen Reaktionen zeigt, nicht per Se etwas Schlechtes. Stress ist der Grund, warum unsere Urahnen in der damaligen Welt überleben konnten. Schließlich dient Stress als Kurzzeit-Notfallprogramm dazu, dass wir die Ressourcen zur Verfügung haben, die wir zum Überleben brauchen.
Was wäre also, wenn wir die Aufregung vor einer Präsentation oder die feuchten Hände vor dem ersten Date nicht als Zeichen des Scheiterns wahrnehmen, sondern als körperliche Rückmeldung, dass uns etwas daran wichtig ist oder Vorfreude auf das Kommende? Wie würde sich dadurch die Einstellung zu unserem Handeln und zu unserem Körper verändern? Probieren Sie es bei Ihrer nächsten Nachricht Ihres Körpers doch gerne einmal mit dieser neuen Perspektive aus.
3. Lernen am Modell – Selbstwirksamkeitsquelle: Stellvertretende Erfahrungen
Selbstwirksamkeit kann tatsächlich nicht nur durch die eigenen Erfahrungen entstehen, sondern auch durch die anderer. Allein das Beobachten von Menschen, die eine schwierige Aufgabe meistern, stärkt unser Gefühl, ebenfalls dazu in der Lage zu sein. Dieses Beobachtungslernen hilft uns besonders in der Kindheit, denn hier erleben wir oft Situationen, für die wir selbst keine Handlungsmuster haben, es aber bei unseren Eltern oder anderen Bezugspersonen beobachten können.
Auch als Erwachsener profitieren wir von unserer Fähigkeit, am Modell zu lernen. Bandura bezeichnet diese Quelle der Selbstwirksamkeit als stellvertretende Erfahrungen. Dabei funktioniert das Lernen von anderen nicht bei x-beliebigen Modellen. Unsere Selbstwirksamkeit wird nur von jenen Menschen beeinflusst, die uns wichtig oder ähnlich sind.
Wer Ihr Vorbild ist, ist völlig unabhängig, Sie müssen die Person auch nicht persönlich kennen. So kann ein Elon Musk für Sie genau so Ihre eigene Selbstwirksamkeit stärken wie eine Greta Thunberg. Es genügt die Ehrfurcht vor dem meisterlichen Handeln oder der Charakterstärke eines uns ähnlichen oder wertvollen Menschen, um die eigene Selbstwirksamkeit zu stärken.
Nehmen Sie sich jetzt gerne einen Moment Zeit und spüren nach:
- Bei welchen Menschen habe ich Ehrfurcht gespürt?
- Von wem könnte ich gerade lernen?
- Welche Strategien kann ich von dieser Person in meinem Leben integrieren?
4. Unterstützung anderer – Selbstwirksamkeitsquelle: Verbale Ermutigung
Auch diese Situation haben Sie sicher schon erlebt: Sie sind sich bei einer Sache unsicher und ein guter Freund oder ein Familienmitglied nickt Ihnen zu und sagt „Du packst das schon“! Eltern reden Ihren Kindern oft gut zu und ermutigen sie, an sich selbst zu glauben. Und das aus gutem Grund, denn die verbale Ermutigung anderer hat einen positiven Einfluss auf unsere Selbstwirksamkeit.
Die Zuversicht anderer in Ihre Fähigkeiten kann dazu beitragen, dass Sie Vertrauen in Ihre Fähigkeiten und Kompetenzen bekommen. Besonders im sportlichen und physiotherapeutischen Bereich gibt es Untersuchungen dazu, dass verbale Ermutigung einen signifikanten Einfluss auf die Muskelkraft beispielsweise hat.
Auf der anderen Seite hat dieser große Einfluss sozialer Kontakte auf die eigene Selbstwirksamkeit auch einen Nachteil, wenn es sich eben nicht um Ermutigung handelt. Deshalb nennt Bandura diese Quelle auch „persuasive Botschaften“. Die Zweifel, Sorgen oder sogar das Absprechen der eigenen Fähigkeiten eine Aufgabe zu bewältigen lassen die Selbstwirksamkeit sinken. Ein guter Hinweis für das Stärken der eigenen Selbstwirksamkeit ist also, sich mir ermutigenden und zuversichtlichen Menschen zu umgeben und auszutauschen.
Und zum Abschluss eine Ermutigung meinerseits: Sie sind bereits jetzt selbstwirksam. Schließlich sind Sie der überlebende Beweis, dass Sie bis jetzt stärker als alle Widrigkeiten waren, die Ihnen bisher begegnet sind!
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 200 weiteren Resilienz-Expert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).
Ein toller Text!
Das Problem bei mir sind tief einfahrende automatische Denkmuster, die automatisch auslösen und das prinzipielle Verbot, die eigene Person wichtig zu nehmen.