Was ist Selbstwertgefühl?
Im Englischen heißt es „self-esteem“, wobei die Übersetzung ins Deutsche als Selbstwertgefühl nicht ganz so einfach ist. Die geläufigsten Begriffe sind Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein, oder eben Selbstwertgefühl als eine Form des sich selbst wertschätzens und den eigenen Wert schätzen und anerkennen. Doch was bedeutet das nun? Was all diese Zuschreibungen verbindet ist, dass es um die eigene, wertschätzende Bewertung von sich selbst geht. Es ist also eine Art der bewussten Selbstwahrnehmung, die mit einem Kompetenz orientierten Blick auf das eigene Denken, Fühlen und Handeln blickt.
Hier geht es also unter anderem um die Fragen:
- Wann bin ich etwas wert? (muss ich dafür etwas leisten?)
- Wie sehr mag ich mich?
- Wie sehr bin ich mit mir als Person zufrieden?
- Wie gehe ich selbst mit mir um?
- Wie gehe ich mit meinen Stärken um? (kenne ich sie, kommuniziere ich sie, nutze ich sie?)
- Und wie gehe ich mit meinen Schwächen, meinem Scheitern und meinen Fehlern um?
Selbstwertgefühl als Allround-Talent?
In den 80er Jahren wurde in den USA das Selbstwertgefühl als wichtige Eigenschaft für psychische Gesundheit, beruflichen Erfolg und gesellschaftliches Geltung angesehen. Doch besonders eine Studie aus dem Jahr 2003 von Campbell, Baumeister, Krueger und Vohs zeigte, dass dies nicht uneingeschränkt stimmt.
Hier wurden nicht nur die eigenen Aussagen der Untersuchten herangezogen, sondern auch Meinungen von außen. So ist dieses vermeintliche Allround-Talent kein Garant für Gesundheit, Erfolg oder Status – allerdings zeigte sich, dass ein hohes Selbstwertgefühl eine hohe Lebenszufriedenheit bedingt (bsp. Pinquart, Frühlich 2009).
Selbstwertgefühl als Schutzfaktor
Selbstwertgefühl als möglicher Schutzfaktor der Resilienz ist wichtig für ein positives Selbstbild und einen wertschätzenden Umgang mit sich selbst. Jedoch zeigte sich in einer Reihe von Studien in den 90er Jahren, dass die schützende Wirkung nicht so deutlich ist, wie vorerst angenommen (Baumeister u.a. 2003). Viel eher zeigte sich, dass eine geringe positive Bewertung des Selbst ein Risikofaktor darstellt. Hierbei wird aus Sicht von individueller Resilienz deutlich, dass ein Risikofaktor nicht einfach umgedreht werden kann, um zum Schutzfaktor zu werden.
Der Unterschied zwischen einem hohen und einem niedrigen Selbstwertgefühl trete zudem eher in den weniger stressreichen Phasen zutage. Die Studien zum Zusammenhang von dem Schutzfaktor und psychischer Gesundheit ergaben uneindeutige Ergebnisse. So zeigte beispielsweise eine Studie, dass Selbstbewusstsein bei Frauen mit kardiovaskulären Erkrankungen ein besseres seelisches Immunsystem hatten, wohingegen dies bei den Männern nicht festgestellt wurde (Forthofer u.a. 2001).
Ist das Selbstwertgefühl nun ein Schutzfaktor? Fest steht, dass ein niedriges Selbstbewusstsein ein Risikopotential birgt, dem sich mit der Steigerung des Selbstwertgefühls entgegenwirken lässt.
Welche Wirkung hat ein hohes Selbstwertgefühl?
Trotz den nicht besonders aussagekräftigen Studien zur schützenden Wirkung von einer positiven Selbstbewertung ist das Selbstwertgefühl in der Resilienzforschung sehr präsent. Dies liegt wohl daran, dass in einigen Studien der Selbstwert als wichtige Komponente zur Feststellung von Resilienz fungiert (Schok u.a. 2010; Chan u.a. 2006; Brown u.a. 2008).
Woran liegt es also, dass dieser Schutzfaktor wichtiger Teil der Resilienz ist? Es lässt sich zusammenfassen, dass Menschen mit einer positiven Bewertung von sich selbst schwierige Situationen als weniger bedrohlich wahrnehmen und so handlungsfähiger sind. Dazu kommt eine optimistische Haltung mit dem Vertrauen auf die eignen Bewältigungsstrategien. Menschen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl geben sich meist selbst die Schuld für Krisen und begünstigen so die eigene Vulnerabilität (Verletzbarkeit).
Selbstüberhöhung
In einer Studie von Taylor und Brown Ende der 80er zeigte sich zum ersten Mal die protektive Wirkung von einem extrem hohen Selbstwertgefühl. Dabei handelt es sich um eine unrealistische Wahrnehmung des eigenen Selbstwerts. Diese Selbstüberhöhung ist eine Bewältigungsstrategie, die besonders in kritischen Lebensphasen dazu beiträgt das Selbstbild zu schützen und sich auch bei äußeren Bedrohungen selbstwirksam zu erleben.
In der Resilienzforschung beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe um George Bonanno besonders mit dieser Selbstüberhöhung. Bei drei verschiedenen Gruppen (Zeugen des Bürgerkriegs in Bosnien-Herzigowina, trauernde Eheleute, und Überlebende des Anschlags vom 11.September) konnte eine geringe psychische Belastung bei einem überhöhten Selbstwert aufgezeigt werden.
Der Preis eines zu hohen Selbstwertgefühls?
Obwohl die Selbstüberhöhung eine schützende Wirkung gegen psychische Belastungen aufweist, scheint dieses übersteigerte Selbstwertgefühl auch Nachteile zu haben. In der persönlichkeitspsychologischen Forschung herrscht die Meinung von einem Zusammenhang von Selbstüberhöhung und narzisstischen Tendenzen. Auch können persönliche oder soziale Schwierigkeiten aus dieser Haltung resultieren.
In der Studie zu den oben genannten trauernden Eheleuten wurden jene mit Selbstüberhöhung von einem zufälligen, fremden Publikum als weniger sympathisch eingeschätzt (Bonanno u.a. 2002), und nahe Angehörige der World Trade Center Überlebenden berichteten von Verschlechterten sozialen Kontakten.
Auf der einen Seite wirkt ein hohes, sogar übersteigerstes Selbstwertgefühl protektiv, da das Selbstbild und die Selbstwirksamkeit intakt bleiben unter Stress. Auf der anderen Seite birgt die Selbstüberhöhung auch ein Risiko. Denn soziale Unterstützung ist ein wichtiger Schutzfaktor bei großen Belastungen. Interessant hierbei ist allerding, ob die wahrgenommene soziale Unterstützung auch mit verschlechterten sozialen Kontakten die gleiche bleibt, infolge der Selbstüberhöhung.
Selbstwertgefühl und andere Schutzfaktoren
Die Studien zum Selbstwertgefühl als Schutzfaktor sind eher ein Beleg dafür, dass eine geringe Selbstachtung ein Risikofaktor darstellt. Dennoch zeigt sich, dass dieser Faktor ein wichtiger Teil der Resilienz ist, und somit die innere Widerstandskraft zusätzlich stärkt.
Die Wirkung als Schutzfaktor liegt wohl auch daran, dass es sich zumeist um ein Zusammenspiel mit anderen Schutzfaktoren handelt. Eine Studie zu Erdbebenopfern in der Türkei zeigte beispielsweise, dass ein hohes Selbstbewusstsein die Belastung indirekt beeinflusste, da es den Schutzfaktor Selbstwirksamkeit stärkte (Sumer u.a. 2005). Zudem besteht auch ein Zusammenhang mit dem Schutzfaktor Optimismus, denn eine optimistische Haltung stärkt die Zuversicht in Krisen und den positiven Blick – auch auf sich selbst!
Wie stärke ich mein Selbstwertgefühl?
Ein grundlegender Schritt, um das eigene Selbstwertgefühl zu steigern ist ein guter Umgang mit sich selbst. Denken Sie einmal daran, wie Sie damit umgehen, wenn ein guter Freund von Ihnen einen Fehler macht. Und nun denken Sie daran, wie Sie mit sich selbst umgehen, wenn Sie einen Fehler machen. Gibt es da einen Unterschied? Vielleicht probieren Sie mal eine Zeit lang aus, wie es wäre, wenn Sie sich als bester Freund, bzw. beste Freundin sehen würden.
Akzeptanz und Selbstannahme sind hier die Türöffner für einen liebevollen Umgang mit ihrer eigenen Person und auch für ein gesteigertes Selbstwertgefühl. Eine Weisheit hilft resilienten Menschen immer wieder, dieses umzusetzen:
„Jeder Mensch hat mit sich selbst die längste Beziehung seines Lebens – Scheidung von sich selbst geht nicht, also wie wäre eine gute Art und Weise des Miteinanders mit sich selbst?“
Viel Vergnügen bei dieser Liebesbeziehung – klar, mit ein paar Tiefen, doch bitte auch mit jeder Menge Höhen und Highlights.
Als Resilienz-Coach lernen Sie übrigens, das Selbstwertgefühl Ihrer Klienten gezielt zu stärken und Selbstwerträuber die Macht zu nehmen. Elemente des Selbstwertcoachings für den Einsatz in Gruppen lernen Sie in der Resilienz-Trainer Ausbildung und in den Resilienz-Basics zur Steigerung der individuellen Resilienz.
Weitere interessante Inhalte, Tools und Wege, den eigenen Selbstwert zu stärken, finden Sie auch im Buch „Selbstwert – in 30 Minuten“ von Sebastian Mauritz erschienen im Gabal Verlag.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienz-Expert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).
Sehr toller Artikel! Vielen Dank!
Ich möchte eine höhere Resilienz aufbauen. Besonders im Job scheint mir das sinnig. Interessant, dass ein starkes Selbstwertgefühl eine Art Schutzfaktor für die Resilienz sein kann. Ich werde vielleicht mal ein Selbstbewusstseins Coaching machen.
Sehr geehrter Herr Mauritz,
immer wieder bin ich neugierig, facettenreiche Haltungen und Ansichten zum Selbstwertgefühl zu erfahren.
Berührt hat mich der Satz:
„Jeder Mensch hat mit sich selbst die längste Beziehung seines Lebens – Scheidung von sich selbst geht nicht, also wie wäre eine gute Art und Weise des Miteinanders mit sich selbst?“
Genau da fehlt es wie ich beobachte einigen Menschen: die Beziehung zu sich selbst wird häufig zu wenig gelebt. Stattdessen wendet sich die Seele dorthin wo sie bereits haltlos umherschweift – ins Außen, dort suchen Menschen Erfüllungen und machen andere (großartige These von Gerald Hüther) zum Objekt ihrer Haltungen, Wünsche, Vorstellungen, ihres Weltbildes, bevor sie in sich geblickt haben. Da läuft das was sie glauben, was andere von ihnen erwarten – damit sie bei ihnen ankommen – was oft ganz anders verläuft, einfach weiter, wie: Karriere, Menschen beeindrucken, materielles über immaterielles zu stellen und dann auf das Glück warten – was leider verhindert ist – Der Blick nach innen ist schmerzhaft, mit viel Leid verbunden – doch es bringt einen so großen Gewinn hervor der unbezahlbar ist und dafür sorgt, bei Menschen auf andre Dinge zu achten wie: Leuchten und Glanz im Innen das nach außen erstrahlt und Hindernisse als Herausforderungen betrachtet und nicht als Probleme. Ich bin so dankbar, das meine seelische Widerstandskraft täglich wächst.
Herzliche Grüße
Dagmar Collinet