Ökonomische Resilienz gewinnt für die Wirtschaftspolitik eine immer größere Bedeutung, denn die Anzahl an ökonomischen und politischen Krisen stieg seit 2008 beachtlich. Von globalen Finanzkrisen, über Flüchtlingskrisen bis hin zu EU-Integrationskrisen oder Terror. Die Industrienationen sehen sich immer neuen, auch unerwarteten Krisen gegenüber, auf die Sie reagieren müssen.
Die ökonomische Resilienz stärkt die Flexibilität der Wirtschaft und gleichzeitig die Beständigkeit, um so auch aus umfangreichen und komplexen Krisen möglichst unbeschadet hervorzugehen. In diesem Artikel klären wir, was ökonomische Resilienz ist und wie Deutschland im Vergleich zu anderen Industrienationen seine Resilienz stärken kann.
Was ist ökonomische Resilienz?
Obwohl die Bedeutung der Resilienz für die Wirtschaftspolitik so groß ist, sind Forschungsansätze der ökonomischen Resilienz noch recht rar. Das kann dazu führen, dass Resilienz als Container-Begriff für alle möglichen Phänomene genutzt wird. Aus dem Grund ist es wichtig genau zu bestimmen, was ökonomische Resilienz meint.
Ein Resilienzbegriff – viele Kontexte
Der Begriff der Resilienz ist in vielen unterschiedlichen Kontexten zu finden. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Physik und bezeichnete die Eigenschaft eines Stoffes, nach großer Außeneinwirkung wieder in die ursprüngliche Form zurückzuspringen (lat. resilire = „zurückspringen“, „zurückprallen“).
Diese Eigenschaft wurde von der Psychologie auf den Menschen als Individuum übertragen. Es geht darum, dass Menschen auch unter großen Belastungen, wie Stress und Krisen, psychisch gesund bleiben. Dabei geht es allerdings nicht um eine Rückkehr in den ursprünglichen Zustand, sondern um eine Anpassung an die neuen Verhältnisse. Resiliente Menschen gehen sogar gestärkt aus Krisen hervor.
Resilienz besteht jedoch nicht nur bei einzelnen Individuen. Beispielsweise benennt organisationale Resilienz, wie widerstandsfähig ganze Unternehmen gegen Veränderungen und Krisen sind. Das lässt sich sogar noch weiter ausweiten. Denn in sozialwissenschaftlichen Kontexten wird die Resilienz ganzer Gemeinschaften oder Städte untersucht, zum Beispiel bei Naturkatastrophen.
Resilienz im wirtschaftspolitischen Kontext
Auch die ökonomische Resilienz bedeutet, nicht starr zu einem vorherigen Zustand zurück zu kehren. Es bedeutet sich anzupassen, zu lernen und sich somit auch auf zukünftige Krisen vorzubereiten. Es geht also nicht nur um die Abschwächung der Krisenfolgen, sondern auch um proaktives Vorbereiten auf weitere Herausforderungen.
Dabei muss berücksichtigt werden, dass eine Volkswirtschaft ein System mit extrem vielen Beteiligten ist. Sie hängen auf verschiedene Weisen miteinander zusammen. So haben einzelne Individuen, als Wähler, Konsumenten oder Unternehmer ebenso eine Rolle inne, wie Regierungsmitglieder. Gesellschaft, Politik und Wirtschaft sind in der ökonomischen Resilienz eng miteinander verzahnt.
Ziel der Resilienz im wirtschaftspolitischen Kontext ist ein inklusives Wachstum zu gewährleisten. Das bedeutet, dass nach einer Krise die Performance des Landes nicht dauerhaft schlechter sein soll. Sie soll entweder die durch die Krise entstandenen Defizite ausgleichen oder im Idealfall sogar übertreffen – sodass das Land gestärkt aus der Krise hervorgeht.
Ökonomische Resilienz gegen Außenwirtschaftskrisen
Eine starke ökonomische Resilienz sorgt dafür, dass Länder auf Krisen flexibel, anpassungsfähig und infolgedessen sicherer mit Veränderungen umgehen können. Sie sorgt für Stabilität der Wirtschaft in instabilen Zeiten.
Was ist eine Wirtschaftskrise?
Es gibt verschiedene Krisen, mit denen sich Länder konfrontiert sehen. In der Studie der Bertelsmann Stiftung „Inklusives Wachstum für Deutschland 22: Resilienz von Staaten gegen Außenwirtschaftskrisen“ aus dem Jahr 2018 definieren die Autoren Christoph Harendt und Friedrich Heinemann eine Außenwirtschaftskrise als „Rückgang der Exporte in Relation zum BIP“ (S. 16).
Die drei größten deutschen Wirtschaftskrisen waren 1975 die Ölkrise, 1993 die „Nachwende-Krise“ und 2009 die Weltwirtschaftskrise. Zu diesen drei Zeitpunkten litt die deutsche Wirtschaft am meisten.
In der Bertelsmann Studie untersuchen die Forscher vierzehn Länder in Bezug auf Krisen und Resilienz. Spanien liegt mit einer einzigen Außenwirtschaftskrise an der Spitze, während sich die Schweiz mit zehn solcher Krisen als deutlich krisenanfälliger abzeichnet.
Was stärkt die ökonomische Resilienz der Staaten? – Resilienz Faktoren
Der Vergleich der 14 ausgewählten Staaten gibt Aufschluss darüber, welche Faktoren eine starke ökonomische Resilienz begünstigen. Diese Faktoren werden als Resilienz Faktoren bezeichnet. Im Folgenden bekommen Sie einen kurzen Einblick in diese Faktoren und erfahren, wie es um die Resilienz von Deutschland gestellt ist.
Die in der Studie herausgefundenen Faktoren beziehen sich auf einen Beobachtungszeitraum von fünf Jahren. Denn in einer Krise oder kurz danach braucht das Land Zeit, das Defizit auszugleichen. Genau so wie in der persönlichen Resilienz Menschen kurzfristig unter der Krise leiden, jedoch langfristig die Probleme überwinden. Die Daten für die Ergebnisse der Bertelsmann Studie stammen von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Es gibt acht dieser Indikatoren, die sich jeweils auf die Oberkategorien Gesellschaft, Wirtschaft und Politik aufteilen.
Gesellschaft: Bildung als Resilienz Faktor
In einer empirischen Forschung aus dem Jahr 2016 von Sondermann zeigte sich, dass gut ausgebildete Arbeitskräfte durch Flexibilität die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft in Krisen erhöhen. Außerdem reduziert ein hoher Bildungsgrad eventuelle Beschäftigungsverluste und Wachstumsrückgänge. Der Faktor der Jugendarbeitslosigkeit wurde ebenfalls untersucht. Denn je mehr junge Menschen durch eine gute Ausbildung in Arbeit kommen, desto stabiler ist die Wirtschaft auch in Krisenzeiten.
Gesellschaft: Zusammenhalt als Resilienz Faktor
Ein starker gesellschaftlicher Zusammenhalt stärkt die Resilienz des Landes, weil mehr Raum für Reformen und Kompromisse gegeben ist. Das ermöglicht eine flexible Anpassung, die auch von der Gesellschaft getragen wird. Heinemann und Tanz (2008) belegten den Zusammenhang von Vertrauen in politische Institutionen und Reformakzeptanz.
Drei wichtige Faktoren für ökonomische Resilienz sind hierbei die Armutsgefährdungsquote im Vorfeld einer Krise, das Misstrauen in Mitmenschen und der Bevölkerungsanteil. Ein hohes Misstrauen hat einen negativen Einfluss auf die Resilienz, während eine hohe Armutsquote erstaunlicherweise mit einer starken Resilienz einhergeht. Grund dafür könnte der Anpassungsdruck sein, sodass die Gesellschaft sich aus Zwang flexibilisiert.
Wirtschaft: Finanzierung als Resilienz Faktor
Die Resilienz des Landes hängt auch von der Finanzierung vor und während Krisenzeiten ab. Die Verschuldung von Unternehmen und Haushalten, sowie die Staatsverschuldung sind tragende Resilienzfaktoren, zusammen mit der langfristigen Zinssetzung. Sie beeinflussen auch das Konsumverhalten der Bevölkerung, was sowohl stabilisierend als auch destabilisierend wirken kann.
Wirtschaft: Monetärer Sektor als Resilienz Faktor
Bei diesem Resilienz Faktor geht es besonders um die Lage unmittelbar vor der Krise. Zwei Faktoren nehmen eine entscheidende Stellung ein: Die „Überbewertung der Währung gemessen an der Kaufkraftparität (relativ zum US-Dollar)“ (S. 23) und die Inflation gemessen am Verbrauchspreisindex.
Bei einer niedrigen Überbewertung steigt die Wettbewerbsfähigkeit des Landes, sodass mögliche Krisenfolgen abgemildert werden – also auf eine hohe Resilienz hindeuten. Eine hohe Inflation vor der Krise senkt die Resilienz, da die Krisenfolgen in dem Fall gravierender ausfallen. Doch sie ist auch vorteilhaft gegenüber der Armutsgefährdung oder der Arbeitslosigkeit, wie die Forschung zeigte.
Politik: Größe des Staates als Resilienz Faktor
Die Staatsausgaben- und Verschuldung, staatliche Investitionen und der Umfang des staatlichen Engagements während einer Krise haben ebenfalls Einfluss auf die ökonomische Resilienz. In der Forschung zeigt sich, dass ein hohes Maß an Engagement, sowie eine hohe Staatsverschuldung im Vorfeld einer Krise mit einer starken Resilienz verbunden sind. Dieser Effekt ruht wahrscheinlich darauf, dass der Ausdruck an Bereitschaft die negativen Krisenfolgen abmildert.
Politik: Arbeitsmarkt als Resilienz Faktoren
Ein weiterer wichtiger Resilienz Faktor ist ein flexibler Arbeitsmarkt. Denn flexible Arbeitsmärkte reagieren schneller auf neue Rahmenbedingungen und schaffen somit auch schneller Stabilität.
Hier sind die Faktoren der Arbeitsmarktregulierung und aktive Arbeitsmarktausgaben besonders ausschlaggebend. Ein funktionierender Arbeitsmarkt kann ein gewisses Niveau an Beschäftigung halten und negative Auswirkungen einer Krise relativ souverän auffangen. Allerdings vermindern Kündigungsschutz und fehlende Lohnflexibilität mögliche Maßnahmen zur Anpassung, sodass ein Übermaß an Regulierung eher als Resilienz-mindernd gilt.
Politik: Regulierung und Besteuerung als Resilienz Faktoren
Unter diesem Resilienz Faktoren werden ökonomische Regulierung, Besteuerung und Kosten der Besteuerung zusammengefasst. Es zeigt sich, dass in Krisen eine geringere Unternehmensbesteuerung zu einer höheren Resilienz beiträgt. Hohe Steuern für Unternehmen steigern dagegen die Ungleichheit und verringern das Wachstum. Das gleiche gilt für die Steuerlast der Arbeitnehmenden.
Wirtschaft und Politik: Wirtschaftsstruktur und Innovationsorientierung als Resilienz Faktoren
Die Resilienz beeinflussenden Faktoren sind hierbei Innovations- und Investitionsdynamiken, zusammen mit der Diversifikation der Volkswirtschaft. Generell gilt, dass Unternehmensinvestitionen zu einer höheren Anpassungsfähigkeit und Produktivität beitragen, was die Resilienz stärkt. Hohe Innovationskraft hilft außerdem dabei schnell und facettenreich auf veränderte Rahmenbedingungen einzugehen. Allerdings birgt eine hohe Innovationsorientierung gleichzeitig das Risiko einer Ungleichverteilung in Krisenzeiten, was sich negativ auf die Resilienz auswirken kann.
Resilienz Strategie für Deutschland?!
Während Deutschland eine hohe Arbeitsmarktstabilität in und nach der Krise aufwies, blieben die anderen Resilienz Faktoren in einem durchschnittlichen Bereich. Deutschlands Anpassungsfähigkeit profitiert wohl am stärksten von der geringen sektoralen Konzentration der Wirtschaft. Und der schwächste Faktor scheint eine geringe Investition in Informations- und Kommunikationstechnologien zu sein.
Außerdem ist Deutschland besonders abhängig von einem stabilen Welthandel. Die Krisen können damit kaum selbst verhindert werden. Das heißt, es muss eher darum gehen die Krisenbewältigungsfähigkeit im Sinne der Resilienz zu verbessern.
Die Analyse der Studie 2018 zeigt, dass insbesondere eine Investitions- und Innovationsorientierung die Resilienz der deutschen Wirtschaft steigern kann, da sie so mehr Flexibilität gegenüber der Außenhandelsabhängigkeit aufbaut. Um zudem einer wachsenden Ungleichheit entgegen zu wirken, ist es wichtig, die Herausforderungen der Digitalisierung auch für sozial Benachteiligte überwindbar zu machen. Ein letzter Punkt ist das bürokratische Steuersystem, das die Erholung von einem krisenbedingten Schock verzögert und für ein dynamischen Wachstum nachteilig ist.
Ökonomische Resilienz für eine krisensichere Wirtschaft
Wie sich zeigt sind Länder nie ganz vor einer Krise geschützt. Vor allem dann nicht, wenn sie in so gravierendem Ausmaß geschieht, wie beispielsweise die Weltwirtschaftskrise 2009. Die ökonomische Resilienz eines Staates entscheidet jedoch darüber, wie schnell und gut sich ein Land von einem solchen Schock erholt, wenn nicht sogar die vorige Ausgangslage übertrifft.
Resilienz als Begriff findet in vielen Kontexten Anklang, wobei die private, die organisationale und die ökonomische Resilienz gemeinsam haben, dass es um einen Schutz des jeweiligen Systems vor Langzeitfolgen geht. In der individuellen Resilienz sprechen Forscher von Risiko- und Schutzfaktoren. In der Wirtschaft geben verschiedene Resilienz Faktoren aus den Bereichen der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik Ausschlag über die Resilienz. Das Zusammenspiel aus Regierung, Unternehmen und Privatpersonen nimmt eine wichtige Rolle ein, was die Stärkung der Resilienz eines ganzen Landes komplex gestaltet.
Länder stärken auf sehr unterschiedliche Weise ihre ökonomische Resilienz. Doch sicher ist, dass ein weiterer Ausbau der Anpassungsfähigkeit auch Deutschland nicht schadet, um besser gewappnet für alle noch kommenden Krisen zu sein.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).