Eine Diagnose verändert alles. Plötzlich ist da mehr als nur ein medizinischer Befund – da ist Angst, Unsicherheit, Erschöpfung. Der Alltag gerät ins Wanken, vertraute Strukturen brechen weg. Viele Menschen erleben in solchen Momenten, wie tief eine Krankheit ins Leben eingreifen kann. Doch nicht alle zerbrechen daran. Manche finden – mitten im Sturm – Halt in sich selbst. Was unterscheidet sie von anderen?
Es ist Resilienz – die leise Kraft, die uns aufrichtet, wenn alles ins Wanken gerät. Sie ist wie ein inneres Netz, das uns auffängt, wenn wir fallen. In diesem Artikel zeigen wir, warum Resilienz gerade im Krankheitsfall entscheidend ist und wie Sie Ihre eigene seelische Widerstandskraft stärken können.
Warum körperliche Erkrankungen auch psychisch belasten – und wir deshalb Resilienz brauchen
Krankheit betrifft nie nur den Körper. Wenn ein medizinischer Befund das Leben erschüttert, folgen oft auch seelische Erschütterungen: Angst vor dem Verlauf, Sorgen um die Zukunft, Schmerz, Isolation, Kontrollverlust. Eine körperliche Erkrankung kann so zu einer tiefgreifenden psychischen Belastung werden – selbst dann, wenn keine Diagnose im psychiatrischen Sinne vorliegt.
Studien zeigen: Menschen mit chronischen oder akuten Erkrankungen haben ein erhöhtes Risiko, psychisch zu erkranken – bis zu doppelt so hoch im Vergleich zur gesunden Allgemeinbevölkerung (Daré et al., 2019). Doch nicht alle Betroffenen reagieren gleich. Während manche in depressive Muster verfallen oder unter Ängsten leiden, zeigen andere erstaunliche Stabilität und Zuversicht.
Hier kommt Resilienz ins Spiel. Sie ist die Fähigkeit, trotz widriger Umstände psychisch gesund zu bleiben oder sich nach Belastungen schnell zu erholen. Sie entscheidet mit darüber, ob jemand den seelischen Anforderungen einer Erkrankung standhält – oder daran zerbricht.
Warum ist das so entscheidend? Weil psychische Belastungen den Krankheitsverlauf beeinflussen können. Sie wirken sich auf die Therapietreue, die Motivation zur Selbstfürsorge und letztlich auf die Lebensqualität aus (Ould Brahim et al., 2021). Wer resilient ist, bleibt nicht nur psychisch stabiler – er oder sie unterstützt auch den Heilungsprozess.
Welche Rolle hat psychische Resilienz bei physischer Krankheit?
Resilienz klingt also gut – doch wie gut funktioniert sie wirklich als psychischer Schutzschild bei Krankheit? Genau dieser Frage sind die deutschen Forscherinnen Färber und Rosendahl in einer Metaanalyse mit dem Titel „Zusammenhang von Resilienz und psychischer Gesundheit bei körperlichen Erkrankungen“ nachgegangen (Färber & Rosendahl, 2018). Denn wenn Resilienz tatsächlich hilft, das seelische Gleichgewicht bei körperlichen Erkrankungen zu bewahren, wäre sie nicht nur ein schöner Idealzustand, sondern ein wirksames Werkzeug für Medizin und Therapie. Die beiden Forscher wollten herausfinden, wie stark dieser Zusammenhang wirklich ist – und ob er sich in harten Zahlen nachweisen lässt.
Wie wurde der Zusammenhang von Resilienz und Krankheit untersucht?
Um einen belastbaren Überblick über den Zusammenhang zwischen Resilienz und psychischer Gesundheit bei körperlich erkrankten Menschen zu gewinnen, führten Färber und Rosendahl eine systematische Übersichtsarbeit mit anschließender Metaanalyse durch. Das bedeutet: Sie sichteten zunächst über 5.500 wissenschaftliche Beiträge aus internationalen Datenbanken. Nach strengen Einschlusskriterien blieben 55 Studien übrig, die sowohl valide Resilienzmaße als auch Angaben zur psychischen Gesundheit von Patient:innen mit körperlichen Erkrankungen enthielten.
Insgesamt flossen so die Daten von 15.003 Patient:innen in die Analyse ein. Die Teilnehmenden litten an sehr unterschiedlichen somatischen Erkrankungen – darunter chronische Schmerzen, Krebserkrankungen, Herz-Kreislauf-Leiden oder Atemwegserkrankungen. Diese breite Streuung erlaubt es, allgemeine Aussagen über die Rolle von Resilienz in der Krankheitsbewältigung zu treffen – unabhängig vom konkreten medizinischen Befund.
Ein zentrales Anliegen der Studie war es, vergleichbare Messinstrumente heranzuziehen. Fast alle der eingeschlossenen Studien verwendeten die Resilience Scale (RS) von Wagnild & Young – entweder in der Langform mit 25 Items (RS-25) oder in einer gekürzten Version mit 13 Items (RS-13). Diese Skala erfasst zentrale Merkmale von Resilienz wie Selbstwirksamkeit, Lebenssinn, Standhaftigkeit, Zielorientierung und Akzeptanz.
Auf der anderen Seite erfassten die Studien psychische Gesundheitsindikatoren, meist in Form standardisierter Fragebögen. Gemessen wurden unter anderem:
- Depressive Symptome (z. B. via Beck Depression Inventory)
- Angstzustände
- Allgemeiner psychischer Distress
- Psychische Lebensqualität
Der Vergleich dieser beiden Messdimensionen – Resilienz auf der einen Seite, psychische Gesundheit auf der anderen – bildete die Grundlage für die statistische Auswertung.
Was kam bei der Untersuchung heraus?
Das Hauptergebnis der Metaanalyse ist eindeutig: Über alle 55 Studien hinweg zeigte sich eine signifikante mittlere Korrelation von r = 0,43 zwischen Resilienz und psychischer Gesundheit. Das bedeutet: Personen mit höherer Resilienz berichteten durchweg bessere psychische Verfassung – trotz bestehender körperlicher Erkrankung.
In 81 % der Studien wurde ein mittlerer bis starker Effekt festgestellt, was auf eine bemerkenswerte Konsistenz der Ergebnisse hinweist. Die Aussagekraft dieses Zusammenhangs geht über bloße Statistik hinaus – sie hat klare praktische Relevanz: Resiliente Menschen erleben weniger seelisches Leid, auch wenn sie körperlich schwer erkrankt sind.
Transfer in die Praxis
Färber und Rosendahl leiten aus ihren Erkenntnissen eine klare Empfehlung für die Praxis ab: Resilienz ist ein relevanter psychologischer Schutzfaktor, der sowohl in der Forschung als auch in der klinischen Versorgung stärker berücksichtigt werden sollte. Besonders wichtig: Resilienz ist kein festes Persönlichkeitsmerkmal, sondern kann durch gezielte Maßnahmen gestärkt werden – und damit das psychische Wohlbefinden selbst in Zeiten schwerer körperlicher Krankheit erheblich verbessern.
Wie Sie Resilienz im Krankheitsfall stärken können
Die Erkenntnisse der Forschung sind eindeutig: Resilienz hilft, psychisch stabil zu bleiben – auch bei schweren körperlichen Erkrankungen. Doch wie lässt sich diese innere Stärke konkret entwickeln, wenn der Alltag von Symptomen, Arztterminen oder Therapien geprägt ist? Es gibt viele Wege, Resilienz gezielt zu stärken – auch (und gerade) im Krankheitsfall.
Ressourcen aktivieren
Resilienz beginnt oft mit der Frage: „Was gibt mir Kraft – gerade jetzt?“ Besonders im Krankheitsfall ist es wichtig, sich nicht nur auf das zu konzentrieren, was fehlt oder schwerfällt, sondern aktiv die eigenen inneren und äußeren Ressourcen wahrzunehmen und zu stärken.
Denken Sie an frühere Herausforderungen in Ihrem Leben: Gab es Situationen, in denen Sie trotz Stress, Trauer oder Unsicherheit wieder Tritt gefasst haben? Welche Gedanken, Menschen oder Aktivitäten waren dabei hilfreich? Diese persönlichen Stärken und Erfahrungen sind oft ein unterschätzter Schatz – und können bewusst reaktiviert werden. Dabei muss es sich auch nicht um große Dinge handeln, manchmal liegen Ressourcen im Kleinen: eine Tasse Tee am Morgen, ein Lieblingslied, ein Spaziergang unter Bäumen oder das Lesen eines inspirierenden Textes. Diese Mikro-Momente der Freude und Erholung summieren sich – und können den Tag positiv beeinflussen.
Auch Menschen, die uns zuhören, unterstützen oder einfach da sind, wirken wie psychologische Schutzschilde. Selbst kurze Gespräche, eine freundliche Nachricht oder ein Lächeln können den Alltag emotional erleichtern. Haben Sie vielleicht Kontakt zu alten Freund:innen, den Sie wiederaufleben lassen könnten? Oder kennen Sie Gruppen, in denen Menschen mit ähnlicher Erkrankung ihre Erfahrungen teilen?
Akzeptanz und Meta-Akzeptanz
In Krisensituationen – wie einer schweren Erkrankung – ist es oft nicht möglich, „einfach positiv zu denken“. Es gibt Dinge, die schmerzen, beängstigen oder zutiefst ungerecht erscheinen. Genau hier wird Akzeptanz zu einer zentralen Resilienzstrategie – nicht im Sinne von Resignation, sondern als ein aktiver Schritt hin zu mehr innerer Freiheit.
Akzeptanz bedeutet, eine Situation zunächst so zu sehen, wie sie wirklich ist – ohne Beschönigung, aber auch ohne Widerstand. Das heißt nicht, dass man mit allem einverstanden sein muss. Vielmehr geht es darum, aufzuhören, gegen die Realität anzukämpfen, um Energie für das zu gewinnen, was beeinflussbar ist. Studien zeigen, dass Menschen, die belastende Umstände annehmen können, seltener in chronischen Stress oder Grübelschleifen geraten.
Doch es gibt Situationen, die so schmerzhaft oder sinnlos erscheinen, dass eine direkte Akzeptanz unmöglich ist – etwa bei einem plötzlichen Schicksalsschlag, einer traumatischen Diagnose oder dem Verlust von Lebensqualität. In solchen Fällen hilft das Konzept der Meta-Akzeptanz.
Meta-Akzeptanz bedeutet, zu akzeptieren, dass man innerlich nicht akzeptieren kann oder will – und dass auch das in Ordnung ist. Man nimmt also nicht die Situation an sich an, sondern die Tatsache, dass sie einen tiefen inneren Widerstand auslöst. Diese Form der übergeordneten Akzeptanz schafft emotionale Entlastung: Statt sich dafür zu verurteilen, dass man wütend, traurig oder verzweifelt ist, darf alles da sein. Das verringert das innere Ringen – und öffnet den Raum für eine gelassenere Haltung.
Halten Sie sich aber vor Augen: Beide Formen – Akzeptanz und Meta-Akzeptanz – sind keine einmaligen Entscheidungen, sondern dynamische Prozesse, die sich im Lauf der Zeit entwickeln.
Emotionale Selbtsfürsorge
Krankheit verändert nicht nur den Körper – sie erschüttert oft auch unser inneres Gleichgewicht. Gedanken kreisen, Gefühle überschlagen sich, Ängste werden laut. In solchen Phasen ist es besonders wichtig, sich selbst nicht zu verlieren. Emotionale Selbstfürsorge bedeutet, sich inmitten des Sturms einen inneren Anker zu schaffen – und sich selbst mit derselben Freundlichkeit zu begegnen, die man einer nahestehenden Person schenken würde.
Gefühle wie Trauer, Angst, Wut oder Enttäuschung sind natürliche Reaktionen auf eine belastende Lebenslage. Emotionale Selbstfürsorge beginnt aber damit, diese Gefühle nicht zu unterdrücken oder wegzudrängen, sondern sie anzuerkennen – als Teil der eigenen Realität. Sätze wie „Es ist okay, dass ich gerade überfordert bin“ können entlastender sein als jeder Versuch, sich zusammenzureißen.
Viele Menschen haben hohe Erwartungen an sich – auch im Krankheitsfall: stark sein, funktionieren, nicht jammern. Doch gerade dann ist ein mitfühlender Umgang mit sich selbst heilsam. Selbstmitgefühl heißt: sich nicht kleinzureden, aber auch nicht zu verurteilen. Eine einfache Übung: Stellen Sie sich vor, ein guter Freund erlebt das, was Sie gerade durchmachen – was würden Sie ihm sagen? Und sagen Sie es sich selbst.
Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen
Manche Herausforderungen lassen sich nicht allein bewältigen – und das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Klugheit. Psychologische Begleitung kann helfen, belastende Gedanken zu sortieren, emotionale Überforderung zu lindern und neue Perspektiven zu entwickeln. Ob Gesprächstherapie, Verhaltenstherapie, Psychoonkologie oder psychosoziale Beratung: Sich Hilfe zu holen, ist ein aktiver Schritt in Richtung Heilung – nicht nur körperlich, sondern auch seelisch.
Wozu führt die Perspektive auf Resilienz bei Krankheit?
Resilienz ist keine Modeerscheinung – sie ist eine zentrale Fähigkeit, um körperliche Erkrankungen seelisch zu bewältigen. Die Forschung zeigt klar: Wer psychisch widerstandsfähig ist, leidet seltener unter Depressionen oder Angst, kann seine Erkrankung aktiver bewältigen und erlebt oft eine höhere Lebensqualität – selbst bei schweren Diagnosen.
Doch dieses Wissen nützt nicht nur Einzelnen. Es verändert auch, wie wir Gesundheit verstehen. Statt allein auf Medikamente und Therapien zu setzen, rückt Resilienzförderung die ganze Person in den Blick: mit ihren Gefühlen, Ressourcen, Werten und Beziehungen.
Für Patient:innen:
Resilienz eröffnet die Möglichkeit, auch in der Krankheit Gestaltungsspielräume zu entdecken. Sie zeigt: „Ich bin nicht ausgeliefert – ich kann Einfluss nehmen.“ Das stärkt das Selbstvertrauen, fördert Eigeninitiative und schenkt Halt in unsicheren Zeiten.
Für die Medizin:
Resilienzförderung ist ein wirksames, oft kostengünstiges Werkzeug, um Behandlungserfolge zu verbessern. Wer psychisch stabil ist, hält Therapien besser durch, pflegt einen gesünderen Lebensstil und kommt seltener in seelische Krisen. Kliniken und Praxen, die Resilienz systematisch stärken, handeln evidenzbasiert – und menschlich zugleich.
Für die Gesellschaft:
Psychische Belastungen bei körperlichen Erkrankungen sind keine Randerscheinung – sie betreffen Millionen Menschen. Resilienzarbeit kann helfen, seelisches Leid zu lindern, Krankheitsverläufe zu verbessern und langfristig sogar Kosten im Gesundheitswesen zu senken. Eine resiliente Gesellschaft ist eine gesündere – und eine solidarischere.
Wir können zusammenfassend also festhalten: Wer Resilienz stärkt, stärkt Gesundheit. Für sich selbst – und für andere. Auch – und gerade – im Krankheitsfall.
Quellen
Daré, L. O., Bruand, P.-E., Gérard, D., Marin, B., Lameyre, V., Boumédiène, F., & Preux, P.-M. (2019). Co-morbidities of mental disorders and chronic physical diseases in developing and emerging countries: a meta-analysis. BMC public health, 19(1), 304.
Färber, F., & Rosendahl, J. (2018). Zusammenhang von Resilienz und psychischer Gesundheit bei körperlichen Erkrankungen.
Ould Brahim, L., Lambert, S. D., Feeley, N., Coumoundouros, C., Schaffler, J., McCusker, J., . . . Belzile, E. (2021). The effects of self-management interventions on depressive symptoms in adults with chronic physical disease (s) experiencing depressive symptomatology: a systematic review and meta-analysis. BMC psychiatry, 21(1), 584.
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Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.

Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Experten für angewandte Resilienz in Deutschland. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).