Das Modell der sieben Wege der Resilienz ist ein systemisch-konstruktivistisches Modell (in Anlehnung an Tom Andreas Grundmodell), um zu verstehen, wie Menschen „funktionieren“. Funktionieren in dem Sinne, dass es verschiedene Einflüsse und Auswirkungen gibt, die mit unserem Denken, Fühlen und Handeln in Verbindung stehen. Die Wege sind nicht getrennt voneinander zu betrachten, sondern eher in permanentem Wechselspiel und gegenseitiger Beeinflussung.
1. Weg: Wahrnehmung
Wir können nicht aufhören, Dinge wahrzunehmen. Selbst im Schlaf ist unsere unbewusste Wahrnehmung aktiv. Dabei ist Wahrnehmung im Prinzip das falsche Wort, denn wir bekommen Reize immer durch unsere eigenen Wahrnehmungsfilter. Weil die Wahrnehmung deshalb so individuell und alles andere als objektiv und realitätsgetreu ist, müsste man es eigentlich als "Wahrgebung" bezeichnen.
Es gibt neben den Wahrnehmungsfiltern noch zwei weitere Modi, die Welt zu betrachten: Fokussiert und Defokussiert. Dabei ist keines der beiden die resilientere Art der Wahrnehmung. Die Fokussierung hilft uns, ein Ziel zu verfolgen und uns zu konzentrieren. Allerdings kann ein Problemfokus zu Stress und fehlender Handlungsmacht führen. Defokussierung hilft gegen einen solchen Problemfokus und macht uns offen für neue Erfahrungen. Allerdings ist Defokussierung dann hinderlich, wenn wir uns so nicht auf eine Aufgabe oder ein Ziel konzentrieren können.
2. Weg: Körper
Unser Körper ist unser wichtigstes Tool. Wir sind schließlich mit unserem Körper in dieser Welt. In ihm bündeln sich alle Wege, denn jeder Weg hat Auswirkungen auf ihn, so wie er auch Auswirkungen auf die einzelnen Wege hat. Das beste Beispiel diesen Weg der Resilienz zu beschreiben ist Stress. Stress ist die Reaktion des Körpers auf einen Reiz der (meistens) über einen der anderen Wege vermittelt wird. Sei es durch den Kontakt zu einem anderen Menschen, eigene Gedanken, etwas Wahrgenommenes oder unser Tun. Unser Körper zeigt uns diesen Stress mit deutlichen Signalen an. Und die zentrale Fähigkeit für eine starke Resilienz ist es, dieses Feedback des Körpers wahrzunehmen und zu verstehen.
Und letztendlich ist der Körper auch ein Weg, Stress zu regulieren. Durch Regulationstechniken, wie Atmung, Klopfen, Sport, Meditation oder andere Formen der Regeneration können wir unserem Körper „funktionstüchtig“ halten.
3. Weg: Innerer Raum
Uns ist häufig gar nicht bewusst, welche Kraft in unserem inneren Raum liegt. Dieser Weg umfasst mehr als nur unsere Gedanken, in ihm ist unsere Sicht der Welt verankert, unsere Werte und unsere Haltungen. Das bedeutet gleichzeitig, dass unser Problemempfinden hier entsteht. Wir nehmen Dinge wahr, doch in unserem inneren Raum bewerten wir, ob etwas ein Problem ist oder nicht.
Unserer mentalen Welt sind dabei keine Grenzen gesetzt. Wenn Sie eine Person mit Angst vor Spinnen fragen, wie groß und schrecklich die Spinne in ihren Augen aussieht, dann hören Sie eine Antwort aus dem inneren Raum – wahrscheinlich so etwas wie„gigantisch“. Menschen mit einer hohen Horrorszenario-Kompetenz schmücken ihren inneren Raum regelmäßig mit schlimmen Vorstellungen. Wenn uns dagegen bewusst wird, dass unser Problemempfinden im inneren Raum stattfindet, können wir auch dort mit Problemlösungen ansetzen.
4. Weg: Kommunikation
Mit diesem Weg ist sowohl die Kommunikation zu anderen Menschen gemeint, als auch die Kommunikation zu sich selbst. Worte sind, neben der Körpersprache, der zentrale Weg, wie wir uns mitteilen. Dabei spielt es eine Rolle was wir sagen und wie wir es sagen. Authentische, gehirngerechte und wertschätzende Kommunikation ist die Kernkompetenz des resilienten miteinanders. Sie stärken so nicht nur Ihr eigenes mentales Immunsystem, sondern auch das Ihres Umfeldes.
Der Weg der Kommunikation ist eng verbunden mit dem inneren Raum. Denn wie wir über etwas sprechen hat Auswirkungen darauf, wie wir etwas denken und umgekehrt. So können beispielsweise Neurahmungen helfen, ein Problem aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Und es bedeutet auch, wie wir zu uns selbst sprechen beeinflusst, wie wir über uns denken. Denn Glaubenssätze, die wir uns selbst sagen, und Antreiber als Träger bestimmter Glaubenssätze, sind ebenfalls Teil dieses Weges. Eine wertschätzende Kommunikation mit sich selbst und mit anderen ist ein Weg zur Resilienz.
Hier kommt außerdem das Seitenmodell ins Spiel. Wir alle haben sozusagen ein inneres Team. Wir nehmen im Alltag verschiedene Rollen ein, die darüber bestimmen, „als wer“ wir gerade sprechen, zum Beispiel als Mutter, als Kollege, als Freund, als Vorgesetzter etc. Wir haben neben den Rollen auch noch unsere inneren Hüter, also unser Emotions-Team, wovon einzelne Mitglieder sich manchmal ans Mikrophon drängen. Da wir so viele innere Anteile auf unser mentalen Bühne haben, ist es nicht immer einfach sich auf einen gemeinsamen „Pressesprecher“ zu einigen, sodass es zu Zwickmühlen und Rollenkonflikten kommt. Hier hilft die resiliente Kommunikation, diese Konflikte zu lösen.
5. Weg: Verhalten
Das Verhalten, also wie wir ins Tun kommen, hängt vor allem von einer Sache ab: Entscheidungen. Die Voraussetzung für unser Verhalten sind Motivationen, die sich aus unseren Werten und dem Streben nach Bedürfniserfüllung ergeben. Doch es braucht immer die Entscheidung dazu, etwas zu tun oder zu lassen.
Insbesondere in stressigen Zeiten haben wir das Gefühl, dass uns die Möglichkeit zur Entscheidung fehlt und wir ein bestimmtes Verhalten einfach zeigen. Wir reagieren emotionaler oder verfallen einer Starre. Resilienz stärkt die Selbstwirksamkeit, also die Fähigkeit, über das Tun selbstbestimmt zu entscheiden.
6. Weg: Empathie
Wir Menschen brauchen Bindungen. Und die Fähigkeit tiefe, aufrichtige und wohltuende Bindungen aufrecht zu erhalten ist die Empathie. Es handelt sich hierbei weniger um ein Mitfühlen, sondern um das Erkennen der Gefühle anderer und das angemessene Reagieren darauf – um die kognitive Empathie. Wenn wir sehen und verstehen, was in anderen Menschen gerade vor sich geht, können wir solch wohltuende Bindungen herstellen.
Soziale Unterstützung ist einer der wichtigsten Schutzfaktoren für psychische Gesundheit. Das bedeutet, für unsere Resilienz und die unserer Mitmenschen ist es wichtig, Bindungen zu pflegen, Empathie zu trainieren und aufeinander einzugehen. So erhalten wir diese wichtige Unterstützung in schweren Zeiten und können sie auch anderen anbieten.
7. Weg: Kontext:
Auch bei diesem Weg der Resilienz kommt das Rollenmodell zum Tragen. Wer sind Sie, wenn Sie Zuhause sind? Welche Rollen nehmen Sie dort ein und wie füllen Sie diese aus? Und wie sieht das im Kontext der Arbeit aus? Der Kontext umfasst die Rahmenbedingungen, in denen wir die anderen Wege der Resilienz gehen können.
Denken Sie den Kontext dabei als einen implizit stets Einfluss nehmenden Weg. Denn nicht nur die Kontexte des Berufs- und Privatlebens zählen hier, sondern auch unser genereller sozialer Kontext. In welcher Kultur wir aufgewachsen sind, wie unsere familiäre Struktur ist , welche Freundeskreise wir haben, welchen Glauben und noch viele weitere Faktoren beeinflussen unser Denken, Fühlen und Handeln.
Unsere Resilienz entscheidet darüber, wie gut und schnell wir uns an die verschiedenen Kontexte anpassen können. Dazu braucht es die Adaptation an Situationen, die Regulation in den „Normalzustand“ und die Oszillation zwischen den verschiedenen Kontexten.
Das Grundmodell der Kommunikation
Das Grundmodell der Kommunikation ergibt sich aus der Gesamtbetrachtung der sieben Wege. Jeder Mensch, mit dem wir in Kontakt treten, bedient sich dieser Wege. Das heißt, für eine gelingende Kommunikation braucht es nicht nur das Wissen darüber, wie Dinge im eigenen inneren Raum beispielsweise repräsentiert werden, sondern, dass unser Gegenüber ebenfalls einen inneren Raum besitzt, den er über den vierten Weg zum Ausdruck bringt. Wir alle haben unsere Wahrnehmungsfilter und wir alle werden durch individuelle Motivationen angetrieben.
Resiliente Kommunikation beinhaltet den/die Kommunikationspartner/in mit all den damit zusammenhängenden Wegen zu verstehen. Nur so gelingt ein wertschätzendes Miteinander.
Der Zustand
Eine letzte, im Grunde genommen allumfassende, Komponente verbirgt sich in dem schlagenden Herzen: der Zustand! Nichts hat einen größeren Einfluss auf die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen, uns fühlen, denken, kommunizieren, uns verhalten oder mit Mitmenschen in unserem Kontext umgehen, als unser Zustand. Ein Grundsatz der Resilienz lautet:
Was immer du tust, tue es aus einem guten Zustand heraus!
Wenn wir in einem guten Zustand sind, gelingt es uns eher den Anforderungen des Alltags Stand zu halten und Stresseinladungen auch mal abzulehnen. Es gibt verschiedene Dinge, die den Zustand verändern können, zum Beispiel vermittelt über den Körper: Mit ausreichend Regeneration haben wir genügend Kraft für den Tag. Zu wenig erholsamer Schlaf mindert dagegen unsere Fähigkeit resilient auf Stress zu reagieren. Unser innerer Raum verändert ebenfalls den Zustand – Sie fühlen sich beim Grübeln über eine ungewisse Zukunft sicherlich anders als bei den Gedanken an ein freudiges Ereignis.
Die sieben Wege stehen in wechselseitigem Bezug zu unserem Zustand. Sie regulieren ihn ebenso wie er sie beeinflusst. Dieses Modell der sieben Wege soll Ihnen dabei helfen, sich selbst besser zu verstehen und Lösungen zu finden, um mit stressreichen Situationen flexibel umzugehen.
Die Inhalte und die Grafiken sind für die eigene Resilienz und ausschließlich zur privaten Nutzung gedacht! Jede Form der Weitergabe, anderweitiger Nutzung, Nutzung im Training, in Medien o.ä. bedarf der Genehmigung von Sebastian Mauritz (Resilienz Akademie Göttingen).