„Ich bin ja so ein Idiot!“ Es gibt wohl kaum einen Menschen, der nicht so oder so ähnlich schon mal über sich selbst gesprochen hat. Nicht selten sind wir selbst unser schärfster Kritiker, was leider Nachteile für unsere Resilienz mit sich bringt. Denn der Selbstvorwurf ist ein wahrer Resilienz-Dieb, indem er intrapersonellen Stress verursacht und uns unserer Selbstwirksamkeit beraubt.
Warum ist ein Selbstvorwurf ein Resilienz-Dieb?
Wir alle haben Erwartungen an uns selbst. Sei es in Bezug auf das Meistern einer bestimmten Aufgabe, um den Umgang mit anderen Menschen oder das Einhalten eines Werte-Gerüsts. Wenn wir diesen Erwartungen allerdings nicht gerecht werden können, zum Beispiel wie sie sehr unrealistisch waren, dann enttäuschen wir uns selbst. Und meist äußert sich das in einem Selbstvorwurf.
Wir machen uns selbst für Fehler und Misserfolge verantwortlich, wobei wir gleichzeitig in einen negativen inneren Dialog treten. Dieser dysfunktionale Umgang mit uns selbst führt dazu, dass wir uns sehr auf die negativen Aspekte unseres Selbst fokussieren. Selbstzweifel mindern dann unsere Selbstwirksamkeit und damit unsere Anpassungsfähigkeit an Probleme, Stress und Krisen.
Was ist ein Selbstvorwurf?
Selbstvorwurf bezeichnet die Tendenz, sich selbst übermäßig und oft auch ungerechtfertigt für negative Ereignisse, Fehler oder Misserfolge verantwortlich zu machen. Das äußert sich in Gedanken wie: „Ich bin nicht gut genug“, „Ich mache immer alles falsch“ oder „Ich bin ein Versager“. Unsere Antreiber-Motive spielen bei der Entstehung von Selbstvorwürfen eine zentrale Rolle, denn sie sind unser Anspruch, den es zu erfüllen gilt. Wenn wir zum Beispiel trotz unseres Antreibers „Sei perfekt“ einen Fehler machen, kommt es schnell zu einem Selbstvorwurf.
Dieser Resilienz-Dieb hat eine Besonderheit, denn er erzeugt zusätzlichen Stress durch einen intrapersonellen Konflikt – eine Zwickmühle. Für einen Selbstvorwurf braucht es einen inneren Anteil, der den Vorwurf macht und einen, dem etwas vorgeworfen wird.
Der Anteil, dem Fehlverhalten vorgeworfen wird, zeichnet sich durch die Emotion Scham aus. Scham ist unsere Hüterin des Selbstwertschutzes. Interessant dabei ist, dass Scham von einer Vermeidungsmotivation begleitet wird. Wir stoßen aufgrund einer Verhaltensweise unser eigenes Selbst ab, um unseren Selbstwert zu schützen.
Der vorwerfende Anteil ist durch Ärger gekennzeichnet. Und häufig hat dieser Anteil das mentale Mikrophon in der Hand und bestimmt, wie wir mit uns selbst sprechen. Ärger ist eigentlich der Hüter unser Werte und Ziele. Doch das Perfide daran ist, dass der Ärger in dieser Zwickmühle uns gleichzeitig zum Täter und zum Opfer erklärt. Weil wir uns selbst angreifen, sind auch wir selbst es, die angegriffen werden.
Wie können wir resilient mit einem Selbstvorwurf umgehen?
Um diese innere Zwickmühle zu lösen, müssen wir beiden Seiten Aufmerksamkeit schenken und die dahinterstehenden Bedürfnisse würdigen. Um die Scham des vorgeworfenen Anteils zu regulieren, braucht es vor Allem Selbst-Mitgefühl. Dr. Stefanie Neubrand führte in dem Kontext das Konzept der Impathie ein. Diese Form der internen Empathie sorgt dafür, dass wir uns besser vergeben können. Es stellt sich dann ein Gefühl ein, das sagt „Auch wir sind nur ein Mensch, der Fehler macht und machen darf“.
Der Ärger braucht dagegen Regulation, damit wir in der Selbstwirksamkeit bleiben und Verantwortung für das Erreichen unserer Ziele oder Einhalten unserer eigenen Werte bleiben können. Hierfür müssen wir zuerst reflektieren, welchen Wert wir verletzt haben, der diesen Ärger in uns auslöst. Die Achtsamkeit auf die eigenen Werte zu legen, führt dazu, dass wir ein klares Bild von unserem Selbstkonzept bekommen, das wir so auch besser beschützen können. Jeder Selbstvorwurf hilft uns also auch dabei, Selbstkonzept-Klarheit zu erlangen.
Wozu ein resilienter Umgang mit einem Selbstvorwurf führt
Ein resilienter Umgang mit Selbstvorwürfen führt zu einem stärkeren Selbstwertgefühl, einer besseren emotionalen Stabilität und eben auch einer stärkeren Selbstkonzept-Klarheit. Menschen, die lernen, ihre Selbstkritik zu überwinden, entwickeln eine positive Einstellung zu Herausforderungen und sehen Fehler als Chancen für Wachstum und Lernen. Dies führt zu einer erhöhten Lebenszufriedenheit, besseren zwischenmenschlichen Beziehungen und einer verbesserten Fähigkeit, mit Stress und Rückschlägen umzugehen. Langfristig fördert ein resilienter Umgang mit Selbstvorwürfen die psychische Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden, indem er eine gesunde Selbstakzeptanz und ein positives Selbstbild unterstützt.
Quellen
Neubrand, S. (2012). Impathie: Entwicklung und erste Validierung eines neuen Konstrukts.
Bildquellen: Grafiken by Dylan Sara, www.depositphotos.com
Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).