Warum wir uns mit Zukunftsangst beschäftigen
Wir befinden uns in einer Zeit, in der sich die Welt gefühlt in einem andauernden Ausnahmezustand befindet. Irgendwie wird es doch immer komplexer, die fortschreitende Digitalisierung und künstliche Intelligenz übersteigen das, was wir mit unserem Verstand greifen können. Wir hetzen, eilen, strengen uns an – kommen aber irgendwie trotzdem nicht hinterher, oder? Zu viele Informationen. Wir verlieren den Überblick. Vielleicht sogar den Zugang zu uns selbst. Dazu kommt eine, sagen wir, nicht-resiliente Kommunikation der öffentlichen Berichterstattungen mit Schreckensszenarien, die in den vergangen Jahren in der Bevölkerung viel Angst ausgelöst haben.
Der Blick in die Zukunft geht generell bei Menschen mit Unsicherheit und Angst einher. Das ist auch völlig normal und evolutionär betrachtet auch sinnvoll, um uns vor Gefahren zu schützen. Die Sorge um die Zukunft und unsere „Horrorszenariokompetenz“ (Dr. Gunther Schmidt) wurde aber gerade in den letzten Jahren durchaus gut befüttert. Die Auswirkungen zeigen sich in signifikant steigenden Zahlen von Angststörungen. Besonders auch unter jungen Menschen, die doch eigentlich von Zukunftsvisionen inspiriert, anstatt von Zukunftsangst bestimmt sein sollten.
Um Menschen dabei zu unterstützen, Krisen zu bewältigen und ihre Gesundheit zu stärken, fragen wir uns also: Was können wir der Zukunftsangst entgegensetzen oder vielmehr: Wie hilft uns Resilienz, um besser mit ihr umzugehen?
Was hinter der Zukunftsangst steckt
“Ich weiß, dass ich nicht weiß” – Sokrates (Philosoph der Antike)
Zukunft
Die Zukunft ist ungewiss. Das ist keine neue Erkenntnis, sondern so alt wie unsere Menschheitsgeschichte. Faktisch können wir nur wissen, dass dieser Moment in dieser Sekunde einzigartig und jetzt schon wieder vorbei ist. Alles das, was vor uns liegt ist unbekannt und wird durch viele verschiedenste Faktoren beeinflusst.
Unser menschliches Denken bezieht sich auf die Zeiträume der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diese Einteilung ist auch nützlich für die Verarbeitung und Sammlung von Erfahrungen, Ordnung oder Planung im Leben. Wenn wir uns in einer schweren Umbruchphase oder Krise befinden, schwingt dazu häufig die Frage mit, ob es vielleicht auch eine Zukunft gibt, die über dieses irdische Leben hinausgeht? Hier bricht das lineare Zeitdenken sozusagen auf und wir kommen in einen Bereich der philosophischen, spirituellen Fragen, die einen transzendenten Charakter haben und unser rationales Einordnen übersteigt.
„Zukunft kommt immer aus der Gegenwart. Du hast immer genau eine Möglichkeit, Zukunft zu gestalten. Das ist das Jetzt. (…) Nur was du in diesem Moment tust, verändert die Zukunft.“ – Max Thinius, Futurologe, Resilienz Kongress 2023
Fakt ist: Die Zukunft existiert nur in unseren Gedanken. Wir erzeugen sie in der Gegenwart in unserem Kopf. Und wenn wir die Zukunft nur in unseren Gedanken tragen, kann es auch nicht nur „die eine Zukunft“ geben.
Zukunftsforschung
Die Zukunftsforschung (auch Futurologie) spricht aus diesem Grund von „Zukünften“ und meint damit, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt, die Zukunft zu betrachten. „Die Zukunftsforschung ist eine Wissenschaftsdisziplin, die sich aus Statistik, Wahrscheinlichkeitslehre, Kulturwissenschaft, Systemtheorie und einer Vielzahl anderer Fachbereiche zusammensetzt. Es geht um die Analyse und längerfristige Prognose von Wandlungsprozessen.“ (Nähere Informationen unter www.zukunftsinstitut.de).
Die Zukunftsforschung beschäftigt sich eben auch mit dem Wandel und Potentialen, die die Zukunft bietet. Max Thinius ist Europas führender Futurologe und Zukunftsgestalter. Er spricht im Interview des Resilienz Kongresses 2023 unter anderem über wichtige Future Skills und damit einhergehende Werte für eine resilientere Gesellschaft.
„Zukunft kommt von uns“ – Max Thinius, Futurologe
Die Frage sei, wie Menschen auf die Zukunft blicken. Entweder sie malen sich Zukunftsszenarien aus oder sie erkennen die neuen Möglichkeiten, die Zukunft selbst zu gestalten. Viele Menschen hätten das Gefühl, die Zukunft würde irgendwie auf sie zukommen. Deutlich zeigt sich das bei dem Thema Digitalisierung – oder wie es M. Thinius benennt: „Digitalität“. Eine Mischung aus Digital und Realität, denn die Frage sei, was wir die Gesellschaft in der Realität draus macht.
Angst vor der Zukunft
Wie denken Sie über die Zukunft? Die Annahmen, die wir über unsere Zukunft (oder Zukünfte) haben, steuern uns also bewusst oder auch unbewusst. Sie wirken sich auf unsere Entscheidungen und Handlungsschritte aus– leider häufig im dysfunktionalen Sinne. Dies kann sich zum Beispiel darin äußern, dass sich Menschen zurückziehen, soziale Kontakte vermeiden, zwanghaft an „Altbewährten“ festhalten oder wortwörtlich aus Angst die Augen vor Neuem verschließen.
Angst als Schutzmechanismus
Evolutionär betrachtet schützt uns die Angst vor Gefahr. Ihre Funktion ist es, eine Bedrohung zu vermeiden oder Schaden zu reduzieren. Unser System reagiert bei einer empfundenen Bedrohung mit den biologischen Stressreaktionen Flucht oder Starre. Auch in der Mimik eines Menschen kann Angst erkannt werden. Beobachten Sie einmal: Wie und wann erkennen Sie Angst bei sich oder Ihren Mitmenschen? In welchen Momenten spüren Sie Angst und wie fühlt sich das an?
Die Emotion Angst aktiviert nach Ruben Langwara und Dirk W. Eilert eine „Vermeidungsmotivation“. Das bedeutet, dass wir so schnell es geht versuchen, der Gefahr zu entfliehen. Menschen, die Angst haben, neigen also eher dazu, Risiken zu vermeiden. Dazu trägt bei, dass die Situation insgesamt als risikoreicher eingeschätzt wird, wenn wir Angst haben. In einem Zustand ohne Angst, kann die Situation anders eingeordnet werden (Langwara/Eilert 2022). Austausch und ein neutraler Raum der Reflexion hilft sehr, um die Situation mit Distanz noch einmal zu reflektieren.
Die Angst vor der Zukunft zeigt sich vor allem auch dann, wenn wir ein Problem haben und unsere Wirksamkeit und der Einflussbereich begrenzt wird. Hier wird das Grundbedürfnis von Menschen nach Freiheit und Autonomie verletzt. Wenn dies eingeschränkt wird, wie beispielsweise in der Corona Pandemie, verstärkt sich die Angst.
Wie wir der Zukunftsangst begegnen können
Zukunftsangst kann Auswirkungen auf unsere geistige, soziale, seelische und auch körperliche Gesundheit haben. Durch Angst werden Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin ausgestoßen, der Atem wird flacher und es kann zu Herzrasen kommen. Nicht selten gehen Symptome wie Schlaflosigkeit, Migräne, Appetitlosigkeit, Depressionen oder Rückenschmerzen mit einer starken Angst einher.
Unser gesamtes System schreit uns hier förmlich an und sagt: Stop! Vorsicht! Du brauchst hier etwas…. aber was könnte das sein?
Sicherheit
Angst ist die Hüterin unserer Sicherheit. Wenn sie sich meldet, heißt das, dass unser Grundbedürfnis nach Schutz und Sicherheit nicht erfüllt ist. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass Angst nicht immer durch eine direkte konfrontative Bedrohung, sondern auch durch Ungewissheit ausgelöst wird. Wenn wir vor einer unbekannten Situation stehen und (noch) nicht wissen, wie wir sie lösen können. Ein gutes Beispiel sind Kleinkinder. Wenn sie von ihren Eltern getrennt werden, stellt bereits die Abwesenheit der Bezugsperson eine Bedrohung dar. Das Kind findet wieder zur Ruhe durch Zuwendung und der Vermittlung von Sicherheit (Langwara/Eilert 2022).
Sie erkennen allein aus diesem Beispiel, dass es auch im Erwachsenenalter nicht darum gehen sollte, gegen die Angst zu kämpfen und sie zu verdrängen. Vielmehr zeichnet sich eine starke Resilienz durch die Annahme der Angst und Würdigung von angstauslösenden, vielleicht auch traumatischen Erlebnissen aus der Vergangenheit aus. Hier kann therapeutische Hilfe sehr heilsam sein und den Weg für ein angstfreieres Leben öffnen.
Das Verstehen von Emotionen ist für uns ein wichtiger Bestandteil des Resilienz Coachings, um Stress und Krisen besser zu bewältigen. Denn eine dysfunktionale Angst blockiert unsere Lösungswege und Handlungsfähigkeit. Eine funktionale Angst kann dagegen eine gute Portion Energie geben und zur Leistung motivieren. Um aus der oben beschriebenen Dysfunktion herauszukommen, bieten Langwara und Eilert die Frage an: Was kann ich (heute) tun, damit ich mich sicher fühle?
Achtsamkeit
Oben wurde bereits die spirituelle Dimension benannt. Ein wichtiges Prinzip im Buddhismus ist es zum Beispiel, die Vergangenheit und Zukunft aufzuheben und ganz in der Gegenwart zu sein. Hier wird angestrebt, das Bewusstsein ganz auf das tägliche Leben und den jetzigen Moment zu richten.
Durch Meditations- und Achtsamkeitspraktiken lernen Menschen, im Augenblick präsent zu sein und sich nicht von Leid aus der Vergangenheit oder Ängsten in Bezug auf die Zukunft kontrollieren zu lassen. Denn die buddhistischer Lehre vermittelt, dass Angst nur durch Zukunftsgedanken entstehen kann. Die Ausrichtung auf das Hier und Jetzt ist nicht nur aus spiritueller Sicht, sondern auch neurobiologisch nachweislich heilsam. Alles, was wir achtsam tun, beruhigt unser Stresssystem und aktiviert den vorderen Teil des Frontallappens im Gehirn – unseren Präfrontalen Cortex, der für unsere kognitive Leistung wichtig ist.
Achtsamkeit bedeutet konkret, dass Sie sich zum Beispiel jetzt beim Lesen dieses Textes einzig auf das Lesen dieses Textes konzentrieren. Ohne auf weitere Impulse von außen einzugehen, Dinge zu durchdenken oder Zukünftiges zu planen. Den Fokus im Hier und Jetzt zu halten kann ganz schön anstrengend sein, oder? Um Zukunftsangst zu begegnen ist aber gerade diese Kompetenz des immer wiederkehrende Innehaltens und Zurückholen in den gegenwärtigen Moment wichtig. Sie können sich dafür immer wieder kleine Pausen einrichten. Lehnen Sie sich kurz zurück, um einen Moment feinfühlig mit sich zu werden und nur wahrzunehmen, was gerade ist, ohne zu bewerten.
Emotionsregulation
„Durch zweigeteilte Aufmerksamkeit und bewertungsfreie Beobachten wird der PFC gezielt aktiviert und die Amygdala fährt runter“ (D.W. Eilert).
Dirk W. Eilert bezeichnet diesen Vorgang als „bifokale Achtsamkeit“, bzw. „bineuronale Aufmerksamkeit“. Hier wird die Aufmerksamkeit auf mindestens zwei Dinge gleichzeitig gerichtet und sich darauf konzentriert. Es ist sozusagen eine Erweiterung bestehender Achtsamkeitstechniken. Ein Beispiel ist in Stresssituationen oder im gedanklichen Kontakt mit einer Situation, die in einem Zukunftsangst auslöst, innerlich anzufangen rückwärts zu zählen (z. B. von 100 in Zweierschritten zurück) und gleichzeitig langsam zu „tappen“. Ein Beispiel hierfür ist der Butterfly Hug.
In dem man regelmäßig bestimmte Punkte am Körper klopft, findet durch die Aktivierung des Präfrontalen Cortex eine Beruhigung statt. Unser System fährt herunter und wir können wieder besser atmen. Im Emotionscoaching nimmt diese Technik einen zentralen Stellenwert ein, um besser mit Problemen, Stress und Krisen umgehen zu können. Wenn Sie das Thema interessiert, lesen Sie gerne HIER Näheres zur Emotionsregulation.
Schutzschild Schutzfaktoren
Im Konzept der Salutogenese von des amerikanisch-israelischen Gesundheitswissenschaftlers A. Antonowksy, steht vor allem die Frage im Vordergrund, welche Prozesse es möglich machen, dass Menschen, trotz Extremsituationen gesund bleiben.
Es geht darum, gesunde Anteile zu vermehren und nicht die Krankheit zu reduzieren im Sinne eines Kontinuums. Das bedeutet, dass es sinnvoll ist, nicht gegen die Zukunftsangst zu kämpfen. Viel mehr bringt es, auf die Suche nach Anteilen zu gehen, die uns mehr in Richtung Gesundheit bewegen lassen. Diese Haltung beinhaltet auch, dass wir uns bewusst werden, die Angst nicht von heut auf morgen „beseitigen“ zu können. Sie darf sein und gleichzeitig ist es wichtig, sich darauf zu konzentrieren, was kontrolliert und beeinflusst werden kann. Entscheidend ist das Pendeln mit anderen Schutzfaktoren, um in eine gesunde Balance zu kommen und sich auf die Zukunft vorzubereiten.
Fragen Sie sich einmal: Welche Schutzfaktoren können Ihnen oder einem Menschen, den Sie kennen, bei Zukunftsangst helfen? Lassen Sie sich auch gerne von Ihrer Intuition leiten. Was braucht Ihre Seele, ihr Geist und ihr Körper, wenn Sie Angst haben? Wenn Sie ein wenig Inspiration zu Schutzfaktoren möchten, werfen Sie einen Blick in den Resilienz Artikel. Hier finden Sie eine Fülle von Faktoren, die der Aufrechterhaltung von Gesundheit dienen.
Zukunftsorientierung statt Zukunftsangst
Aus der Resilienzforschung wissen wir, wie wichtig der Schutzfaktor Zukunftsorientierung ist. Martin E.P. Seligman (et al. 2016) beschreibt die Vorausschau als menschliche Fähigkeit. Das eigene Handeln und das Handeln des Gegenübers im Vorfeld zu durchdenken und Folgen abzuwägen, hat sich evolutionär bewiesen. Wenn unsere Vorfahren in der Steinzeit sich keine Gedanken gemacht hätten, wie sie mit möglichst wenigen Verletzungen und geringem Zeitaufwand, das Wasser zur Gemeinschaft bringen können, hätte die menschliche Spezies wohl kaum überlebt.
Neben dem Faktor der Antizipation (Vorwegnahme), kommt nach Seligman auch die Kooperation mit ins Spiel. Denn durch die Unterstützung von anderen und einer guten Koordination, konnten die Gefäße sicherer und schneller zur Gemeinschaft getragen werden. Davon hatten am Ende alle etwas. Das bedeutet, dass es definitiv Sinn macht, die Zukunft abzuwägen und Pläne zu schmieden, um zu überleben. Mit sozialer Unterstützung kann uns das noch ein kleines Stückchen leichter fallen.
Positive Zukunftsbilder erzeugen
Hier liegt der Einflussbereich, der vielen Menschen noch zu wenig bewusst ist. Denn die Suche nach Antworten und Umgangsstrategien mit Panikattacken etc. mündet meistens in der Suche im Außen. Die eigene Kraft, die Gedanken- und Emotionswelt trainieren zu können, ist vielen Menschen fremd.
Wenn wir verstehen, dass wir die Zukunft aus unserem aktuellen Zustand heraus erzeugen, zeigt dies auch, wie wichtig es ist, dass wir in einem guten Zustand sind. Durch einen guten Zustand, in dem wir Zugriff auf unsere Ressourcen und Schutzfaktoren haben, sehen wir die Zukunft positiver und andersherum. Und wenn wir verstehen, dass die Zukunft nur in unserem Kopf ist, haben wir theoretisch einen Sack voller Möglichkeiten, die Zukunft kreativ zu gestalten. Wir können sie innerlich konstruieren und einfach mal zu schauen, was passiert. Um positive Zukunftsbilder zu erzeugen bieten sich zum Beispiel meditative Gedankenreisen, Visualisierungen, Visionsarbeit oder kreatives Schreiben an.
Das Faszinierende ist, dass sich angenehme Zukunftsbilder, die wir in unser Unterbewusstsein verankern, nachweislich positiv auf unser Fühlen, Denken und Handeln in der Gegenwart auswirkt. Lassen Sie sich vielleicht auf das Experiment ein und überprüfen Sie nach gewisser Zeit: Hat sich durch ein anderes inneres Bild etwas im Außen verändert?
Hoffnung
„Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Ängstlichkeit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ 2. Timotheus 1:7
Eine Bibelstelle mag für den ein oder anderen jetzt irritierend sein. Zentral ist für uns die damit verbundene Nachricht: Die Liebe steht über der Angst.
Im Christentum wird der Blick in die Zukunft gerichtet. Deutlich wird dies schon in den zentralen Tugenden Glaube-Liebe-Hoffnung. Der Glaube gründet auf dem, was war. Die Liebe bezieht sich auf das, was gerade ist und die Hoffnung bezieht sich auf das, was kommt. Die Hoffnung ist letztlich das, was im tiefsten Leiden, Menschen am Leben hält und weitermachen lässt. Wenn wir das Gefühl haben, keine Hoffnung mehr zu haben, sind Sinnkrisen nicht weit. Sinn zu suchen und zu finden – beispielsweise im Musizieren, durch die Familie oder berufliche Erfüllung – schenkt Menschen (neue) Hoffnung und hält sie lebendig. Hoffnung ist für uns in der seelischen Resilienz eine Art Geländer der Resilienz. Wenn wir auf etwas hoffen können, werden wir wieder aufgerichtet und bekommen ein Gefühl von Sicherheit und Autonomie zurück.
Krieg und Zerstörung, Leid und Krisen, Sorgen und Ängste sind Teil dieses Lebens. Wir haben vieles in der Hand – manches aber nicht. In der Hoffnung steckt deshalb auch Trost. Wenn auch dieses Leben sehr schmerzhaft und vieles für uns nicht zu verstehen ist, gibt es möglicherweise noch einen Ort nach diesem Leben, der frei ist von Leid, Schmerzen und Angst. Vielleicht schwingt ja die Zukunft in unserer Seele mit– in der Ausrichtung auf das, was vielleicht noch kommen wird. Sicher können wir nicht sein. Deshalb spricht man ja auch von Glauben und nicht von Wissen.
Wozu Resilienz bei Zukunftsangst hilfreich ist
Sorgen und Ängste haben aus der individueller Perspektive immer eine Berechtigung. Entscheidend ist aber unsere Haltung und das Verhältnis zur Wirklichkeit. Die Dosis kann ja bekanntlich das Gift machen. Spätestens, wenn Zukunftsängste den Alltag beeinträchtigen und Handlungen blockieren, ist es hilfreich, mit anderen Menschen darüber zu sprechen.
Denn die Selbstwirksamkeit ist eine unserer wichtigsten Resilienzfaktoren. Wenn unsere Selbstwirksamkeit durch die Angst vor der Zukunft unterbunden und gestört wird, lohnt es sich, ein Coaching oder eine psychosoziale Unterstützung aufzusuchen, um wieder handlungsfähig zu werden und die Freude am Leben zurückzugewinnen. Dazu zählt auch, die vielen Möglichkeiten der Zukunft (wieder) zu erkennen. Neugierig und offen zu sein und sich als Mitgestalter:in zu betrachten.
„Wenn ich weiß, was ich heute mit den Möglichkeiten von morgen machen kann – und nicht, was andere vielleicht damit machen könnten – dann habe ich das Gefühl, dass die Zukunft mich nicht zum Spielball macht, sondern, dass ich mit der Zukunft spielen kann.““– Max Thinius, Futurologe
Mentale und körperliche Regulation
Wie oben beschrieben, zeigt sich Angst in körperlichen Symptomen wie Herzrasen, flacher Atmung, Rückenschmerzen etc. Andersherum können wir schlussfolgern, dass ein gesunder Körper auch der Verringerung Angst beiträgt. Die Regulationsfähigkeit wird durch unsere körperliche Resilienz ermöglicht. Beispielsweise zeigen etliche Studien die positiven Auswirkungen von Sport gegen Angststörungen. Durch Bewegung werden Hormone wie Serotonin, Dopamin und Noradrenalin ausgeschüttet.
Um Angst und Depressionen zu verringern, bietet sich vor allem Ausdauersport und regelmäßige Aktivitäten in der Natur an. Der Kontakt zur Natur wirkt sich nachweislich extrem positiv auf die Verringerung von Angst und Panikattacken aus. Durch grüne Farben, Düfte und die Verbindung zur Erde werden alle unsere Sinne aktiviert.
Die mentale Resilienz hilft besonders dabei, die Angst als Hinweisgeber für ein unerfülltes Bedürfnis zu erkennen und neue Lösungen zu finden, die das Gefühl von Sicherheit geben. Auch Glaubenssatzarbeit ist hilfreich, um unseren Selbstwert zu stärken und damit selbst-bewusster in die Zukunft zu schauen. Außerdem hilft uns unsere mentale Resilienz dabei, neue Strukturen und Gewohnheiten zu etablieren, die Stress und Angst reduzieren.
Seelische Resilienz
Die Seelische Resilienz ist für uns die stärkste Kraft in diesem Kontext im Umgang mit Ungewissheiten und Zukunftsängsten. Wie Sie schon im Laufe des Textes lesen konnten, spielen transzendente Gedanken und Schutzfaktoren wie Hoffnung eine große Rolle. Denn die Angst sitzt in unserer Gesellschaft sehr tief und Menschen isolieren sich zunehmend mehr. Das Kohärenzgefühl ist bei vielen gestört. Auch weil traditionelle Strukturen und Bräuche immer mehr wegfallen, die früher Menschen das Gefühl von Gemeinschaft und Sicherheit gaben.
Wissenschaft
Neurowissenschaftlich kann man sagen, dass das Gehirn ein Vorhersagegenerator ist. Das bedeutet, dass unser Gehirn täglich Hochrechnungen in Bezug auf die Zukunft macht. Und hier entsteht automatisch die Unsicherheit. Für Vorhersagen und den Umgang mit Ungewissheiten braucht unser Gehirn deshalb Zuversicht und Vertrauen. Wenn wir uns dessen bewusst sind, wird deutlich, wie wichtig das Stärken von Schutzfaktoren ist, die das (Ur)Vertrauen wiederherstellen. Beispielsweise spielen hier Faktoren wie Verbundenheit, Besinnung oder Gelassenheit mit rein, die nachweislich zur Beruhigung der Amygdala – unserem Alarmzentrum im Gehirn – beitragen.
In der Sinnforschung wird zum Beispiel aus dem „warum“ aus der Vergangenheit ein „wofür“ in der Zukunft. Nach Viktor Frankl ist die Sinnsuche der größte Antreiber von Menschen und damit einer der existentiellsten Schutzfaktoren, um mit Angst umzugehen. In dem wir Zielen und Visionen folgen, spüren wir, dass das Leben lebenswerter wird. Uns treibt etwas an. Das wäre nicht so, wenn es keine Zukunft geben würde. Wir dürfen also hoffen und sollten der Zukunft einen Vertrauensvorschuss geben (Prof. Dr. T. Schnell 2020).
Auch die Zukunftsforschung belegt, dass Vertrauen und Zuversicht entscheidende Faktoren sind, um innovatives Zukunftsdenken zu fördern. Dagegen blockiert Zukunftsangst unsere Kreativität, die nach M. Thinius eine zentrale Kompetenz der Zukunft ist. Mehr Leichtigkeit wieder zu finden, entsteht vor allem durch innere Harmonie und nicht durch äußere Faktoren. Unsere Seele führt uns zu den Dingen, die uns von innen heraus erfüllen und Freude bringen.
Von Zukunftsangst zu Zukunftsvorfreude
Risiken und Gefahren werden letztlich immer Teil unseres Lebens bleiben – ebenso wie Angst und Unsicherheit zu unserem Leben dazu gehören, um uns vor Bedrohung zu schützen. Die gute Nachricht ist: Wir haben Einfluss und können durch unser Denken und aktives Handeln in der Gegenwart unsere Zukunft gestalten. Wir können unsere Annahmen auf die Zukunft verändern und sie als Chance anstatt als Bedrohung erkennen. Nur rein hypothetisch… Was wäre, wenn alle Menschen ihre Haltung darauf ausrichten würden, die Zukunft in eine wünschenswerte, sinnvolle Richtung zu lenken?
Zukunftsangst sollte vor allem mit Blick auf unsere seelische Gesundheit nicht verdrängt werden. Vielmehr ist es wichtig, die Zukunftsangst anzunehmen und, wie Dr. Gunther Schmidt es immer so schön sagt, ausreichend zu würdigen. Das bedeutet auch, im ersten Schritt die Wahrnehmung und Reflexion zu stärken, um dann in die Handlungsfähigkeit zu kommen.
Mögliche Fragen wären: Wo und wie zeigt sich in mir Zukunftsangst und Unsicherheit? Wovor konkret hab ich eigentlich Angst? Erkenne ich auch Möglichkeiten, Chancen? Was kann ich heute für morgen tun? Gibt es neue Erkenntnisse, die ich für mich und andere in der Gesellschaft nutzen kann? Wie kann ich neugierig sein und mein Herz wieder mit schönen Zukunftsbildern füllen?
» Die Angst vor einer Zukunft, die wir fürchten, können wir nur überwinden durch Bilder von einer Zukunft, die wir wollen. « Wilhelm-Ernst Barkhof
Quellen und Hinweise:
- Langwara, Ruben; Eilert, Dirk W.: Die Kraft unserer Emotionen 2022.
- Schnell, Tatjana: Psychologie des Lebenssinns 2020.
- Zukunftsinstitut die Trend- und Zukunftsforschung: www.zukunftsinstitut.de
- Informationen zu Max Thinius unter: www.maxthinius.de und im Gespräch des Resilienz Kongresses 2023: www.2023.resilienz-kongress.de/speaker/max-thinius
- Lernmaterialien der Future Skills Initative: Future-Skills-Box: https://www.it-fitness.de/Projekte/2672_Lernmaterialien_Future_Skills_Box.htm
- Karten Zukunftskompetenzen: https://www.it-fitness.de/mediabase/pdf/Karten_Kompetenzen_2022_4860.pdf
Christina Comnick, M.A. Management–Education–Diversity (Sozial- und Gesundheitsmanagement), ist Kooperationspartnerin der Resilienz Akademie und Expertin für „Seelische Resilienz“. Gemeinsam mit Sebastian Mauritz entwickelt sie das Konzept und leitet die dazugehörige Fortbildung. Sie ist Resilienz-Trainerin & Coachin, Antigewalt- und Kompetenztrainerin und setzt sich seit ca. 15 Jahren für die Prävention seelischer Gesundheit und Krisenintervention ein. Ihre Schwerpunkte liegen auf den Themen: Sinn, Spiritualität, Intuition, Emotionsregulation und Deeskalation. (www.christinacomnick.de)
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 200 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de).