Oder: Was wir von Winnie Puuh lernen können
Wu Wei, ein Begriff aus dem Daoismus, bedeutet „Handeln durch Nichthandeln“ und stellt eine Philosophie dar, bei der wir in Harmonie mit dem Fluss des Lebens stehen. Statt zwanghaft Kontrolle auszuüben oder ständig zu agieren, lehrt uns Wu Wei, durch Gelassenheit und Vertrauen in den natürlichen Lauf der Dinge zur Balance zu finden. Ein anschauliches Beispiel ist Winnie Puuh: Der Bär lebt im Moment, drängt sich nicht auf und erreicht oft das, was er braucht, indem er den Dingen ihren natürlichen Lauf lässt. Diese Geisteshaltung zeigt, wie wir durch das Loslassen von übertriebenem Ehrgeiz und Kontrolle im Leben oft mehr erreichen und uns freier fühlen können.
Warum Nichtstun manchmal das beste Handeln ist
Im hektischen Alltag verspüren wir häufig den Drang zum sofortigen Handeln. Erfolg, Produktivität und Effizienz sind Werte, die in unserer Gesellschaft hochgehalten werden, und aktiv zu sein, gibt uns das Gefühl, Kontrolle über unser Leben zu haben. Doch oft führt dieser Aktivismus auch zu Stress, gar Burnout und einem Gefühl der inneren Leere, wenn das Ziel – sei es beruflich oder privat – nie erreicht zu sein scheint.
Wu Wei lehrt uns, dass es Situationen gibt, in denen das aktive Nichtstun, also das bewusste Innehalten und Zulassen, das beste Handeln sein kann. Wenn wir immer handeln, versperren wir uns oft den Zugang zu natürlichen Lösungen, die sich von selbst ergeben könnten. Durch unmittelbares Handeln können auch Hindernisse oder Konflikte entstehen.
Zum Beispiel bekommen Sie eine Mail von Ihrem Chef, die bei Ihrer momentanen Arbeitslast unmögliches von Ihnen verlangt. Statt nun eine saftige Mail mit gezückten Flammenschwertern zurückzuschreiben, können Sie es auch einfach nicht tun. Oder Sie tippen zwar, drücken aber nicht auf „senden“. Stattdessen praktizieren Sie Wu Wei.
Wu Wei bietet eine Perspektive des Loslassens – eine Weisheit, die uns ermöglicht, Dinge geschehen zu lassen, anstatt uns ihnen entgegenzustellen. Es ist wie das Gefühl, wenn wir aufhören, gegen die Strömung zu schwimmen, und uns stattdessen treiben lassen. Und wer weiß, vielleicht ergeben sich in der Zwischenzeit Umstände, die Ihre Arbeitslast reduzieren, eine nette Kollegin oder ein netter Kollege meldet sich für Hilfe oder Sie haben einfach Zeit zur Regulation und können Ihre Ressourcen neu sammeln. All dem geben Sie keine Chance, wenn Sie immer sofort handeln.
Was ist Wu Wei?
Wu Wei ist chinesisch (無為 / 无为) und bedeutet wörtlich „Nicht-Handeln“ und ist ein Grundprinzip des Daoismus. Anders als das einfache Nichtstun beschreibt Wu Wei ein aktives Vertrauen in den natürlichen Fluss der Dinge. Es ist das Handeln ohne Zwang, das Tun im Einklang mit der Situation.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die Natur selbst: Ein Baum wächst in seinem Tempo, er kämpft nicht gegen den Wind oder gegen das Wetter. Er passt sich an und lässt die Dinge sich entwickeln. Wu Wei lädt uns ein, in unseren Handlungen Flexibilität und Gelassenheit zu kultivieren und uns auf die natürlichen Rhythmen des Lebens einzulassen. Wichtig ist hierbei die Abgrenzung von Faulheit oder Prokrastination. Es geht um eine tiefe Form von Akzeptanz von dem, was gerade ist bei einem gleichzeitigen Empfinden von Selbstwirksamkeit.
Tao Te Puh
Sie kennen sicherlich Winnie Puuh, der kleine Bär aus dem Hundertmorgenwald, der viele Abenteuer mit seinen Freunden erlebt. Dass wir von Winnie Puuh viel lernen können, wissen nicht nur Eltern – der amerikanische Autor Benjamin Hoff veröffentliche in den 1980er Jahren das Buch „Tao Te Puh“. Darin zeigt der Autor auf, wie Winnie Puuh als Verkörperung des daoistischen Prinzips uns wertvolle Lebensweisheiten mitgeben kann.
Die Lebensweise von Puuh ist pures Wu Wei. Er lebt im Hier und Jetzt, handelt aus der Situation heraus und vertraut darauf, dass das, was geschehen soll, auch geschehen wird. Statt Dinge zu erzwingen, zeigt er uns, wie wir mit Leichtigkeit und Gelassenheit ans Ziel gelangen können. Oft sogar effektiver als durch Mühe und Ehrgeiz, woran wir im Kontrast oft seinen Freund Rabbit scheitern sehen.
Zu dem zeigt uns Puuh noch eine weitere wertvolle Lektion: Er zeigt uns, dass wir alle einzigartig sind und jeder seine Stärken und Schwächen hat, was vollkommen okay und richtig ist. Winnie Puuh versucht nie, jemand zu sein, der er nicht ist, sondern nimmt sich so an. Dabei ist es allerdings nicht so, dass er keine Sorgen oder keine Motivationen hätte. Doch der Weg, wie er ans Ziel kommt, ist stets gekennzeichnet von Vertrauen, dass er an sein Ziel kommen wird.
„Ich komme immer irgendwo an, indem ich von dort losgehe, wo ich gerade war.“ – Winnie Puuh
Der Fokus auf dem Weg
Das Wort „Tao/Dao“ lässt sich mit „Weg“ oder „Pfad“ übersetzen. Der daoistische Weg fordert uns auf, nicht nach einem festgelegten Ziel zu streben, sondern den Moment zu erfahren, das Jetzt und die inneren Impulse zu achten und weniger durch festgelegte Pläne zu leben.
Ein daoistisches Gleichnis verdeutlicht diesen Ansatz: Ein Fluss findet seinen Weg durch das Tal, fließt um Steine herum, nimmt Umwege in Kauf und fügt sich dabei ganz in die Landschaft ein. Der Fluss kämpft nicht gegen die Hindernisse, er passt sich an, bleibt jedoch unaufhaltsam und erreicht schließlich sein Ziel. In ähnlicher Weise fordert Wu Wei dazu auf, mit dem Leben zu „fließen“, das heißt, sich den Gegebenheiten anzupassen und Vertrauen zu haben, dass sich vieles ohne unser aktives Eingreifen entwickeln kann.
Wenn wir den Fokus öfter auf den Weg als auf das Ziel richten, merken wir, dass Zufriedenheit und Erfüllung oft in der Erfahrung selbst liegen, nicht in den Ergebnissen. So wie ein Fluss sich nicht zwingt, schneller oder direkter zu fließen, sollen auch wir dem Rhythmus unseres Lebens folgen, uns für Gelegenheiten öffnen und Widerstände weniger als Feinde, sondern als Hinweise auf Umwege akzeptieren. Das heißt, Wu Wei lädt uns ein, das Leben so zu erleben, wie es ist, statt es ständig formen oder erzwingen zu wollen. Dies ist ein zentraler Aspekt des Daoismus: die Demut vor dem großen Ganzen und das Vertrauen, dass der „Weg“ (das Dao) uns trägt.
Wie können wir Wu Wei im Alltag anwenden?
Nichtstun ist jedoch manchmal leichter gesagt als getan. Wir alle haben innere Antreiber in uns, die ihren Namen nicht von ungefähr haben. Im Alltag fühlen wir uns oft getrieben, Dinge zu organisieren und zu planen, To-Dos abzuhaken und möglichst viel an einem Tag zu erledigen. Dazu kommt noch, dass wir auch unsere Freizeit durchtaktieren, um unsere Zeit bestmöglich auszuschöpfen. All diese Kontrollmechanismen führen dazu, dass wir Stress produzieren, um unser Aktivitätsniveau an die ganzen Anforderungen anzupassen. Wie können wir aus diesem Hektik-Kreislauf ausbrechen?
Einen Schritt zurück machen
Gerade wenn es mal „stressig“ ist, hilft es ganz bewusst einen Schritt zurück zu machen. Wenn wir beispielsweise in einem Konflikt oder einer stressigen Situation stecken, ist das impulsive Reagieren oft kontraproduktiv. Stattdessen könnten wir versuchen, die Situation zu beobachten und nicht sofort zu handeln – ein „gezieltes Nichthandeln“. Durch diese innere Gelassenheit erkennen wir möglicherweise neue Wege oder Lösungen, die vorher nicht sichtbar waren.
Ein netter Gedanken-Anker könnte sein: „What would Pooh do?“ – Was würde Puuh tun?
Mehr Pausen einbauen
Nicht nur in hitzigen Momenten sondern auch in unserem alltäglichen Gang können wir Wu Wei fließend einbauen. Statt uns durch eine endlose To-Do-Liste zu hetzen und von einer Aufgabe zur nächsten zu springen, kann ein bewusster Moment des Nichtstuns – eine kurze Pause mit Bewegung oder ein Blick aus dem Fenster – unsere Kreativität und Energie zurückbringen.
Wir können Wu Wei praktizieren, indem wir uns auf die Dinge fokussieren, die natürlich und leicht von der Hand gehen, und erkennen, wann es Zeit ist, eine Pause einzulegen.
Wozu führt mehr Wu Wei im Leben?
Mehr Wu Wei im Leben bedeutet, das Leben als Fluss zu erleben, dem wir nicht ständig entgegenwirken müssen. Es führt zu mehr innerem Frieden, weniger Stress und einem tieferen Vertrauen ins Leben. Wir gewinnen die Fähigkeit, das Unkontrollierbare anzunehmen und uns der natürlichen Entwicklung der Dinge hinzugeben. Das kann unsere Beziehungen verbessern, uns bei der Arbeit erfolgreicher machen und letztlich zu einer gesünderen Lebensweise beitragen.
Wenn wir den Gedanken des Wu Wei in unser Leben integrieren, erleben wir eine neue Form von Effizienz und Leichtigkeit. Wir lernen, dass nicht alles unter unserer Kontrolle stehen muss und dass vieles von allein seinen Platz findet, wenn wir aufhören, uns krampfhaft darum zu bemühen. Wu Wei zeigt uns: Manchmal ist der beste Weg, nichts zu tun, und das Leben wird seinen natürlichen Lauf nehmen.
Quellen:
Hoff, B. (1984). Tao-te-Puh: Das Buch vom Tao und von Puh dem Bären. Synthesis-Verlag.
Bildquellen: www.depositphotos.com: sunrise over River@PixelsAway, Winnie the Pooh@Alekuwka, Grafik: Dylan Sara
Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).