Resilienzmodelle scheint es beinahe wie Sand am Meer zu geben. Auf unserer Seite „Resilienzmodelle im Vergleich“ haben wir Ihnen nur einen kleinen Ausschnitt an den vorhandenen Modellen zusammengestellt und auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin analysiert. Die meisten Resilienzmodelle beziehen sich auf Schutzfaktoren, welche die Resilienz stärken. Darüber hinaus gibt es diverse Stressmodelle oder Prozessmodelle, die zwar Resilienz als Teil der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung von psychischem Wohlbefinden und Gesundheit aufführen, aber nicht auf konkrete Wirkmechanismen eingehen.
Unser Ziel ist es, Resilienz umfassend zu begreifen, weshalb wir ein Meta-Modell der angewandten Resilienz entwickelt haben. Damit wird es möglich, ein ganzheitliches Verständnis aufzubauen, wie Menschen gelingend mit Stress umgehen können um vor, während und nach Krisen nicht nur psychisch gesund zu sein, sondern sich vielleicht sogar entfalten zu können.
Warum schauen wir auf vier Arten der Resilienz?
Je intensiver wir uns mit dem Thema Resilienz beschäftigt haben, desto stärker wurde der Gedanke, dass es gar nicht möglich ist, die eine Resilienz zu definieren. Das wird auch in der Resilienzforschung deutlich. Es gibt bisher keine Definition, auf die sich die Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Disziplinen (Psychologie, Neurobiologie, Soziologie, etc.) einigen konnten. Eine Auswahl an diversen Definitionen der Resilienz findet man unter www.Resilienz-Akademie.com/Resilienz. Gleichzeitig zeigte sich, dass die meisten Definitionsversuche sich lediglich auf die psychischen Auswirkungen beschränken, obwohl die Stressforschung zeigt, wie eng Körper, Geist und Seele miteinander verbunden sind. An der Begrifflichkeit der „Psyche“ sehen wir darüber hinaus einen Aspekt, bei dem eine Unterscheidung in mental und seelisch durchaus sinnvoll ist.
Wir haben deshalb ein differenziertes Modell der Resilienz entwickelt, das sich im Kern aus vier Arten der individuellen Resilienz zusammensetzt. Diese beschreiben wir (Mauritz, van der Linde, Comnick, Langwara, 2023) wie folgt:
- Körperliche Resilienz
- Seelische Resilienz
- Mentale Resilienz
- Emotionale Resilienz
Das Ziel einer solchen Unterscheidung der Arten der Resilienz ist es, der Komplexität des Themas auf der einen Seite gerecht zu werden und auf der anderen Seite gleichzeitig die Verbindung und das Zusammenspiel der unterschiedlichen Wirkmechanismen im menschlichen Erleben zu verdeutlichen. Das Modell soll Unterscheidung und Verbindung vereinen, um einen ganzheitlichen Blick auf die Resilienz, genauer gesagt auf unser Konzept der angewandten Resilienz zu ermöglichen.
Dabei ist uns wichtig, dass das Modell zur praktischen Anwendung im Alltag genutzt werden kann, daher der Ansatz der angewandten Resilienz. Das Modell soll sowohl professionell Unterstützenden – wie Therapeuten und Therapeutinnen, Coaches, Trainer:innen und Berater:innen – als auch Privatpersonen, Teamleitenden und Führungskräften einen Anhaltspunkt geben, Resilienz aktiv im Alltag zu stärken, Probleme strukturell schneller zu erfassen und effektiver zu lösen.
Modell oder Konzept?
Wie denken wir über Resilienz-Modelle? Wie bereits erwähnt, bestehen die meisten Resilienz-Modelle im Bereich der angewandten Resilienz aus einer Auflistung an Schutzfaktoren, die entweder auf verschiedene Art und Weise in Wechselwirkung miteinander stehen, oder nebeneinander gleichwertig aufgezeigt werden. Ein Beispiel dafür ist das in Deutschland wahrscheinlich bekannteste Modell der sieben Säulen der Resilienz nach Ursula Nuber (Nuber, 1999 und 2006, basierend auf www.apa.org). Hier wird das Bild der Säulen genutzt, um zu verdeutlichen, wie sieben Kernaspekte Stabilität für eine starke Resilienz geben.
Obwohl es sich dabei um ein konkretes Bild handelt, ist dies jedoch streng genommen kein Modell. Vielmehr handelt es sich hierbei um ein Konzept. Unter einem Modell verstehen wir im Allgemeinen eine spezifische Darstellung eines Konzepts. Das heißt, Modelle veranschaulichen bestimmte Aspekte, Beziehungen, Muster oder Eigenschaften innerhalb eines Konzepts. Ein Konzept wiederum ist eine abstrakte Idee oder Vorstellung, oft ohne konkrete Struktur oder zwingende Darstellungsform.
Die vier Arten individueller Resilienz sind also eher ein Konzept. Dennoch werden wir es im Folgenden als Resilienz-Modell bezeichnen. Das hat zwei Gründe. Zum einen ist es für den Sprachgebrauch intuitiver. Denn eine visuelle Darstellung speichern wir eher als Modell ab, anstelle eines abstrakten Konzepts. So machen wir es für unsere Gedankenwelt handhabbarer und es lässt sich leichter erinnern. Zum anderen führt diese Art der Abspeicherung als Modell zu einer besseren Anwendung für die Praxis.
Unser Anliegen ist es, Resilienz anwendbar zu machen, damit Menschen mit Stress, Problemen und Krisen schneller und einfacher geholfen wird. Dazu ist ein Modell (auch wenn es eigentlich ein Konzept ist) sehr hilfreich und nützlich.
Und an dieser Stelle braucht es noch einen Disclaimer: Denn wie jedes Modell der Welt ist auch unseres weder vollständig noch die Wahrheit.
Im Prinzip sind alle Modelle falsch,
aber manche sind nützlich
George Edward Pelham Box
(britischer Statistiker)
Es beruht auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und einem reichen praktischen Erfahrungsschatz.
Der Ginkgo-Baum als Resilienz-Metapher
Die Resilienz eines Individuums lässt sich mit der Metapher eines Baumes beschreiben. Ein Baum steht fest verwurzelt in der Erde, wächst gen Himmel und trotzt den Elementen – ein lebendiges Symbol für Stabilität und auch Anpassungsfähigkeit. In dieser Betrachtung nutzen wir den Ginkgo-Baum als Sinnbild für Resilienz. In diesem Text werden wir die vier Hauptbestandteile eines Baumes – Wurzeln, Stamm, Äste und Blätter – heranziehen, um die verschiedenen Arten der individuellen Resilienz zu verbildlichen.
Der Ginkgo Biloba, auch Fächerbaum genannt, stammt ursprünglich aus Ostasien und ist bis heute als Kultur- und Tempelbaum dort sehr beliebt. Im 18. Jahrhundert wurde er nach Europa gebracht, wo er seitdem als Ziergehölz geschätzt wird. Der Ginkgo zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit aus: Er kann in verschiedenen Klimazonen und Bodenbeschaffenheiten gedeihen und wird kaum von Schädlingen befallen. Diese Anpassungsfähigkeit ermöglicht es dem Baum, ein beeindruckendes Alter von 1.000 Jahren – laut Überlieferungen sogar bis zu 4.000 Jahren – zu erreichen.
Seine Samen und Blätter werden seit Jahrhunderten als Heilmittel verwendet, und auch in der modernen Medizin schreibt man dem Ginkgo-Extrakt durchblutungsfördernde und kognitive leistungssteigernde Wirkungen zu. In der asiatischen Mythologie symbolisiert das einzigartige, zweigeteilte Blatt des Ginkgos den Yin-Yang-Gedanken, der für die Integration von Gegensätzen zu einem harmonischen Ganzen steht. Der Ginkgo-Baum repräsentiert damit eine Lebensweise, die von Gesundheit, Ästhetik und Balance geprägt ist und die Dualität des Lebens in sich vereinigt.
Ein herausragendes Merkmal des Ginkgos ist seine Regenerationsfähigkeit. Selbst nach den verheerenden Atombombenabwürfen in Hiroshima überlebten Ginkgo-Bäume und begannen bereits nach einem Jahr wieder zu ergrünen. Diese Eigenschaften machen den Ginkgo Biloba zu einem wahren Symbol der Resilienz, das uns lehren kann, wie wir in unserem eigenen Leben Widrigkeiten überwinden und gestärkt daraus hervorgehen können.
Wie die vier Arten individueller Resilienz entstanden sind
Bereits 2021 wurde klar, dass Resilienz mehr als nur psychische Widerstandskraft sein muss. Schließlich haben Faktoren wie Schlaf, Umgebungslärm oder Ernährung einen extremen Einfluss darauf, wie gut wir in der Lage sind, mit schwierigen Situationen umzugehen, ohne dass unsere psychische Gesundheit leidet. Wir haben uns die Frage gestellt, warum das so ist. Und so haben wir erstmals über körperliche Resilienz nachgedacht. Das Konzept der körperlichen Resilienz wurde von Sebastian Mauritz und Gerhard Moser entwickelt.
Allerdings war uns in der Dualität von körperlicher und psychischer Resilienz wichtig, auch die Psyche differenzierter zu betrachten und dadurch herauszufinden, wie und warum bestimmte Techniken oder Strategien Resilienz fördern. Besonders mit Blick auf schwere Krisen, posttraumatischen Wachstums und existentiellen Schutzfaktoren, wie Sinn und Spiritualität, entwickelten 2022 Sebastian Mauritz und Christina Comnick das Konzept zur seelischen Resilienz bzw. „Seelienz“.
Nun hatten wir die Möglichkeit genauer zu differenzieren, was uns auf körperlicher Ebene hilft, wieder regulationsfähiger zu werden und zu bleiben, und was uns bei schwerem Krisenerleben hilft, mit diesen umzugehen. Was es dann noch zu ergänzen galt war die Überlegung, wie wir im Alltag mit Stress und Problemen umgehen, und die „normalen“ Themen, Aufgaben und je nach persönlicher Beschreibung die kleinen Krisen des Alltags zu bewältigen und sogar daraus persönlich lernen zu können.
Dazu brauchte es eine Unterscheidung von zwei Kernprozessen, auf die wir gleich noch ausführlich zurückkommen: Regulation und Adaptation. Denn die Mechanismen, die uns bei der Regulation von Stress helfen, sind nicht zwangsläufig an Lernen und Entfaltung beteiligt. Und so haben 2023 Sebastian Mauritz und Ruben Langwara die Unterscheidung der mentalen und emotionalen Resilienz eingeführt.
Alle Aspekte zusammen fügten 2023 dann Sebastian Mauritz, Christina Comnick, Ruben Langwara und Rebecca van der Linde dann zum „Modell der vier Arten individueller Resilienz“ zusammen.
Was sind die vier Arten individueller Resilienz?
Bevor wir uns die einzelnen Arten genauer anschauen, kommen wir auf die Begriffe Regulation, Adaptation und Oszillation zurück. Dazu ein Blick ins Gehirn. Geht man davon aus, dass das Gehirn ein musterbildendes Organ ist, es als Organfunktion Lernen hat und als Vorhersagegenerator permanent aus den Erfahrungen der Vergangenheit Vorhersagen auf die Zukunft erzeugt, dann wird klar, dass Resilienz eine wichtige Rolle im täglichen Leben spielt. Solange die Vorhersagen passen, funktionieren unsere Muster und wir können in gewohnter Weise leben. Gleichzeitig gibt es dann aber für das Gehirn nichts zu lernen. Sprich das Gehirn fängt an, Probleme dadurch zu erzeugen, dass es den Toleranzbereich, den es als Problem definiert, verkleinert. Es gibt dazu ein bekanntes Experiment, was als das Problem der gelösten Probleme beschrieben wird.
„Alles Leben ist Problemlösen“
So sagte es der Philosoph Sir Karl R. Popper in seinem letzten Werk. Und kein Zitat könnte besser beschreiben, warum Resilienz so eine zentrale Rolle spielt. Denn zu leben, bedeutet zwangsläufig in Kontakt mit Situationen zu kommen, für die wir noch keine Lösung haben. Das kann als ein Verlassen der Komfortzone beschrieben werden, die wir eher als Alltagszone oder Gewohnheitszone beschreiben. Sie ist dadurch charakterisiert, dass wir für die Aufgaben im Alltag gewohnte Muster haben, um die Aufgaben zu lösen. Kommt etwas Neues hinzu, dann gilt es, kreativ oder aber auch mit bekannten Mustern zu versuchen, einen Umgang mit dem Neuen zu finden. Das bedeutet, Leben ist Bewegung – genauer eine Art Oszillationsbewegung zwischen Bekanntem und Neuen, wobei zu viel vom einen genauso dysfunktional ist, wie ein zuviel vom anderen. Um diese Bewegung mit und in Richtung Zufriedenheit, Wohlbefinden und Wachstum zu gestalten, brauchen wir Regulation, Adaptation.
Um auf Resilienz zu sprechen zu kommen braucht es hier fünf Kontexte, die potenziell die Regulationsfähigkeit senken und Zufriedenheit, Wohlbefinden und Wachstum behindern können, wenn der Umgang damit in dysfunktionaler Art und Weise gelebt wird. Diese Kontexte korrelieren mit den vier Arten der individuellen Resilienz und einer der Kontexte baut dann die Brücke in die kollektive Resilienz.
- Probleme, genauer Problemerleben
- Stress, genauer Stresserleben
- Konflikte, intra- und interspychisch (siehe kollektive Resilienz)
- Krisen, genauer Krisenerleben
- Trauma
Hier kommen wir zu den Arten der individuellen Resilienz, die wir, obwohl man die Kontexte, in denen sie relevanter werden, grob zuordnen können, möchten wir darauf hinweisen, dass es sich nicht um eine strikte Trennung handelt – die aus systemischer Sicht weder valide noch sinnvoll ist. Zwischen den einzelnen nach angesprochenen Aspekten Probleme, Stress, Krisen und Konflikte unterscheiden wir aber, um die Kontexte zu definieren, in denen die einzelnen Arten der Resilienz wichtiger werden. Die Zuordnung soll somit ein besseres Verständnis von jeweiligen Wirkmechanismen der Resilienz geben.
Adaptation
Wir verstehen unter Adaptation das funktionale Anpassen an neue Herausforderungen und Lernen im weitesten Sinne. Für uns ist eine gelingende Anpassung (wohlgemerkt ohne Selbstaufgabe) nicht nur ein zentraler Bestandteil einer starken Resilienz – es ist das Erfüllen unser Gehirnfunktion. Kein Organ in unserem Körper braucht so lange, bis es wirklich ausgereift ist, der präfrontale Cortex entwickelt sich noch bis ins 20. Lebensjahr hin. Und auch kein Organ bleibt ein Leben lang so veränderbar. Der Nutzen besteht darin, dass wir jederzeit in der Lage sind, zu lernen, und uns an neue Lebensumstände anzupassen, um so unser Überleben zu sichern.
Die mentale und die seelische Resilienz sind es vor allem, die zu einer funktionalen Adaptation beitragen. Die mentale Resilienz wirkt dabei durch die zahlreichen Strategien zur Aktualisierung unserer inneren Modelle der Welt. Kognitive Flexibilität ist hier der Kern der mentalen Resilienz. Die seelische Resilienz dagegen hilft uns, Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft zu absorbieren und durch Selbsttranszendenz, uns der Welt zu öffnen und so Anpassung und Integration von Erfahrungen möglich zu machen.
Regulation
Regulation, bzw. Regulationsfähigkeit hat Schwerpunkte im Bereich der körperlichen und emotionalen Resilienz. Wir verstehen Regulation dabei nicht nur als einen zentralen Teil der Resilienz, da sie unseren allgemeinen Umgang mit Stress verbessert und Wohlbefinden fördert. Sie ist auch die Grundvoraussetzung, damit Lernen und so auch Wachstum überhaupt möglich wird.
Die emotionale Resilienz stärkt unsere Fähigkeit zur emotionalen Flexibilität, was Stress reduziert und dazu führt, dass wir unsere Emotionen als Ressource für die Bewältigung von Herausforderungen nutzen können.
Die körperliche Resilienz als Basis all unserer Regulationsfähigkeit nimmt auch bei der Stressregulation eine tragende Rolle ein. So sorgt eine starke körperliche Resilienz dafür, dass unser System besser mit Stress umgehen kann.
Zusammenfassend könnten wir sagen, dass diese beiden Resilienzarten helfen, im sogenannten „Fenster der Toleranz“ zu bleiben. Das Konzept nach dem Psychiater und Professor für klinische Psychologie Dr. Dan Siegel beschreibt, dass wir eine bestimmte Stressaktivierung brauchen, um Lernen möglich zu machen. Sowohl zu viel Stress (Hyperarousal) als auch zu wenig Stress (Hypoarousal) verhindern Adaptation (vgl. Siegel, 1999).
Oszillation
Sowohl Adaptation als auch Regulation sind wichtig, um diese gesunde Bewegung zum Problemlösen möglich zu machen. Diese Bewegung bezeichnen wir als Oszillation.
Oszillation bedeutet so viel wie „Schwingung“ oder „Schwankung“ und bezeichnet dabei regelmäßige wie auch unregelmäßige wiederkehrende Muster. Wenn wir uns die Prozesse im Körper anschauen, wird deutlich, dass Leben bedeutet, zu oszillieren. Wir finden diese Schwingungen zum Beispiel bei:
- Unseren Gehirnwellen: Neuronale Muster sind immer Schwingungen, kein Signal läuft durchgängig, sondern wird in Wellen gemessen.
- Den circadianen Rhythmen und Schlafzyklen: Beim Thema Schlaf finden wir Schwingungen einerseits bei der Betrachtung unserer inneren Uhr und unserer Tagesgestaltung, und andererseits beim Schlaf selbst, der sich in unregelmäßig lange Schlafphasen wiederholend einteilen lässt.
- Unserem Atemrhythmus: So banal das klingt, aber allein das Atmen bedeutet zu oszillieren – zwischen Ein- und Ausatmen.
Wir möchten noch einen weiteren Punkt aufführen, der im Resilienzkontext eine besondere Rolle einnimmt: der Herzrhythmus. Genauer gesagt, die Herzratenvariabilität (HRV). Sie gilt in der Forschung als einer der wichtigsten körperlichen Indikatoren, wie resilient wir sind, denn sie misst, wie schwingungsfähig unser System ist. Obwohl wir es oft so dargestellt bekommen, schlägt unser Herz niemals in exakt demselben Takt. Falls doch, ist das eher ein Hinweis auf einen pathologischen Zustand. Die Abstände zwischen den einzelnen Herzschlägen variieren immer ein kleines bisschen – mal ist die ‚Pause‘ 746ms, mal 841ms, dann wieder 735ms. Und diese Schwankung ist gesund und wichtig – je größer die HRV desto resilienter das System. Denn das macht uns anpassungsfähig, das ermöglicht überhaupt Regulation.
Oszillation ist gewissermaßen Resilienz an sich, denn es bedeutet gesundes Leben. Nur wenn wir schwingungsfähig sind, sind wir in der Lage das Leben mit all seinen Anforderungen zu bewältigen und so Gesundheit und Wohlbefinden herzustellen, bzw. zu bewahren.
Körperliche Resilienz (nach Mauritz, Moser)
Beginnen wir mit dem physischen Aspekt der Resilienz. Wie bereits erwähnt, fokussieren sich die meisten Resilienzmodelle auf die psychische Komponente der Resilienz. Im Sinne einer angewandten Resilienz können wir jedoch den Körper nicht außer Acht lassen, um effektiv Maßnahmen zur Resilienzstärkung einzusetzen. Wohlbefinden und Gesundheit zeigen sich in erster Linie im Körper und wir merken sehr schnell, wenn eines der beiden nicht mehr in gewünschtem Maß vorhanden sind. Bei den meisten von uns zeigt sich Stress früher oder später durch körperliche Symptome, wie beispielsweise Nackenschmerzen, Verdauungsprobleme, aber auch Bluthochdruck oder chronische Schmerzen, um nur einige zu nennen.
Dabei ist der Körper nicht allein eine Art Anzeigemedium für unser Stresslevel, denn wir reagieren nicht nur durch psychische Einwirkungen mit Stress. Nehmen wir das Beispiel Schlafmangel. Schlafmangel, unabhängig davon, wodurch er ausgelöst sein mag, löst eine biologische Stressreaktion aus: Er erhöht den Cortisolspiegel (vgl. Leproult, Copinschi, Buxton, & Van Cauter, 1997), aktiviert das sympathische Nervensystem (Meerlo, Sgoifo, & Suchecki, 2008) und beeinflusst die Entzündungswerte (Irwin, 2019), nur um einige Effekte auf den Körper zu nennen. Umwelteinflüsse wie Licht, Lärm und Luft haben ebenfalls direkten Einfluss auf unsere Stressreaktion, frei von psychischen Komponenten.
Wir sind mit unserem Körper in der Welt und können und dürfen ihn nicht ignorieren, wenn wir Resilienz fördern wollen.
Die Wurzeln des Ginkgo-Baumes repräsentieren die körperliche Resilienz. Wie ein Baum durch seine Wurzeln Nährstoffe und Wasser aus der Erde zieht, so zieht der Mensch durch den Körper Energie und Vitalität aus der Umwelt. Diese fundamentale Ebene sorgt für die Stabilität des Gesamtsystems und ermöglicht das Wachstum der anderen Resilienzarten. Spannenderweise wird die körperliche Resilienz, wie wir sie definieren, häufig übersehen und nicht in Interventionen zur Stärkung oder Wiederherstellung von Regulationsfähigkeit einbezogen. Fast so, als wäre sie „unter der Erde“ und deshalb nicht sichtbar.
Die zentralen Systeme körperlichen Resilienz
In unserem Konzept der körperlichen Resilienz spielen vier grundlegende Systeme eine entscheidende Rolle:
- Immunsystem: Obwohl Resilienz oft als psychisches Immunsystem (auch hier lohnt sich aus unserer Sicht die Unterscheidung in mentales und seelisches Immunsystem) bezeichnet wird, trägt unser biologisches Immunsystem einen entscheidenden Teil zu unserer generellen Fähigkeit bei, Stress zu regulieren und mit Herausforderungen und Belastungen gelingend umzugehen. Komplexitätsreduzierend ausgedrückt ist es die Aufgabe unseres Immunsystems, zwischen Eigenem und Fremden zu unterscheiden. Schädliches wird dabei abgestoßen, bzw. bekämpft, um unsere Gesundheit zu gewährleisten und das empfindliche Gleichgewicht des Inneren zu wahren.
- Nervensystem: Das Nervensystem ist sowohl die Schaltstelle für all unsere bewussten Handlungen und Gedanken wie auch für unbewusst ablaufende Prozesse, die zur Oszillation beitragen. Es ist auch der wichtigste Akteur bei der biologischen Stressreaktion und damit ein sehr wichtiger Teil, wenn wir uns Resilienz und ihre Wirkung anschauen.
- Hormonsystem: Unser Hormonhaushalt ist Teil des empfindlichen Gleichgewichts, das der Körper zu jeder Zeit ausbalanciert. Wenn hier eine Dysbalance entsteht, führen wir es allerdings nicht gleich auf die Hormone zurück, sodass dieses System leider erst sehr spät und häufig noch viel zu wenig Beachtung in den Bestrebungen nach Gesundung findet.
- Entgiftungssystem: Ebenso wie das Entgiftungssystem, das genau wie das Immunsystem eine äußerst schützende Funktion einnimmt. Nicht nur Leber, Nieren und Darm spielen hier eine große Rolle. Es handelt sich um ein komplexes Netzwerk von Organen und Enzymen, das darauf ausgelegt ist, den Körper vor potenziell schädlichen Substanzen, wie Toxinen und Metaboliten, zu schützen oder diese zu entfernen.
Wie können wir körperliche Resilienz fördern?
Der Kern der Resilienzförderung auf körperlicher Ebene ist die (Wieder-)Herstellung der Regulationsfähigkeit. Unser Körper befindet sich in einem stetigen Prozess zur Aufrechterhaltung des inneren Gleichgewichts – der Homöostase, die wir im Folgenden wegen der Prozesshaftigkeit eher als Homöodynamik beschreiben. Themen wie Ernährung, Schlaf und Bewegung sind deswegen, neben regulierenden Techniken der Achtsamkeit, im Fokus.
Die Fortbildung körperliche Resilienz der Resilienz Akademie Göttingen ist darauf ausgelegt, Menschen zum einen ein fundiertes Wissen über die vier zentralen Systeme der körperlichen Resilienz zu geben und zum anderen praktische Umsetzungshilfen anzubieten, Regulation zu fördern, um so bei oder nach Belastung schneller ins eigene Gleichgewicht zu kommen.
Wozu führt die Stärkung von körperlicher Resilienz?
Die Stärkung der körperlichen Resilienz sollte im Grunde genommen zu Beginn einer jeden Resilienzförderung stehen. Denn der Körper bietet die Basis, sozusagen den nährhaften Boden, in den wir mithilfe der anderen Arten der Resilienz Ressourcen pflanzen. Ohne diese Basis können sonst wirksame Schutzfaktoren ins Leere laufen und so keine oder kaum Wirkung im Alltag entfalten.
Wir sind mit unserem Körper in der Welt, er ist das Medium, mit dem wir sozusagen ‚stressen‘, aber auch mit dem wir Stress regulieren können. Das wirkt sich dann auf alle Bereiche unseres Lebens aus, nicht nur auf unsere ‚objektive‘ Gesundheit. Körperliche Resilienz ist die Grundlage für jegliche Form von Wohlbefinden, Wachstum und Gesundheit im allumfassenden Sinn. Ein schönes Zitat von Arthur Schopenhauer verdeutlicht:
„Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts“.
Seelische Resilienz (nach Mauritz, Comnick)
Die nächste Art der Resilienz, die wir uns nun anschauen, ist ein Feld, das in der klassischen Forschung noch wenig untersucht ist. Was auch daran liegen mag, dass es, trotz etlicher Bemühungen, nach wie vor schwer ist, das Immaterielle und „Nicht-Greifbare“ mit wissenschaftlichen Methoden zu erforschen: die Seele. Die tiefere Beschäftigung mit ihr lässt sich vielmehr in philosophischen, theologischen und anthropologischen Erörterungen finden. Wir sind der Auffassung, dass dieser Teil der Resilienzbetrachtung unabdinglich ist, um zu verstehen, woraus Menschen in schweren Krisen ihre Kraft schöpfen, um „trotzdem Ja zum Leben“ (nach Viktor E. Frankl) zu sagen.
Kommen wir an dieser Stelle nochmal auf den Begriff der Psyche zu sprechen. Der Begriff, der aus dem Altgriechischen stammt (ψυχή), bedeutet übersetzt „Seele“. Allerdings verstehen wir im Allgemeinen und vor allem in der Psychologie unter der Psyche alles, was das Geistige umfasst – insbesondere die mentalen Aspekte. Um einer Begriffsverwirrung entgegenzuwirken, sprechen wir also nicht von psychischer Resilienz. Wir könnten aber sagen, dass die Arten der Resilienz sich in eine physische und drei psychische Komponenten unterscheiden lassen.
Im Laufe der Jahre haben wir diverse Biografien hoch resilienter Menschen analysiert. Und dabei ist deutlich geworden, dass gerade unter extremen Belastungen, wie dem Leben in einem Konzentrationslager oder dem gewaltvollen Tod eines Lebenspartners/Partnerin, es nicht nur mentale und emotionale Coping Mechanismen waren, die den Menschen gesund erhielten und sein Überleben sicherten. Es zeigte sich ein Aspekt, den wir am ehesten als seelische Resilienz bezeichnen können. Menschen erleben Stress nicht allein im Körper oder in den Gedanken. Besondere Belastungen können metaphorisch gesagt auch das Herz berühren und es verschließen. Um das zu verhindern, müssen wir uns der Seele zuwenden.
Der Stamm des Ginkgo-Baumes steht für die seelische Resilienz, die den Kern des menschlichen Seins ausmacht. Aus spiritueller Sicht ist es die Seele, die dem Körper das Leben einhaucht. In der Seele liegen die Urressourcen des Menschen und in ihr steht die Geschichte eines Individuums geschrieben. So auch beim Stamm. Laut der Dendrochronologie („Baum-Zeit-Kunde“) zeigen die Jahrringe eines Baumes nicht nur dessen Alter an, sondern auch die Umweltereignisse, denen er ausgesetzt war. Waldbrände, Trockenheit, Insektenbefall, starker Wind und auch sehr gute Jahre, all das steht im innersten des Baumes geschrieben. Aus diesem Grund ist die Einkehr nach innen und die Beschäftigung mit der eigenen Biografie bei der seelischen Resilienz so entscheidend.
Die vier „Seelienz-Faktoren“ der seelischer Resilienz
Bei den vier Kernaspekten handelt es sich um die zentralen Schutzfaktoren, die Vertrauensfähigkeit stärken und den Umgang mit Ungewissheit verbessern. Diese Aspekte sind:
- Sinn: Sinnerleben führt uns zu unserer Seele und fängt Menschen in schweren Krisen auf. Zudem ist Sinn ein wahrer Gesundheitsbooster! Sinnerleben stärkt unser Immunsystem, reduziert Entzündungswerte, motiviert uns von innen heraus und führt uns zu den Aspekten, die uns wirklich erfüllen (vgl. Schnell, 2020). Hier zeigt sich auch die Verbindung zu den Meta-Schutzfaktoren der mentalen Resilienz.
- Intuition: Hier geht es kurz gefasst um das Denken, ohne zu denken. Die Intuition steht für die Rückkehr zu unserer inneren Weisheit und für das Vertrauen in unseren Erfahrungsschatz. Einer der bekanntesten Intuitionsforscher, Prof. Dr. Gigerenzer, verwendet die Begriffe Intuition, Bauchgefühl und Ahnung austauschbar „(…)um ein Urteil zu bezeichnen, das rasch im Bewusstsein auftaucht, dessen tiefere Gründe uns nicht ganz bewusst sind und das stark genug ist, um danach zu handeln.“ (Gigerenzer 2021). Ein guter Zugang zur Intuition ermöglicht schnellere Entscheidungsfindung und ebnet einen Weg, frühzeitig Stressoren und Belastungsfaktoren wahrzunehmen und proaktiv zu reagieren.
- Spiritualität: Gerade in der Not stellen sich Menschen häufig die Frage, woher die Seele eigentlich kommt und wohin sie wohl gehen mag. Etliche Biografien zeigen, dass Menschen auf faszinierende Weise beschreiben, wie sie durch Transzendenzerfahrungen zu einem neuen spirituellen Bewusstsein kamen und dass es, vielleicht, noch mehr gibt. Etwas, das über unser messbares Denken hinausgeht und uns während und nach Krisen wieder aufrichtet.
- Vision: Visionsarbeit bietet sich wunderbar an, um Haltungsfragen und höhere Ziele zu reflektieren und damit mehr Leichtigkeit in schwere Themen zu bringen. Sie kann aus spiritueller Perspektive betrachtet werden oder, wie es heute vielseitig auch im Business-Kontext zu finden ist, als Synonym für positive Zukunftsbilder. Gerade wenn mehrere Menschen zusammen visionieren, entsteht eine besondere (Ver-)Bindung und Kraft, die dazu beiträgt, flexibler auf Veränderungen zu reagieren und gemeinsame Lösungswege zu finden.
Wie können wir seelische Resilienz stärken?
Der Kern der seelischen Resilienz Stärkung liegt darin, das Vertrauen (wieder-)herzustellen. Wir könnten hier auch von Urvertrauen sprechen, das uns allen mit Geburt zur Verfügung steht, doch wir im Laufe unseres Lebens leider oft die Verbindung zu dieser kraftvollen Ressource verlieren. Aus diesem Grund geht es bei der Resilienzförderung insbesondere um die Hinwendung zu unserem Innersten.
Die Fortbildung seelische Resilienz der Resilienz Akademie Göttingen legt genau darauf den Fokus. Auf Basis wissenschaftsorientierter Erklärungsmodelle nähern wir uns der Frage, was die seelische Resilienz für Sie persönlich bedeuten kann und wie Sie das „leise Flüstern der Seele“ besser wahrnehmen können. Dafür lernen Sie die oben genannten „Seelienz-Faktoren“ näher kennen und wie Sie diese mittels erfahrungsbasierten Übungen in Ihre Praxis integrieren können.
Wozu führt die Stärkung der seelischen Resilienz?
Wie bereits erwähnt, ist die Seele etwas, das wir nicht greifen können und in unserer sehr kognitiven, evidenzgetriebenen Welt auch gerne übersehen oder ignorieren. Dabei brauchen wir die seelische Resilienz immer mehr, gerade in einer Welt der Ungewissheit, Schnelllebigkeit und fortschreitenden Digitalisierung. Der Kontakt zu unserer Seele führt uns in die Stille und stärkt unsere Fähigkeit, Unsicherheit zu absorbieren und in den Fluss des Lebens zu vertrauen. In alltäglichen und insbesondere in schweren Krisen.
Wenn wir uns der Seele hinwenden, stärken wir nicht nur die Verbindung zu uns selbst, sondern auch zu anderen Lebewesen, der Natur und vielleicht auch zu einer höheren Wirklichkeit – was auch immer das für einen persönlich bedeuten mag. Der Aspekt der Selbsttranszendenz wirkt dabei als maßgeblicher Faktor, der uns über uns hinauswachsen lässt und einen gelingenden, vertrauensvolleren Umgang mit Herausforderungen fördert.
So sagte der Psychotherapeut Prof. Dr. Uwe Böschmeyer:
„Je mehr du dem Leben vertraust, desto öfter zeigt es sich von seiner hellen Seite.“
Mentale Resilienz (nach Mauritz, van der Linde)
Wir widmen uns nun als drittes der mentalen Resilienz, die wohl dem allgemeinen Verständnis von Resilienz in Forschung und Gesellschaft am nächsten kommt. Wie bereits beschrieben, sprechen wir hier explizit nicht von psychischer Resilienz, da der Begriff der Psyche irreführend in Bezug auf die seelische Resilienz ist. Ebenfalls sehen wir von einer rein kognitiven Resilienz ab, da sich auch bei der mentalen Resilienz Wirkmechanismen zeigen, die nicht allein kognitiv zu bezeichnen sind.
Warum brauchen wir mentale Resilienz? Die Antwort fällt einfach, wenn wir uns allein unsere Arbeitswelt anschauen. In Deutschland beispielsweise ist die Wirtschaft von Dienstleistungs- und Informationsberufen geprägt. Viele Belastungsfaktoren beziehen sich auf die mentale Arbeit, wie hoher Leistungsdruck, hohe Arbeitsanforderungen, komplexer werdende Sachverhalte, etc.
Gleichzeitig sind wir als Gesellschaft im Außen mit Faktoren konfrontiert, die die subjektiv erlebte Sicherheit reduzieren und ein hohes Maß an Flexibilität fordern. Krisen wie die Corona-Pandemie, aber auch technologische Entwicklungen wie KI-Nutzung stellen Unternehmen, und damit auch ihre Mitarbeitenden, Teamleitenden und Führungskräfte vor Herausforderungen, denen sie vorher noch nicht begegnet sind und für die es noch keine Lösung gibt.
Wenn wir uns dann das Privatumfeld anschauen, wird auch hier deutlich, dass mentale Belastungen zunehmen. Selbstkritik und Eigenanspruch werden durch intensive Social-Media-Nutzung genauso genährt wie Manipulation und Ideologisierung. Zwar leben wir in einer Welt, in der wir durch die Eingabe in ein Suchfeld innerhalb weniger Sekunden auf schier unendliches Wissen zugreifen können, doch das führt dazu, dass wir die Welt immer komplexer wahrnehmen, immer weniger Durchblick durch Informationen und Fakten haben. All das kann Unsicherheit, innere Antreiber, äußere Konflikte und psychische Belastung erzeugen oder verstärken.
Zusammenfassend könnten wir sagen: Wir brauchen mentale Resilienz, um Probleme zu lösen, damit dann indirekt Stress zu reduzieren und in einer komplexen, Unsicherheit hervorrufenden und schnelllebigen Welt nicht nur funktionieren zu können, sondern uns im ‚Chaos‘ des Alltags auch zu entfalten.
Die Äste des Ginkgo-Baumes symbolisieren die mentale Resilienz. Während der Stamm mit dem Boden verwurzelt ist und die Bodenhaftung hält, suchen sich die Äste ihren Weg in die Höhe und in die Breite. Bei der mentalen Resilienz geht es primär darum, kognitiv flexibel zu sein, um kreative Lösungsansätze für neue Probleme zu finden. Spannenderweise verhält sich ein Baum in seinem Wachstum ähnlich wie die Bildung des neuronalen Netzwerks im menschlichen Gehirn.
Stellen Sie sich einen jungen Baum vor, der schnell in die Höhe schießt, um Licht zu erhaschen, während sein Stamm noch dünn und biegsam ist. Das entspricht dem jungen Gehirn, das schnell neue Synapsen bildet, während die Seele noch verletzlich und formbar ist. In der Reifephase verzweigt sich der Baum, wird stabiler und seine Struktur komplexer. Das Gehirn durchläuft eine ähnliche Phase, in der es effizientere neuronale Netzwerke entwickelt. Schließlich erreicht der Baum sein volles Wachstum, stabilisiert sich und zeigt eine weise Robustheit im Alter, obwohl er weniger neue Zweige bildet. Das alternde Gehirn zeigt ähnliche Merkmale, bleibt jedoch anpassungsfähig und lernfähig durch fortlaufende, wenn auch weniger intensive, neuroplastische Prozesse.
Wie bereits erwähnt wachsen die Äste in Richtung Sonne. Bäume, wie übrigens auch Menschen, sind heliotrop (wir wenden uns zur Sonne). Im Kontext der mentalen Resilienz bedeutet dies, dass wir aktiv nach der Lösung eines Problems suchen.
Die vier Meta-Schutzfaktoren der mentalen Resilienz
Im Gegensatz zu den meisten Resilienzmodellen, wollen wir bezüglich der mentalen Resilienz im ersten Schritt nicht einzelne Schutzfaktoren betrachten, sondern gehen auf vier Meta-Schutzfaktoren ein. Diese bestehen aus den Kohärenzfaktoren nach Aaron Antonovsky mit der Ergänzung durch Sebastian Mauritz.
Aaron Antonovsky war ein Medizinsoziologe, der das Konzept der „Salutogenese“ entwickelte, das sich darauf konzentriert, was Menschen gesund hält, anstatt was sie krank macht. Im Zentrum seiner Theorie steht das Konzept des „Kohärenzgefühls“ (Sense of Coherence, SOC), das beschreibt, inwiefern Menschen ihre Umwelt und die darin auftretenden Herausforderungen als sinnvoll, verständlich und handhabbar erleben (vgl. Antonovsky, 1987).
Verstehbarkeit (Comprehensibility) bezieht sich auf das Gefühl, dass die aufgenommenen Informationen klar und geordnet sind. Das bedeutet übrigens nicht, dass wir alles auf der Welt verstehen müssen, um mental resilient zu sein. Doch eine hohe Verstehbarkeit führt dazu, dass wir bessere Erwartungen an die kommenden Ereignisse stellen können, was Stress minimiert.
Machbarkeit/Handhabbarkeit (Manageability) ist im Grunde genommen eine hohe empfundene Selbstwirksamkeit, bzw. die Selbstwirksamkeitserwartung. Dieser Faktor beschreibt, inwiefern wir Zugriff auf unsere Ressourcen haben, um mit Herausforderungen und Problemen gelingend umgehen zu können. Eine hoch empfundene Machbarkeit führt dazu, dass wir in die Umsetzung kommen und unser Leben aktiv gestalten. Wir haben hier Machbarkeit und Handhabbarkeit unterschieden, weil letztere eher Coping im Sinne von Umgangsstrategien beschreibt und Machbarkeit eher auf die Umsetzung im Sinne einer Selbstwirksamkeitserwartung fokussiert.
Sinnhaftigkeit/Bedeutsamkeit (Meaningfulness) ist die direkte Verbindung zur seelischen Resilienz, jedoch auch für unsere mentalen Copingstrategien unheimlich wichtig. Ohne Sinnhaftigkeit kann jede Aufgabe, sei sie noch so verständlich oder einfach umsetzbar, auf Dauer unglücklich und sogar krank machen.
Aus unserer Perspektive fehlt ein weiterer Faktor: Eingebundensein. Denn Bindung, bzw. Verbindung zu anderen Menschen, aber auch die Zugehörigkeit zu was auch immer für eine Entität, ist einer der wichtigsten Schutzfaktoren für psychische und physische Gesundheit. Dabei zeigt sich, dass selbsttranszendente Copingstrategien, wie Meditation und Achtsamkeitsübungen, auf unseren mentalen Raum einen gewaltigen positiven Einfluss haben (vgl. Brown & Gerbarg, 2009; Buttle, 2015; Fujino, Ueda, Mizuhara, Saiki, & Nomura, 2018; Taren et al., 2017). Aus diesem Grund ergänzen wir die drei Kohärenzfaktoren um diesen vierten zentralen Resilienzfaktor.
Setzen wir diese vier Faktoren mit den vier Grundbedürfnissen nach Klaus Grawe in Beziehung, dann wird klar, dass Verstehbarkeit, Machbarkeit/Handhabbarkeit, Sinnhaftigkeit/Bedeutsamkeit das Grundbedürfnis nach Orientierung und Kontrolle schützen und Eingebundensein das Grundbedürfnis nach Bindung.
Wie können wir mentale Resilienz stärken?
Der Kern der Resilienzstärkung auf mentaler Ebene liegt darin, die kognitive Flexibilität zu erweitern. Das bedeutet, wir schaffen mittels Übungen und Techniken, die jeweils auf einen oder mehrere der vier oben genannten Faktoren einzahlen, eine Erweiterung der Grenzen unserer Welt. Es geht im Kern darum, die eigenen Modelle der Welt besser zu kennen und leichter anpassen zu können, um flexibel auf neue Herausforderungen zu reagieren und Stress im Umgang mit Problemen zu reduzieren. Mit anderen Worten, es geht um eine Erhöhung der Anpassungsfähigkeit durch Strategien, die ein Coping ermöglichen und Menschen in die Selbstwirksamkeit bringen.
Im Resilienztraining der Resilienz Akademie Göttingen gehen wir für Verstehbarkeit auf die theoretischen Hintergründe von Stress und Resilienz ein und ergänzen dies übergeordnet durch Psychoeduktion. Für Handhabbarkeit vermitteln wir erprobte Coping-Techniken, Machbarkeit lehren wir Techniken der Selbstregulation, Lösungsorientierung und Motivation. Sinnhaftigkeit wird vor allem durch Werte- und Zielarbeit gestärkt und Eingebundensein stärken wir vor allem durch Achtsamkeitstraining.
Wozu führt die Stärkung der mentalen Resilienz?
Mentale Resilienz brauchen wir im Alltag permanent, manchmal auch ganz unbemerkt. Wir stehen vor einem Problem, für das wir keine (Fixed Mindset) bzw. noch keine (Growth Mindset) Lösung haben und müssen nun damit umgehen. Und das am besten, ohne mit starkem Stress zu reagieren. Eine Stärkung der mentalen Resilienz führt dann dazu, dass wir diese Herausforderungen des Alltags gar nicht erst als solche wahrnehmen, weil wir anpassungsfähig sind. Das Leben wird leichter und wir sind generell zufriedener, wenn wir nicht an jeder Ecke ein Problem sehen oder ständig eine Stressreaktion ausschütten.
Natürlich hilft mentale Resilienz aber auch bei extremen Belastungen und Krisen. Hier geht es eher darum, möglichst schnell in die Handlungsfähigkeit zu kommen und kreativ an Lösungen arbeiten zu können, um Krisen zu bewältigen und daraus für die Zukunft zu lernen. Getreu dem Motto:
„Eine Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen“ (Max Frisch)
Emotionale Resilienz (nach Mauritz, Langwara)
In der Forschung werden emotionale Resilienz und psychologische Resilienz häufig als synonyme Begriffe verwendet. Beide werden als die Fähigkeit beschrieben, sich an Stresssituationen oder Krisen anzupassen. Jedoch liegt dabei der Fokus nicht auf der funktionalen Nutzung von Emotionen. Genau das ist die Trennschärfe, die wir mit unserer Definition von emotionaler Resilienz erreichen möchten.
Und dennoch tauchen in vielen Resilienzmodellen die Emotionen als zentraler Bestandteil kaum auf. Wenn überhaupt, dann entweder um eine Stress-Reaktion zu erklären, was sich allerdings auf die Emotionen Angst und Ärger beschränkt. Oder als Schutzfaktor „positive Emotionen“, was aus unserer Sicht leider eine absolut ungünstige Beschreibung ist. Denn Emotionen sind weder positiv noch negativ. Wir erleben sie nur als angenehm oder unangenehm. Trotzdem herrscht in vielen Köpfen das Bild, dass manche Emotionen mehr er- und ausgelebt werden sollen als andere. Das ist unter anderem einer der großen Auslöser für Stress.
Genau das ist auch ein Grund, weshalb wir emotionale Resilienz brauchen. Emotionale Resilienz bedeutet Emotionen so zu nutzen, dass sie für und nicht gegen uns arbeiten. Denn Emotionen sind dafür da, um unsere Probleme zu lösen, nicht welche zu erschaffen. Emotionale Resilienz ist Resilienz MIT Emotionen und nicht GEGEN Emotionen. Nur wenn wir Zugriff auf unser ganzes emotionales Spektrum haben, unsere Emotionen verstehen und sie regulieren können, können wir auch mit extremen Belastungen resilient umgehen.
Und schlussendlich ist es das Ginkgo-Blatt, das die emotionale Resilienz repräsentiert. Wenn man es zu sich nimmt oder einen Tee davon bereitet, fördert die Durchblutung und erhöht kognitive Fähigkeiten. Das zweigeteilte Blatt, das unten verbunden ist, steht für harmonische Vereinigung. Vereinigung, die eine funktionale Balance zwischen angenehmen und unangenehmen Emotionen widerspiegelt.
Die Blätter symbolisieren das Aufblühen, das durch den funktionalen Umgang mit Emotionen erreicht werden kann. Blätter sind oft die sichtbarsten Teile eines Baumes und verändern sich stark mit den Jahreszeiten, ähnlich wie unsere Emotionen oszillieren und im übertragenen Sinn unterschiedliche emotionale Farben zeigen. Schaut man sich die Gesamtheit der Blätter in der Natur an, dann gibt es diese in den unterschiedlichsten Formen. Manche sind kleiner, manche größer. Manche sind rundlich und andere scharf mit Zacken. Auch Emotionen haben ein sehr breites Spektrum und zeigen sich vielseitig. Doch das Ginkgo-Blatt beinhaltet noch eine Besonderheit. Außerdem hat das Ginkgo-Blatt heilende Kräfte, so wie auch jede Emotion das Potenzial hat uns zu unserem Glück zu führen. Deshalb ist jede Emotion – egal ob angenehm oder unangenehm – für uns ein Glücks-Guide.
Die Kompetenzfelder emotionaler Resilienz
Wie der Name schon verrät, geht es bei der emotionalen Resilienz im Kern um einen gelingenden Umgang mit unseren Emotionen – nämlich verantwortungsvoll zu nutzen und so einzusetzen, dass sie für und nicht gegen uns arbeiten. Dazu fokussiert sich das Konzept auf die Stärkung von zwei zentralen Kompetenzfeldern: Emotionale Granularität und emotionale Flexibilität.
Emotionale Granularität ist die Kompetenz, Emotionen so nuanciert wie möglich verstehen, spüren und benennen zu können. Dazu braucht es zum einen ein umfangreiches Emotionsvokabular und zum anderen Affektdeutung. Das Emotionsvokabular hilft uns dabei, schneller und sicherer unsere eigenen Emotionen zu begreifen, denn was ich benennen kann, kann ich erkennen. Die Affektdeutung ist wichtig, denn Affekt ist immer bei uns. Er ist das Hintergrundgefühl, das uns jederzeit begleitet und Informationen über die Dynamiken in unserem Körper gibt – weshalb es für die Herstellung von Gleichgewicht und einer gesunden Oszillation wichtig ist, Affekte deuten zu können.
Emotionale Flexibilität ist die Fähigkeit, den eigenen emotionalen Zustand bewusst anzupassen, um in verschiedenen Situationen effektiv zu reagieren. Es geht darum, Emotionen gezielt zu regulieren, ohne sie zu unterdrücken. Dabei können wir sowohl die Intensität der Emotion aktiv regulieren als auch zwischen verschiedenen Emotionen bewusst wechseln.
Wie können wir emotionale Resilienz stärken?
Das Ziel von Resilienz Entwicklung auf emotionaler Ebene ist die Stärkung der beiden Kompetenzfelder. Emotionen in Ihrer Tiefe zu verstehen, und für uns nutzbar zu machen, hilft uns gelingend mit Belastungen umzugehen und Stress zu regulieren.
In der Fortbildung emotionale Resilienz der Resilienz Akademie Göttingen lernen Sie, Emotionen als Kraftquelle zu nutzen, indem Sie sie als Glücks-Guides für die Aufrechterhaltung von Wohlbefinden kennenlernen. Ein weiterer zentraler Teil der Stärkung der emotionalen Resilienz ist die Fähigkeit zur Emotionsregulation und des Emotionsmanagements, um so die emotionale Flexibilität zu verbessern. Im Training lernen Sie Selbstregulationstechniken kennen für einen konstruktiven Umgang mit Affekten.
Wozu führt die Stärkung der emotionalen Resilienz?
Im Gegensatz zu einer verbreiteten Haltung, reicht für einen ganzheitlichen Gesundheitsansatz eben nicht nur, angenehme Emotionen zu kultivieren. Dankbarkeitstagebücher beispielsweise sind zwar ein wertvoller Beitrag, um Wohlbefinden zu steigern, doch mit Dankbarkeit allein können wir es nicht gesund durch eine schwere Krise schaffen. Wir brauchen ebenso einen gelingenden Umgang mit all den (auch unangenehmen) Emotionen, die unser Erleben beeinflussen. Hierfür braucht es die emotionale Resilienz. Sie verhilft zu einem umfassenden und aufgeklärten Blick auf den Motor unseres Lebens und zur Fähigkeit, unsere Emotionen als kraftvolle Ressource zu nutzen.
So fasst Oscar Wilde es in diesem Zitat schön zusammen:
„Ich will nicht meinen Gefühlen ausgeliefert sein. Ich möchte sie benutzen, sie genießen und sie beherrschen.“
Wie können wir das Modell der vier Arten der Resilienz einsetzen?
Nachdem dieser Einführung, was das Modell beinhaltet, kommen wir nun darauf zu sprechen, wie man es nutzen kann. Wie bereits erwähnt, verfolgen wir den Ansatz der angewandten Resilienz, bzw. auch applied resilience. Das Ziel des Modells ist es, Interventionsansätze zur praktischen Arbeit zu geben.
Das Modell soll Trainer:innen, Coaches, Berater:innen, Psychotherapeuten und -therapeutinnen sowie auch medizinisches Fachpersonal beispielsweise dabei unterstützen, Interventionen passgenau an das Problemerleben ihrer Klienten, Kundinnen oder Patienten anzupassen, um diese letztendlich ganzheitlich stärken zu können.
Auf welcher Ebene wird Stress ausgelöst und woran zeigt er sich am deutlichsten?
Eine der ersten Fragen, die wir uns in der Arbeit mit Menschen stellen, ist die Frage: Was braucht es gerade für eine gesunde Oszillation? Dabei sei allerdings kurz erwähnt, dass es sich bei empfundenen Krisen immer lohnt auf die körperliche Resilienz, und damit auf die Regulationsfähigkeit allgemein, zu schauen und diese gemeinsam mit einem Spezialisten zu checken. Schließlich ist sie die Grundlage für unsere Arbeit auf der Ebene der psychischen Resilienz.
Wenn Sie das Modell Klienten und Klientinnen zeigen, können diese Ihnen wahrscheinlich noch nicht sofort aus dem Bauch heraus beantworten, ob der Stress am meisten durch mentale, emotionale oder seelische Belastung ausgelöst wird. Hier braucht es Psychoedukation und Unterscheidungsgenauigkeit. Jedoch werden Sie feststellen, dass Menschen, die bereits mit dem Modell vertrauter sind, schneller und klarer ihre eigenen Probleme und Stressauslöser identifizieren und einordnen können.
Im Folgenden geben wir Ihnen eine kurze Auswahl an typischen stressauslösenden Faktoren oder Problemen zugeordnet zu den Arten der Resilienz:
Körperliche Resilienz
- Schlafprobleme
- Schmerzen und chronische Schmerzen
- Leistungsabfall und Konzentrationsschwäche
- Burn-out-Symptome (hier bitte immer in Zusammenarbeit mit medizinischen Experten)
Seelische Resilienz
- Erlebte Sinnleere
- Gefühl von Einsamkeit
- Wenig Zugang zur Intuition
- Unsicherheit, Zukunftsängste
Mentale Resilienz
- Innere Antreiber
- Glaubenssätze
- Umsetzungsblockaden
- Zwickmühlen
- Konflikte mit Mitmenschen
Emotionale Resilienz
- Umsetzungsblockaden
- Starke emotionale Zustände wie Ängste
- Selbstwertthemen
- Abwesenheit erwünschter Emotionen, bspw. Freudlosigkeit
Dies ist nur eine kleine Auswahl, die Ihnen in Ihrer praktischen Arbeit eine Idee geben kann, welche Ebene besonders involviert ist. Zudem möchten wir darauf hinweisen, dass nicht immer eine klare Abgrenzung und Zuordnung möglich ist, da die Arten der Resilienz so eng miteinander in Verbindung stehen und sich gegenseitig beeinflussen.
Was braucht der Mensch im Umgang mit der konkreten Belastung?
Der nächste Schritt für angewandte Resilienz ist, passgenaue Interventionen für die Arbeit im Coaching, Training oder Therapie auszuwählen. Allen Arten der Resilienz ist gemein, dass es darum geht, den Klient:innen, Patient:innen etc. in einen Zustand zu helfen, indem er/sie Selbstwirksamkeit erleben kann. Mit anderen Worten, bei der Regulation und Adaptation so zu unterstützen, dass das System von sich aus in die gesunde Oszillation kommt.
Achten Sie auch Sprachmuster, die verraten, ob es dem Menschen, der zu Ihnen ins Coaching beispielsweise kommt, eher um einen besseren Umgang mit den eigenen Stressmustern geht (Regulation) oder der Wunsch nach Entwicklung und Entfaltung (Adaptation) vorrangig ist. Die Arten der Resilienz geben dann Anhaltspunkt, auf welcher Ebene Interventionen und Übungen ansetzen können.
Welche das spezifisch sind, lernen Sie jeweils in den Fortbildungen der Resilienz Akademie Göttingen.
Der Ginkgo-Baum im Kontext Probleme, Stress, Konflikte, Krisen, Traumata
Ein Ginkgo-Baum steht nicht einfach so herum, ohne das etwas passiert. Auch wenn ein Baum sich nicht bewegt, ist er mehreren äußeren Einflüssen ausgesetzt, die ihn herausfordern. Genau wie wir Menschen unterschiedlichen Kontexten ausgesetzt sind, die von uns potenziell Energie brauchen, wie beispielsweise Probleme, Stress, Krisen, Konflikte und Traumata, müssen Bäume sich bei Widrigkeiten ebenfalls regulieren, adaptieren und oszillieren.
Probleme
Probleme sind wie die Hindernisse, die die Äste beim Wachstum überwinden müssen. Beispielsweise könnten die Äste eines anderen Baumes im Weg sein. Probleme erfordern mentale Resilienz. Die Äste des Baumes symbolisieren – wie bereits beschrieben – die kognitive Flexibilität und Problemlösungsfähigkeiten. Wenn der Baum auf Hindernisse stößt, müssen die Äste neue Wege finden, um zur Sonne zu gelangen. Die Äste repräsentieren somit die Fähigkeit, kreative Lösungen zu entwickeln und aus vergangenen Erfahrungen zu lernen.
Stress
Stress ist wie zu starker Regen, der die Blätter schädigen und den Wasserhaushalt im Boden in Dysbalance bringen kann. Zu viel oder zu wenig Wasser kann den Baum schwächen und seine Gesundheit beeinträchtigen. Stress erfordert emotionale Resilienz. Die Blätter des Baumes stehen für emotionale Flexibilität und die Fähigkeit, mit verschiedenen Emotionen umzugehen. Stress manifestiert sich in der Über- oder Unterversorgung der Blätter, was die Photosynthese und damit das Wachstum des Baumes beeinträchtigt. Blätter, die sich aufgrund von Stress kräuseln oder welken, symbolisieren die Notwendigkeit, emotionale Ressourcen zu mobilisieren und Stress zu regulieren.
Konflikte
Konflikte sind wie konkurrierende Pflanzen oder Schädlinge, die um die gleichen Ressourcen kämpfen und den Baum schwächen können. Sie können innen (intrapersonell) oder außen (interpersonell) vorkommen. Konflikte erfordern emotionale und mentale Resilienz. Die Äste und Blätter des Baumes müssen flexibel genug sein, um sich an die Konkurrenz anzupassen und trotzdem zu wachsen.
Krisen
Krisen sind wie starke Stürme, die den Baum erschüttern und seine Stabilität bedrohen. Manche Stürme können Bäume sogar in eine Schieflage stellen und dadurch den Stamm bis zum Durchbruch beschädigen. Krisen erfordern seelische Resilienz. Der Stamm des Baumes symbolisiert die innere Stärke und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die nötig sind, um trotz schwerer Erschütterungen standhaft zu bleiben. Der Stamm gibt dem Baum Halt und Stabilität.
Traumata
Traumata sind wie Blitzeinschläge, die den Baum schwer beschädigen und Narben hinterlassen. Sie können tiefgreifende Auswirkungen auf das gesamte System haben und die Regenerationsfähigkeit beeinträchtigen. Traumata erfordern eine Kombination aus körperlicher, emotionaler, mentaler und seelischer Resilienz. Die Wurzeln, der Stamm, die Äste und die Blätter müssen zusammenarbeiten, um die Schäden zu heilen und das Wachstum wiederherzustellen. Dabei spielen alle Resilienzarten eine Rolle.
Wozu das Denken in den vier Arten der individuellen Resilienz nützlich ist
Ein gutes Modell besteht unserer Ansicht nach darin, dass es komplexe Sachverhalte einfach darstellt und erklärt, und den praktischen Einsatz ermöglicht. Ein Modell kann sehr gut verständlich und so korrekt wie möglich sein, doch wenn wir es nicht in der Praxis einsetzen können, bleibt es ein theoretisches Gebilde, das nur in geringem Maß zur Resilienzförderung in der Welt beiträgt. Unser Anliegen war es, ein Modell zu kreieren, dass Resilienz anwendbar macht – sowohl für die alltägliche Kultivierung von Resilienz und proaktive Stärkung gegen zukünftigen Stress als auch bei akutem Stress und dem Erleben von Krisen.
Für das „Wozu“ unseres Modells war die Ausgangsfrage: „Wie funktionieren Wohlbefinden und Gesundheit?“ Die Antwort ist für uns: auf vier verschiedenen Arten. Es ist an der Zeit, dass wir Resilienz ganzheitlicher, umfangreicher denken. Dass Resilienz nicht allein das Zurückspringen in einen alten Zustand ist, welches mittels rein mentaler Copingstrategien funktioniert. Der Mensch ist komplex, seine Probleme sind komplex und auf diese Vielschichtigkeit der Herausforderungen in gewöhnlichen, wie außergewöhnlichen Zeiten brauchen wir Antworten, wenn wir in einer gesunden, blühenden Gesellschaft leben wollen.
Wenn Sie unser Modell der vier Arten individueller Resilienz in Ihrer praktischen Arbeit mit Menschen oder auch bei der Selbstreflexion mitdenken, werden Sie schneller und leichter zurück in innere Balance kommen. Sie können Probleme differenzierter betrachten und dekonstruieren. So werden Lösungen nicht nur sichtbarer, sondern auch einfacher erreichbar.
Resilienz findet als Future-Skill, Meta-Skill oder auch Meta-Kompetenz in der Gesellschaft (zurecht) immer mehr Beachtung, und so wächst auch das Verlangen, dieses in der Forschung undefinierte Konstrukt greifen zu können. Unser Modell soll Resilienz eine Form geben, mit der Privatpersonen wie auch Resilienz-Experten aus unterschiedlichsten Fachrichtungen daran arbeiten können, Gesundheit, Wohlbefinden und Wachstum in diese Welt zu bringen.
Die Entwickler der vier Arten individueller Resilienz
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).
Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.
Ruben Langwara ist Wirtschaftspsychologe, Resilienz-Lehrtrainer & -Coach sowie Experte für Emotionen und deren Wirkung auf Gesundheit und Wohlbefinden. Er ist mit der Resilienz-Akademie Göttingen als Projektpartner für emotionale Resilienz tätig. Sein Fachbuch zu diesem Thema „Die Kraft unserer Emotionen“ erschien 2022 im Junfermann-Verlag. (www.rubenlangwara.de)
Christina Comnick, M.A. Management–Education–Diversity (Sozial- und Gesundheitsmanagement) ist Kooperationspartnerin der Resilienz Akademie. Sie entwickelte das Konzept der seelischen Resilienz mit Sebastian Mauritz und leitet die dazugehörige Fortbildung. Sie ist Resilienz Coach & Trainerin, Antigewalt- und Kompetenztrainerin und setzt sich seit über 15 Jahren für die Prävention seelischer Gesundheit ein. Ihre Schwerpunkte liegen auf den Themen: Krisenintervention, Sinn, Intuition und Spiritualität. (www.christinacomnick.de)
Quellen
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