In der heutigen Leistungsgesellschaft ist für die meisten Menschen Stress ein fester Bestandteil des Alltags. Doch wie kommt es überhaupt dazu? Und was bedeutet er für unsere Gesundheit? Was hat Resilienz damit zu tun?
Was ist Stress?
Es ist ein Wort, das beinahe in jedem Bereich des Lebens Einzug gehalten hat; im Beruf, mit den Eltern oder sogar Freizeitstress. Jeder hat ihn schon einmal gespürt und manche halten ihn sogar für notwendig. Das Statussymbol Stress hat sich vor allem im Arbeitswesen breit gemacht. Denn wer nicht gestresst ist, ist unterfordert oder faul. Dabei ist es kaum möglich zwischen Zeitdruck, Multitasking und ständiger Erreichbarkeit völlig entspannt zu sein.
Doch was ist Stress eigentlich? Abgeleitet aus dem Lateinischen „stringere“ bedeutet es so viel wie „anspannen“. Und genau so lässt es sich beschreiben: geistige und körperliche Anspannung. Im psychologischen Sinne wurde der Begriff von dem österreichisch-kanadischen Mediziner Hans Selye. Seiner Definition nach beschreibt der Begriff die Reaktion auf äußere, belastende Reize (Stressoren).
Stress ist nach Selye eine biochemische Reaktion im Körper, die durch Reize hervorgerufen wird. Kernessenz davon ist das Sammeln und bereitstellen von Kraftreserven. Diese sollen zwei Zwecken dienen: Kampf oder Flucht. Wenn wir auf die menschlichen Anfänge schauen ergibt das auch Sinn. Die Menschen mussten bei lebensbedrohlichen Reizen schnell reagieren können. Es war ein Kurzzeit-Notfall-Programm zum Überleben.
Heute reagieren wir genau gleich, allerdings auch in nicht lebensbedrohlichen Situationen. Das bedeutet wir nutzen die Energie auch nicht zum Kampf oder zur Flucht und die gesammelte Kraft und Anspannung wird nicht gelöst.
Wie kommt es zum Stress?
Bei Stress spielt nicht nur der Körper eine wichtige Rolle, sondern auch die Psyche. Diese Reaktion entsteht bei uns, wenn wir das Gefühl bekommen, eine Situation nicht im Griff zu haben. Wenn uns Bewältigungsmuster fehlen oder wir überfordert sind. Das alles sind Bewertungen, auf die unser Körper mit der Ausschüttung von Stresshormonen reagiert. Damit wir also Stress empfinden, müssen wir die Situation als belasten wahrnehmen und einstufen.
Was muss also passieren, dass wir eine Situation belasten wahrnehmen? Zum jeweiligen Kontext gehören immer die Ressource. Also die zur Verfügung stehenden Hilfsmittel und eigenen Fähigkeiten. Zudem bestehen in jeder Situation Anforderungen an uns von uns selbst oder von anderen.
Unsere Wahrnehmung ist ein ständiger Bewertungsablauf. Wir konstruieren uns die Wirklichkeit durch unseren Fokus und dessen Bewertung. Das Rezept für eine Menge Stress lautet also:
1. Keine ausreichenden oder passenden Ressourcen
2. Zu hohe Anforderungen
3. Keine bestehenden oder gelungenen Verhaltensmuster auf den Stressor
4. Bewertung der Umstände als Problem
Schon eine dieser ‚Zutaten‘ kann diese Reaktion hervorrufen. Resilienz ist die Fähigkeit flexibel mit Stress umzugehen und wirkt wie ein seelischer Schutzschild. Resilienz Training kann dabei helfen Handlungsmöglichkeiten in solchen Situationen zu finden. Dann wird entweder das Verhältnis oder das Verhalten geändert.
Die Folgen von Stress
Stress an sich ist kein Problem; es wird erst bei einer Dauerbelastung zu einem. Denn der Körper ist nicht dazu gemacht, unter permanenter Anspannung zu stehen. Die physische Stressreaktion bewirkt vor allem möglichst viel Kraft aufzubauen, um schnell zu reagieren. Wenn keine Reaktion erfolgt, bedeutet das für den Körper Muskelverspannung, Verdauungsbeschwerden und kann Herz-/Kreislauferkrankungen hervorrufen.
Außerdem bedeutet permanente Anspannung innere Unruhe. Reizbarkeit, Sorgen, Schlaflosigkeit und sogar Depressionen können folgen. Außerdem lässt die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsspanne nach, was weniger Leistungsfähigkeit bedeutet.
Wenn der Körper dauerhafter Anspannung ausgesetzt ist, kann er irgendwann nicht mehr. Betroffene verfallen in körperlichen, geistigen und seelischen Erschöpfungszustand. Das Resultat ist Burn-out. Dies ist ein schleichender Prozess, bei dem die Symptome individuell ausfallen. Burn-out ist jedoch eine ernst zu nehmende Krankheit, die Behandlung von Ärzten/ Psychologen erfordert.
Eustress und Disstress
Dabei ist die Belastung nicht immer gleich. Die Psychologie (nach Selye) unterscheidet zwei Arten: Eustress und Disstress. Durch diese Unterscheidung lassen sich verschiedene Stressoren besser einordnen.
Eustress
Obwohl Stress, besonders über lange Zeit hinweg, Nachteile hat, gibt es auch positiven Druck. Dieser nennt sich „Eustress“. Die Vorsilbe „eu“ stammt aus dem Griechischen für „gut, richtig“. Das bedeutet, dass eine bestimmte Menge an Anspannung aktivierend und damit positiv wirkt.
Manche Menschen behaupten sie könnten nur unter Druck arbeiten. In diesem Fall sorgen die Stresshormone für Energie und mehr Leistungsvermögen. Dann wird die Situation als bewältigbare Herausforderung gesehen.
Disstress
Bei Disstress („dys“, griechisch für „schlecht“), was wir im Alltag unter Stress verstehen, ist die aktivierende Grenze überschritten. Die Anforderungen zur Bewältigung des Stressors übersteigen die Ressourcen und Kompetenzen. Wir fühlen uns überfordert, die Selbstwirksamkeit und das Selbstvertrauen sinkt.
Nun lassen sich Eu- und Disstress nicht per se von einander trennen. Sie stellen eher unterschiedliche Level an Anspannung dar. Ab einem bestimmten Maß an Druck wirkt ein Reiz aktivierend und motiviert. Wenn dieses Stadium überschritten ist, tritt Disstress ein und die Anspannung wirkt sich negativ auf den Organismus aus.
Als Disstress wird auch eine zu geringe Menge an Druck bezeichnet. Unterforderung kann die gleichen Auswirkungen wie Überforderung haben. Hier spricht man von „Bore-out“ – analog zum Burn-out.
Aktiver und passiver Stress
Nicht nur das Stresslevel spielt beim Umgang mit der Belastung eine Rolle. Zusätzlich lassen sich die Stressoren in zwei Kategorien einteilen. Aktiver und passiver Stress.
Passiver Stress
Wir sind oft in Situationen, auf die wir zunächst keinen Einfluss haben. In diesen Situationen sind wir äußeren Reizen ausgesetzt, die uns belasten können. Damit sind Stressoren wie Lärm, Luft und Licht, oder auch Termindruck gemeint. Um hier Resilienz zu stärken, ist eine Verhältnisänderung ratsam.
Aktiver Stress
Wir benutzen oft die Redewendung „sich Stress machen“. Damit ist der aktive Stress gemeint. Innere Stressoren wie Einstellungen, Bewertungen und Glaubenssätze können uns belasten. Wenn wir den eigenen Anforderungen nicht gerecht werden, setzt uns das unter Druck. Hier hilft eine Verhaltensänderung.
Innere Stressoren zu vermeiden ist viel schwieriger als die äußeren. Zum Resilienz Training gehört daher unter anderem Achtsamkeit, Akzeptanz und Selbstreflexion zu trainieren. Die innere Haltung zu ändern erfordert Übung und Geduld, wirkt dafür aber langfristig.
Stresstheorien
Nach Cannon (1932)
Walter Cannon war einer der ersten Wissenschaftler, die einen Zusammenhang von Stress und physiologischen Reaktionen sahen. Seiner Theorie nach reagiert der älteste Teil unseres Gehirns, das Stammhirn, automatisch auf Unbekanntes und Überraschendes. Innerhalb dieses Reflexes wird der Körper auf zwei Reaktionsmöglichkeiten vorbereitet: Kampf oder Flucht („Fight-or-Flight-Response“).
Dafür schüttet der Körper Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin aus. Der Blutdruck erhöht sich, Herzaktivität steigt, Magen-Darm-Aktivitäten werden eingeschränkt und das Blut wird in den Torso und die Beine gepumpt. So ist der Mensch innerhalb von Sekunden bereit für den Notfall.
Zu Zeiten der „Jäger und Sammler“ war das überlebenswichtig. Heute reagiert der Körper noch genau so, jedoch auf andere Stressoren. Die meisten Probleme in der Gegenwart lassen sich nicht durch Kampf oder Flucht im ursprünglichen Sinn beheben. Das bedeutet wir sammeln diese Energie, bauen sie aber nicht ab.
Nach Selye (1936)
Hans Selye gilt als Begründer der Stressforschung. Seiner Theorie nach, ist Stress eine Anpassungsreaktion auf bestimmte Anforderungen. Er bezeichnet es als Allgemeines Adaptionssyndrom (AAS). Selye teilt es in drei Phasen auf:
1. Alarmreaktion: Reiz wird als Belastung wahrgenommen
Wir kommen oft in Situationen, die wir als neu und/ oder gefährlich bewerten. Um die Situation zu bewältigen sammelt der Körper Energie (biologische Stressreaktion).
2. Widerstandsstadium: Anpassung an Belastung
Hier ist die Widerstandskraft am höchsten. Der Körper strebt Stressabwehr – und Abbau an. Diese Phase kann vom Körper allerdings nur eine kurze Zeit aufrechterhalten werden. Je höher die Resilienz eines Menschen ist, desto größer, bzw. länger ist die Widerstandskraft. So kann die Anpassung besser gelingen.
3. Erschöpfungsstadium: Ermüdung/ Überlastung
Wenn die Anpassung nicht im Widerstandsstadium gelingt, tritt Erschöpfung ein. Die Reserven des Körpers sind aufgebraucht und das System ist überlastet. Menschen, die unter chronischem Stress leiden befinden sich dauerhaft im Erschöpfungsstadium. So ist keine Regeneration möglich und es kommt zu Krankheit.
Nach Mc Grath (1970)
Eine weitere Theorie stammt von dem sozialpsychologen Joseph Mc Grath. Dem zufolge entsteht Stress durch ein Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen der sozialen und physischen Umwelt und den eigenen Reaktionsmöglichkeiten.
Jeder Mensch steht in Kontakt mit seinem Umfeld, zudem die eigenen Anforderungen und Bedürfnisse kommen. Die Bedingungen, um die Anforderungen im momentanen Umfeld erfüllen zu können ist in diesem Modell das Kernelement. Anspannung entsteht nach Mc Grath dann, wenn das Zusammenspiel von Reaktion und Umwelt gestört ist.
Kognitives Modell nach Lazarus (1974)
Richard Lazarus war Psychologe und erweiterte die Stresstheorie von Selye um den Aspekt der individuellen Bewertung. Bei seinem „transaktionalen Stressmodell“ wird die Alarmreaktion nicht durch den Stressoren ausgelöst, sondern durch die Bewertung des Individuums als „stressig“.
Die dem Modell von Selye vorangestellte Situationsbewertung ist in drei Phasen aufgeteilt:
1. Primärbewertung: Wir nehmen einen Reiz auf und überprüfen ihn bezüglich Gefahren.
2. Sekundärbewertung: Hier versuchen wir Coping, also eine passende Bewältigungsstrategie für den Reiz zu finden. Wir beurteilen hier, welche Schäden der Reiz anrichten könnte und welche Ressourcen und in dieser Situation zur Verfügung stehen.
3. Neubewertung: Wir beurteilen die Situation erneut unter Berücksichtigung der Sekundärbewertung. Wird die Coping Strategie als nicht erfolgreich angesehen, startet das allgemeine Adaptionssyndrom nach Selye.
Aktueller Forschungsstand
Die aktuelle Stressforschung beschäftigt sich weiterhin mit den Stressoren und wie die biochemischen Prozesse bei Stress gemessen werden können. Zudem stellt sich immer mehr die Frage: Was sind Präventionsmaßnahmen?
Dabei ist insbesondere der Arbeitsplatz ins Zentrum der Forschung gerückt. Die Arbeit steht auf Platz Eins der größten Stressverursacher. Daher wird besonders an Konzepten für eine optimierte Arbeitsorganisation gearbeitet.
Zudem werden bedingungsbezogene Stressoren von personenbezogenen Risikofaktoren voneinander unterschieden. Dies dient der Forschung dazu, allgemeingültige Stressoren in der Arbeitswelt zu kategorisieren, ohne die individuellen Veranlagungen außer Acht zu lassen.
Mit Resilienz Stress abbauen
Resilienz ist die Fähigkeit flexibel mit Stress umzugehen. Das beinhaltet sowohl vorhandene Anspannung zu lösen als auch vor Stressoren zu schützen. Es gibt viele praktische Übungen für den Alltag, um selbst die Resilienz zu stärken. Bei chronischem Stress hilft insbesondere ein Resilienz Coaching oder Resilienz Training.
Damit Stress jedoch erst gar nicht zur Dauerbelastung wird, können Sie sich Ihrer Stressoren bewusst werden. Was sind die kleinen und großen Dinge im Leben, bei denen Sie körperliche Reaktionen spüren? Was sind Ihre Stressoren?
Stress hängt von der individuellen Bewertung ab. Daher helfen ebenfalls die Reflexionsfragen: Wie gehen Sie mit Belastung um? Und wie gehen Sie unter Belastung mit sich selbst um? Wir haben nicht auf alle Reize Einfluss. Doch wir haben Einfluss darauf, wie wir reagieren. Schließlich reagiert Ihr Körper nicht mit Stress, weil er ihnen schaden möchte. Sondern um Sie zu schützen. Das Positive an der Stressreaktion zu sehen hilft, anders mit ihr umzugehen.
Resilienz ist die innere Widerstandskraft für Personen und Organisationen, die zu mehr Gesundheit und Wohlbefinden führt.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienz-Expert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).