Kennen Sie den Film „Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück“? Allein der Titel verrät schon, dass die Hauptfigur Bridget emotional Eating, also Stressessen, in Perfektion beherrscht. Der Eisbecher nach einer Trennung, die Chipstüte nach einem langen Arbeitstag oder die Packung Studentenfutter während der Prüfungsvorbereitung. Wir essen, um Stress zu regulieren, was zu überflüssigen Pfunden und sogar noch mehr Stress führen kann. Lesen Sie hier, wie Stress und Essen zusammenhängen und wie Sie (Str)Essen vermeiden.
Warum wir bei Stress selten zum Salat greifen
Sind Sie schon einmal hungrig einkaufen gegangen? Meist kaufen Sie dann nicht nur mehr, als Sie eigentlich wollten, sondern auch deutlich ungesündere Lebensmittel. Wenn wir unter Stress stehen, passiert genau das Gleiche: Wir haben eher Lust auf Süßes und Fettiges, und greifen weniger zum Salat. Aber woran liegt das?
Nicht alle Menschen essen mehr, wenn sie gestresst sind. Gerade unter starkem Stress „vergessen“ wir gerne mal das Essen und greifen dann aus Zeitgründen zu Fast-Food oder Fertigessen. Worauf wir hier genauer schauen wollen, ist der Fall, wenn wir mehr und ungesünder essen unter Stress. Der deutsche Adipositas-Spezialist Achim Peters erklärt, warum wir bei Stress energiereiche Nahrungsmittel bevorzugen.
Das egoistische Gehirn
Er entwickelte dazu die Selfish-Brain-Theorie – übersetzt bedeutet „Selfish Brain“ das egoistische Gehirn. Denn obwohl unser Gehirn nur 2% des Körpergewichts ausmacht, verbraucht es 60% der zirkulierenden Glukose. Bei Stress kann der Verbrauch sogar auf 90% steigen. Unser Gehirn ist also der größte Energieverbraucher im Körper und unter Stress ist dieser besonders gefordert.
Ein kleiner Kern im Gehirn, genauer der Nucleus arcuatus im Hypothalamus, tritt dann in Aktion. Er ist für Appetit zuständig und übernimmt die Aufgabe eines Gatekeepers, wenn das Gehirn zu wenig Glukose meldet. Er blockiert dann nämlich die Informationen aus dem restlichen Körper. Das Resultat: Wir greifen weiterhin zu Kohlenhydraten, obwohl der Körper gut versorgt ist.
Unser Verlangen nach energiereichem Essen in stressigen Zeiten ist kein Mangel an Selbstkontrolle, sondern ein Geschenk der Evolution. In Situationen, in denen wir nicht einfach in den Supermarkt um die Ecke gehen müssen, um an ausreichend Nahrung zu gelangen, ist es für unser System enorm wichtig die Gehirnfunktionen um jeden Preis aufrecht zu erhalten. Das bedeutet, das Gehirn muss egoistisch bei der Energieverteilung sein. Dass solche Energiekrisen in unserer heutigen westlichen Gesellschaft selten der Fall sind, ändert nichts an dem sogenannten Brain-Pull – dem System, mit dem sich das Gehirn seine Energiezufuhr sichert.
Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben – Achim Peters
Mit diesem gewagten Titel bricht Achim Peters eine Lanze für alle „dicken“ Menschen. Hierbei geht es ihm keinesfalls um eine Verharmlosung der Folgen von Adipositas oder ein reines Postulat für Body Positivity und Selbstliebe. Vielmehr zeigt er in diesem Buch auf, wie unser Gehirn aktiv Diäten verhindert, und dass Übergewicht keine Willensschwäche ist.
„Gewichtszunahme ist das wesentliche Merkmal phänotypischer Plastizität von Menschen im „Haifischbecken“, und diese schützt vor den Folgen psychosozialen Dauerstresses“, so schreibt Peters. Ein hohes Gewicht ist laut ihm eine erfolgreiche Anpassungsstrategie, um mit Stress umzugehen. Wir als Gesellschaft sollten daher weniger auf eine Volkskrankheit Übergewicht unseren Fokus legen, sondern vielmehr auf die Volkskrankheit Stress. Wenn Individuen besser mit starker Stressbelastung umgehen können, braucht es keine Diätprogramme und Light-Produkte.
Was Peters in seinem Buch deutlich macht, ist, dass Übergewicht ein Zeugnis von erfolgreichem Coping ist – Gewichtszunahme ist ein Nebenprodukt von erfolgreicher Stressreduktion.
Wie Emotionen und Essen zusammenhängen
Peters Theorie besagt also, dass Nahrungszunahme ein Weg sein kann, um mit Stress umzugehen. Dabei ist dieses nur eines der Wege, wie Essen und Emotionen zusammenhängen.
Der deutsche Forscher Michael Macht zeigt auf, wie eng Emotionen und Essen miteinander verbunden sind. Hierzu entwickelte er das 5-Wege-Modell:
Nach Macht (2008)
Es gibt Emotionen, die durch einen Nahrungsreiz ausgelöst werden. Zum Beispiel ruft süße und fettreiche Nahrung eher angenehme emotionale Reaktionen hervor, welche die Nahrungszunahme steigern. Bittere Lebensmittel dagegen rufen eher unangenehme emotionale Reaktionen hervor, die zur Ablehnung führen.
Besonders intensiven Emotionen, wie intensive Trauer, Angst oder Ärger vermindern die Nahrungszufuhr. Bei großem Stress ist der Körper im akuten Überlebensmodus. Essen ist in solchen Situationen eher behindernd, da es Zeit und Energie (zum Verdauen) raubt. Der Körper stellt bei extrem belastenden und kurzfristigen Situationen also das Hungergefühl ab.
Doch auch Emotionen mit moderater Intensität haben Einfluss auf das Essverhalten. So hat die Forschung gezeigt, dass zum Beispiel Trauer die Motivation zu essen senkt, während Freude sie ankurbelt, insbesondere dann, wenn wir gemeinsam essen. Eine Metastudie stellte sogar heraus, dass wir in angenehmer Gesellschaft fast 50% mehr essen als allein.
Das Essverhalten im Zusammenhang mit Emotionen teilt Macht nach Reaktionstypen auf. Menschen, die z.B. aufgrund einer Diät ihren Konsum einschränken wollen, neigen unter Einfluss von Emotionen zum höheren Konsum, weil die kognitive Kontrolle beeinträchtigt ist. Das emotionale Stressnetzwerk legt hier quasi das kognitive Steuerungsnetzwerk lahm.
Bei der zweiten Kategorie, dem emotional Eating, geht es insbesondere um die Valenz der Emotion. Bei angenehmen Emotionen kommt es zu einer kongruenten Modulation. Bei unangenehmen hingegen, die mit Stress verbunden sind, kommt es zum Stressessen, das die Nahrungszufuhr von energiehaltigen Lebensmitteln antreibt.
(Str)Essen als Coping-Strategie
Einer der Wege, wie Essen durch Emotionen beeinflusst wird ist dieMotivation der Emotionsregulation. Wir essen kalorienhaltige Nahrung, um unser Gehirn mit Energie zu versorgen und Emotionen zu regulieren. Mit anderen Worten: (Str)Essen ist eine Coping-Strategie.
Können Dicke besser mit Stress umgehen?
In seinem Buch beschreibt Achim Peters, dass diese Strategie auch sehr erfolgreich sein kann. Im Zusammenhang mit chronischem Stress und Gewichtszunahme stellte es fest, dass es drei Typen gibt:
- Neutraler Typ: Gewicht bleibt stabil.
- Typ A: Das Gewicht sinkt, aber das Stresssytem ist extrem aktiv.
- Typ B: Das Gewicht steigt, aber das Stresssystem ist wenig aktiv.
Es zeigte sich, dass jene Menschen, die zu Typ B gehörten, zwar mehr Gewicht vorwiesen, es jedoch eine funktionale Anpassung des Stesssystems gab. Das heißt, sie hatten niedrigere Kortisol-Werte als jene Menschen, die schlanker waren. So eindrucksvoll und aufmunternd diese Ergebnisse für alle Menschen mit Hüftgold auch sein mögen, es bleibt dabei immer zu bedenken, es handelt sich um chronischen Stress UND mit Übergewicht gehen eine ganze Reihe weiterer Risikofaktoren einher, die nicht durch Stressregulation zu lösen sind.
Emotional Eating, wenn anderes nicht klappt?
Wann essen wir zur Regulation und essen wir dann mehr? Die Forscher einer Studie aus dem Jahr 2012 stellten sich genau diese Fragen. Dazu untersuchten sie über 150 „normalgewichtige“ Frauen (BMI <30) und setzten sie einem negativen Reiz durch einen Filmausschnitt aus. Das heißt es ging hierbei nicht um chronischen Stress, sondern um einen akuten Reiz.
Den Teilnehmenden wurde eine Schüssel mit Schokolade und eine Schüssel mit Chips zur Verfügung gestellt, bei denen sie sich im Anschluss an den Reiz bedienen konnten. Zudem wurden den Teilnehmenden unterschiedliche Aufgaben geben. Eine Gruppe sollte den stressauslösenden Film schauen und mittels positiver Neubewertung die Emotion regulieren, die andere sollte die Emotion unterdrücken und die letzte bekam als Kontrollgruppe keine Aufgabe für das Schauen.
Das Ergebnis der Studie ist, dass nur ein Drittel der Neubewertungs-Gruppe mit Essen begann. Bei beiden anderen Gruppen dagegen waren es jeweils drei Viertel der Versuchspersonen. Und das Drittel der ersten Gruppe, das dann doch aß, aß im Durchschnitt bis zu 68% weniger als die Kontrollgruppe und die Unterdrückungs-Gruppe. Das bedeutet, dass Stressessen als eine Art Coping-Strategie angewendet wird, wenn die Emotionsregulation (Unterdrückung oder kein Coping) nicht effektiv genug ist. Bei effektiver Emotionsregulation, wie es bei der positiven Neubewertung gemessen wurde, wurde kaum und weniger gegessen, um Emotionen zu regulieren.
Mit Resilienz Stressessen reduzieren
Was die Studie zeigt, stimmt mit der Kernaussage von Achim Peters überein: Essen ist ein Mechanismus, um mit unangenehmen Emotionen besser umzugehen. Wenn wir allerdings effektive Coping-Mechanismen haben, um Stress herunter zu regulieren, reduziert das auch das (Str)Essen.
Wenn Sie dazu neigen, unter Stress gerne mal ein paar Kekse mehr zu essen, oder es statt der Gemüsepfanne den Burger Ihrer Lieblings Fast-Food-Kette gibt – und Sie an Ihrem Essverhalten etwas ändern möchten – vergessen Sie die nächste Trend-Diät und machen Sie stattdessen ein Resilienztraining. Denn Stress flexibel regulieren zu können und sich an Veränderungen funktional zu adaptieren, sprich resilient zu sein, ist der beste Weg, um Stressessen zu unterbinden.
Doch genauso wie eine Diät nicht von heut auf morgen Resultate zeigt, entwickeln Sie auch nicht von heut auf morgen eine starke Resilienz. Es ist ein Prozess, der Übung und Ehrenrunden beinhaltet. Und insbesondere in der Corona-Zeit haben wir gemerkt, wie einfach es ist vor dem Fernseher oder dem PC zu essen und sich nicht viel bewegen zu müssen. Deswegen gebe ich Ihnen hier 3 Baby-Step-Tipps, die Sie auf den Weg zu einem stressfreieren und gesünderen Leben führen können.
Baby-Step 1: Stress oder Hunger?
Der allererste Schritt auf dem Weg zu einem Stressessen-freien Leben ist, sich des Stresses und der eigenen Reaktion auf Stress bewusst zu werden. Wann neigen Sie besonders zu welchem Essverhalten und was ist Ihr persönliches Wohlfühl-Essen an solchen Tagen? Sich diese Fragen zu stellen und ehrlich sich selbst gegenüber zu beantworten, ist die Grundlage dafür, sein Verhalten in eine funktionale Richtung zu lenken.
Je besser Sie sich und Ihr Essverhalten kennen, desto schneller können Sie sich selbst beim (Str)Essen ertappen und eingreifen.
Baby-Step 2: Nichts verbieten
Wenn Sie oben noch einmal in die Abbildung schauen, fällt Ihnen auf, dass kognitive Zurückhaltung unter Stress nichts bringt. Vielmehr führt es dazu, dass wir es mit dem Essen dann noch übertreiben, weil wir es ja als „Ausnahme“ betrachten. Sich Dinge zu verbieten, die Sie sehr gerne mögen, wird also nicht funktionieren, auch wenn Sie es versuchen.
Besser ist dagegen, wenn Sie sich eine kleine Portion Ihres Wohlfühl-Essens bewusst gönnen, in dem Wissen, dass Sie damit sich in einen guten Zustand versetzen können. Ein Bonus-Tipp dabei ist, dass Sie versuchen, das Stück Kuchen, das Stück Pizza oder was auch immer es sein mag, mit so vielen Sinnen wie möglich wahrzunehmen. Legen Sie Ihre ganze Achtsamkeit auf das Essen, um übermäßiges Essen zu vermeiden.
Baby-Step 3: In den Körper horchen
Stellen Sie sich vor Ihrem Snack die Frage: „Brauche ich genau DAS und brauche ich es JETZT?“ Wenn Sie die Frage nach kurzem Innehalten immer noch mit ja beantworten, dann greifen Sie zu. Wenn Ihr Körper jedoch nur danach verlangt, gerade weil es süß und/ oder fettig ist, dann nehmen Sie sich noch bewusster eine Minute Zeit und atmen Sie tief durch. Wenn es sich anbietet, können Sie auch einen kleinen Spaziergang machen. Selbstwahrnehmung ist hier der Schlüssel zum Reduzieren von (Str)Essen.
Es kann schwer sein, sich im Affekt zu zügeln, besonders wenn die Chipstüte schon offen vor einem liegt. Sehen Sie die nächsten 2 Wochen einfach als Probezeit an und erlauben Sie sich auch das Zurückgreifen auf alte Muster, solang Sie die neuen ausprobieren.
Stress regulieren für ein gesundes Leben
Abschließend lässt sich sagen: Essen kann Stress regulieren, insbesondere dann, wenn andere Coping-Strategien, die wir anwenden, es nicht effektiv genug tun. Die Kehrseite dabei ist, dass die Dysregulation durch Übergewicht wiederum andere Probleme mit sich bringt.
Die Lösung aus diesem Teufelskreis heraus ist eine stabile Resilienz für einen gesunden Umgang mit Stressoren – sodass Sie keine Schokolade zum Frühstück brauchen!
Quellen:
Macht, M. (2008). How emotions affect eating: A five-way model. Appetite, 50, 1-11.
Peters, A. (2011). Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben. Was das Gewicht über Gesundheit und Krankheit verrät.
Strack, F. et al. (2013). A functional analysis of emotion regulation strategies: Effects on emotional reactivity, social interaction, and food intake.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).