Was ist soziale Unterstützung?
Soziale Unterstützung ist der am meisten untersuchte Schutzfaktor mit einer sehr klar belegten positiven Wirkung auf Resilienz. Die Untersuchungen gehen von einer berühmten Studie in den 1970er Jahren aus, die aufzeigte, dass soziale Isolation sowohl ein höheres Krankheits- als auch Sterberisiko birgt. Die daran anknüpfenden Studien bestätigen die positive Wirkung auf psychische und physische Gesundheit.
Unter sozialer Unterstützung versteht sich ein Sammelsurium an sozialen Interaktionen, die die beteiligten Personen unterstützen. Zum einen spielt die Quantität eine Rolle, die unter dem Begriff des „sozialen Netzwerks“ untersucht wird. Hierbei geht es um die Anzahl der unterstützenden Beziehungen, deren Art und die Häufigkeit der Kontakte. Die qualitative Komponente lässt sich in emotionale, praktische und informationelle Unterstützung zusammenfassen.
Emotionaler Beistand ist hier die mentale Unterstützung durch Trost, Verständnis, Zuwendung und das Gefühl von Rückhalt. Die praktische Unterstützung sind real materielle Ressourcen oder praktische Hilfestellung. Und die informationelle Hilfeleistung meint die Bereitstellung von hilfreichen Informationen und Vorschläge zur Lösung. Die Wirkung der jeweiligen Art hängt von den individuellen Faktoren ab, wie der Beziehung zwischen den einzelnen Personen, dem Unterstützungsbedürfnis oder der Wahrnehmung der angebotenen Unterstützung.
Wie wirkt soziale Unterstützung?
Als Hauptwirkung des Schutzfaktors gilt ein positiver Einfluss auf das psychische und physisches Wohlbefinden, und das unabhängig von der akuten Belastung. Auf der einen Seite wird der oder die Betroffene durch Hilfestellung von außen beim Bewältigen des Alltags (durch Kinderbetreuung oder finanzielle Unterstützung bspw.) entlastet, oder auch durch entspannende Aktivitäten mit Freunden. Auf der anderen Seite produzieren wohltuende Beziehungen positive Emotionen, stärken das Selbstwertgefühl und tragen zur Kontrollüberzeugung bei (vgl. Uchino u.a. 2012).
Außerdem wirkt sich der Schutzfaktor auch auf das Gesundheitsverhalten positiv aus. So können soziale Netzwerke dabei helfen, gesundheitsschädigende Angewohnheiten (wie rauchen oder viel trinken) abzugewöhnen und medizinische Empfehlungen eher einzuhalten. Hierbei muss allerdings erwähnt werden, dass die sozialen Netzwerke auch als Negativmodell genutzt werden können, die eher zu einem gesundheitlichen Risikoverhalten animieren.
Soziale Unterstützung wirkt wie ein Schutzschild gegen Stress, da sie negative Folgen von Krisen abschwächen oder gar verhindern kann. Nach dem Stressverarbeitungsmodell von Lazarus (1984) handelt es sich um eine wertvolle Ressource, mit der Stressoren als weniger bedrohlich eingeschätzt werden. Dies wurde vor allem in Laborstudien festgestellt (Ditzen, Heinrichs 2007). In den Studien zeigte sich, dass soziale Unterstützung deutlich die körperlichen Stressreaktionen senkte. Der Schlüssel hierfür wird im Oxytocin gesehen. Das ist ein Bindungshormon, das bei sozialen Interaktionen ausgeschüttet wird und die Ausschüttung von Cortisol (ein Stresshormon) vermindert.
Wahrgenommene vs. tatsächliche Unterstützung
Ein großer Faktor bei der Wirkung des Schutzfaktors ist die Unterscheidung von der subjektiv wahrgenommenen und der tatsächlich geleisteten sozialen Unterstützung. Rational ist anzunehmen, dass reale Unterstützung mehr bringen sollte, als nur der Gedanke. Allerdings zeigen die meisten Studien, dass die protektive Wirkung von wahrgenommener Unterstützung viel höher ist, als von wirklich erhaltener.
Die wahrgenommene Hilfestellung ist dabei eine allgemeine und relativ Stabile Erwartungshaltung, dass falls Hilfe benötigt werden sollte, man sich auf sein soziales Netzwerk verlassen kann. Diese Erwartungshaltung wirkt schützend. Tatsächliche Unterstützung kann zwar auch schützend wirken, in den meisten Studien zu akuten Belastungssituationen wurde allerdings keine oder gar eine negative Beeinflussung der Gesundheit festgestellt (Bolger u.a. 2000).
Die Ursache für die eher negative Wirkung von tatsächlicher Hilfe besteht vermutlich in der Abweichung von Erwartung und wirklichem Erhalt. Wenn beispielsweise weniger oder weniger hilfreiche Unterstützung gegeben wird als erwartet, kann diese Enttäuschung zusätzlich belasten. Auch zu viel geleistete Hilfe kann sich negativ auswirken. Wenn die betroffene Person das Gefühl bekommt, ihr Problem nicht allein lösen zu können, senkt das das Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeitserwartung.
Tatsächliche Hilfestellung hat dann eine protektive Wirkung, wenn sie ‚unsichtbar‘ ist. Das heißt wenn Unterstützung geleistet wird, ohne dass die betroffene Person diese als solche wahrnimmt. Das kann beispielsweise die unerwähnte Unterstützung im Haushalt sein oder ein erteilter Ratschlag, der nicht offensichtlich in Verbindung mit dem Stressor steht. Wenn die Unterstützung ein Gefühl von Kompetenz vermittelt, wirkt sie sich nicht negativ aus.
Wie ‚entsteht‘ soziale Unterstützung?
Soziale Unterstützung wirkt also dann protektiv, wenn sie entweder nicht sichtbar ist, bzw. den Erwartungen entspricht oder eine hohe Hilfestellung wahrgenommen wird. Dabei ist die hier beschriebene Erwartungshaltung situationsunabhängig und auch relativ stabil über die Zeit hinweg. Diese Erwartungshaltung entwickelt sich aus den gemachten Erfahrungen, das häufig mit der Bindungsorientierung des Menschen in Verbindung gebracht wird.
Bindungsorientierung
Die Bindungsorientieren bei einem Menschen hat große Auswirkungen darauf, wie er sich bei sozialen Interaktionen verhält. Die Konzepte dazu gehen zurück auf die Bindungstheorie nach Bowlby und Ainsworth (Bowlby 1988). Diese besagt, dass in der frühkindlichen Entwicklung durch die Erfahrungen mit der primären Bezugsperson sich Muster für spätere Interaktionen, Affektregulation und Stressbewältigung bilden.
So entwickeln Kinder mit vertrauensvollen Bindungserfahrungen eine sichere Bindungsorientierung. Ihnen werden im Erwachsenenalter enge Bindungen, Emotionsregulation und offenes Interaktionsverhalten nicht schwerfallen. Wenn dies nicht der Fall bei Kleinkindern ist, entwickeln diese Strategien, um mit der Frustration und dem Bindungsbedürfnis umzugehen, beispielsweise besitzergreifend, ängstlich, abweisend (Bartholomew, Horowitz 1991).
Es gibt viele empirische Studien, die den Zusammenhang einer sicheren Bindungsorientierung und psychischer Gesundheit untersuchen. Vor allem in der Resilienzforschung zeigt sich der protektive Effekt von sicheren Bindungen. Da Menschen mit so einer Bindungsorientierung schon positive Erfahrungen mit sozialer Unterstützung gemacht haben, haben diese in Krisensituationen eine höhere Erwartung und eine größere Wahrscheinlichkeit, sich aktiv die passende Hilfe zu suchen. Zudem haben Menschen mit diesem Bindungsstil ein größeres soziales Netzwerk mit mehr positiven Interaktionen.
In dem Zusammenhang ist auch die individuelle Kommunikationsfähigkeit wichtig. Menschen mit einem unsicheren Bindungsstil haben meist eine geringere Empathiefähigkeit, das bedeutet sie können ihre eigenen Emotionen schlechter wahrnehmen und kommunizieren, sowie auf die Emotionen anderer reagieren. Das führt bei sozialen Interaktionen zu einer geringeren Selbstwirksamkeitserwartung. Dadurch fallen enge soziale Beziehungen auch schwerer, die bei großen Belastungen unterstützen würden.
Geschlechtsunterschiede
Nicht nur der Bindungsstil, sondern auch das biologische und soziale Geschlecht hat Auswirkungen auf die soziale Unterstützung. Die Unterschiede beginnen schon im Jugendalter, wo Mädchen engere Beziehungen pflegen als Jungs. So haben Frauen nicht nur einen größeren Bekanntenkreis, sondern auch mehrere enge Bezugspersonen. Außerdem berichten Frauen von einer größer wahrgenommenen Unterstützung, die bei Bedarf auch häufiger in Anspruch genommen wird (vgl. Klauer, Winkeler 2002). Dabei erhalten Frauen nicht nur öfter Unterstützung, sondern bieten diese auch häufiger an, wobei es hier hauptsächlich um emotionalen Beirat geht.
In Studien mit Ehepaaren zeigt sich deutlich der Unterschied. Für Männer ist die Partnerin meist die Hauptbezugsperson, sodass deren Verlust für die soziale Unterstützung enorme negative Folgen hat (Stroebe 2005). Bei Frauen hingegen kann bei Verlust oder Eheproblemen auf andere Bezugspersonen zugegriffen werden.
Interessanterweise reagieren Frauen und Männer auch unterschiedlich auf die Anwesenheit ihres Partners, ihrer Partnerin. Während bei Männern im Beisein der Partnerin der Stresslevel sinkt, steigt er bei Frauen umgekehrt leicht. Ditzen und Heinrichs (2007) fanden hierzu heraus, dass Frauen zwar nicht auf die Anwesenheit reagierten, das Stresslevel jedoch durch die Berührung des Partners sank. Körperliche Zuwendung hat im Zusammenhang mit sozialer Unterstützung einen zusätzlich präventiven Charakter.
Soziale Unterstützung und andere Schutzfaktoren
Bindung als stärkste Ressource für Resilienz steht auch in Verbindung mit anderen Schutzfaktoren. So kann soziale Unterstützung beispielsweise einen fehlenden Schutzfaktor ausgleichen, wie eine Studie zu Managerinnen und Managern zeigte. Der Schutzfaktor wirkte hier besonders protektiv, wenn dafür eine geringe Hardiness vorhanden war (Luszczynska, Cieslak 2005).
Andererseits können die Schutzfaktoren sich auch gegenseitig begünstigen. Menschen mit einem hohen Selbstwertgefühl, Optimismus und internalen Kontrollüberzeugungen haben eine größere Wahrscheinlichkeit sozialen Beistand zu erhalten.
Copingstile haben ebenfalls Einfluss auf mögliche Unterstützung. Bei einem aktiven und problemorientierten Bewältigungsverhalten wird Hilfe als nicht notwendig, wenn nicht sogar als hinderlich empfunden. Während bei einem dysfunktionalen Bewältigungsstil ein eher weniger Unterstützung angeboten wird, obwohl sie hier benötigt wird (Antoniw u.a. 2007).
Soziale Unterstützung als Schutzfaktor
Soziale Unterstützung ist der am meisten untersuchte und damit auch am besten belegte Schutzfaktor für psychische und auch physische Gesundheit. Besonders deutlich wird dies in Forschungen zu fehlender sozialen Unterstützung. Ein nicht vorhandener oder nicht wahrgenommener Beistand ist einer der größten Risikofaktoren für posttraumatische Belastungsstörungen.
Zudem wirkt der Schutzfaktor besonders protektiv bei einer hohen psychischen Belastung. Eine großangelegte Studie zu Frauen mit Missbrauchserfahrungen legte offen, dass Einbindung in feste soziale Strukturen besonders dann schützend wirkte, wenn Frauen sowohl als Kind als auch im Erwachsenenalter misshandelt wurde. Bei Frauen mit nur einem der traumatischen Erlebnisse war der Effekt geringer (Schumm u.a. 2006).
Es gibt mehrere Arten von sozialer Unterstützung, die jeweils situationsabhängig einen protektiven Effekt haben oder gar gegenteilig wirken. So zeigte Beispielsweise eine Studie zu Sicherheitskräften in Belgien, dass jene, die bei der Arbeit mit potentiell traumatischen Erlebnissen konfrontiert waren eher von informationeller Unterstützung profitierten und emotionaler Beistand gar das Stresslevel erhöhte (Declercq und Kollegen 2007).
Der Schutzfaktor wirkt dadurch, dass die sozialen Netzwerke einerseits das Gefühl von Rückhalt und Sicherheit vermitteln und anderseits für Betroffene eine Entlastung darstellen, sei es durch die Möglichkeit von vertrauensvollen Gesprächen oder aktives ‚unter die Arme greifen‘. Eine wichtige Prämisse für Resilienz ist hier der Aufbau und erhalt von wohltuenden Bindungen.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienz-Expert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).