Kennen Sie das Gefühl, wenn eine Seite von Ihnen sagt, dass Sie etwas Bestimmtes nicht machen sollten, und eine andere, überzeugendere Seite spricht: „Ach was, man muss das Leben auch mal genießen. Wir machen das jetzt!“? Das ist dann der innere Antreiber „YOLO“. Dieses Akronym steht für „You only live once“ also „Du lebst nur einmal“.
Dieses Jugendwort repräsentiert eine Lebensphilosophie, die uns auffordert, das Leben in vollen Zügen zu genießen, Risiken einzugehen und sich nicht zurückzuhalten. Doch dieser innere Antreiber, der uns zu spontanem Handeln und intensiven Erfahrungen motiviert, birgt auch Herausforderungen. Er kann uns zu unüberlegten Entscheidungen verleiten oder uns in einen ständigen Drang nach mehr und mehr Erlebnissen führen, was auf Dauer Stress und Überforderung verursachen kann.
Warum gibt es den Antreiber „YOLO“?
Der Wunsch nach intensiven Erlebnissen und neuen Erfahrungen ist tief in uns verwurzelt. „YOLO“ entspringt also einer natürlichen menschlichen Tendenz, das Leben in seiner Kürze und Unvorhersehbarkeit wahrzunehmen. Es erinnert uns daran, dass unser Leben endlich ist und wir oft nicht wissen, wie viel Zeit uns bleibt. Diese Erkenntnis weckt in uns den Drang, alles, was das Leben zu bieten hat, auszukosten. Das Bedürfnis, das Leben in vollen Zügen zu genießen, ist eine Reaktion auf die Endlichkeit unseres Daseins.
In der modernen Gesellschaft, in der wir ständigen Veränderungen und einer Vielzahl von Möglichkeiten gegenüberstehen, wird dieser innere Antrieb noch verstärkt. Wir werden durch soziale Medien, Werbung und Erfolgsgeschichten anderer Menschen ständig daran erinnert, dass es „da draußen“ immer noch mehr zu erleben, zu erreichen und zu entdecken gibt. Diese ständige Vergleichbarkeit kann dazu führen, dass wir Angst haben, etwas zu verpassen – die sogenannte „Fear of Missing Out“ (FOMO). In diesem Kontext wird „YOLO“ zu einem Antreiber, der uns anstachelt, nichts auszulassen und ständig auf der Suche nach dem nächsten aufregenden Moment zu sein.
Aber es gibt auch eine andere Seite: Der Wunsch, das Leben zu feiern, ist auch eine Möglichkeit, mit Stress umzugehen. Menschen, die unter Druck stehen oder sich in einer herausfordernden Lebenssituation befinden, suchen oft nach Momenten der Freude, um sich von ihren Sorgen abzulenken. „YOLO“ kann in solchen Momenten eine Form des emotionalen Ausgleichs sein, wenn es nicht als Flucht genutzt und reale Auswirkungen mitgedacht werden.
Was ist der innere Antreiber „YOLO“?
Die Transaktionsanalyse benennt fünf Antreiber, die unser Handeln, insbesondere wenn wir durch Stress „auf Autopiloten“ schalten, bestimmen. Diese sind „Mach schnell“, „Mach es allen recht“, „Streng dich an“, „Sei perfekt“, und „Sei stark“. Darüber hinaus gibt es aber noch weitere starke Motive, die uns von innen heraus motivieren können. Einer solch nicht klassischer Antreiber ist „YOLO“.
YOLO hat sich in den 2010er Jahren aus der Jugendsprache heraus als Ausdruck der Popkultur etabliert. Bekannt wurde der Spruch vor allem durch den kanadischen Rapper Drake, der ihn 2011 in seinem Song „The Motto“ verwendete. Seitdem hat sich „YOLO“ zu einem Leitsatz entwickelt, der insbesondere junge Menschen ermutigt, das Leben in vollen Zügen zu genießen, Risiken einzugehen und sich von der Angst vor Misserfolgen oder Konventionen zu befreien. Diese Lebenseinstellung ist eng mit dem Wunsch nach Freiheit und Selbstverwirklichung verbunden, der stark in der Generation Z und Generation Alpha ausgeprägt ist.
YOLO als Motto wird auch mit einem bestimmten Handzeichen in Verbindung gebracht, das auch als „Hang loose“ bekannt ist. Diese sogenannte Shaka-Geste, bei dem der Daumen und der kleine Finger ausgestreckt sind, während die anderen Finger zur Faust geballt bleiben, steht ebenfalls für diese entspannte, lebensbejahende Einstellung. Die Geste wurde 2024 sogar offiziell als Handzeichen des Bundesstaats Hawaii erklärt und wird zu verschiedenen Anlässen gebraucht, bedeutet aber soviel wie „Cool“, „In Ordnung“ oder „Locker“. Passend dazu sieht das Zeichen wie eine Hängematte aus.
Sich locker zu machen und das Leben in vollen Zügen zu genießen ist eine wertvolle Fähigkeit, die aber auch mit Stress und unangenehmen Konsequenzen einhergehen kann.
Die Vorteile von Sorgenfreiheit
Der Antreiber „YOLO“ hat viele positive Seiten. Er erinnert uns daran, dass das Leben endlich ist, und motiviert uns, unsere Zeit bewusst zu nutzen. Wer von diesem Impuls geleitet wird, ist oft offener für neue Erfahrungen und traut sich, die eigene Komfortzone zu verlassen. Dies kann zu einer größeren Lebensfreude führen, da man das Leben intensiver erlebt und sich über spontane, aufregende Momente freuen kann. Im Grunde ist es das gleiche Motto wie „Carpe Diem“.
Darüber hinaus fördert „YOLO“ auch die persönliche Weiterentwicklung. Wer bereit ist, Risiken einzugehen und Neues auszuprobieren, lernt oft viel über sich selbst und die Welt. Diese Offenheit für das Unbekannte hilft uns, flexibler und anpassungsfähiger zu werden. Zudem kann das „YOLO“-Denken zu mehr Selbstbestimmung führen, da man sich nicht so stark von den Erwartungen anderer oder gesellschaftlichen Normen leiten lässt. Der Fokus liegt darauf, das eigene Leben nach den eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten.
Die Nachteile von Sorglosigkeit
So attraktiv der Gedanke ist, jeden Moment voll auszukosten, birgt der „YOLO“-Antreiber auch Risiken. Wenn das Streben nach intensiven Erlebnissen zu impulsivem Handeln führt, können langfristige Ziele und Verpflichtungen leicht vernachlässigt werden. Menschen, die sich stark von „YOLO“ leiten lassen, laufen Gefahr, unüberlegte Entscheidungen zu treffen, die zwar kurzfristig aufregend erscheinen, aber langfristig negative Konsequenzen haben können – sei es in beruflicher, finanzieller oder zwischenmenschlicher Hinsicht.
Zudem kann der ständige Drang nach neuen und aufregenden Erfahrungen zu Erschöpfung führen. Wenn das Bedürfnis, ständig das nächste Abenteuer zu suchen, zur Gewohnheit wird, fördert das innere Unruhe. In Kombination mit einem Antreiber „Mach schnell“ entsteht so ein Grundmuster der Hektik. Diese Rastlosigkeit – oft verstärkt durch die „Fear of Missing Out“ (FOMO) – macht es schwer, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren oder die kleinen Freuden des Alltags zu genießen. Stattdessen entsteht ein Gefühl von Leere oder Unzufriedenheit, wenn man nicht ständig etwas Neues erlebt.
Und nicht zuletzt kann auch die Gesundheit unter diesem inneren Antreiber leiden. Eine ständige Ausrichtung auf intensive Erlebnisse kann auch gesundheitliche Risiken mit sich bringen. „YOLO“ kann Menschen dazu verleiten, körperliche oder geistige Grenzen zu überschreiten, sei es durch riskantes Verhalten wie Extremsportarten oder exzessives Feiern. Der Wunsch, das Leben voll auszuschöpfen, könnte dabei dazu führen, dass Warnsignale des Körpers übergangen werden. Mangelnde Erholung, Schlafmangel oder das Vernachlässigen von gesunden Routinen können langfristig zu Erschöpfung oder gesundheitlichen Problemen führen.
Wie können wir resilient mit dem Antreiber „YOLO“ umgehen?
Obwohl YOLO eine lebensbejahende Haltung ist, und viele Vorteile mit sich bringt, kann dieses angenehme Gefühl auch übersteuern und so Stress hervorrufen. Resilienz ist dabei eine Fähigkeit, eine gesunde Balance zu wahren zwischen Bedachtsamkeit und Spontanität. Ein resilienter Umgang mit dem Antreiber „YOLO“ bedeutet einen bewussten und ausgewogenen Umgang mit dem Wunsch nach intensiven Erlebnissen zu entwickeln.
YOLO und das Streben nach Glück
Um in diese Balance zu finden, ist die Selbstflexion sehr wertvoll. Ein guter Anhaltspunkt dafür sind die drei Formen des Glücks, die der Mind-Body-Mediziner Prof. Dr. Tobias Esch herausstellt: Das Wollen-Glück, das Erleichterungs-Glück und das Seins-Glück (Esch, 2017).
Das Wollen-Glück
Das Wollen-Glück ist dabei wohl am engsten mit dem Antreiber „YOLO“ verbunden. Wenn Sie den Drang verspüren, spontan zu handeln oder neue Abenteuer zu erleben, kann dies oft auf den Wunsch zurückgeführt werden, das Wollen-Glück zu erfahren – etwa durch Reisen, aufregende Aktivitäten oder spontane Entscheidungen. Das Dopamin, das dabei in Ihrem Gehirn ausgeschüttet wird, verstärkt das Gefühl von Freude und Belohnung, das Sie bei solchen Erlebnissen verspüren. Hier stellt sich jedoch die Frage:
Streben Sie nach diesen intensiven Momenten, um eine innere Leere zu füllen? Oder handelt es sich um echte Freude an neuen Erfahrungen?
Das Erleichterungs-Glück
Das Erleichterungs-Glück bezieht sich auf eine Form von Glück, die entsteht, wenn wir Druck, Stress oder Unzufriedenheit loslassen. Es ist das Gefühl, das wir erleben, wenn eine Last von unseren Schultern fällt oder wir ein Problem gelöst haben. Im Gegensatz zum flüchtigen Wollen-Glück ist das Erleichterungs-Glück weniger aufregend, dafür aber oft tiefgreifender, da es uns ein Gefühl von Befreiung verschafft.
In Bezug auf den „YOLO“-Antreiber könnten Sie sich fragen:
„Suche ich diese spontanen Erlebnisse, um mich von etwas zu befreien? Versuche ich, inneren Druck oder Stress durch Abenteuer und Ablenkung loszuwerden?“
Oft kommt es vor, dass Menschen, die von „YOLO“-Momenten getrieben sind, unbewusst nach diesem Erleichterungs-Glück streben. Sie möchten den Stress des Alltags oder innere Unruhe abstreifen und suchen deshalb nach einer Möglichkeit, kurzzeitig aus dem Alltag auszubrechen. Jedoch ist Erleichterungs-Glück nicht dauerhaft, wenn es nur durch kurzfristige Fluchten erreicht wird. Wenn der Drang nach Abenteuer nur darauf abzielt, dem Stress des Alltags zu entkommen, anstatt die Ursachen dieses Stresses zu hinterfragen oder anzugehen, bleibt das Erleichterungs-Glück oberflächlich und vorübergehend.
Das Seins-Glück
Die dritte und tiefste Form des Glücks nach Tobias Esch ist das Seins-Glück. Es geht hier um das Erleben von innerer Ruhe, Harmonie und Verbundenheit mit sich selbst und der Welt. Dieses Glück ist von Dauer und entsteht durch das Gefühl, im Einklang mit dem Leben zu stehen – unabhängig von äußeren Umständen oder kurzen Glücksmomenten.
Wenn Sie sich der Frage stellen: „Warum verspüre ich den Drang, spontan zu handeln?“, könnte es sein, dass Sie auf der Suche nach dieser tieferen Form von Glück sind, aber versuchen, es durch kurzfristige „YOLO“-Erlebnisse zu erreichen. Doch echte Glückseligkeit ist oft das Ergebnis von Achtsamkeit, innerer Balance und Akzeptanz des Augenblicks, nicht durch immer neue äußere Reize.
Das Streben nach momentanen Abenteuern kann in diesem Zusammenhang als Ablenkung vom tieferen Streben nach innerem Frieden gesehen werden. Wenn Sie feststellen, dass Sie durch den „YOLO“-Antreiber unruhig, gestresst oder ausgebrannt sind, könnte das ein Zeichen dafür sein, dass es an der Zeit ist, sich auf diese dritte Ebene des Glücks zu konzentrieren.
„Glück hält dann ewig, wenn wir beim Streben danach schon zufrieden sind“ – Ruben Langwara
Das Hier und Jetzt ohne YOLO genießen
Das Leben im Augenblick und das Erleben des Augenblicks sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Achtsamkeit, bzw. Mindfullness, ermöglicht es, auch einfache, alltägliche Momente zu genießen. Durch einfache Achtsamkeitsübungen, wie das bewusste Atmen, eine One-Minute-Meditation oder das Wahrnehmen der Umgebung, können Sie sich wieder mit dem gegenwärtigen Moment verbinden.
Versuchen Sie, sich auf alltägliche Erfahrungen zu konzentrieren – wie das Gefühl der Sonne auf Ihrer Haut, den Duft des Kaffees am Morgen oder den Klang der Blätter im Wind. Solche kleinen Momente, die oft übersehen werden, können große Freude und Zufriedenheit bringen, wenn Sie sie bewusst wahrnehmen.
Ein weiterer Vorteil eines solchen bewussten Genießens ist das Stellen von Qualität über Quantität. Bei einem gesunden Umgang mit dem Antreiber geht es nicht darum, weniger Freude zu erleben, sondern eine andere Art. Diese tiefe Form der Freude entsteht durch echte Verbundenheit mit dem Moment und den Menschen um uns herum. Es ist eine stille, aber beständige Zufriedenheit, die durch das bewusste Erleben von einfachen, aber bedeutsamen Momenten entsteht.
Wozu ist der Antreiber „YOLO“ wertvoll?
Der innere Antreiber „YOLO“ hat viele positive Aspekte, wenn wir es schaffen, nicht unser gesamtes Leben davon bestimmen zu lassen. Er ermutigt uns, das Leben in seiner ganzen Fülle zu genießen und die Dinge zu tun, die uns wirklich am Herzen liegen. Viele Menschen trauen sich durch „YOLO“-Momente, aus ihrer Alltagszone/Komfortzone auszubrechen, neue Erfahrungen zu sammeln und ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten.
Auch im Bereich der persönlichen Entwicklung kann „YOLO“ eine wichtige Rolle spielen. Wer sich von diesem Antreiber leiten lässt, ist oft bereit, Neues zu wagen und sich auf unbekanntes Terrain zu begeben. Diese Offenheit kann zu wertvollen Lernerfahrungen führen und uns helfen, uns als Menschen weiterzuentwickeln.
Darüber hinaus kann „YOLO“ uns daran erinnern, das Leben nicht als selbstverständlich zu betrachten. Der Gedanke, dass wir nur einmal leben, kann uns helfen, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren und unser Leben bewusster zu gestalten. Wir lernen, den Moment zu schätzen und uns über kleine Erfolge zu freuen, anstatt ständig nach dem nächsten großen Abenteuer zu streben.
Insgesamt ist der „YOLO“-Antreiber eine Einladung, das Leben aktiv zu gestalten und Risiken einzugehen, aber auch, achtsam und bedacht zu handeln. Wenn wir es schaffen, diesen Antreiber in Balance zu halten, kann er uns helfen, ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben zu führen.
Quellen:
Esch, T. (2017). Der Selbstheilungscode: Die Neurobiologie von Gesundheit und Zufriedenheit: Beltz.
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Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).