Loyalität wird oft als positive Eigenschaft angesehen, die Bindungen stärkt und Vertrauen aufbaut. Jemandem loyal gegenüber zu sein bedeutet, im Interesse eines gemeinsamen Ziels zu handeln und gemeinsame Werte zu vertreten. Darüber hinaus bedeutet es auch, die Werte des anderen zu vertreten, selbst wenn diese nicht mit den eigenen übereinstimmen, solange sie dem gemeinsamen Ziel dienen. Loyalität zeigt sich also im Verhalten gegenüber der Person, der man loyal gegenüber ist, aber auch außenstehenden.
Loyalität ist eine wertvolle Tugend in Verbindungen wie Partnerschaften, Familien oder auch im beruflichen Kontext. Doch sie kann auch übersteigert oder unangemessen sein, sodass sie uns unsere Resilienz rauben kann.
Warum ist Loyalität ein Resilienz-Dieb?
Obwohl Loyalität vor allem nach außen hin als positiv wirkt, kann sich uns dennoch schaden. Nämlich dann, wenn es sich um dysfunktionale Loyalität handelt. Dysfunktionale Loyalität kann zu Situationen führen, in denen wir unsere eigenen Bedürfnisse und Grenzen ignorieren, um anderen gegenüber loyal zu bleiben. Dies kann zu chronischem Stress, Burnout und emotionaler Erschöpfung führen.
Eine starke Anhaftung gegenüber einer anderen Partei kann dazu führen, dass wir unsere Anpassungsfähigkeit einbüßen und uns die Chance zur Entwicklung nehmen. Die Verbindung zum anderen wird um jeden Preis bewahrt. Umgangssprachlich werden solche Beziehungen heutzutage als „toxisch“ bezeichnet.
Was ist dysfunktionale Loyalität?
Bindung und Verbindung ist eine der größten Stärken des Menschen. Wir sind Herdentiere und als solche sind uns unsere Mitmenschen und das Verhältnis zu einigen Ausgewählten sehr wichtig. Sogar so sehr, dass Menschen, die sich sozial isoliert oder einsam fühlen, ein um 26-32% erhöhtes Risiko für ein frühzeitiges Ableben haben (Holt-Lunstad, Smith, Baker, Harris, & Stephenson, 2015). Mit anderen Worten, Einsamkeit ist genau so ungesund wie 15 Zigaretten am Tag zu rauchen. Wir brauchen für unsere Gesundheit die Verbindung zu anderen Menschen.
Doch diese Suche nach Bindung und Zugehörigkeit kann auch dazu führen, dass wir eine ungesunde Form der Treue praktizieren, bei der die Loyalität gegenüber einer Person, Gruppe oder Organisation auf Kosten der eigenen Gesundheit, Werte oder ethischen Standards geht. Der Grund dafür ist die Angst vor der Trennung oder ausgemalten Konsequenzen eines Loyalitätsbruchs, wie beispielsweise soziale Ausgrenzung.
Beispiele für dysfunktionale Loyalität sind:
Loyalität gegenüber einer toxischen Führungskraft: Mitarbeiter bleiben einem schädlichen Chef treu, aus Angst vor Konsequenzen oder aus einem übertriebenen Pflichtgefühl heraus.
Loyalität in missbräuchlichen Beziehungen: Individuen bleiben in schädlichen Beziehungen, weil sie sich verpflichtet fühlen, dem Partner treu zu bleiben, selbst wenn es ihrer eigenen psychischen Gesundheit schadet.
Loyalität gegenüber unethischen Praktiken: Mitarbeiter halten an einem Unternehmen fest, obwohl sie wissen, dass es sich in unethischen oder illegalen Aktivitäten engagiert.
Tatsächlich kann auch Liebe zu einer dysfunktionalen Loyalität führen, wenn sie in einer Selbstaufgabe mündet. Es ist dann nicht nur das Pflichtgefühl, das uns die Werte unseres Partner über die eigenen stellen lässt. Sondern auch das Auflösen der eigenen Grenzen des Ichs, um dem Beziehungsgefährten oder der -gefährtin möglichst nah und ähnlich zu sein. Besondern in der ersten Phase der Verliebtheit passiert das gerne, doch lässt im Laufe der Beziehung nach, sodass man seine eigene Identität bewahrt und einander trotzdem nahe ist.
Wie können wir resilient mit dysfunktionaler Loyalität umgehen?
Um resilient mit dysfunktionaler Loyalität umzugehen ist es wichtig, ein Gleichgewicht zwischen Loyalität und Selbstschutz zu finden.
Für einen resilienten Umgang mit diesem Resilienz-Dieb braucht es zunächst die Selbstreflexion und das Bewusstsein dafür, dass wir aufgrund der Verbindung zu einer anderen Person unsere eigenen Bedürfnisse vernachlässigen oder über Grenzen gehen. Hierfür bietet sich eine Wertereflexion an. Stellen Sie dann die herausgefundenen Werte auf den Prüfstand: Wann leben Sie Ihre Werte frei, und wann werden Sie daran gehindert – ohne dass sich Ärger zeigt?
Die Abwesenheit von Ärger bei einer Werteverletzung zeigt, dass Sie sich in einer dysfunktionalen Loyalität befinden. Sie erkennen die Loyalität auch an Gefühlen von Angst oder Schuld, wenn Sie daran denken, Ihre Werte unabhängig von der jeweiligen Person auszuleben.
Die eigenen Bedürfnisse auch dann zu priorisieren, wenn das innere Empfinden sich dagegen sträubt, kann zunächst schwer sein. Ein Anfang besteht darin, das kleine Wort „Nein“ sagen zu üben. Gerade Menschen mit dem Antreiber „Mach es allen recht“ tun sich oft schwer damit, für ihre eigenen Grenzen einzustehen. Je öfter wir es allerdings – klar aber wertschätzend – kommunizieren, desto besser können wir unsere Grenze wahren und uns von dysfunktionalen Loyalitäten lösen. Gehen Sie bewusst mit dem Rahmen „Übung“ an die Sache heran, um sich langsam der Selbstfürsorge zu nähern.
Professionelle Hilfe, zum Beispiel in Form eines Resilienz-Coachings, ist auch ein guter Punkt, um dysfunktionale Loyalität als Resilienz-Dieb zu lösen.
Wozu ein resilienter Umgang mit dysfunktionaler Loyalität führt
Ein resilienter Umgang mit dysfunktionaler Loyalität führt zu einer besseren emotionalen und mentalen Gesundheit. Indem Sie gesunde Grenzen setzen und Ihre eigenen Bedürfnisse priorisieren, können Sie:
Selbstachtung erhöhen: Durch die Achtung Ihrer eigenen Werte und Grenzen stärken Sie Ihr Selbstwertgefühl und Ihre Selbstachtung.
Bessere Beziehungen pflegen: Gesunde Grenzen und eine klare Kommunikation führen zu respektvolleren und ausgewogeneren Beziehungen auf Augenhöhe.
Stress reduzieren: Durch die Vermeidung ungesunder Loyalitätsverpflichtungen reduzieren Sie chronischen Stress und Burnout.
Höhere Lebenszufriedenheit erreichen: Indem Sie sich auf Ihre eigenen Bedürfnisse konzentrieren und Ihre Werte wahren, verbessern Sie Ihre allgemeine Lebenszufriedenheit und Resilienz.
Quellen
Holt-Lunstad, J., Smith, T. B., Baker, M., Harris, T., & Stephenson, D. (2015). Loneliness and social isolation as risk factors for mortality: a meta-analytic review. Perspectives on psychological science, 10(2), 227-237.
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Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).