Das Sprichwort „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ bringt die Haltung, die hinter diesem inneren Antreiber „Übernimm Dich nicht“ steckt, auf den Punkt. Bei dem zu bleiben, was man gut kann und nur Hürden zu nehmen, von denen man weiß, dass man sie auch überwindet, bietet Sicherheit und Komfort. Doch es hemmt auch das persönliche Wachstum. Um also Sicherheit und Entwicklung miteinander vereinen zu können, brauchen wir Strategien, um resilient mit dem inneren Antreiber umzugehen.
Warum haben wir den inneren Antreiber „Übernimm Dich nicht“?
Der Antreiber „Übernimm Dich nicht“ wurzelt oft in unseren frühkindlichen Erfahrungen. Viele Menschen lernen früh, dass Risiken und Misserfolge zu Schmerz, Enttäuschung oder Ablehnung führen können. Um uns zu schützen, entsteht eine Art inneres Schutzprogramm, das uns davon abhält, zu hohe Risiken einzugehen oder uns selbst zu überfordern. Dieser innere Antreiber lässt sich also als eine Form der inneren Kontrolle erklären, die unser Unterbewusstsein entwickelt, um Enttäuschungen und Verletzungen zu vermeiden.
Dieser Mechanismus ist dabei nicht grundsätzlich schlecht. Indem wir uns in bestimmten Momenten zurückhalten, schützen wir uns vor Überforderung und bewahren unser psychisches Gleichgewicht. Der Antreiber hilft demnach dabei, vorsichtig zu sein und Entscheidungen kritisch zu hinterfragen. Dennoch kann er auch einschränkend wirken, wenn er zu stark ausgeprägt ist und uns an unserer eigenen Entwicklung hindert. Das Ziel besteht daher darin, den Antreiber zu verstehen und ihn als Werkzeug zu nutzen, das uns hilft, an unseren Herausforderungen zu wachsen – ohne uns zu überfordern.
Was ist der innere Antreiber „Übernimm Dich nicht“?
Innere Antreiber sind Motive und Einstellungen gegenüber uns selbst und unseren Handlungen. Meistens verinnerlichen wir sie schon in der frühen Kindheit, wobei sie sich unter stressreichen Situationen besonders zeigen. Man kann sie auch als Default-Einstellung verstehen, wenn wir uns einer herausfordernden Situation gegenüber sehen oder als Arbeitsmoral im allgemeinen Alltag.
Die Transaktionsanalyse stellt fünf innere Antreiber heraus:
Allein wenn man diese Liste liest, kommt schon der Gedanke an Stress auf. Im Gegensatz zu diesen fordernden Antreibern klingt „Übernimm Dich nicht“ sehr entspannend und weniger treiberisch. Doch auch dieser innere Glaubenssatz leitet uns und kann sowohl Positives als auch Negativen für uns bewirken.
Manchmal ist es sinnvoll, nicht sofort die höchsten Gipfel erklimmen zu wollen, sondern Schritte mit Bedacht zu planen. Doch oft sorgt dieser Antreiber auch für Selbstzweifel und hemmt den Mut, neue Herausforderungen anzunehmen. Es kann eine Gratwanderung sein, zwischen einem gesunden Selbstschutz und einem Selbstzweifel, der verhindert, dass wir über uns hinauswachsen und unser Potenzial voll ausschöpfen.
Um diesen Antreiber zu balancieren, hilft es, ihn zu identifizieren und seine Funktion zu verstehen. Sobald uns bewusst wird, dass er eine Art Schutzmechanismus ist, können wir aktiv daran arbeiten, die gesunde Balance zwischen Vorsicht und Mut zu finden.
Vorteile der Selbstfürsorge
Ein maßvoller Umgang mit dem Antreiber „Übernimm Dich nicht“ kann ein Schlüssel zur Selbstfürsorge sein. Menschen, die sich ihrer eigenen Grenzen bewusst sind und auf ihren Körper und ihre Gefühle hören, erleben weniger Burnout und Überlastung. Selbstfürsorge bedeutet, achtsam mit sich umzugehen und Überforderung frühzeitig wahrzunehmen, bevor sie zu einem ernsthaften Problem wird.
Indem wir lernen, uns Pausen zu gönnen, stressige Situationen zu reflektieren und mit uns selbst geduldig zu sein, fördern wir langfristig unser Wohlbefinden und unsere Widerstandskraft. Diese Fähigkeit, auf sich selbst zu achten und gesunde Grenzen zu setzen, stärkt nicht nur die mentale Gesundheit, sondern führt zu einer gesteigerten Lebensqualität und mehr Energie, um die wirklich wichtigen Dinge im Leben anzupacken.
Selbstfürsorge bedeutet jedoch nicht, Risiken völlig zu vermeiden oder Herausforderungen aus dem Weg zu gehen. Vielmehr geht es darum, den richtigen Moment zu erkennen und die eigenen Ressourcen klug einzuteilen. Durch ein achtsames Bewusstsein können Sie lernen, wann es Zeit ist, sich zu schützen, und wann es sinnvoll ist, neue Herausforderungen anzunehmen.
Nachteile des Selbstzweifels
Obwohl der Antreiber „Übernimm Dich nicht“ oft als Schutz dient, kann er auch zu intensiven Selbstzweifeln führen, wenn wir ihm zu viel Raum geben. Selbstzweifel blockieren nicht nur unsere Kreativität und Flexibilität, sondern können auch zu einer verminderten Selbstwahrnehmung führen. Wenn wir uns ständig fragen, ob wir für unsere Tätigkeiten gut genug sind und den Anforderungen entsprechen, mindern wir unser Selbstvertrauen und schränken uns unnötig ein.
Dauerhafte Selbstzweifel können zudem die Resilienz schwächen. Anstatt bei Rückschlägen neue Energie zu schöpfen und gestärkt weiterzumachen, führt übermäßiger Selbstzweifel häufig dazu, dass wir uns noch stärker zurückziehen. Dieser Kreislauf der Unsicherheit verstärkt das Gefühl, unzulänglich zu sein und lässt uns die Chancen auf Wachstum und Fortschritt immer seltener wahrnehmen.
Der Weg aus diesem Kreislauf beginnt mit dem Erkennen der eigenen inneren Überzeugungen und dem bewussten Umgang mit ihnen. Wer lernt, seine Selbstzweifel zu hinterfragen und realistisch einzuschätzen, kann mit mehr Zuversicht handeln und sich gezielt neue Perspektiven eröffnen.
Wie können wir resilient mit dem Antreiber „Übernimm Dich nicht“ umgehen?
Resilienz bedeutet, mit Herausforderungen und Widrigkeiten auf eine gesunde Weise umzugehen, um so mentale Gesundheit zu fördern und gleichzeitig persönlich durch Stresseinladungen zu wachsen. Der Schlüssel zur Resilienz im Umgang mit dem Antreiber „Übernimm Dich nicht“ liegt darin, sich nicht von diesem Antreiber einschränken zu lassen, sondern ihn gezielt einzusetzen.
Kleine Erfolge feiern und Ehrenrunden schätzen
Der innere Antreiber „Übernimm Dich nicht“ kann mit Glaubenssätzen einhergehen wie „Ich kann das einfach nicht“, „Ich lasse es lieber, bevor ich mich blamiere“ oder „Andere sind darin besser als ich“. Das bedeutet, unser Selbstvertrauen wird minimiert und wir bleiben lieber in unserer Alltagszone, bzw. Komfortzone.
Ein Weg, Selbstvertrauen aufzubauen und das Gefühl von Selbstwirksamkeit zu stärken ist es, auch kleine Erfolge zu feiern. Was sind kleine Schritte, die ein gewisses Maß an Überwindung brauchten und gut ausgingen? Vielleicht hatten Sie Respekt vor dem Thema Akquise und haben trotzdem schon ein erfolgreiches Telefonat geführt. Oder haben Ihren inneren Hüter der Bequemlichkeit (manche nennen ihn auch „Schweinehund“) überredet zum Sport zu gehen und kamen glücklich und stolz wieder nach Hause. Nehmen Sie sich bewusst Zeit, solche Momente zu reflektieren und das Gefühl von Selbstwirksamkeit zu spüren.
Zudem ist es auch wichtig, sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen. Aus diesem Grund schlägt Gunther Schmidt den Begriff der „Ehrenrunde“ vor. Es passiert jedem Menschen, hin und wieder in alte Verhaltensmuster zu rutschen – schließlich sind sie gut ausgebaute und oft genutzte Datenautobahnen im Gehirn, während neue Denk-, Fühl- und Handelsgewohnheiten erst nur langsame Feldwege sind. Das Gehirn braucht Zeit und Wiederholung, um neue Muster zu etablieren und Ehrenrunden sind ein normaler und wichtiger Teil des Lernprozesses, wenn wir sie als solche wahrnehmen und schätzen.
Worst-Case, Best-Case und Most-likely-Case
Ein weiterer Aspekt, der helfen kann die Balance zwischen Vorsicht und Mut zu finden, ist die Reflexion von dem schlimmst Möglichen, das eintreten kann (Worst-Case), dem Allerbesten, was eintreten kann (Best-Case) und dem, was wahrscheinlich eintritt (Most-likely-Case). Wenn Sie vor einer Entscheidung stehen, sich zu trauen oder lieber vorsichtig zu sein, dann machen Sie diese drei Gedankenspiele auf. Was passiert in den jeweiligen Fällen? Stellen Sie sich dann die Frage:
„Kann ich mit dem Worst-Case leben, wenn er tatsächlich eintritt?“
In den meisten Fällen relativieren der Best-Case und der Most-likely-Case das Risiko, sodass der Fokus auf die Chance auf Wachstum und Wohlbefinden gerichtet werden kann. Wenn Sie diese Überlegung dann noch zusammen mit einer unterstützenden Person, einem Resilience Buddy, machen, können Sie Feedback und soziale Unterstützung als weitere Resilienz-Faktoren nutzen.
Wozu ist ein Antreiber „Übernimm Dich nicht“ wertvoll?
Der Antreiber „Übernimm Dich nicht“ kann ein wertvoller Begleiter sein, wenn er bewusst und gezielt eingesetzt wird. Er hilft Ihnen, Ihre Kräfte einzuteilen, Ihre Ziele realistisch zu setzen und sich vor Überlastung zu schützen. Gerade in einer Gesellschaft, die oft auf Leistung und Erfolg fokussiert ist, erinnert uns dieser Antreiber daran, dass es gesund ist, auch mal eine Pause einzulegen und auf die innere Stimme zu hören.
Die Fähigkeit, Ihre Grenzen zu kennen und gesunde Entscheidungen zu treffen, stärkt langfristig Ihre Resilienz. Ein dosierter Einsatz dieses Antreibers ermöglicht es Ihnen, klarer zwischen wichtigen und unwichtigen Aufgaben zu unterscheiden und sich auf das zu fokussieren, was Ihnen wirklich am Herzen liegt. Anstatt ihn als hinderlich zu betrachten, könnte der Antreiber „Übernimm Dich nicht“ als eine Art Schutzengel verstanden werden, der in Balance mit Ihrem Mut zur Entwicklung Ihre innere Stärke und Lebensfreude fördert.
Letztendlich sind die Antreiber, die wir in uns tragen, wertvolle Bestandteile unserer Persönlichkeit. Indem wir ihre positiven Absichten erkennen und lernen, mit ihnen zu arbeiten, können wir zu einer resilienteren, selbstbewussteren und ausgeglicheneren Version unserer selbst werden.
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Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).