Digitaler Stress ist eine direkte Folge der weitreichenden Digitalisierung, die sowohl in den Alltag wie auch in die Arbeitswelt immer weiter einzieht. Ein Arbeitsplatz ohne E-Mails, bestimmte Softwares, Intranetzwerk usw. ist kaum mehr vorstellbar. Die jüngste Generation am Arbeitsmarkt wird sogar als „Digital Natives“ bezeichnet, da sie mit digitalen Techniken und Medien aufgewachsen ist.
Dabei hat die Digitalisierung Vor- und Nachteile. Viele Prozesse im Arbeitsablauf werden durch digitale Möglichkeiten erleichtert und effektiver. Hardware, Software und Netzwerke werden erneuert und verbessert, um die Arbeit zu entlasten. Doch gerade diese angestrebte Entlastung führt unter Umständen erst zur Belastung. Dann sprechen wir von digitalem Stress.
Was ist digitaler Stress?
Die intensive Nutzung von digitalen Technologien und Medien stellt besondere Anforderungen an die Nutzenden. Stress entsteht dann, wenn die eigenen zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht zu den Anforderungen passen. Und im Fall von digitalem Stress bedeutet das zum Beispiel, die eigene Medienkompetenz wird als zu gering eingeschätzt, um sich eine neue Software anzueignen.
Die psychische Beanspruchung, die aus der Digitalisierung hervorgeht, führt nicht immer gleich zur Überforderung und zur Belastung. Beispielsweise kann das Erlernen einer neuen Software zu einem Erfolgserlebnis und langfristigem Kompetenzaufbau führen. Wie belastend der Umgang mit digitalen Medien ist, hängt also von der individuellen Einschätzung der Person ab.
Digitaler Stress wirkt sich auf Dauer genau so schädigend auf den Körper und den Geist aus, wie ‚analoger‘ Stress. Der Körper kann einen gewissen Grad an Anspannung nicht über so lange Zeit hinweg aufrechterhalten. Wenn wir nicht in der Lage sind, den Stress abzubauen, führt das zu ernsten gesundheitlichen Folgen oder Burn-out.
Digitaler Stress in Deutschland
Die Studie „Gesund digital arbeiten?! Eine Studie zu digitalem Stress in Deutschland“ des Forschungs- und Entwicklungsprojekts „PräDiTec – Prävention für sicheres und gesundes Arbeiten mit digitalen Technologien“ zeigt auf, wie sehr digitaler Stress die Deutschen in ihrem Arbeitsalltag belastet.
Dazu wurden in einer Online-Umfrage 5.005 Erwerbstätige deutschlandweit mit einem Durchschnittsalter von 43 Jahren befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass im Banken- und Versicherungswesen, sowie in der Branche der Information und Kommunikation die Belastung durch digitale Arbeit am höchsten empfunden wird. Außerdem zeigt sich, dass digitaler Stress besonders durch die Nutzung vieler Technologien gleichzeitig, jedoch mit geringer Nutzungsintensität entsteht. Wenige Technologien häufig zu nutzen verursacht dagegen nur geringen Stress.
In der Studie werden insgesamt 12 Belastungsfaktoren identifiziert, die digitalen Stress am Arbeitsplatz fördern und letztendlich zur psychischen Belastung führen.
Was verursacht digitalen Stress?
Digitaler Stress entsteht, wenn wir den Umgang mit digitalen Technologien als belastend empfinden. Das kann durch die Dauer oder Art der Nutzung genau so bestimmt werden wie durch das digitale Medium selbst. Wichtig ist dabei die individuelle Wahrnehmung der Anforderung. Grundsätzlich identifiziert die Forschung zu digitalem Stress neun maßgebliche Charakteristika bei der Nutzung von digitalen Medien. Allerdings spielen neben diesen Kriterien auch die organisationalen und sozialen Rahmenbedingungen des Arbeitsplatzes eine zentrale Rolle.
Charakteristika von digitalen Technologien
Die folgenden Charaktereigenschaften digitaler Medien und Technologien veranschaulichen, welche zentralen Fragestellungen zu berücksichtigen sind im Umgang mit Digitalität am Arbeitsplatz.
- Nützlichkeit: Wie sehr steigert die Technologie die Arbeitsleistung?
- Einfachheit der Nutzung: Wie groß ist die Anstrengung die Technologie zu erlernen und zu bedienen?
- Stabilität: Wie zuverlässig und fehlerfrei funktioniert die Technologie?
- Anonymität: Wie weit kann man die Nutzung zurückverfolgen?
- Erreichbarkeit: Wie funktioniert die Kommunikation zwischen Anwender und Außenstehenden?
- Geschwindigkeit der Änderungen: Wie schnell und in welchem Ausmaß verändert sich die Anwendung?
- Mobilität: In wieweit ist die Technologie an einen Ort gebunden?
- Push- und Pull-Eigenschaften: In welchem Maß müssen Informationen durch den Anwendenden abgerufen werden oder werden angezeigt?
- Nicht-Greifbarkeit: Sind Ergebnisse ausschließlich in digitaler Form abrufbar oder werden sie physisch dargestellt?
Belastungsfaktoren für digitalen Stress
Aus den aufgezählten Eigenschaften ergeben sich Belastungsfaktoren, die digitalen Stress begünstigen. Wenn viele dieser Faktoren zusammentreffen, einige Faktoren besonders stark auftreten und/oder die Bewältigungsstrategien wenig erfolgreich sind, reagiert der Körper mit Stress. Auf Dauer belastet das dann unser System sehr stark und führt zu psychischen wie auch physischen Erkrankungen. Daher ist es in einem ersten Schritt wichtig die Belastungsfaktoren zu identifizieren, um später effektiv Stress herunter zu regulieren.
Komplexität
Die Komplexität der Technologie steht in Verbindung mit der Einfachheit der Nutzung. Je komplexer ein Medium, eine Software oder Technologie, desto mehr Kompetenz braucht es im Umgang damit. Das heißt, eine hohe Komplexität führt dazu, dass Arbeitende sich schnell überfordert fühlen. Oder, dass sie sehr viel Zeit und Energie aufwenden müssen, um den Umgang zu erlernen. Das kann in einem eng getakteten Arbeitsablauf mit vielen verschiedenen Aufgaben zusätzlich belasten.
Verunsicherung
Verunsicherung entsteht auf der einen Seite durch eine hohe Komplexität. Auf der anderen Seite kommt sie auch durch häufigen Wechsel verschiedener digitaler Technologien oder schneller Änderungen zu Stande. Für die Nutzenden besteht die Notwendigkeit flexibel zu sein und die eigenen Kompetenzen schnell an Veränderungen anzupassen.
Jobunsicherheit
Besonders ältere Mitarbeitende empfinden die zunehmende Digitalisierung als belastend. Denn im Vergleich zu jüngeren Angestellten stufen sie ihre Kompetenzen meist als geringer ein. Das Konkurrenzdenken im Zusammenhang mit eventueller Verunsicherung stärkt die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes.
Unzuverlässigkeit
Hierbei nimmt die Stabilität der Technologie oder des Mediums eine zentrale Position ein. Denn häufige Fehlfunktionen oder instabile Systeme bedeuten Irritationen im Arbeitsablauf. Wenn diese Irritationen nicht gelöst werden, entstehen Probleme. Und auf die reagieren wir zumeist mit Stress.
Unterbrechungen
Unterbrechungen im Arbeitsablauf sind generell sehr belastend. Die TK-Stressstudie aus dem Jahr 2016 „Entspann dich, Deutschland“ stellte häufige Unterbrechungen als drittgrößter Auslöser für Stress am Arbeitsplatz heraus. Unterbrechungen im Umgang mit digitalen Anwendungen finden auf zwei Arten statt. Zum einen sorgt eine steigende Erreichbarkeit dafür, dass wir Benachrichtigungen immer und überall empfangen – Und diese unsere Konzentration auf sich lenken. Zum anderen sorgt auch eine geringe Stabilität der Technologie für Unterbrechung.
Unklarheit über die Rolle
Bei einer Unterbrechung durch Fehlfunktionen und dergleichen kommt es dann auch zu Unklarheiten in der eigenen Rolle. Es entsteht die innere Zwickmühle, das technische Problem zu beheben oder sich der eigentlichen Aufgabe zu widmen, wenn möglich. Wenn mehr Zeit für die Behebung von Problemen aufgewandt wird als für die Arbeitsaufgabe, führt das zur Überforderung an anderer Stelle.
Überflutung
Der Einsatz von digitalen Technologien führt in vielen Unternehmen dazu, dass Informationen überall und jederzeit einsehbar sind. Allerdings hat das auch den Nachteil, dass es so schnell zu einem Gefühl der Informationsflut kommt, was das Erleben der Bewältigbarkeit sinken lässt und Stress auslöst.
Omnipräsenz
Ein weiterer Faktor, der mit der Erreichbarkeit und der Mobilität von digitalen Technologien einhergeht, ist die Omnipräsenz. Die Grenze zwischen Arbeitsbereich und Privatleben verschwimmt schnell, wenn überall alles möglich ist. Das führt dazu, das wichtige Erholungszeiträume zur Regeneration nicht eingehalten werden. Der Stress lässt sich nicht abbauen, wenn wir ihn überall mit hinnehmen.
Mangelnde Privatsphäre
Das Verschwimmen der Grenze von Privat und Arbeit kann einen weiteren Belastungsfaktor begünstigen. Man fühlt sich wie eine gläserne Person, wenn nicht ausreichend Anonymität gegeben ist. Ein Einschnitt in die Privatsphäre belastet das Arbeitsverhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten und die eigene Psyche.
Leistungsüberwachung
Der Belastungsfaktor der mangelnden Privatsphäre hängt stark mit der Möglichkeit zur Leistungsüberwachung zusammen. Dank moderner Technologien ist es einfacher möglich Leistungsdaten zu erfassen und zu vergleichen. Bei den Nutzenden stellt sich so ein Gefühl der Überwachung und permanenten Bewertung ein, anders formuliert: stetiger Leistungsdruck.
Nicht-Verfügbarkeit
Paradoxerweise kann auch die Nicht-Verwendung von Technologien digitalen Stress auslösen. Oft vereinfachen oder ermöglichen Technologien und Medien Arbeitsprozesse. Wenn diese jedoch durch beispielsweise organisatorische Hindernisse nicht verfügbar sind, löst es Irritation aus und wir reagieren mit Stress.
Mangelndes Erfolgserlebnis
Die Greifbarkeit ist hierbei ein wichtiger Faktor zur Überprüfung des Geleisteten. Wenn alles lediglich digital gespeichert ist, kommt bei den Nutzenden häufig ein Gefühl davon auf, den Tag über nichts geleistet zu haben. Schließlich sieht alles noch genauso aus wie bei Beginn der Arbeit. Das Fehlen eines spürbaren Fortschritts senkt massiv die Arbeitsmotivation und stärkt Frustration.
Verstärkende Rahmenbedingungen für digitalen Stress
In die subjektive Bewertung der Anforderungen im Umgang mit digitalen Techniken und Medien fließen auch andere Rahmenbedingungen mit ein. Auf der einen Seite spielen hierbei die organisationalen und sozialen Arbeitsbedingungen eine große Rolle. Beispielsweise die Arbeitsintensität, das Verhalten der Führungskräfte, Konkurrenzdruck gegenüber Kolleginnen und Kollegen oder der eigene Handlungsspielraum.
Auf der anderen Seite zählen zu den verstärkenden Faktoren auch die persönlichen Voraussetzungen. So können Alter und Bildungsgrad einen Unterschied in der Wahrnehmung der eigenen Medienkompetenz machen, genau so wie die zur Verfügung stehenden Ressourcen und Bewältigungsstrategien bei aufkommendem Stress. Die Rahmenbedingungen für das Entstehen von digitalem Stress gleichen also denen des ‚konventionellen‘ Stresses am Arbeitsplatz.
Digitaler Stress und seine Folgen
Stress hat reale und auch sehr drastische Auswirkungen auf unseren Geist und unseren Körper. Auch das zeigte die Studie „Gesund digital arbeiten?!“ deutlich in ihren Ergebnissen.
Im Vergleich zu den Auswirkungen von Stress treten die häufigsten Erkrankungen bei starkem digitalem Stress im Muskel-Skelett-System auf. Ein Grund dafür ist die Ergonomie am Arbeitsplatz. In vielen Büros und anderen Arbeitsplätzen, die hauptsächlich am digitalen Medium arbeiten, wird sehr statisch gearbeitet, ohne auf eine gesunde Arbeitsplatzergonomie zu achten. Die zweithäufigste Folge von digitalem Stress sind psychische Beeinträchtigungen, die bis zum Burn-out führen. Weitere Folgen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurologisch-sensorische Krankheiten und Erkrankungen des Verdauungssystems.
Doch bevor es zu ernsten gesundheitlichen Schäden kommt, wirkt sich digitaler Stress auf das Befinden aus:
- Starke Erschöpfung
- Schwächeres Immunsystem
- Höhere Gereiztheit
- Geringe Leistungsfähigkeit und Produktivität
- Sinkende Arbeitszufriedenheit
- Innere Kündigung
Resilienz stärken gegen digitalen Stress
Was können Sie tun, um digitalen Stress zu reduzieren? Die Antwort darauf ist die gleiche wie bei ‚normalem‘ Stress. Eine starke Resilienz bedeutet eine starke Widerstandskraft gegen die Einflüsse, die bei uns Stressreaktionen auslösen. Sie können lernen mit Ihren Stressauslösern anders umzugehen, sodass Sie gar nicht erst in die körperliche Reaktion verfallen. Zudem helfen Resilienz-Techniken dabei akuten und langzeit-Stress zu lösen, um zu mehr Entspannung zu kommen.
Das Schöne ist, Sie können jederzeit damit anfangen Ihre Resilienz zu stärken. Im Resilienztraining lernen Sie mit digitalem Stress umzugehen und ihn zu regulieren. Insbesondere für Unternehmen bieten sich Resilienztrainings an, um die Arbeitsbedingungen und den Umgang mit Technik stressfreier zu gestalten.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).