Wie würden Sie die Zeit, in der wir gerade leben, beschreiben? Bei allen möglichen Beschreibungen wäre ein Wort wahrscheinlich nicht dabei: stabil. Wir haben eine Pandemie überstanden, sind an einer Energiekrise vorbeigerauscht, um uns jetzt in einer von Krieg zerrütteten Lage wiederzufinden. Es ist eine Zeit der Krisen. Der Zukunftsforscher Matthias Horx hat in dem Zusammenhang den Begriff der „Omnikrise“ geprägt. Lesen Sie hier, was darunter zu verstehen ist, und wie Sie trotzdem resilient durchs Leben gehen können.
Warum wir in einer Omnikrise leben
Stellen Sie sich vor, wir schreiben das Jahr 2124. Autos können fliegen und wir sind gerade dabei, den Mars zu besiedeln… oder wie auch immer Sie sich persönlich die Zukunft vorstellen. Und jetzt schauen Sie aus dieser Zukunft zurück auf das Jahr 2024. Wie würden Sie die Epoche beschreiben? Populismus auf dem Vormarsch, Revolution durch KI, Generationswechsel auf dem Arbeitsmarkt, kriegerische Auseinandersetzungen und eine drohende Klimakatastrophe am Horizont. Vielleicht würden Sie sagen, dass dies eine Ära des Wandels war und bald darauf eine nächste Epoche begann.
Davon geht jedenfalls der Trend- und Zukunftsforscher, sowie Mitbegründer des Future:Projects Matthias Horx aus. Er beschreibt, dass wir in einer Zeit der Krisen befinden. Und all diese Missstände verlaufen nicht nur parallel, sondern hängen miteinander zusammen. Kein Wunder also, dass wir heute das Gefühl haben, wir leben in unsicheren und instabilen Zeiten.
Was ist eine Omnikrise?
Das Besondere an diesem Begriff ist, dass es sich nicht nur um viele Krisen auf einmal handelt. Ähnlich wie bei dem Begriff der Polykrise geht es dabei um ein zeitgleiches oder kurz aufeinanderfolgendes Erleben von disruptiven Phänomenen. Doch das lateinische Präfix „Omni“ soll mit seiner Bedeutung von „ganz, jeder, alles“ noch einen Schritt weitergehen und den Zusammenhang des Vielfältigen stärker betonen. Es bedeutet gewissermaßen, die Omnikrise ist „mehr als die Summe seiner Teile“.
Die Bestandteile der Omnikrise
Horx beschreibt sieben Fraktale der Omnikrise, die miteinander in Wechselwirkung stehen und Gegenwart und Zukunft massiv beeinflussen.
Globalisierung
In den letzten 30 Jahren ist die Welt immer weiter zusammengewachsen. Die wirtschaftliche und kulturelle Globalisierung führte zu mehr Wohlstand, höherer Produktivität und internationaler Zusammenarbeit. Doch der Erfolg dieser Entwicklung könnte die Grundlage für neue Konflikte geschaffen haben. Denn nun stehen wir zum Beispiel sehr schnell vor der Möglichkeit von großen, globalen Auseinandersetzungen, die durch regionale Konflikte entfacht werden.
Demokratie
Der Populismus erlebt gerade eine Zeit des Aufschwungs und ebnet den Weg für Autokratien. Die steigende Komplexität stärkt bei vielen die Sehnsucht nach einfachen Antworten, was die Demokratie, wie wir sie kennen und gewohnt sind, ins Wanken bringt.
Wohlstand
Das „Alte Normal“ war von einem Zwang zum ununterbrochenen Wirtschaftswachstum geprägt, doch viele Menschen empfinden trotz wirtschaftlichen Erfolgs ein Gefühl des Abwärts. Gleichzeitig verschieben sich die Werte hin zur Suche nach mehr Lebensqualität. Dieses Paradox spaltet die Gesellschaft und führt zu neuen Konflikten. Einen großen Anteil daran hat auch die Konsumgesellschaft, die sich weniger für das Gemeinwohl engagiert und einen stärkeren Fokus auf die eigenen Ansprüche legt.
Ökologie
Das Ökologie-Thema schien lange Zeit der Schlüssel für das kommende Zeitalter nach dem klassischen Industriekapitalismus zu sein. Es eroberte die Mittelschicht und schien eine neue Zukunftserzählung zu bilden. Doch in den letzten Jahren wurde dieses Narrativ umgedreht: Ökologie wurde zum Beispiel als Freiheitsberaubung umcodiert und zum Gegenstand eines Kulturkampfes.
Gesundheit
In den letzten 50 Jahren hat sich die Lebenserwartung weltweit stark erhöht und wir räumen gesundheit einen großen Stellenwert im Leben ein. Gleichzeitig fühlen sich immer mehr Menschen krank, sei es körperlich, psychisch oder mental. Die Gesellschaft muss sich darauf konzentrieren, das Gesundheitssystem neu zu gestalten und zu optimieren, um diesem Trend entgegenzuwirken.
Technik
Technologischer Fortschritt war lange Zeit ein Symbol für Vorteile für alle, aber die negativen Auswirkungen von Social Media haben diesen Glauben erschüttert. Die Beziehung zwischen Technologie und Menschheit ist angespannt, besonders mit der rasanten Entwicklung und dem Einsatz der Künstlichen Intelligenz. Technologie ersetzt und behindert zunehmend menschliche Fähigkeiten, während sie von monopolistischen Konzernen oder Super-Kapitalisten kontrolliert wird. Diese Entwicklungen bedrohen die Bildung und die Idee der Wissensgesellschaft.
Kognition
Im Epizentrum der Omnikrise steht ein Sinn verschlingendes schwarzes Loch. Was als „Blasenbildung“ im Internet begann, breitet sich nun auf die gesamte Kultur aus: Jeder lebt mehr und mehr in einer eigenen Realität, die seine Identität durch Abgrenzung definiert. Jonathan Haidt, ein amerikanischer Kognitionsforscher, bezeichnet dieses Phänomen als das „Babylon-Syndrom“. In Anlehnung an die antike Geschichte von Babylon, wo die Menschen durch die Verwirrung ihrer Sprachen die Fähigkeit verloren, einander zu verstehen und sich zerstreuten.
Die Omnikrise als Epochenumbruch
Die oben genannten Krisen-Herde der Omnikrise weisen nach Horx darauf hin, dass wir uns in einer Umbruchsphase befinden. Die großen Epochen in der Geschichte der Menschheit sind oft durch signifikante Veränderungen in verschiedenen Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Kultur gekennzeichnet. Hier sind einige der bekannten Epochen und wie sie sich durch Krisen und Wandlungen entwickelt haben:
Die antike Welt war durch den Aufstieg großer Zivilisationen wie Griechenland und Rom gekennzeichnet, die politische Systeme, Philosophie, Kunst und Wissenschaft stark prägten. Krisen wie Kriege, politische Instabilität und Epidemien könnten den Wandel vorangetrieben haben.
Das Mittelalter war von feudalen Strukturen, religiöser Dominanz und einer agrarischen Wirtschaft geprägt. Krisen wie die Pest, Kriege und wirtschaftliche Instabilität trugen zum Zusammenbruch feudaler Ordnungen bei und ebneten den Weg für den Übergang zur Renaissance.
Diese wiederum war durch eine Wiederbelebung des Interesses an Kunst, Wissenschaft und Humanismus gekennzeichnet, während die Aufklärung die Ideen der Vernunft, Individualismus und Freiheit vorantrieb. Krisen wie religiöse Konflikte und politische Unterdrückung führten zu einem Bedürfnis nach Veränderung und Reformen.
Die industrielle Revolution brachte eine radikale Veränderung von agrarischen zu industriellen Gesellschaften mit sich, angetrieben durch technologische Innovationen und die Entstehung neuer Produktionsmethoden. Krisen wie soziale Ungerechtigkeiten, Arbeitsbedingungen und ökonomische Disparitäten führten zu sozialen Bewegungen und politischen Reformen.
Bis wir schließlich in der jetzigen Zeit angekommen sind. Die moderne Ära ist durch Globalisierung, technologische Revolutionen und dem Aufstieg des Kapitalismus gekennzeichnet. Krisen wie Weltkriege, Wirtschaftskrisen und Umweltprobleme haben die Notwendigkeit von internationaler Zusammenarbeit und sozialer Verantwortung hervorgehoben.
Wir sehen daran, Krisen spielen oft eine entscheidende Rolle beim Übergang von einer Epoche zur nächsten, indem sie bestehende Systeme herausfordern, Schwächen aufzeigen und den Druck zur Veränderung erhöhen. Horx betont dabei, dass so eine Umbruchsphase bis zu 20 Jahre dauern kann.
Resilienz in der Omnikrise
Bei all dem Krisengeschehen, gibt es da überhaupt noch etwas, das uns helfen kann? Wie können wir in einer gewaltigen Umbruchszeit voller Unsicherheit trotzdem mental gesund bleiben und der Angst vor Zerfall die Stirn bieten? Die Antwort ist: Mit einer starken Resilienz. Sie bestimmt, wie anpassungsfähig wir an neue Gegebenheiten sind und wie gut wir mit Veränderungen umgehen können. Ein guter Weg, die eigene Resilienz für ein sorgenfreieres Leben in einer Omnikrise zu stärken, ist ein Resilienz-Training. Dadurch lernen Sie einen funktionalen Umgang mit Ihren eigenen Mustern der Krisenbewältigung und rüsten sich für die Zukunft – wie auch immer die aussieht.
Die Wahrnehmung des Krisenerlebens
Ein erster Schritt in Richtung Resilienz ist der Umgang mit Erwartungen – und Enttäuschungen. Denn Matthias Horx schreibt in seinem Beitrag „Die Omnikrise“, dass es sich in erster Linie um eine Enttäuschungskrise handelt. Was im Grunde genommen eine Dopplung ist. Denn in jeder Krise verbirgt sich eine Enttäuschung, eine Desillusionierung.
Erwartungen sind unser ständiger Wegbegleiter im Leben. Schließlich helfen sie uns, Muster aufzubauen und Handlungsstrategien für diverse Situationen zu entwickeln. Im ‚normalen‘ Alltag klappt das, ohne dass wir etwas davon mitbekommen. Wenn unsere Handlungsstrategien aber nicht mehr greifen und unsere Erwartungen konsequent nicht dem entsprechen, was in der Wirklichkeit passiert, dann nennen wir das eine Krise. Das heißt, jede Krise ist eine Enttäuschungskrise.
Was Horx hier allerdings meint, ist eine gesellschaftliche Desillusionierung. Denn Krieg, Naturkatastrophen, Ungerechtigkeiten: Das gab es schon immer. Doch wir erwarten dank des Narrativs eines ständigen Fortschrittes, dass es besser werden müsste. Dass wir in einer friedlicheren, reicheren und sichereren Welt leben müssten. Aus diesem Grund nehmen wir die Omnikrise in ihrer Gesamtheit schlimmer wahr, als wenn wir jede Krise einzeln betrachten. Wenn wir uns dagegen bewusstmachen, dass eben diese Enttäuschung das Erleben von turbulenten Zeiten verstärkt, trägt das schon zur Stressregulation bei.
Soforthilfe bei „Omni-Stress“
Das Gefühl der Krisenzeit kann sehr belastend sein. Nicht umsonst gibt es Begriffe wie „Doomscrolling“ – das Konsumieren von (negativen) Nachrichten löst dabei aber nicht nur ein Unbehagen aus, sondern verstärkt dabei auch die Wahrnehmung, dass die Welt ein immer düsterer Ort wird. Im Folgenden stellen wir Ihnen eine Soforthilfe zur Verfügung, wenn Sie den Druck der Omnikrise spüren, sozusagen eine Hilfe bei „Omni-Stress“.
ICH – HIER – JETZT
Diese drei kleinen Worte haben die Macht, Sie aus einer Negativspirale herauszuholen und die Omnikrise im mentalen Raum zu relativieren. Denn ein Großteil des Stresses, der aus dem Krisenerleben erwächst, entsteht dadurch, dass wir gedanklich wo anders, wann anders oder als wer / bzw. mit wem anderes sind. Insbesondere die Gedanken an eine schlechtere Zukunft, die der Kern der Omnikrise sind, haben Stress-Potenzial.
Sagen Sie sich diese Worte wie ein Mantra gerne mehrmals hintereinander – laut oder leise im Kopf und spüren Sie mal nach, was sich verändert, wenn Sie die einzelnen Worte jeweils betonen. Ich – HIER – Jetzt, Ich – Hier – JETZT, etc. Mit dieser einfachen Übung, die sich sehr gut mit einer One-Minute-Meditation oder einfach nur einem kurzen Moment der Achtsamkeit verbinden lässt, schaffen Sie es, Ihren Fokus vom Krisenhaften weg zu lenken. Sie regulieren Stress und mildern Sorgen und können Ihre Aufmerksamkeit wieder auf selbst lenken, zum Beispiel auf das, was gerade nicht so schlecht läuft.
Von der Omnikrise zum Epochenwandel
Horx schreibt in dem genannten Artikel: „Eine Krise wird zum Wandel, wenn wir die Angst vor dem Selbstwandel überwinden.“ In diesem klugen Satz steckt das Erfolgsrezept für eine starke Resilienz und einen gelingenden Umgang mit Krisen generell sowie mit der vorherrschenden Omnikrise. Denn Wandel braucht Veränderung, braucht Anpassung. Und die Kernkompetenz des (resilienten) Menschen ist die Adaptation.
Eine Krise ist nie angenehm, sonst würden wir sie nicht als solche bezeichnen. Sie beinhaltet gewissermaßen immer „Wachstumsschmerzen“. Doch wenn wir eben diese Angst vor dem Selbstwandel überwinden können, ist sie der Grund für Veränderung und letztendlich für Fortschritt. Jede Epoche musste eine Omnikrise durchleben, bevor das nächste, bessere Zeitalter anbrechen konnte. Unsere Aufgabe als Gemeinschaft ist es, bestmöglich auf die Fraktale der Omnikrise zu reagieren. Dafür ist es wertvoll die eigene Resilienz zu stärken.
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Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Moderator des Podcasts „Rethinking Resilience“ (www.Rethinking-Resilience.com) und Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 200 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de).