Schneller, höher, stärker, weiter – Das ist nicht nur das olympische Motto, sondern eine Motivation, die einige als eine Art inneren Leitsatz tragen. Wir leben in einer Gesellschaft der Selbstoptimierung. Wir tragen Uhren, die uns sagen, wie viele Schritte wir noch gehen sollten, können unsere Körperformen schier grenzenlos chirurgisch anpassen lassen, und sehen dann in den sozialen Medien, wie toll doch das Leben aller anderen ist. Da wundert es nicht, wenn wir den Drang verspüren, besser sein zu wollen. Doch dieser innerer Antreiber „Verbessere Dich“ kann auch seinen Preis haben.
Warum haben wir einen Antreiber „Verbessere Dich“?
Der Drang sich kontinuierlich verbessern zu müssen, kommt nicht nur durch die gesellschaftlichen Einwirkungen. Ein solcher innerer Antreiber entsteht meist schon aus unseren frühkindlichen Erfahrungen und Erziehungsmustern heraus. In der Kindheit bekommen viele von uns direkt oder indirekt die Botschaft, dass sie besser werden müssen, um Anerkennung und Liebe zu erhalten. Das kann von Eltern, Lehrern oder der Gesellschaft ausgehen, die uns implizit vermitteln, dass wir nur dann wertvoll sind, wenn wir uns ständig weiterentwickeln.
Diese Erwartung kann tief in unser Selbstbild einsickern und sich im Erwachsenenalter als innerer Antreiber manifestieren. In der Transaktionsanalyse, einem psychologischen Modell, das menschliche Interaktionen und Verhaltensweisen untersucht, gibt es fünf grundlegende Antreiber: „Mach schnell“, „Mach es allen recht“, „Sei stark“, „Streng dich an“ und „Sei perfekt“. Der Antreiber „Verbessere Dich“ kann besonders mit den Antreibern „Streng dich an“ und „Sei perfekt“ zusammen auftreten oder sie anteilig beinhalten.
Dabei sind alle inneren Antreiber von uns gelernte Muster, die dazu beitragen sollen, zu mehr Zufriedenheit und Selbstwert zu gelangen. Das große Problem dabei ist, dass wir sie oft als grundsätzliche Strategie anwenden, um Ziele zu erreichen, auch wenn sie in bestimmten Kontexten nicht funktional sind.
Was ist der innere Antreiber „Verbessere Dich“?
Der Antreiber „Verbessere Dich“ ist ein tiefsitzendes Verhaltensmuster, das uns anspornt, immer nach mehr zu streben. Es ist der innere Drang, sich selbst zu optimieren, Fehler zu minimieren und in allen Bereichen des Lebens besser zu werden. Auf beruflicher Ebene könnte das so aussehen, dass man zum Zertifikatsjäger wird – immer mehr Zusatzqualifikationen erwerben will, um so noch besser in seiner Tätigkeit zu werden. Oder auf privater Ebene, indem man entweder immer neue Hobbys ausprobiert oder sich intensiv in eine Tätigkeit hineinarbeitet und sehr viel Zeit in die Verbesserung einer einzelnen Tätigkeit investiert.
Sätze, die auf einen inneren Antreiber „Verbessere Dich“ hinweisen können, sind:
- „Stillstand bedeutet Rückschritt“
- „Es gibt immer etwas, das ich besser machen kann“
- „Ich darf mich nicht auf Erreichtem ausruhen“
- „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“
Vorteile der Selbstoptimierung
Obwohl Selbstoptimierung vor allem im digitalen Zeitalter zu einem Modebegriff geworden ist, steckt ein sehr wertvoller Kern darin. Schließlich ist es im Grunde genommen eine gute Eigenschaft, zum bestmöglichen Selbst zu werden, für sich und für andere. Die Emotion Stolz ist hier ein wertvoller Wegbegleiter. Denn wir bekommen sie dann zu spüren, wenn wir unserem idealen Ich durch unser eigenes Handeln näher kommen.
Der wohl größte positive Effekt der Selbstoptimierung ist also persönliches Wachstum. Das stetige Lernen neuer Fähigkeiten oder das Verfeinern von vorhandenen Kompetenzen führt zu einem wachsenden Selbstbewusstsein und einer gesteigerten Selbstwirksamkeit, da Sie spüren, dass Sie Herausforderungen meistern und sich weiterentwickeln. Mit anderen Worten, es ist eine wichtige Grundlage für Resilienz. Darüber hinaus zeigen Studien auf, dass lebenslanges Lernen sich auf die Lebenszufriedenheit und das Glücksempfinden von Menschen positiv auswirkt und sogar einen effektiven Schutz vor Depression darstellt (vgl. Sabates & Hammond, 2008).
Auch der berufliche Erfolg positiv durch Selbstoptimierung beeinflusst werden. Sie ermöglicht es Ihnen, Ihre Fähigkeiten an neue Anforderungen anzupassen und sich kontinuierlich zu verbessern. Dies kann dazu führen, dass Sie in Ihrer Karriere schneller aufsteigen, neue Chancen wahrnehmen und wettbewerbsfähig bleiben.
Da Selbstoptimierung sich auf alle Lebensbereiche beziehen kann, könnten wir zu den Vorteilen auch verbesserte zwischenmenschliche Beziehungen zählen, die beispielsweise von einer Steigerung von emotionaler Intelligenz oder Kommunikationsfähigkeiten profitieren. Oder eine größere physische Gesundheit, durch den Fokus auf eine gesunde Lebensweise. Fühlen Sie sich frei, weitere Beispiele hinzuzudenken, wie Selbstoptimierung das Leben bereichern kann.
Nachteile vom Verbesserungswahn
Diese genannten Vorteile kommen jedoch nur dann zum Tragen, wenn es sich um ein gesundes Maß an Selbstoptimierung handelt. Der Antreiber „Verbessere Dich“ birgt auch die Gefahr eines Selbstoptimierungswahns. Eine solche exzessive Form von ständigem Streben nach Verbesserung führt dann zu erheblichen negativen Auswirkungen auf unser körperliches, geistiges und soziales Wohlbefinden.
Zum einen führt ein zu starker Verbesserungsdrang dazu, dass wir uns selbst unter Druck setzen. Insbesondere, wenn dabei noch ein Antreiber wie „Sei perfekt“ oder „Streng dich an“ aktiv ist. Zu ständigem Stress und chronischer Überlastung mischt sich dann noch eine Versagensangst.
Einhergehend mit den Gedanken, die dieser Antreiber mit sich bringt, kommt oft auch das Gefühl, nie gut genug zu sein. Das vermindert unsere Selbstakzeptanz und schwächt letztendlich auch das Selbstwertgefühl, das dann stark an Leistung und Erfolg gekoppelt ist. Das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit wird durch den ständigen Vergleich mit anderen noch verstärkt. Denn (sich selbst) bewerten heißt auch immer vergleichen.
Zum anderen können auch die Spontanität und Freude unter dem starken Fokus der Selbstoptimierung leiden. Was zuvor aus reiner Lust heraus geschah, wird entweder in eine Pflicht verwandet, da es zum Teil des Optimierungsplans wird, oder wird unterlassen, wenn es dem Optimierungsplan widerspricht. Das kann auch die sozialen Beziehungen belasten, wenn Freunde und Familie sich vernachlässigt fühlen, da man selbst zu sehr auf sich selbst und die persönlichen Ziele fixiert ist.
Wie können wir resilient mit dem Antreiber „Verbessere Dich“ umgehen?
Das ständige Streben nach Mehr kann unzufrieden machen, Stress auslösen und unser psychisches Wohlbefinden beeinträchtigen. Resilienz ist eine Fähigkeit, gesund mit inneren Antreibern umzugehen und ihre Motivationsenergie so zu regulieren, dass sie kontextentsprechend und funktional bleiben. Der Schlüssel für einen resilienten Umgang mit einem Verbesserungsdrang liegt in der Balance.
Antreiber „Verbessere Dich“ identifizieren
Der erste Schritt für einen gesunden und stressfreieren Umgang mit inneren Antreibern ist, zu spüren, wann sie aktiv sind. Falls Sie einen solchen Antreiber bei sich vermuten, achten Sie in Zukunft mal explizit darauf, in welchen Situation die Stimme des Selbstkritikers am lautesten wird. Wann drängt Ihr innerer Kritiker Sie, mehr zu tun, zu leisten, zu sein? Tatsächlich muss es nicht immer die Stimme eines Kritikers sein, denn manchmal reizt uns auch ein positives Streben so sehr, dass wir den Bogen überspannen. Vielleicht ist es auch die Stimme des inneren Motivationscoaches, der Ihnen sagt: „Nun bist Du so weit gekommen, da geht noch mehr!“
Wenn Sie herausfinden, wann und in welcher Gestalt der innere Antreiber sich Ihnen zeigt, können Sie besser auf ihn reagieren, sollte er im Alltag auftauchen. Dieses Training der Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion stärkt Ihre Kompetenz, den Antreiber in eine gesunde Bahn zu lenken.
Selbstakzeptanz und Selbstfürsorge stärken
Egal, ob es nun ein innerer Motivationscoach oder ein innerer Kritiker ist, beiden nehmen wir die Macht über uns, wenn wir uns selbst im Gutem wie im Schlechten akzeptieren. Eine solche Selbstakzeptanz hängt eng mit einer Selbstannahme zusammen.
„Auch wenn ich diesen Skill noch nicht beherrsche/ dieses Ziel noch nicht erreicht habe, liebe und akzeptiere ich mich so, wie ich bin.“ – Eine solche Affirmation kann Wunder bewirken, wenn es darum geht, sich selbst gegenüber wohlgesonnen zu sein und Stress zu vermeiden. Wir neigen nämlich dazu, mit uns selbst sehr viel schlechter umzugehen als mit unseren Mitmenschen. Dabei sind wir doch der Mensch, dem wir nie aus dem Weg gehen können. Da lohnt es sich sehr, in eine gute Beziehung zu sich selbst zu investieren.
Eine solche Investition kann eine Praxis der Selbstfürsorge sein. Gönnen Sie sich regelmäßig Pausen und fragen Sie sich, welche Aktivität Ihnen jetzt gerade gut tun würde, statt den nächsten Punkt auf Ihrer Liste der Zielerreichung anzugehen.
„Gut genug“
Abschließend hilft auch die Verschiebung des Fokus. Statt auf „mehr und besser“ zu achten, was wäre, wenn Sie den Blick auf „genug und sinnvoll“ richteten? Wir sind eine sehr defizitorientierte Gesellschaft, was allein schon in der Schule vorgelebt wird. Im Diktat bekamen wir in rot unsere Fehler markiert, statt uns aufzuschreiben, wie viele Wörter wir richtig geschrieben hatten.
Statt also darauf zu schauen, was Sie alles noch erreichen könnten, lohnt sich ein Blick zurück auf das, was Sie alles bereits erreicht haben. Und stellen Sie sich dann die Frage: „Warum ist das jetzt gerade genug?“
Der Gedanke des „gut genug“ findet sich auch im Konzept der zweitbesten Lösungen nach Gunther Schmidt. Statt nach dem einen Ziel zu streben, und es voller Druck, Stress und Selbstkritik unter Zwang erreichen zu müssen, was wäre eine zweitbeste, stressfreiere und für den Moment akzeptable Lösung? Was müssen Sie denken, damit sich bei Ihnen ein Gefühl von „gut genug“ einstellt?
Eine solche Verschiebung des Fokus fördert Ihre Zufriedenheit und ermöglicht es auch, Ihre Leistungsfähigkeit langfristig zu erhalten ohne in ein Burnout zu gleiten.
Wozu der Antreiber „Verbessere Dich“ nützlich ist
Der Antreiber „Verbessere dich“ ist eine starke Triebfeder für persönliches Wachstum und Erfolg. Menschen mit diesem Antreiber neigen dazu, ehrgeizig zu sein, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und hohe Standards zu setzen. In der richtigen Balance kann dieser Antreiber uns helfen, über uns hinauszuwachsen, neue Fähigkeiten zu erlernen und unsere Ziele zu erreichen.
Ein gesunder „Verbessere Dich“-Antreiber kann uns motivieren, unser volles Potenzial auszuschöpfen und uns immer wieder neu zu erfinden. Er unterstützt uns dabei, Herausforderungen anzunehmen, Probleme zu lösen und kreative Lösungen zu finden. In einer Welt, die sich ständig verändert, kann der Antreiber also dazu beitragen, dass wir uns flexibel an neue Gegebenheiten anpassen und uns kontinuierlich weiterentwickeln.
Wichtig ist jedoch, dass der Antreiber in einem gesunden Rahmen bleibt. Statt uns zu überfordern und in einen ständigen Optimierungszwang zu verfallen, sollten wir lernen, ihn als Motivation zu nutzen, um in unserem eigenen Tempo zu wachsen und unser Potenzial auszuschöpfen – ohne uns selbst dabei aus den Augen zu verlieren.
Unser Kollege und Projektleiter der Emotionalen Resilienz Ruben Langwara sagte treffend:
Glück hält dann ewig, wenn wir beim Streben danach schon zufrieden sind
Quellen:
Sabates, R., & Hammond, C. (2008). The impact of lifelong learning on happiness and well-being. London: Centre for Research on the Wider Benefits of Learning.
Bildquellen: www.depositphotos.com: young man@kieferpix, Growth and progress@Khakimullin, Dylan Sara
Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).