In jedem von uns gibt es innere Antreiber, die unser Verhalten und unsere Entscheidungen beeinflussen. Einer dieser Antreiber, der in vielen Menschen fest verwurzelt ist, lautet: „Setz Dich durch.“ Dieser Drang zur Durchsetzung ist oft eng mit dem Wunsch verbunden, die eigene Meinung zu bewahren und den eingenommenen Standpunkt nicht aufzugeben.
Das Streben nach einer solchen Autonomie ist in jedem von uns tief verwurzelt und lässt sich besonders in der Pubertät sehr gut beobachten. Doch so wertvoll diese „Standpunktbewahrungskompetenz“ (nach Dr. Gunther Schmidt) auch ist, sie kann Stress und Konflikte hervorrufen. Aus diesem Grund müssen wir einen resilienten Umgang mit dem inneren Antreiber finden.
Warum haben wir einen Antreiber „Setz Dich durch“?
Der innere Antreiber „Setz dich durch“ entsteht oft aus dem menschlichen Bedürfnis, Orientierung und Kontrolle zu erleben. Er wurzelt in der Überzeugung, dass unser eigener Standpunkt schützenswert ist und verteidigt werden sollte – eine Denkweise, die möglicherweise aus frühen Erfahrungen oder prägender Erziehung resultiert. In Situationen, in denen uns beigebracht wurde, dass nur die Starken oder Durchsetzungsfähigen ans Ziel kommen, lernen wir, auf diese Weise zu reagieren.
Darüber hinaus hat der „Setz Dich durch“-Antreiber eine evolutionsbiologische Komponente: Unsere Vorfahren mussten sich behaupten, um zu überleben. Sei es durch das Verteidigen von Ressourcen oder das Aufrechterhalten von sozialen Positionen. Dieser Drang zur Durchsetzungskraft können wir gewissermaßen als Standpunktbewahrungskompetenz bezeichnen – die Fähigkeit, Überzeugungen und Werte auch gegen Widerstände zu wahren. In der modernen Welt wird der Durchsetzungs-Antreiber jedoch auch oft von äußeren Erwartungen und Leistungsdruck befeuert, sodass er nicht nur aus einem natürlichen Bedürfnis heraus, sondern auch durch gesellschaftliche Normen verstärkt wird.
Was ist der innere Antreiber „Setz Dich durch“?
In der Transaktionsanalyse wird klassischerweise von fünf inneren Antreibern gesprochen. Die sind „Sei stark“, „Mach es allen recht“, „Sei perfekt“, „Mach schnell“ und „Streng Dich an“. Sie zeigen sich vor allem in stressreichen Situationen als eine Art Automatismus – Ein Handlungsprogramm, dass wir abspielen, ohne zu hinterfragen, ob es die effektivste Reaktionsmöglichkeit auf eine bestimmte Herausforderung ist.
Wir fügen den inneren Antreiber „Setz Dich durch“ zu dieser Reihe klassischer Antreiber hinzu, denn auch er zeigt sich als innere Motivation, sowohl im beruflichen als auch im privaten Kontext, auf Reize von außen zu reagieren, ohne tiefere Reflexion.
Der innere Antreiber „Setz Dich durch“ ist eine Verhaltensweise, die uns antreibt, hartnäckig an eigenen Überzeugungen und Zielen festzuhalten, oft mit der Absicht, uns in der Gesellschaft oder gegenüber anderen zu behaupten. Er wirkt wie eine innere Stimme, die uns daran erinnert, nicht nachzugeben und für das einzutreten, was wir für richtig oder wichtig halten. Dies kann sich auf verschiedene Lebensbereiche erstrecken – von der Arbeit über familiäre Entscheidungen bis hin zu persönlichen Zielen.
Dieser Antreiber kann in unterschiedlichen Ausprägungen in jedem von uns vorhanden sein. Manche Menschen sind von Natur aus etwas nachgiebiger und haben beispielsweise einen stärkeren inneren Antreiber „Mach es allen recht“. Dagegen spüren andere den starken Drang, sich durchzusetzen und dabei eine gewisse Unnachgiebigkeit an den Tag zu legen. Das kann je nach Kontext und je nach Maß sowohl ein Vorteil als auch ein Nachteil sein.
Die Vorteile von Beharrlichkeit
Mit dem Antreiber „Setz Dich durch“ geht die Eigenschaft der Beharrlichkeit einher. Sie ist eine wertvolle Eigenschaft, die uns in vielen Lebensbereichen weiterhelfen kann. Ein entscheidender Vorteil ist, dass Beharrlichkeit Klarheit und Selbstvertrauen stärkt. Menschen, die zu ihrem Standpunkt stehen und konsequent an ihren Zielen festhalten, gewinnen an innerer Überzeugung und Klarheit über ihre Werte und Vorstellungen. Dies führt dazu, dass sie sich selbst besser kennen und einschätzen können, was wiederum das Selbstvertrauen stärkt.
Beharrlichkeit fördert zudem Zielstrebigkeit und Ausdauer, was im Englischen unter dem Begriff „Grit“ verstanden wird. Wer in der Lage ist, kontinuierlich auf ein Ziel hinzuarbeiten, auch wenn Rückschläge auftreten, hat eine höhere Chance, langfristige Erfolge zu erzielen. Dies zeigt sich besonders in herausfordernden Situationen, in denen ein gewisses Maß an Durchhaltevermögen den Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern ausmachen kann.
Ein weiterer Vorteil der Beharrlichkeit ist, dass sie Respekt und Glaubwürdigkeit fördert. Menschen, die ihre Überzeugungen und Ziele klar vertreten und dabei eine konsequente Haltung einnehmen, wirken auf andere authentisch und verlässlich. Diese Standfestigkeit schafft Vertrauen und Respekt im beruflichen und privaten Umfeld, da sie zeigt, dass man sich auf die Person verlassen kann und sie ihre Worte in die Tat umsetzt.
Beharrlichkeit ermöglicht es also, sowohl die eigenen Ziele zu verfolgen als auch einen klaren inneren Kompass zu bewahren, was in unserer schnelllebigen und oft widersprüchlichen Welt von unschätzbarem Wert ist.
Die Nachteile von Dickköpfigkeit
Mit der Standpunktbewahrungskompetenz geht allerdings auch die Eigenschaft der Dickköpfigkeit einher, die zu Stress und Konflikten führen kann.
Einer der Hauptnachteile ist die Neigung zur Unflexibilität. Menschen, die allzu starr auf ihrer Meinung beharren, laufen Gefahr, neue Informationen oder alternative Perspektiven auszublenden. Diese Haltung kann verhindern, dass sie von neuen Ideen profitieren oder sich an veränderte Umstände anpassen, was insbesondere im beruflichen Umfeld oder in zwischenmenschlichen Beziehungen nachteilig ist. Mit anderen Worten, ein zu starker Antreiber „Setz Dich durch“ mindert unsere Resilienz.
Auch steigt durch dickköpfiges Verhalten die Wahrscheinlichkeit von Konflikten, da Menschen, die ihren eigenen Standpunkt bedingungslos durchsetzen wollen, häufig in Konfrontationen geraten. Diese Konflikte belasten oft nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch das Umfeld, da Kompromissbereitschaft fehlt und das Miteinander dadurch erschwert wird. Das führt zu einem weiteren Nachteil, der Gefahr sozialer Isolation. Wer immer nur die eigene Meinung zählt und selten auf andere eingeht, wird auf Dauer als stur und unnahbar wahrgenommen. Dies kann dazu führen, dass sich andere Menschen zurückziehen oder auf Abstand gehen, was langfristig die eigenen sozialen Beziehungen beeinträchtigt.
Darüber hinaus führt übermäßige Sturheit häufig zu Stress und Erschöpfung. Der innere Drang, sich durchzusetzen und nie nachzugeben, kann sehr kräftezehrend sein und dazu führen, dass man dauerhaft in einem Zustand der Anspannung lebt. Diese Haltung verbraucht nicht nur viel Energie, sondern kann langfristig auch zu emotionaler Erschöpfung führen. Dickköpfigkeit, so hilfreich sie in bestimmten Situationen sein mag, kann also auch zu belastenden Folgen führen, wenn sie zu oft oder unkontrolliert zum Einsatz kommt.
Wie können wir resilient mit dem inneren Antreiber „Setz Dich durch“ umgehen?
Resilient mit dem Antreiber „Setz Dich durch“ umzugehen bedeutet, ihn bewusst und gezielt einzusetzen, statt ihm unkontrolliert nachzugeben. Es erfordert, das Gleichgewicht zwischen Standhaftigkeit und Flexibilität zu finden.
Selbstreflexion
Der erste Schritt in Richtung Balance oder wohldosierter Durchsetzung ist die Selbstreflexion. Wie bereits erwähnt übernehmen innere Antreiber besonders gerne dann das Ruder, wenn wir uns einer Herausforderung gegenüber sehen. In solchen Situationen hilft es, einen tiefen Atemzug zu nehmen, und die eigenen Motive zu prüfen. Stellen Sie sich die Frage:
Ist die aktuelle Situation wirklich so wichtig, dass ich mich durchsetzen muss, oder wäre eine Kompromisslösung vielleicht besser?
Die Emotion Ärger, die sich meist beim Durchsetzungsverhalten zeigt, ist ein Hinweisgeber darauf, dass Ihnen etwas wichtig ist. Je öfter Sie Ihren Ärger und Ihren inneren Antreiber bewusst wahrnehmen, desto besser und schneller können Sie reflektieren, was genau Ihnen wichtig ist und können so auch bei Kompromissen Ihre wichtigen Werte kommunizieren und vertreten.
Akzeptanz
Akzeptanz ist ein wertvolles Gegengewicht zum inneren Antreiber „Setz dich durch“, denn sie hilft, in stressigen Situationen flexibel zu bleiben und nicht unnötig an starren Überzeugungen festzuhalten. Wenn wir lernen, Situationen, Herausforderungen oder Meinungen anderer anzunehmen, ohne sofort in eine Verteidigungshaltung zu verfallen, können wir konstruktiver und resilienter reagieren.
Akzeptanz bedeutet dabei nicht, dass wir aufgeben oder unsere Ziele vernachlässigen – vielmehr hilft sie uns, gelassener mit Hindernissen und Meinungsverschiedenheiten umzugehen. Das kann den inneren Druck senken, sich ständig durchsetzen zu müssen, und öffnet den Raum für Zusammenarbeit, Kreativität und auch persönliches Wachstum.
Die Fähigkeit dazu lässt sich trainieren. Weiten Sie bewusst Ihre Akzeptanz-Kompetenz aus, indem Sie zunächst kleine und später auch größere Entscheidungen anderen überlassen oder bei einer Diskussion eine Meinungsverschiedenheit stehen lassen. Diese Fähigkeit können Sie immer weiter ausbauen, sodass es Ihnen letztendlich ohne Stress leichtfällt, Situationen und Haltungen anderer anzunehmen.
Ein hilfreicher Aspekt ist das Konzept der Meta-Akzeptanz. Im Kontext von Durchsetzung könnte Meta-Akzeptanz bedeuten, anzuerkennen, dass es Momente gibt, in denen man die eigene Meinung oder Position nicht durchsetzen kann, obwohl man das gerne möchte – und diese Frustration ebenfalls anzunehmen.
Ein Beispiel könnte eine Diskussion im Team oder mit einer Führungskraft sein: Stellen Sie sich vor, Sie haben eine starke Meinung zu einem Projektansatz, der jedoch vom Team nicht geteilt wird oder von der Führungskraft abgelehnt wird. Anstatt sich weiter zu bemühen, das Team oder die Leitung zu überzeugen (was oft Frust erzeugt, wenn es erfolglos bleibt), bedeutet Meta-Akzeptanz hier, einzusehen, dass Sie die Ablehnung der anderen nicht akzeptieren können – und dass das in Ordnung ist.
Sie lassen Ihren Widerstand gegen diese Ablehnung bestehen, ohne aber zusätzliche Energie zu verlieren, indem Sie weiter auf Durchsetzung beharren. Dies ermöglicht es Ihnen, innerlich Abstand zu gewinnen und sich dennoch konstruktiv an der weiteren Projektentwicklung zu beteiligen.
Empathie
Durchsetzungsvermögen bedeutet nicht, rücksichtslos zu handeln. Wer empathisch auf andere eingeht, stärkt die eigene soziale Kompetenz und vermeidet Konflikte. Eine Möglichkeit, das im Alltag zu stärken, ist, sich in Gesprächen bewusst auf das Zuhören zu konzentrieren, ohne zu unterbrechen oder sofort eine eigene Meinung einzubringen. Hier hilft die Technik des „aktiven Zuhörens“, bei der Sie das Gesagte kurz in eigenen Worten wiederholen („Ich habe dich so verstanden, dass…“), bevor Sie antworten. Dies signalisiert Ihrem Gegenüber, dass Sie seine Perspektive verstanden haben, und schafft Vertrauen.
Ein weiteres wirksames Training ist, sich in der Perspektivübernahme zu üben. Versuchen Sie nach einer Diskussion, sich gezielt vorzustellen, wie die Situation aus der Sicht der anderen Person aussieht. Fragen wie „Welche Erfahrungen könnten hinter dieser Sichtweise stehen?“ oder „Was würde ich in dieser Situation fühlen?“ fördern das Verständnis für andere und helfen dabei, die eigenen Durchsetzungsstrategien anzupassen.
Wozu ist ein innerer Antreiber „Setz Dich durch“ wertvoll?
Der Antreiber „Setz Dich durch“ hilft uns, Selbstbestimmung und Authentizität zu entwickeln. Er fördert die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu erkennen und durchzusetzen, auch wenn dies Gegenwind mit sich bringt. Menschen, die zu ihrem Standpunkt stehen, lernen, auf sich selbst zu vertrauen und Unabhängigkeit zu entwickeln.
Durch die Fähigkeit, sich durchzusetzen, erreichen wir wichtige persönliche und berufliche Ziele, da wir unsere Energie auf das richten, was für uns wichtig ist. Darüber hinaus trägt der Antreiber zur Stärkung des Selbstwertgefühls bei, da das Gefühl, sich durchgesetzt zu haben, oft als Bestätigung der eigenen Kompetenzen empfunden wird und mit der Emotion des authentischen Stolz zusammen hängt.
Zusammenfassend ist der Antreiber „Setz dich durch“ eine wertvolle Ressource, die uns hilft, unser Leben aktiv und bewusst zu gestalten. Mit einem resilienten Umgang lässt er uns mutig und klar unseren Weg verfolgen, ohne den Blick für andere Menschen und Perspektiven zu verlieren.
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Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).