In einer Welt, in der wir dank den sozialen Medien das Leben fremder Menschen verfolgen und mit allen jederzeit verbunden sein können, sehnen sich viele Menschen danach, als besonders, spannend oder einzigartig wahrgenommen zu werden. Wir sehen wie andere Menschen in tolle Urlaube fahren, spannende Hobbys verfolgen und allerlei andere aufregende, lustige oder wertvolle Dinge im Internet teilen. Dass das nur die Präsentation ist und wir das restliche Leben nicht sehen können, interessiert uns nicht wirklich.
Warum kommt es dazu überhaupt? Weshalb ist dieser Wunsch nach Anerkennung von anderen so tief in uns? Und wie kann dieser Antreiber „Sei interessant“ unser Leben bereichern – oder belasten?
Warum haben wir den inneren Antreiber „Sei interessant“?
Das Streben nach Anerkennung rührt aus zwei tief in uns verankerten Bedürfnissen heraus. Zum einen haben wir das Streben nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz. Der Antreiber stellt die Motivation zur Bedürfniserfüllung zur Verfügung, denn er sorgt dafür, dass wir uns in einer Weise präsentieren, die Anerkennung und Bewunderung bei anderen hervorruft. Das steigert den eigenen Selbstwert.
Zum anderen sind wir Menschen soziale Wesen, die ein ureigenes Bedürfnis nach Bindung und Zugehörigkeit haben. Dabei ist es nicht nur das Streben nach sozialer Akzeptanz, was für unsere Steinzeitvorfahren ein zentraler Überlebensfaktor war. Denn Gruppenzugehörigkeit hieß Schutz und damit Leben. Darüber hinaus bedeutete positive Aufmerksamkeit einen höheren Status, womit mehr Sicherheit und mehr Unterstützung einhergingen.
Evolutionsbiologisch gesehen war es also vorteilhaft, sich abzuheben und Beachtung zu finden. In der heutigen Welt sind diese Mechanismen immer noch aktiv, auch wenn es selten um unser physisches Überleben geht. Stattdessen dreht sich der Wunsch um das „emotionale Überleben“: Wir möchten geliebt, gesehen und anerkannt werden.
Was ist der innere Antreiber „Sei interessant“?
Basierend auf den Theorien der Transaktionsanalyse entwickelte Taibi Kahler das Antreibermodell. Er stellte fünf grundlegende innere Antreiber heraus, die unsere Persönlichkeit strukturieren:
Jeder von uns hat diese Antreiber, nur manche sind öfter oder stärker aktiv. „Sei interessant“ ist ein Antreiber darüber hinaus, den wir eine wertvolle Ergänzung für diese Reihe finden. Denn auch dieser Antreiber trägt eine starke Handlungsenergie in sich und ist darüber hinaus besonders bei Stress aktiv.
Wie die meisten Antreiber bildet er in der frühen Kindheit. Denn schon als Kinder lernen wir, dass wir mit interessanten Geschichten oder Leistungen die Aufmerksamkeit und Bewunderung unserer Mitmenschen erlangen können.
Dieser innere Antrieb fordert uns dazu auf, uns von anderen abzuheben, sei es durch unsere Geschichten, Erfolge, Hobbys oder Meinungen. Manchmal treibt er uns an, Neues zu lernen oder außergewöhnliche Erfahrungen zu machen, einfach um darüber berichten zu können. Aber manchmal entfernt er uns auch von dem Menschen, der wir wirklich sind – nur um anderen zu gefallen.
Vorteile vom Interesse anderer
Es gibt durchaus positive Seiten dieses Antreibers. Wenn Menschen Interesse an uns zeigen, stärkt das unser Selbstvertrauen und unsere soziale Bindung. Die Aufmerksamkeit anderer kann uns motivieren, kreativ zu sein und uns weiterzuentwickeln. Viele großartige Ideen und Innovationen sind vermutlich aus dem Wunsch heraus entstanden, sich bemerkenswert zu machen. So sorgt der Antreiber „Sei interessant“ dafür, dass wir inspirierende Geschichten erzählen, aufregende Projekte in Angriff nehmen und unser Bestes geben, um aufzufallen. Der Wunsch, interessant zu wirken, kann also eine Antriebskraft sein, die uns zu Höchstleistungen motiviert.
Anerkennung und Lob sind außerdem wichtige psychologische Belohnungen. Wenn wir uns geschätzt fühlen, schüttet unser Gehirn Dopamin aus, was unser Wohlbefinden steigert und uns antreibt, weiterzumachen. Darüber hinaus kann das Interesse anderer dazu führen, dass wir eher soziale Unterstützung bekommen, wenn wir diese brauchen. Umgekehrt bedeutet das, Menschen, die wir besser kennen und als interessant einstufen finden wir auch häufig sympathisch. Das macht uns hilfsbereiter und empathischer.
Nachteile von der Sucht nach Bestätigung
Doch es gibt auch Schattenseiten. Wenn der innere Antreiber „Sei interessant“ zur Sucht nach Bestätigung wird, kann er uns auslaugen. Wir laufen Gefahr, uns ständig mit anderen zu vergleichen und unser Selbstwertgefühl davon abhängig zu machen, wie viel Beachtung wir erhalten. Die ständige Jagd nach Aufmerksamkeit und die Angst, langweilig oder unscheinbar zu wirken, können enormen Druck erzeugen und zu einem Gefühl der inneren Leere führen.
Hinzu kommt, dass wir uns in sozialen Medien oft einer Welt voller perfekt inszenierter Leben gegenübersehen. Der Zwang, mithalten zu müssen, kann Stress und Unzufriedenheit erzeugen. In dem Zusammenhang entsteht oft auch ein Gefühl von „Fear Of Missing Out“ (FOMO). Wir wollen nichts verpassen, nicht hinter anderen zurückbleiben und alles miterleben.
Und als letzten Punkt: Wir laufen durch einen zu starken oder ungezügelten Antreiber Gefahr, uns selbst untreu zu werden, wenn wir nur noch das tun, was „interessant“ wirkt, anstatt uns authentisch zu zeigen. Wir verlieren uns selbst und entfernen uns immer weiter von dem, was uns eigentlich Freude bereitet oder im Kern auszeichnet.
Wie können wir resilient mit dem inneren Antreiber „Sei interessant“ umgehen?
Ein resilienter Umgang bedeutet in diesem Fall eine gesunde Balance zu erreichen: Sowohl uns dazu inspirieren lassen, nach mehr zu streben und Anerkennung zu suchen, als auch bei uns selbst zu bleiben und nicht abhängig von der Bewertung anderer zu sein. Hier geben wir Ihnen Vorschläge, wie das gelingen kann.
Selbstreflexion
Der erste Schritt zu einem gesunden Umgang mit dem Antreiber „Sei interessant“ ist die Selbstreflexion. Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit, um Ihre Gedanken und Verhaltensmuster zu hinterfragen. Beobachten Sie, wann und warum Sie das Bedürfnis verspüren, sich besonders interessant zu machen.
Fragen Sie sich: „Mache ich dies, um wirklich Freude an der Sache zu haben, oder suche ich vor allem die Anerkennung anderer?“ Diese bewusste Innenschau hilft Ihnen, die Beweggründe hinter Ihrem Handeln zu verstehen und mögliche Unsicherheiten aufzudecken.
Je mehr Sie sich Ihrer Bedürfnisse und Motive bewusst werden, desto mehr Kontrolle gewinnen Sie über die Handlungsenergie des Antreibers und können einer Übersteuerung frühzeitig entgegenwirken. Dies kann auch bedeuten, alte Glaubenssätze, die Ihre Selbstwahrnehmung negativ beeinflussen, sanft in Frage zu stellen und neu zu bewerten.
Unabhängigen Selbstwert fördern
Der Wunsch, interessant zu sein, kann uns leicht in die Falle der Abhängigkeit von äußerer Bestätigung führen. Ein gesunder Selbstwert bedeutet allerdings, dass er unabhängig davon ist, wie viel Beachtung wir von anderen erhalten. Dies bedeutet, sich selbst für die eigenen Bemühungen und Erfolge zu schätzen – losgelöst von äußeren Reaktionen.
Ein wirksamer Ansatz ist es, authentischen Stolz zu kultivieren. Authentischer Stolz entsteht, wenn wir uns unserer eigenen Errungenschaften bewusst werden und diese aus einem Gefühl der inneren Stärke und Selbstanerkennung heraus feiern. Dieser Stolz ist nicht arrogant oder überheblich, sondern basiert auf einer tiefen Wertschätzung der eigenen Fortschritte. Um authentischen Stolz zu spüren können Sie sich die Frage stellen:
„Was habe ich durch mein Handeln erreicht, auf das ich stolz bin?“
Eine Methode, dies zu fördern, ist das Führen eines Erfolgstagebuchs, in dem Sie regelmäßig notieren, was Sie stolz gemacht hat und warum. So lernen Sie, Ihren Wert in sich selbst zu verankern, anstatt ihn an äußeren Urteilen festzumachen.
Authentische Beziehungen pflegen
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Resilienz ist die Pflege authentischer Beziehungen. Menschen, die Sie für den/die schätzen, der/die Sie wirklich sind, bieten eine emotionale Sicherheit, die den Druck, interessant wirken zu müssen, deutlich verringert. In diesen Beziehungen können Sie sich frei und echt zeigen, ohne Angst vor Ablehnung oder Urteilen. Authentische Verbindungen beruhen auf gegenseitiger Wertschätzung und echtem Interesse aneinander, nicht auf Oberflächlichkeiten oder Inszenierungen.
Um solche Beziehungen zu fördern, ist es wichtig, ehrlich über Ihre Gefühle zu sprechen und auch die Schwächen und Unsicherheiten zu teilen, die Sie vielleicht verbergen möchten. Diese Offenheit schafft Vertrauen und eine tiefere Bindung zu anderen. Indem Sie sich mit Menschen umgeben, die Sie in Ihrer Echtheit unterstützen, können Sie den inneren Antreiber „Sei interessant“ ins Gleichgewicht bringen und gleichzeitig die Freude an echten menschlichen Begegnungen genießen.
Wozu ist der innere Antreiber „Sei interessant“ nützlich?
Trotz seiner Herausforderungen ist der Antreiber „Sei interessant“ nützlich, um uns zu inspirieren und unser Leben spannend zu gestalten. Er kann uns dazu anspornen, unser Potenzial auszuschöpfen, neue Dinge zu lernen und uns mit anderen zu verbinden. In Maßen genutzt, fördert er Kreativität und Neugierde.
Indem wir seine positiven Aspekte annehmen und gleichzeitig unsere Resilienz stärken, können wir ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Freude am Leben und dem Wunsch nach Anerkennung schaffen. So wird der Antreiber zu einem Motor für ein lebendiges und erfülltes Leben, das auf Echtheit und nicht auf äußeren Erwartungen basiert.
Bildquellen: www.depositphotos.com: Selective Focus@HayDmitry, Young Women@javiindy, Man Thinking@jesadaphorn, Grafik: Dylan Sara
Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).