Was verstehen Sie unter Resilienz? Viele Menschen haben kein klares Bild davon, was unter diesem Synonym für innere Widerstandskraft, mentale Stärke, Adaptabilität oder auch Stress-Resistenz eigentlich gefasst wird. Die Resilienzforschung liefert hierbei leider auch keine eindeutigen Aussagen. Das schafft insgesamt einen perfekten Nährboden für Resilienz-Mythen, die wir hier nun genauer beleuchten und Klarheit ins Dunkel bringen.
Warum existieren Resilienz-Mythen?
Es gibt wahnsinnige viele Vergleiche, die uns das Konzept der Resilienz näherbringen sollen. Resiliente Menschen seien Stehaufmännchen, Phönixe oder Bambus. Es gibt ebenso die verschiedensten Bücher über Resilienz und was es nun genau ist. Das trägt allerdings nur wenig dazu bei, dass sich im Allgemeinverständnis ein roter Faden bildet. Da hinzukommt, dass Resilienz zwar durch die Pandemie und ihre Auswirkungen ein bekannteres Konzept geworden ist, es jedoch bei weitem nicht jedem Menschen in der Tiefe auch etwas sagt.
Durch Uneinheitlichkeit und Unbekanntheit konnten sich im Laufe der Zeit so einige Resilienz-Mythen bilden. Diese wollen wir hier zusammenfassen, ansprechen und in Perspektive setzen. Wichtig ist dabei immer wieder zu beachten, dass Resilienz ein Meta-Konzept ist, welches je nach Perspektive unterschiedlichste Eigenschaften haben kann. Zu den Ebenen individuelle Resilienz, Teamresilienz und organisationale Resilienz gibt es noch allerlei Unterkategorien, auf die aber hier nicht genauer eingegangen werden soll.
Die 5 größten Resilienz-Mythen
Die im Folgenden aufgezählten Resilienz-Mythen sind meine persönliche Top 5, die mir in meiner jahrzehntelangen Arbeit als Resilienz-Trainer und Speaker begegnet sind. Sehen Sie diese Mythen deshalb nicht als Absolut, sondern als erfahrungsbasiert und fühlen Sie sich frei, die Liste mit Ihren eigenen Erfahrungen abzugleichen.
Resilienz-Mythos 1: Resilienz ist eine Teflon-Kompetenz
Umgangssprachlich wird Teflon als die Antihaft-Beschichtung zumeist verwendet in Bratpfannen bezeichnet. Und bei einigen Menschen besteht der Glaube, dass Resilienz ebenso zu einer Art Antihaft-Beschichtung wird. Stress „perlt“ an resilienten Menschen einfach ab.
Doch so einfach ist es nicht. Resilienz bedeutet nicht, dass wir keinen Stress mehr empfinden und auch keine Krisen mehr haben werden. Auch wenn es auf den ersten Blick wünschenswert klingt, ist es von der Natur sehr klug gemacht, dass wir auch als resiliente Menschen noch Stress erfahren. Denn ohne Stress würden wir auch nichts neues Lernen und würden auch nicht mehr wachsen. Denn Stress bedeutet per se nichts Schlechtes, sondern grundlegend erst einmal Aktivierung. Wenn alles an uns abprallen würde, würde uns auch nichts mehr aktivieren können.
Eine passendere Metapher für Resilienz stellt hier eine Kintsugi-Schüssel dar. Kintsugi ist eine traditionelle japanische Kunst, bei der zerbrochene Porzellanstücke, wie eine Schüssel oder eine Tasse, zusammengefügt und die Risse dabei vergoldet werden. Das heißt, wir dürfen brechen – wir dürfen Stress und Krisen erleben – aber diese Risse, die dabei entstehen, machen uns stark, einzigartig und wunderschön!
Resilienz-Mythos 2: Resilienz bedeutet immer Leistungsfähigkeit
Dieser Mythos schließt sich dem vorherig genannten Mythos an. Manche Menschen gehen davon aus, dass Resilienz gleichzusetzen mit Leistungsstärke ist. Wer besser mit Stress umgehen kann, kann schließlich auch besser performen. Diesem Glauben geben sich gerade Vorstände und Führungskräfte hin, die Ihre Teams ins Resilienztraining schicken, um Leistungsfähiger zu werden.
Und ein Teil dieses Mythos lässt sich auch bestätigen. Eine hohe Resilienz bedeutet sehr wahrscheinlich weniger Krankheitsausfälle, eine höhere Konzentration auf das Wesentliche und meist auch eine höhere Zufriedenheit bzw. Motivation. Doch das bedeutet noch lange nicht, dass Resilienz ein Garant für Leistungsstärke ist. Denn hier spielen eine ganze Reihe weiterer Faktoren eine Rolle, insbesondere wenn es um den organisationalen Kontext geht. Und da nun einmal Stress auch an resilienten Menschen nicht abprallt, kann auch die Leistungsfähigkeit unter besonderen Herausforderungen leiden. Das ist normal und menschlich. Und es bedeutet vor allem nicht, dass resiliente Menschen immer Überperformer sein müssen.
Vielmehr kann Resilienz ein unterstützender Faktor sein, um Leistungsfähigkeit, sei es nun im beruflichen Kontext oder auch im privaten Umfeld, zu fördern und vor starken Einbrüchen zu schützen.
Resilienz-Mythos 3: Resilienz ist eine Persönlichkeitseigenschaft
Ein weiterer Mythos, der übrigens auch in der Forschung herumgeistert, ist die Annahme, dass Resilienz ausschließlich eine angeborene Persönlichkeitseigenschaft ist. Man kommt also resilient zur Welt oder eben nicht.
Doch das ist nur zum Teil richtig. Sicherlich sind genetische Faktoren und die Ausbildung des Stresssystems schwer oder gar nicht zu verändern. Auch die Big 5 zeigen gewisse Traits (Extraversion, Need for stability, …) die sich günstig auf den Kontext von Stress, Problemen und Krisen auswirken und als zeitstabile Persönlichkeitsmerkmale, die als rohe Resilienz beschrieben werden können, schwer zu verändern sind.
Der Großteil der Forschung zeigt jedoch auf, dass Resilienz keine unveränderliche Persönlichkeitseigenschaft ist. Es handelt sich vielmehr um einen dynamischen und lebenslangen Prozess. Dieser Prozess wird beeinflusst durch die persönliche Einschätzung der vorhandenen Ressourcen (Resilienzfaktoren) im Vergleich zur vorhandenen Last durch Stressoren (Risikofaktoren). Das bedeutet auch, dass Sie ein Leben lang Ihre Resilienz trainieren und weiter stärken können.
Eine Aufzählung solcher Resilienz- und Risikofaktoren finden Sie HIER.
Resilienz-Mythos 4: Es gibt richtige und falsche Schutzfaktoren
Dieser Mythos kann natürlich nur bei jenen bestehen, die nicht dem Resilienz-Mythos 3 verfallen sind. Es ist der Glaube, dass es „echte“ Resilienzfaktoren gibt und „falsche“. Auch das ist ein Mythos, der aufgeklärt werden muss. Denn es gibt selbst in der Forschung nicht DAS eine Resilienzmodell, das die einzig wahren Resilienzfaktoren enthält. Es gibt eine Fülle an verschiedenen Resilienzmodellen, die im Vergleich zwar relativ ähnliche Resilienzfaktoren beinhalten, doch sich auch unterscheiden. Das macht das eine nicht richtiger als das andere. Selbst die Forschung hat hier noch keinen klaren Konsens gefunden.
Zuerst sind Schutzfaktoren immer erstmal abhängig vom Kontext. So kann das, was in einem Kontext nützlich und wichtig ist, in einem anderen Kontext keine signifikante oder nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Allerdings gibt es Schutzfaktoren, die wissenschaftlich sehr gut untersucht sind und einen eindeutigen Zusammenhang mit psychischer Gesundheit aufweisen. Diese sind nach Jürgen Bengel und Lisa Lyssenko (Bengel & Lyssenko, 2012):
- Positive Emotionen
- Optimismus
- Hoffnung
- Selbstwirksamkeitserwartung
- Selbstwertgefühl
- Kontrollüberzeugungen
- Kohärenzgefühl
- Hardiness
- Religiosität und Spiritualität
- Coping
- Soziale Unterstützung
Doch hier noch einmal ganz klar: Das bedeutet nicht, dass dies die „richtigen“ Resilienzfaktoren sind. Der Kontext bestimmt die Relevanz und auch hier zeigt sich deutlich, dass es immer auf die Art der Stressoren und Herausforderungen ankommt, um sagen zu können, welche Faktoren wichtiger sind und welche nicht.
Resilienz-Mythos 5: Resilienz braucht eine Krise
Vielleicht haben Sie schon einmal von dem Begriff „posttraumatisches Wachstum“ gehört. Auch dieser Begriff wird oft mit Resilienz verbunden, wenn nicht sogar gleichgesetzt. Resilienz wird auch als Kompetenz beschrieben, die uns aus Krisen wachsen lässt, wie ein Phönix aus der Asche.
Wie bereits erwähnt, braucht es für Wachstum Stress. Das heißt, es ist auch möglich aus Krisen zu wachsen. Allerdings stimmt die Annahme, wir brauchen Krisen, um Resilienz aufbauen zu können, nicht ganz. Richtig ist, dass wir Resilienz nicht in Momenten der vollkommenen Entspannung, in unserer Komfortzone oder dann brauchen, wenn alles gerade gut läuft. Genauso, wie sich Treue dem Partner oder der Partnerin gegenüber auch nur dann zeigt, wenn sie auf die Probe gestellt wird, zeigt sich Resilienz auch nur im Angesicht von Belastung. Deshalb braucht es Probleme und Stress, um die eigene Resilienz zu spüren.
Doch es braucht nicht unbedingt eine reale Krise. Resilienztechniken lassen sich auch unabhängig von der Bedrohung einer echten Krise trainieren, zum Beispiel in einem Resilienztraining. Ein weiterer Weg, um Resilienz für eine starke Krisen-Umgangs-Kompetenz zu stärken, ist das imaginative „Spielen von Krisen“ – auch bekannt als Szenariotechnik. Diesen Mechanismus nutzt die Prosilienz®. Sie öffnen Ihr System zwar für das Lernen, als sei es eine Krise, doch die dysfunktionalen Auswirkungen einer echten Krise bleiben erspart. Das Lernen aus dem „als-ob“-Modus reduziert den Faktor der Überraschung, ermöglicht präventive Handlungsoptionen und Flexibilität in Bezug auf die eigenen Reiz-Reaktions-Muster.
Resilienz-Mythen und Resilienz-Fakten?!
Wir Menschen lieben es in Dichotomien zu denken, deshalb werden Sie sich sicher auch die Frage gestellt haben: Wenn das nicht Resilienz ist, was ist es dann? Das ist eine berechtigte und sehr gute Frage.
Einen Teil der Antwort können Sie sich vielleicht jetzt besser beantworten: Resilienz ist eine Fähigkeit und ein lebenslanger Prozess, der Stress zwar puffert, bzw. minimiert, aber nicht vollkommen verhindert. Sie besteht aus einem Überwiegen von Resilienzfaktoren gegenüber Risikofaktoren und kann zum größten Teil ein Leben lang trainiert werden, wofür es nicht zwangsläufig eine Krise braucht.
Der andere Teil der Antwort ist: „Und so vieles mehr darüber hinaus“. Resilienz ist ein Metakonzept und ein Themenfeld, dass sich durch seine unheimliche Weite und Tiefe auszeichnet. Deshalb kann ich Ihnen hier keine definitive Antwort geben. Genauso vorsichtig sollten wir alle mit dem Wort Resilienz-Fakten umgehen. Fakt ist jedoch, dass Resilienz das Leben eindeutig verbessert und es sich immer lohnt, an der eigenen Resilienz und Adaptabilität zu arbeiten.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 150 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de).