Freundschaften gehören zu den kraftvollsten Ressourcen, die wir im Leben haben – und doch unterschätzen wir sie oft. Während Familie meist „gegeben“ ist und berufliche Beziehungen oft einen Zweck erfüllen, wählen wir unsere Freunde bewusst. Und genau darin liegt ihre Stärke. Freundschaften basieren auf Vertrauen, Verständnis und dem Wunsch, gemeinsam durchs Leben zu gehen – sei es in guten oder in schwierigen Zeiten.
Die Auswirkungen guter Freundschaften auf unsere mentale Gesundheit und unsere Resilienz sind wissenschaftlich belegt. Menschen mit starken sozialen Bindungen leben nicht nur länger – sie leben auch erfüllter.
Warum wir Freundschaften unterschätzen
Obwohl Freundschaften zu den wichtigsten Quellen unseres Wohlbefindens gehören, schenken wir ihnen oft nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Das hat verschiedene Gründe – tief verwurzelt in unserer Lebensweise und den gesellschaftlichen Erwartungen. Im Folgenden werfen wir einen genaueren Blick auf drei zentrale Aspekte, weshalb wir Freundschaften unterschätzen.
Wir messen romantischen Beziehungen mehr Bedeutung bei
Vielleicht haben Sie auch schon einmal diese eine Person im Freundeskreis erlebt, die sich nach dem Eintritt in eine Liebesbeziehung komplett aus der Freundschaft zurückgezogen hat oder zumindest sehr viel schwerer zu erreichen war. Oder Sie bemerken bei sich selbst, wie Sie Freundschaften ‚schleifen‘ lassen?
In unserer Kultur genießen romantische Beziehungen einen hohen Stellenwert – sie gelten als „Endziel“ sozialen Glücks. Filme, Bücher und Medien betonen immer wieder die Bedeutung des Liebespartners als der „bester Freund“, die Seelenverwandte und Hauptbezugsperson. Diese starke Fokussierung führt oft dazu, dass platonische Freundschaften als nachrangig empfunden werden.
Dabei vergessen wir leicht, dass Freundschaften eine ganz eigene emotionale Qualität mitbringen – oft stabiler, langfristiger und weniger von äußeren Faktoren (wie gemeinsamer Haushalt oder Sexualität) beeinflusst. Studien zeigen: Gerade im Erwachsenenalter sind es Freundschaften, die über die Zeit hinweg konstant bleiben und uns durch Lebensübergänge begleiten.
Zeitmangel und ständige Erreichbarkeit
Ist es nicht erstaunlich, dass es noch nie so einfach war, miteinander in Kontakt zu kommen und wir trotzdem das Gefühl haben, echte Nähe geht immer weiter verloren? Job, Familie, To-Do-Listen – der Alltag ist voll. Freundschaften sind freiwillig und in unserer subjektiven Wahrnehmung meist zweckfrei – und genau deshalb fallen sie oft zuerst hinten runter, wenn der Kalender voll ist.
Zugleich vermittelt uns die ständige Erreichbarkeit über Smartphones und soziale Medien die Illusion von Nähe. Ein kurzer Chat, ein Kommentar unter einem Foto – das fühlt sich an wie Kontakt, ersetzt aber kein tiefes Gespräch oder gemeinsames Erleben. Wir glauben, „dran“ zu sein, ohne wirklich verbunden zu sein.
Freundschaften brauchen jedoch etwas, das im hektischen Alltag selten wird: Zeit. Zeit zum Zuhören, Zeit zum gemeinsamen Schweigen, Zeit zum Dasein. Ohne diese Zeit verlieren Freundschaften an Tiefe – nicht aus mangelnder Zuneigung, sondern aus Prioritätenverschiebung.
Keine sofort sichtbare Wirkung
Freundschaften wirken oft im Hintergrund – leise, aber wirkungsvoll. Anders als berufliche Leistungen oder familiäre Verpflichtungen „muss“ man sich um Freundschaften nicht kümmern, um die Grundfunktionen des Alltags aufrechtzuerhalten. Das führt leicht zu der falschen Annahme, sie seien „nice to have“, aber nicht essenziell.
Doch gerade in Krisenzeiten zeigt sich ihre Bedeutung. Wer ein stabiles Netzwerk hat, kommt besser durch Belastungen – emotional wie gesundheitlich. Nur: Diese Schutzwirkung ist nicht so sichtbar wie ein Bonus auf dem Gehaltszettel oder ein medizinischer Befund. Sie entfaltet sich schleichend – durch Trost, Zuhören, Lachen, Perspektivwechsel. Diese stille Kraft macht Freundschaften so wertvoll – und gleichzeitig so leicht unterschätzt.
„Freundschaft ist die reinste Form der Liebe“ – George Santayana
Was bedeuten Freundschaften für unsere Resilienz?
Freundschaft ist ein Begriff, den wir alle intuitiv verstehen – und doch schwer fassen können. Ist sie das gemeinsame Lachen? Das stille Verständnis? Oder einfach das Wissen, dass jemand für uns da ist, egal was passiert?
In der Psychologie beschreibt Freundschaft eine freiwillige soziale Beziehung, die auf Gegenseitigkeit, Vertrauen und emotionaler Nähe beruht. Anders als familiäre oder romantische Beziehungen ist sie nicht durch rechtliche oder biologische Bande geregelt – sie basiert auf freier Wahl. Das macht sie gewissermaßen zwar unverbindlicher, aber in keinem Fall weniger wichtig. Darüber hinaus ist Freundschaft keine statische Größe. Sie verändert sich, wächst oder verliert an Intensität. Manche Freundschaften sind wie Bäume – tief verwurzelt. Andere wie Blumen – schön, aber vergänglich. Beide haben ihre Berechtigung. Entscheidend ist, dass Freundschaft nicht durch Perfektion, sondern durch echte Verbindung lebt.
Soziale Unterstützung wirkt neurobiologisch
Der Schlüssel hinter der positiven Wirkung von Freundschaften auf unsere Resilienz und unsere mentale Gesundheit heißt „Soziale Unterstützung“. Dieser Schutzfaktor, der im Zusammenhang mit unserem wohl wichtigsten Grundbedürfnis Bindung steht, ist in der Wissenschaft gut untersucht. Neurobiologisch sorgt soziale Unterstützung dafür, dass unser Cortisolspiegel sink – also Stress abgebaut wird – und unser Oxytocin (unser Bindungshormon) steigt. Und das Schöne daran ist, nicht nur, wenn wir das Gefühl haben soziale Unterstützung zu erfahren, sondern auch wenn wir sie geben (Inagaki & Eisenberger, 2012).
Freunde als Spiegel
Ein Zitat, das Albert Einstein zugeschrieben wird, besagt:
„Ein Freund ist jemand, der die Melodie deines Herzens kennt und sie dir vorspielt, wenn du sie vergessen hast.“
Das Zitat beschreibt sehr schön, wie Freunde als eine Art Spiegel fungieren können. Sie zeigen uns liebevoll und manchmal auch mit nötiger Klarheit, wenn wir uns verrennen oder wir zu hart zu uns selbst sind. Sie helfen uns, Perspektiven zu wechseln und Lösungen zu entwickeln, die wir alleine nicht sehen würden. Zudem können sie uns in Entscheidungsphasen Rückhalt geben, der oder diejenige zu sein, der oder die wir sind.
Psychologischer Anker in Krisenzeiten
Gerade in schweren Phasen zeigen Freundschaften Ihre Wirkung für unsere Resilienz. Das Spenden von Trost, Stärken von Hoffnung, Geben von Orientierung und Halt; Das sind essenzielle Stützpfeiler für das gesunde Durchleben von Krisen und schwierigen Zeiten. Wer erlebt, dass andere an ihn glauben, oder auch einfach nur „für einen da sind“, fühlt sich selbstwirksamer und bleibt dadurch insgesamt handlungsfähiger bzw. resilienter.
Wie können wir Freundschaften aufbauen und bewahren?
Eine Studie aus dem Jahr 2018 mit dem Titel „Die Anatomie der Freundschaft“ fasste Erkenntnisse aus Sozialpsychologie, Neurobiologie, kognitiver Psychologie und Evolutionsforschung zusammen (Dunbar, 2018). Eine bekannte Erkenntnis aus dieser Studie ist „Dunbar’s Number“: Menschen können aktiv stabile soziale Beziehungen zu ca. 150 Personen pflegen. Das klingt erstmal viel, aber diese Netzwerke müssen hierarchisch nochmal unterteilt werden (z.B. 5 enge, 15 gute und 50 Freund:innen, Familie, Bekannte, Kolleg:innen etc.).
Die Studie zeigte vor allem auch drei zentrale Erkenntnisse für die Praxis auf:
Qualität vor Quantität:
Nicht die Anzahl unserer Kontakte macht den Unterschied, sondern die Tiefe der Verbindung. Die Studie zeigt auf, dass wenige, aber vertrauensvolle Freundschaften unser Wohlbefinden deutlich stärker beeinflussen als ein großer Bekanntenkreis. Eine echte Beziehung, in der man sich gesehen und verstanden fühlt, wiegt mehr als 100 flüchtige Kontakte.
Pflege braucht Zeit
Freundschaften leben von Regelmäßigkeit und Präsenz. Kurze Nachrichten können Nähe überbrücken, ersetzen aber kein echtes Gespräch oder gemeinsames Erleben. Die Studie zeigte, dass die Qualität der Beziehung stark von der investierten Zeit abhing. Wer also Freundschaften stärken will, muss Zeit investieren – bewusst und wiederkehrend. Denn Nähe entsteht nicht durch Klicks, sondern durch gelebte Aufmerksamkeit.
Soziale Aktivitäten fördern
Gemeinsames Lachen, Musik hören oder kleine Rituale wie ein monatlicher Spaziergang wirken wie emotionale Brücken. Positive gemeinsame Erlebnisse vertiefen Beziehungen und schaffen Erinnerungen, die verbinden. Solche „Mikromomente der Verbundenheit“ stärken nachweislich unsere emotionale Gesundheit und fördern Resilienz.
Wozu führen Freundschaften?
Gute Freundschaften sind keine Nebensache. Sie sind zentral für unsere psychische Gesundheit, für unsere Fähigkeit, mit Stress umzugehen, und für unser Gefühl, dem Leben gewachsen zu sein. Sie helfen uns, nicht nur durchzuhalten, sondern aufzublühen – besonders dann, wenn es darauf ankommt.
Das Wichtigste in Kurz:
Schutzschild in Krisen: Freundschaften wirken stressregulierend und helfen beim Durchstehen und Verarbeiten von Krisen.
Selbstwertgefühl und Selbstwahrnehmung: Wohlwollende Freundschaften helfen, sich selbst positiver wahrzunehmen, was das Selbstwertgefühl stärkt.
Zugehörigkeitsgefühl und Sinn: Freundschaften erfüllen das Bedürfnis nach Bindung und stärken auch das Gefühl von Bedeutung und Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns und Seins.
Langfristige Gesundheit: Gute Beziehungen reduzieren das Risiko für chronische Krankheiten und stärken die allgemeine Lebenszufriedenheit.
Freundschaften machen uns krisensicher. Im Gegensatz zu Familie, die wir uns nicht aussuchen können, und Liebesbeziehungen, die manchmal sogar Auslöser der Krise sind, sind es Freundschaften, die über verschiedene Lebensphasen hinweg konsistent soziale Unterstützung bieten. Wenn das Leben stürmt, sind Freundschaften wie ein sicherer Hafen. In Momenten der Trauer, der Überforderung oder der Veränderung geben sie Halt. Nicht selten sind es Freund:innen, die uns sagen: „Ich bin da, egal was ist.“
Dieser bedingungslose Rückhalt führt auch dazu, dass Freunde uns korrigieren können, wenn wir von unserem Weg abkommen. Ein guter Freund kann uns unverblümt seine ehrliche Meinung sagen, ohne dass die Beziehungsebene leiden – weil wir wissen, dass eine wohlwollende, liebevolle Haltung dahintersteht. Das führt zu einer besseren Selbstwahrnehmung, und auch positives Feedback findet schneller Anklang in unserem Selbstbild.
Freundschaften stärken darüber hinaus unser Zugehörigkeitsgefühl – ein zentraler Faktor für Resilienz. Obwohl in unserer heutigen Gesellschaft Singles als die „Einsamen“ gelten, ist das nicht wahr. Denn Freunde geben auch das Gefühl, Teil etwas Größeren zu sein, Teil eines gemeinsamen Lebensweges für den beide Parteien sich freiwillig entschieden haben. Diese Erfüllung unseres Grundbedürfnisses nach Bindung ist es auch, was unsere Lebenszufriedenheit, mentale und auch körperliche Gesundheit enorm stärkt.
Auch im hohen Alter sind es oft die Freundschaften – manchmal mehr noch als die Familie –, die für emotionale Stabilität sorgen. Sie schenken Trost, wenn Lebensbereiche wegbrechen, und geben Halt, wenn neue Wege gesucht werden. Freundschaften sind also ein Schlüssel für ein gesundes, resilientes Älterwerden.
Ein Plädoyer für die Freundschaft
Abschließend lässt sich nur festhalten: Wir sollten uns mehr um unsere Freundschaften bemühen. Zeit, die wir in scheinbar nebensächliche Verbindungen zu Freunden investieren, wird zum Wertvollsten, was wir uns und anderen als Geschenk geben können. Echte Verbindungen, die uns zum Lachen bringen, durch Tränen hindurchhelfen und unser Leben lebenswert machen.
„Freundschaft verdoppelt das Gute im Leben und halbiert das Schlechte.“ – Cicero
Quellen:
Dunbar, R. I. (2018). The anatomy of friendship. Trends in Cognitive Sciences, 22(1), 32-51.
Inagaki, T. K., & Eisenberger, N. I. (2012). Neural correlates of giving support to a loved one. Psychosomatic medicine, 74(1), 3-7.
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Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Experten für angewandte Resilienz in Deutschland. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).