In einer Welt zunehmender Unsicherheiten – von Finanzkrisen über Pandemien bis hin zu geopolitischen Spannungen – gewinnt ein Konzept an Bedeutung, das bisher vor allem auf individueller Ebene bekannt war: Resilienz. Doch nicht nur Einzelpersonen oder Organisationen, auch ganze Länder können widerstandsfähig sein – und sollten es auch. Nationale Resilienz, oder treffender: systemische gesellschaftliche Resilienz, beschreibt die Fähigkeit eines Landes, externe Schocks wie Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen nicht nur zu überstehen, sondern daraus gestärkt hervorzugehen. Lesen Sie hier, was das eigentlich bedeutet, und wie Deutschland sich im Ländervergleich platziert.
Warum sollten ganze Länder resilient sein?
Ob Finanzkrise, Klimakatastrophe oder Cyberattacke – die globalisierte Welt stellt nationale Systeme vor immense Herausforderungen. Resiliente Länder können diesen Herausforderungen begegnen, ohne dabei fundamentale Werte, gesellschaftlichen Zusammenhalt oder ökonomische Stabilität zu verlieren.
Der Begriff „ökonomische Resilienz“ umfasst dabei mehr als nur wirtschaftliche Robustheit. Treffender ist der Ausdruck „systemische gesellschaftliche Resilienz“, der sowohl institutionelle, ökonomische als auch soziale Widerstandskraft einschließt. Studien wie die der Bertelsmann Stiftung (Harendt & Heinemann, 2017) zeigen, dass Resilienz über langfristige Indikatoren sichtbar wird: Wer in der Lage ist, nach einem Schock wie einer Wirtschaftskrise schnell wieder auf ein stabiles Wohlstandsniveau zurückzukehren – und dabei soziale Ungleichheit nicht steigen lässt –, zeigt Resilienz in ihrer umfassendsten Form. Resilienz ist damit nicht nur ein Schutzmechanismus. Sie ist auch ein Entwicklungsfaktor, der Zukunftsfähigkeit garantiert.
Was ist ökonomische bzw. gesellschaftliche Resilienz?
Im wissenschaftlichen Verständnis (z. B. Sondermann, 2016) bedeutet Resilienz, insbesondere hier die ökonomische Resilienz gemeint, die Fähigkeit eines Systems, externe Schocks zu absorbieren, sich anzupassen und gestärkt daraus hervorzugehen. Auf Länderebene bedeutet dies: Wie gut gelingt es einem Staat, wirtschaftliche Einbrüche, soziale Spannungen oder Umweltkatastrophen abzufedern und strukturelle Schäden zu vermeiden?
Der Bericht der Bertelsmann Stiftung mit dem Titel „Building Resilience“ (Harendt & Heinemann, 2017) zieht einen Ländervergleich von den acht OECD-Ländern: Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, Vereinigte Staaten und Australien.
Im Ländervergleich wurden vier Kriterien herangezogen, um die Resilienz zu messen:
- BIP-Wachstum (wirtschaftliche Erholung),
- Arbeitslosenquote (Arbeitsmarktstabilität),
- Gini-Koeffizient (Verteilungsfairness),
- Armutsgefährdungsquote (soziale Absicherung).
Dabei wurde geprüft, wie sich diese Indikatoren vor und nach Krisen verändern.
Welche Länder hatten besonders häufig Krisen?
Im Bericht wurde zum einen die Anzahl der Außenwirtschaftskrisen im Vergleich untersucht. Eine solche Krise wurde definiert als „Rückgang der Exporte in Relation zum BIP um mindestens einen Viertelprozentpunkt“ (Harendt & Heinemann, 2017). In der Aufstellung ist hier die Covid-19 Pandemie noch nicht mit kalkuliert, sie zählt aber definitiv mit zu den Außenwirtschaftskrisen.
Spitzenreiter ist hierbei Italien mit sieben solcher Krisen zwischen 1980 und 2009. Kanada folgt mit sechs. Die USA, Australien, Großbritannien und Deutschland mit jeweils drei und Frankreich am wenigsten betroffen mit zwei Krisen – 1975 und 2009.
Welche Länder sind resilient?
Zur Analyse wurde ein Zeitraum-Vergleich durchgeführt, bei dem für jedes identifizierte Krisenereignis die durchschnittliche Entwicklung der vier Indikatoren in den fünf Jahren vor der Krise mit jener in den fünf Jahren danach verglichen wurde.
Um die Vergleichbarkeit zwischen den Ländern zu gewährleisten, wurden die Ergebnisse der vier Indikatoren anschließend auf einer Skala von 0 bis 100 normiert. Dabei steht der Wert 100 für die beste und 0 für die schlechteste Performance im internationalen Vergleich. Je höher ein Land bei einem Indikator abschneidet, desto besser hat es diesen spezifischen Aspekt nach der Krise bewältigt – etwa durch eine geringere Zunahme der Arbeitslosigkeit oder eine stabile Einkommensverteilung. Je höher die Werte in Summe, desto umfassender und erfolgreicher war die Krisenbewältigung des jeweiligen Landes.
Australien und Japan
Die Ergebnisse des Ländervergleichs zeigen ein differenziertes Bild nationaler Resilienz. Australien und Japan stechen als besonders widerstandsfähige Staaten hervor. Australien gelingt es, über alle vier betrachteten Dimensionen hinweg – Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit, Einkommensverteilung und Armutsgefährdung – vergleichsweise geringe Krisenfolgen zu zeigen. Ein Schlüsselfaktor ist hier der große fiskalische Spielraum und eine starke Innovationsorientierung, die es ermöglichen, wirtschaftliche Einbrüche flexibel zu kompensieren.
Japan überzeugt insbesondere durch einen sehr hohen Bildungsstand der Bevölkerung, was die gesamtwirtschaftliche Anpassungsfähigkeit stärkt. Trotz hoher Staatsverschuldung bewältigt das Land Krisen relativ robust – mit leichten Schwächen im Bereich Armutsgefährdung.
Frankreich und Italien
Frankreich und Italien dagegen zeigen ein weit weniger resilientes Bild. Frankreich weist über alle Indikatoren hinweg eine unterdurchschnittliche Krisenbewältigung auf. Das Land leidet unter einer Kombination aus hoher Regulierungsdichte und einem übergroßen Staatssektor – beides erschwert schnelle Anpassungen an externe Schocks.
Italien zeigt zwar bei Arbeitslosigkeit und Verteilung etwas robustere Werte, fällt jedoch besonders beim Wachstum deutlich ab. Dies verweist auf strukturelle Schwächen in der wirtschaftlichen Dynamik und Innovationskraft.
Deutschland
Deutschland nimmt eine Zwischenposition ein. Besonders positiv fällt die Entwicklung der Arbeitslosenquote und der Einkommensverteilung auf: Hier zeigt sich, dass der deutsche Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme in Krisenzeiten relativ stabil bleiben. Die Schwäche lag lange im Bereich des Wirtschaftswachstums – insbesondere bei den Krisen von 1975 und 1993. Doch mit der Finanzkrise 2009 zeigte sich eine Trendwende: Deutschland konnte sein BIP-Wachstum nach der Krise nicht nur stabilisieren, sondern sogar leicht steigern. Das spricht für verbesserte wirtschaftspolitische Anpassungsmechanismen, z. B. in der Industriepolitik und im Krisenmanagement.
Wie kann ein Land Resilienz fördern?
Resilienz ist kein Zufallsprodukt – sie lässt sich gestalten. Und obwohl man bei solch einer gesellschaftlichen, ökonomischen Resilienz nicht von einem „One size fits all“-Ansatz ausgehen kann, so gibt es doch fünf grundlegende Aspekte, wie Länder Resilienz fördern können.
Bildung: Fundament der Anpassungsfähigkeit
Ein hoher Bildungsstand – insbesondere im Bereich tertiärer Bildung – ist ein Schlüssel zur Resilienz. Gut ausgebildete Arbeitskräfte können sich schneller auf neue Anforderungen einstellen, was Unternehmen wie auch dem Staat Handlungsspielräume verschafft. Besonders wertvoll ist hier nicht nur akademisches Wissen, sondern praxisorientierte Ausbildung, wie sie etwa das deutsche duale System bietet. Dieses erlaubt es, schnell Fachkräfte in relevanten Bereichen zu qualifizieren und so strukturelle Veränderungen besser zu meistern. Auch lebenslanges Lernen gewinnt an Bedeutung, um in einem dynamischen Umfeld Schritt halten zu können.
Innovationsfähigkeit: Krisen als Chancen nutzen
Länder, die kontinuierlich in Forschung und Entwicklung investieren, entwickeln nicht nur neue Produkte und Prozesse, sondern auch eine Kultur der Problemlösung. Diese Innovationskraft zeigt sich besonders deutlich in der Fähigkeit, Krisen als Katalysatoren für Wandel zu nutzen. Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sowie die Förderung von Start-ups und technologischen Clustern erhöhen die Fähigkeit, auf Marktveränderungen flexibel zu reagieren. Resiliente Staaten sind in der Lage, wirtschaftliche Schocks durch neue Wachstumsimpulse zu kompensieren.
Fiskalischer Spielraum: Handlungsfähig bleiben
Ein niedriger Schuldenstand schafft finanzielle Spielräume für staatliche Maßnahmen in Krisenzeiten. Länder, die sich antizyklische Investitionen leisten können, wirken stabilisierend – etwa durch Konjunkturprogramme, Kurzarbeit oder zielgerichtete Sozialtransfers. Gleichzeitig verbessert sich so die Möglichkeit, besonders betroffene Bevölkerungsgruppen gezielt zu unterstützen, was den sozialen Frieden sichert. Ein hohes Schuldenniveau hingegen engt diesen Spielraum massiv ein und zwingt zu Sparmaßnahmen in ohnehin schwierigen Zeiten.
Regulierungsbalance: Stabilität durch Flexibilität
Regulierung ist kein Widerspruch zur Resilienz – solange sie klug austariert ist. Ein zu hohes Maß an Regulierung, insbesondere in Kombination mit einem überdimensionierten Staatssektor (wie in Frankreich oder Italien), kann Anpassungsprozesse hemmen und die wirtschaftliche Erholung verzögern. Auf der anderen Seite kann zu wenig Regulierung – etwa beim Arbeitnehmerschutz – soziale Ungleichheiten verschärfen und Vertrauen untergraben. Erfolgreiche Länder finden eine Balance: Sie schaffen stabile Rahmenbedingungen und lassen zugleich ausreichend Raum für unternehmerische Initiative.
Gute Regierungsführung: Vertrauen als strategische Ressource
Vertrauen in staatliche Institutionen ist ein immaterieller, aber elementarer Bestandteil von Resilienz. In Krisen zählen transparente Kommunikation, nachvollziehbare Entscheidungsprozesse und verlässliche Führung. Nur wenn die Bevölkerung das Handeln der Regierung als legitim und kompetent empfindet, ist kollektive Resilienz möglich. Eine vertrauenswürdige Governance fördert zudem die gesellschaftliche Kohäsion und beugt extremen politischen Bewegungen vor.
Ein „One size fits all“-Ansatz funktioniert dabei nicht. Jedes Land benötigt eine individuelle Stärken-Schwächen-Analyse, um gezielte Maßnahmen zu entwickeln.
Wozu führt systemische gesellschaftliche Resilienz?
Resiliente Gesellschaften profitieren in mehrfacher Hinsicht:
- Wirtschaftlich: Schnellere Erholung nach Krisen, langfristig stabileres Wachstum.
- Sozial: Geringere Ungleichheiten und ein robusteres soziales Netz fördern gesellschaftlichen Zusammenhalt.
- Politisch: Mehr Vertrauen in staatliche Institutionen und geringere Anfälligkeit für populistische Tendenzen.
- Ökologisch: Widerstandsfähigkeit gegenüber klimatischen Veränderungen durch nachhaltige Infrastruktur und Risikovorsorge.
Gesellschaftliche Resilienz ist weit mehr als ein Schutzmechanismus – sie ist ein strategischer Zukunftsfaktor. In einer widerstandsfähigen Gesellschaft werden Krisen nicht nur besser bewältigt, sondern sie dienen als Lern- und Entwicklungsmomente. Resiliente Länder schaffen es, soziale Spannungen zu entschärfen, ökonomische Schocks abzufedern und politisches Vertrauen zu bewahren. Das führt zu einer stärkeren gesellschaftlichen Kohäsion, höherer Innovationsfähigkeit und größerer Anpassungsbereitschaft. Letztlich trägt gesellschaftliche Resilienz dazu bei, demokratische Stabilität, nachhaltiges Wachstum und soziale Gerechtigkeit langfristig zu sichern. Sie ist damit eine unverzichtbare Grundlage für eine krisenfeste und zukunftsfähige Gesellschaft im 21. Jahrhundert.
Quellen:
Harendt, C., & Heinemann, F. (2017). Building Resilience: Ein Vergleich von acht OECD-Ländern. Bertelsmann Stiftung.
Sondermann, D. (2016). Towards more resilient economies: the role of well-functioning economic structures. ECB Working Paper No. 1984.
Bildquelle: www.depositphotos.com: Many small paper flags@NewAfrica, Paper sheet with word Crisis@NewAfrica, Sunrise in Berlin@TTstudio, Diagram of resilience@vaeenma, Red speech bubble@jayk67, Depression mental health@Ostapius, Young plant@amenic181, Business People at Conference@Rawpixel,OECD European members from space@tom.griger
Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Experten für angewandte Resilienz in Deutschland. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).