Kennen Sie das Gefühl, ein Sklave der Uhr zu sein? An manchen Tagen kann man die Zeit geradezu durch die Finger rinnen spüren und an anderen scheint die Zeit rückwärts zu laufen – und natürlich ist es immer so, wie wir es uns gerade nicht wünschen. Schöne Momente verstreichen zu schnell und langweilige Tage scheinen nicht umgehen zu wollen. Kairos und Chronos sind schuld. Das Wissen um diese beiden Arten der Zeitwahrnehmung kann wertvoll für Ihre eigene Resilienz sein, und hier lesen Sie, wie.
Warum hat Zeit so einen starken Einfluss auf uns?
Zeit ist die wertvollste Ressource, die wir „besitzen“. Und allein letzteres Wort zeigt, wie wir als Gesellschaft Zeit denken. Jedem Menschen oder jeder Gemeinschaft steht Zeit zur Verfügung und doch ist sie noch weniger greifbar als die Luft, die wir atmen. Und dabei können die Zeiten so unterschiedlich sein: Wenn es in New York Mitternacht ist, haben wir in Deutschland bereits sechs Uhr morgens am nächsten Tag. Und zur gleichen Zeit ist es in Singapur mittags um 12 Uhr. Wenn Sie schon einmal in eine andere Zeitzone gereist sind (vielleicht begleitet vom berühmten Jetlag), wissen Sie, dass Zeitempfinden jedoch nicht allein von der Uhrzeit abhängt.
Wir alle haben eine innere Uhr, die uns unsere Taktung vorgibt. Wir sprechen von unserem Biorhythmus, wenn wir behaupten: „Ich bin kein Morgenmensch“ oder Frauen hören beim Thema Familiengründung ihre ‚biologische Uhr‘ ticken. Sowohl Zeitpunkte als auch Zeitmengen haben einen enormen Einfluss auf uns. Die Frage, weshalb Zeit so einen großen Faktor für uns ausmacht, liegt in unseren gesellschaftlichen Konventionen.
Sätze wie „Zeit ist Geld“ oder „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ machen deutlich, dass unsere Mentalität eher dahin geht, in so kurzer Zeit wie möglich so produktiv wie möglich zu sein. Wir haben oft das Gefühl, uns laufe die Zeit davon. Doch was, wenn wir Zeit nicht nur quantitativ messen?
Was sind Kairos und Chronos?
Machen wir einen kleinen Ausflug in die griechische Mythologie. Chronos, was aus dem altgriechischen ins Deutsche übersetzt „Zeit“ bedeutet, ist in der Mythologie die Personifizierung der Zeit, war aber kein Bestandteil der griechischen Volksreligion. Der Begriff zieht sich allerdings bis heute in unseren Sprachgebrauch. Es gibt die Chronobiologie, wir listen Dinge in chronologischer Reihenfolge auf oder können Chroniken lesen. Chronos ist das, wie wir Zeit denken und leben: der gleichförmige Ablauf von Zeit.
Chronos bestimmt zwar unseren Alltag, doch es gibt noch einen anderen Blickwinkel auf Zeit – Kairos. Im Altgriechischen bedeutet es so viel wie „das rechte Maß“ oder „die gute Gelegenheit“. In der griechischen Mythologie war Kairos die Personifizierung für den günstigen Zeitpunkt. Statt also Zeit quantitativ zu messen, legt Kairos den Fokus auf die Qualität des Moments.
Mit anderen Worten: Während Chronos die Vergangenheit und die Zukunft bedeutet, ist Kairos die Gegenwart.
Was hat Zeitempfinden mit Resilienz zu tun?
Zeit ist mehr als das Ticken der Uhr. Sie kann uns wundervolle, kraftgebende Momente schenken, oder auch die Dankbarkeit für gemeinsame Zeit beispielsweise verstärken. Sie kann aber auch eine große Belastung sein, besonders, wenn wir sie als Mangel empfinden. Zu wenig Zeit für zu viel Vorgenommenes, sowohl im Berufskontext als auch im Privatleben.
Resilienz ist die Fähigkeit, flexibel mit ebensolchen Belastungen und daraus resultierendem Stress umzugehen. Dadurch bleiben wir mental, seelisch und körperlich gesund. Resilienz ist nur mit dem Faktor Zeit zu verstehen: Denn Stress an sich ist nie ein Problem. Erst viel Stress in sehr kurzer Zeit oder Stress über einen sehr langen Zeitraum aufrechterhalten machen ihn gefährlich für unser Wohlbefinden – und dafür brauchen wir Resilienz.
Wie wir mit Zeit umgehen, hat direkten Einfluss darauf, ob wir eine Situation als Kraftspender oder Krafträuber empfinden. Deshalb sind Kairos und Chronos zentrale Begriffe in unserem Resilienzverständnis.
Kairos und Chronos – Was stärkt die Resilienz?
Wie bereits erwähnt, legen wir in unserem Alltag oft lediglich den Blick auf Chronos. Wie oft sind wir in Gedanken schon beim nächsten Punkt auf der To-Do-Liste oder grübeln noch über ein Gespräch nach, das wir vor zwei Tagen geführt haben. Die Momente, in denen wir wirklich im Hier und Jetzt sind, sind eher selten. Allerdings sind das auch die Momente, in denen wir die Zeit nicht wahrnehmen, sondern den Augenblick genießen. Sollten wir also nur nach Kairos leben?
Nein, denn es braucht immer die Balance. Wir können nicht ausschließlich im Moment leben, aber wir können auch nicht ausschließlich Chronos hinterher jagen. Sowohl die Quantität unserer Zeit als auch die Qualität ist wichtig. Deswegen finden Sie hier einige Tipps, die Ihnen beim Sowohl-als-Auch zu helfen. Wie können Sie mit Kairos und Chronos mehr Resilienz im Alltag leben?
Tipps für resilientes Kairos im Leben:
Eine To-Feel-Liste anlegen
Wir kennen alle die Liste jener Dinge, die wir jetzt sofort oder in naher Zukunft erledigen und abarbeiten müssen. Diese eine wichtige E-Mail beantworten, Slides für einen Vortragvorbereiten, Einkaufen oder Fensterputzen…. Hier gibt es unendlich viel Besipiele. Aber was würde auf Ihrer To-Feel-Liste stehen? Was sind Punkte, die Sie im Alltag erleben, also fühlen, möchten? Zum Beispiel könnten auf dieser Liste einige der Super-Ressourcen stehen. So legen Sie den Fokus automatisch auf Augenblicke, die einen „günstigen Zeitpunkt“ repräsentieren.
Ich – Hier – Jetzt – Das Kairos-Mantra
Manchmal, besonders in Situationen, in denen wir Stress spüren, richtet sich unser Fokus automatisch auf Chronos. In solchen Zeiten, oder aber auch einfach mal stressfrei zwischendurch, bietet sich eine bestimmte Wortfolge an, die Sie sozusagen als Kairos-Mantra nutzen können. Die Worte sind „Ich“, „Hier“ und „Jetzt“. Sie können Sie laut oder leise für sich im Kopf aufsagen, in beliebiger Reihenfolge und gerne auch in der Variation mit der Betonung. Je nachdem, wer, wo oder wann anders sie gerade waren. Mit diesem Tipp nutzen und trainieren Sie Ihre Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und zur Achtsamkeit – beides zentral für eine hohe Resilienz.
„Leben ist das was passiert, während du damit beschäftigt bist, andere Pläne zu machen“
Das ist ein Zitat aus dem Lied „Beautiful Boy“ von John Lennon. Die Gelegenheit beim Schopfe zu packen, also Kairos zu nutzen, bedeutet auch sich von den Plänen, die wir im Alltag immerzu machen, lösen zu können. Wenn wir Spontanität zulassen, können wir Momente genießen, die wir so nicht planen konnten. Mit anderen Worten, wer nur nach der Uhr lebt, verpasst das halbe Leben. Natürlich soll jetzt nicht nur alles aus einer Lust und Laune heraus entstehen. Aber probieren Sie einmal aus, nur das Minimum des Tages als Ablauf zu planen, und schauen Sie, welche günstigen Gelegenheiten sich Ihnen bieten.
Tipps für resilientes Chronos im Leben:
Planen von Pausen
Pausen sind extrem unterschätzt, wenn es um ihre Wirkung auf Regeneration geht. Wir wissen alle, dass wir irgendwann am Abend oder in der Nach schlafen gehen, um die Batterie neu zu laden. Doch dass wir das auch mitten in unserem durchgetakteten Alltag tun sollten, setzen viel zu wenige praktisch um. Um also Chronos aktiv für ein stressfreieres Leben zu nutzen, planen Sie sich Pausen ein. Und zwar nicht nach einer festen Uhrzeit, denn zu häufig kommt dann etwas dazwischen, sondern eher nach alltäglichen Routinen. Sie wissen, dass Sie um 10 Uhr eine Tasse Kaffee wollen? Verbinden Sie das mit einer kleinen Pause, am besten im Grünen.
Beschäftigung mit dem Tod
Das mag jetzt vielleicht erstmal makaber klingen, aber es hat etwas unglaublich heilsames, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinander zu setzen. Das Ende der Lebenszeit nicht als etwas Dunkles, Unaussprechliches und erst recht Undenkbares als eine Tatsache zu akzeptieren, befreit von dem Joch, dass Chronos uns manchmal auferlegt. Wir planen und vor allem wertschätzen wir Zeit anders, mit dem Gedanken, dass unsere Zeit auf der Erde begrenzt ist. Tools wie ein Lebenskalender helfen, Themen noch einmal anders zu priorisieren.
Timer setzen
Wenn wir eh schon so sehr nach der Uhr leben, können wir es auch aktiv einsetzen. Zum Beispiel mit sogenannten Fokuszeiten. Setzen Sie sich einen Timer auf eine halbe Stunde und stellen Sie in der Zeit alle Benachrichtigungen stumm. Diese 25 Minuten arbeiten Sie fokussiert an einer bestimmten Aufgabe. Nach Ablauf der Zeit machen Sie fünf Minuten Pause. Vielleicht kennen Sie auch die Pomodoro-Technik, die diesem Vorgang sehr ähnlich ist.
Wohin die Balance von Kairos und Chronos führt
Weder nur nach dem Ticken der Uhr zu leben noch ausschließlich im Moment zu leben, ist wirklich förderlich für die Resilienz. Es braucht eine Balance – ein Sowohl-als-Auch. Abschließend finden Sie hier vier Punkte, wie die Betrachtung, bzw. Beachtung von Kairos und Chronos hilfreich für Ihre innere Widerstandskraft gegen Stress sein kann.
Achtsamkeit und Gegenwärtigkeit:
Die Fokussierung auf Kairos kann uns helfen, im Hier und Jetzt präsent zu sein. Resilienz erfordert die Fähigkeit, mit Herausforderungen umzugehen und sich anzupassen. Indem wir uns auf den gegenwärtigen Moment konzentrieren, können wir unsere Achtsamkeit schärfen und besser auf die aktuellen Bedürfnisse und Gegebenheiten reagieren.
Reflexion und Lernen aus der Vergangenheit:
Chronos ermöglicht es uns, die Vergangenheit zu betrachten und daraus zu lernen. Resilienz beinhaltet die Fähigkeit, Rückschläge zu bewältigen und sich von ihnen zu erholen. Durch die Betrachtung vergangener Erfahrungen können wir Muster und Lektionen identifizieren, die uns helfen, besser mit zukünftigen Herausforderungen umzugehen.
Chancen erkennen und nutzen:
Kairos spielt eine Rolle bei der Wahrnehmung und Ergreifung von Chancen. Resilienz heißt auch, in schwierigen Zeiten Möglichkeiten zu finden und sie zu nutzen. Indem wir uns auf den „günstigen Moment“ konzentrieren, können wir Situationen erkennen, in denen wir unsere Stärken einsetzen und positive Veränderungen bewirken können.
Flexibilität und Anpassungsfähigkeit:
Die Betrachtung von Kairos und Chronos zusammen hilft uns, eine Balance zwischen Flexibilität und Planung zu finden. Resilienz ist die Fähigkeit, sich anzupassen und gleichzeitig auch eine gewisse Struktur zu haben. Indem wir uns bewusst sind, wann es an der Zeit ist, flexibel zu sein und wann es wichtig ist, einen planvollen Ansatz zu verfolgen, können wir unsere Resilienz stärken.
Die Betrachtung von Kairos und Chronos ist also eine Möglichkeit, verschiedene Aspekte der Zeit in Bezug auf Resilienz zu berücksichtigen. Indem wir sowohl die Vergangenheit als auch den gegenwärtigen Moment und die Chancen der Zukunft beachten, können wir unsere Fähigkeit zur Resilienz entwickeln und stärken.
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Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 200 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de).
Mit dieser Zeit ist es so eine Sache. Zeit kann unter vielen Aspekten beleuchtet werden: Philosophie, Physik, Uhrzeit und noch mehr. In der griechischen Mythologie muss man blitzschnell sein und „die Gelegenheit am Schopfe packen“ – und zwar deshalb, weil Kairos (die günstige Gelegenheit) einen kahlen Hinterkopf hat, diesen Kairos muss man deshalb sofort von vorne packen. Chronos war nie Bestandteil einer Volksreligion, personifiziert jedoch die Zeit selber. Was die Zeit betrifft, so gibt es auch den Tag mit 24 Stunden. In der griechischen Mythologie wird der Tag von Hemera personifiziert.
Im Kielwasser von KRONOS und KAIROS – zwei ehrwürdigen Wörtern zum Stichwort Zeit aus der griechischen Mythologie – schuf moderne naturwissenschaft Wörter wie Halbzeit und Zwischenzeit.
Vom gesamten Zeit-Salat ist nur das Wort ‚Zwischenzeit‘ wichtig. Es verweist ‚die ganze Naturwissenschaft‘ ins Museum, ins Abseits oder ins Jenseits.
Ihre anschaulich servierte Ableitung zur Resilienz ließ außen vor jene Kraft, die wir mit dem Wort „Wille“ als geistige Kraft kennen. Sie ist zwingend angewiesen auf die Existenz von lebendigem LEBEN. Und ohne Willen können sich auch Naturwissenschaftler keine Tasse Kaffee einschenken.
Zurück zur Zwischenzeit. Diese existiert nur als Wort – und ohne jegliche zeitliche Ausdehnung – zur Trennung von (noch) imaginärer Zukunft und (wieder total toter) Vergangenheit, welche zusammengesetzt „die Zeit“ sind. Nicht aber „das SEIN“.
Mit anderen Worten: nur in der Zwischenzeit existiert lebendiges Leben – ohne zeitliche Ausdehnung. Sie ist eine punktförmige Gemeinsamkeit mit der Transzendenz.
Zugegeben, das passt nicht in die Köpfe jener Leute, die Zeit definieren als das, was die Uhr misst. Ich hoffe, Sie gehören nicht dazu.
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Herzliche Grüße
Jürgen Friedrich