Emotionsregulation ist die Fähigkeit, unsere Emotionen bewusst zu beeinflussen, sodass sie uns nicht überwältigen oder lähmen. Sie spielt eine zentrale Rolle für unser Wohlbefinden und unsere Resilienz – die psychische Widerstandskraft gegenüber Stress und Krisen. Ohne Emotionsregulation könnten uns starke Gefühle wie Angst, Wut oder Trauer aus der Bahn werfen.
Wer seine Emotionen jedoch gut regulieren kann, bleibt in schwierigen Situationen handlungsfähig, trifft bessere Entscheidungen und stärkt seine psychische Widerstandskraft. Emotionsregulation ist daher eine essenzielle Fähigkeit für ein gesundes und erfülltes Leben.
Warum brauchen wir Emotionsregulation?
Emotionen sind ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens. Sie helfen uns, Bedeutung in Erlebnissen zu finden, unser Verhalten zu steuern und zwischenmenschliche Beziehungen zu gestalten. Freude motiviert uns, schöne Momente zu genießen, Angst warnt uns vor Gefahren, und Wut signalisiert, wenn eine Grenze überschritten wurde. Doch so wertvoll alle Emotionen (die angenehmen, wie die unangenehmen) auch sind – sie können uns auch überfordern, wenn sie zu intensiv oder unkontrolliert auftreten.
Brauchen wir immer Emotionsregulation?
Eine wichtige Frage, die wir vorweg klären sollten, ist, wann wir überhaupt Emotionsregulation brauchen. Müssen wir immer alle Emotionen regulieren? Die Antwort darauf ist ein klares „nein“. Das ist weder sinnvoll noch gesund. Denn Emotionen haben eine wichtige Funktion: Sie geben uns wertvolle Hinweise auf unsere Bedürfnisse, Grenzen und die Bedeutung von Ereignissen. Eine übermäßige Kontrolle oder gar Unterdrückung von Emotionen kann langfristig sogar schädlich sein, da sie sich dann unbewusst aufstauen oder in psychosomatischen Beschwerden äußern können.
Wann wir Emotionen nicht regulieren müssen:
- Wenn eine Emotion eine natürliche und gesunde Reaktion auf eine Situation ist (z. B. Trauer nach einem Verlust, Freude über einen Erfolg).
- Wenn wir unsere Gefühle erkunden und verstehen wollen, anstatt sie sofort zu verändern (z. B. Achtsamkeit gegenüber Ärger, um herauszufinden, was er uns sagen will).
- Wenn Emotionen uns helfen, authentisch zu sein und tiefere soziale Verbindungen zu schaffen (z. B. ehrliche Freude oder Mitgefühl zeigen).
Wann Emotionsregulation sinnvoll, hilfreich und nützlich ist:
- Wenn eine Emotion so stark wird, dass sie unsere Handlungsfähigkeit einschränkt (z. B. Panik in einer Prüfungssituation).
- Wenn sie zu impulsiven, möglicherweise schädlichen Handlungen führt (z. B. ein Wutausbruch bei der Arbeit).
- Wenn eine Emotion langfristig belastend wird und unser Wohlbefinden beeinträchtigt (z. B. anhaltende Angst oder Traurigkeit ohne konstruktiven Umgang damit).
- Wenn wir in einer sozialen oder professionellen Situation angemessen reagieren möchten (z. B. sachlich bleiben in einem Konfliktgespräch).
Wenn Emotionsregulation fehlt
Eine ausgewogene Emotionsregulation hilft uns, weder von unseren Gefühlen überwältigt zu werden noch sie unbewusst zu unterdrücken – sondern bewusst mit ihnen umzugehen. Eine hohe Regulationsfähigkeit hat nicht nur viele Vorteile für die Resilienz, sondern verhindert dauerhaft auch gravierende Nachteile. Wenn wir unsere Emotionen nicht regulieren – entweder weil sie uns überwältigen oder weil wir sie unterdrücken –, kann das langfristige negative Auswirkungen haben: auf körperlicher und psychischer Ebene.
Kurzfristige Auswirkungen
Auf kurze Sicht hat fehlende Emotionsregulation vor allem impulsive Reaktionen und Kontrollverlust zu Folge. Besonders intensive und unangenehme Emotionen können zu ungewolltem Verhalten führen. Zum Beispiel:
Ärger: Wenn Ärger, in intensiver Form Wut, unreguliert bleibt, kann sie sich in Aggression äußern – verbal und auch physisch. Das schädigt häufig Beziehungen, verschärft Konflikte oder bringt legale Schwierigkeiten mit sich. Darüber hinaus konnten Studien zeigen, dass nur fünf Minuten dysfunktionaler Ärger bis zu fünf Stunden das Immunsystem schwächt (Rein, Atkinson, & McCraty, 1995).
Angst: Unkontrollierte Angst kann dazu führen, dass wir Situationen meiden, die uns herausfordern würden, was langfristig unsere Entwicklung hemmt. Ein Beispiel ist Prüfungsangst: Wer Angst nicht regulieren kann, vermeidet vielleicht wichtige Prüfungen oder Vorstellungsgespräche – und sabotiert damit seine eigenen Chancen.
Trauer: Wenn starke Emotionen wie Trauer oder Enttäuschung nicht bewusst verarbeitet werden, können sie uns lähmen. Man zieht sich zurück, gibt schneller auf oder fühlt sich von negativen Gedanken gefangen.
Langfristige Auswirkungen
Sehr problematisch wird es, wenn emotionale Reaktionen dauerhaft intensiv bleiben oder immer wieder durch ähnliche Situationen ausgelöst und nicht reguliert werden. Das kann zu ernsthaften psychischen Belastungen führen.
Chronischer Stress: Unsere Emotionen haben direkten Einfluss auf unser Nervensystem. Wenn wir uns nun ständig von unseren Emotionen überrollen lassen, dann bleibt unser Nervensystem in Alarmbereitschaft. Wir schütten dauerhaft Stresshormone aus, was dazu führt, dass wir schneller erschöpft sind und uns gereizt oder überfordert fühlen.
Damit einher gehen auch allerlei körperliche langfristige Auswirkungen wie Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Probleme, Magen-Darm-Probleme oder Schlafstörungen.
Angststörungen: Angst kann unreguliert dazu führen, dass sie sich selbst verstärkt. Vermeidungsverhalten als Konsequenz von Angst trägt dazu bei, Angststörungen aufrecht zu erhalten (Hofmann & Hay, 2018), weshalb eine ausgewogene Emotionsregulation zentral als Prävention und als Therapieelement ist.
Depressive Verstimmung: Unangenehme Emotionen können ohne entsprechende Regulation dazu führen, dass wir in negativen Gedankenschleifen hängen bleiben. Das ununterbrochene Grübeln kann dann zu depressiven Verstimmungen oder depressiven Episoden führen.
Was bedeutet Emotionsregulation?
Definitionen
Folgendes sagt die Wissenschaft zur Emotionsregulation:
„Emotionsregulation umfasst die Prozesse, durch die Individuen beeinflussen, welche Emotionen sie haben, wann sie sie haben und wie sie diese erleben und ausdrücken.“ (Gross, 1998)
„Emotionsregulation ist Teil des Coping-Prozesses, bei dem Individuen Strategien nutzen, um emotionale Reaktionen auf stressreiche Situationen zu beeinflussen, mit dem Ziel, Wohlbefinden zu bewahren oder wiederherzustellen.“ (Smith & Lazarus, 1990)
„Emotionsregulation beinhaltet die bewusste und unbewusste Steuerung von emotionalen Reaktionen, insbesondere in sozialen Kontexten, um angemessen zu handeln.“ (Ekman, 2003)
„Emotionsregulation ist kein separater Prozess, sondern ein fundamentaler Bestandteil der Emotionsbildung, da Emotionen nicht einfach ausgelöst, sondern aktiv durch das Gehirn konstruiert werden.“ (Feldmann Barrett, 2017)
Je nach wissenschaftlicher Perspektive wird Emotionsregulation entweder als bewusste Steuerung (Gross, Ekman), als Teil des (unbewussten) Coping-Prozesses (Lazarus) oder als integraler Bestandteil der Emotion selbst (Feldmann Barrett) verstanden.
Arten der Emotionsregulation
Wir können also davon ausgehen, dass es sich um einen teils bewussten oder auch unbewussten Prozess handelt, der letztendlich dazu führt, dass wir unsere Emotionen anders erleben. Aber was genau beinhaltet dieser Prozess? Um das genauer zu verstehen, müssen wir uns anschauen, wie Emotionen entstehen – und dazu müssen wir einen Schritt zurück machen.
Unser Körper leitet jegliche Signale, die wir im Innen und Außen wahrnehmen, an unser Gehirn weiter. Aus diesem komplexen Informationsfluss wird eine Zusammenfassung abgeleitet, die sich aus zwei Dimensionen zusammensetzt: Arousal (erregt oder ruhig) und Valenz (angenehm oder unangenehm). Diese beiden Kategorien bestimmen einen Affekt. Und in einem bestimmten Kontext ordnet unser Gehirn diese Affekte dann in Emotionskategorien ein, um ein angemessenes „Verhaltensprogramm“ in die Wege zu leiten. In Anlehnung an das Arousal-Valenz-Zirkumplexmodell (nach James Russell) haben Ruben Langwara und Sebastian Mauritz den Affektkompass entwickelt.
Ebenso wie Affekte lassen sich Emotionen subjektiv und individuell einteilen in Arousal – also wie aktivierend oder deaktivierend fühlt sich die Emotion an – und Valenz – wie angenehm oder unangenehm fühlt sie sich an – einteilen. Emotionsregulation kann daran angelehnt auf zwei Achsen stattfinden. Wir können die Intensität (welche sowohl aktivierende als auch deaktivierende Emotionen betrifft) regulieren und auch beeinflussen, wie angenehm oder unangenehm wir die Emotion spüren.
Wichtig zu beachten ist, dass beide Regulationsarten nicht strikt voneinander getrennt betrachtet werden dürfen. Wenn wir die aktivierende Energie eines heißen Ärgers herunter regulieren, ändert sich gleichzeitig auch die Bewertung der Valenz des Ärgers. Oder wenn wir ein enttäuschendes Erlebnis in ein neues Licht setzen, ändert sich nicht nur die Valenz, sondern steigert zum Beispiel auch wieder die Aktivität. Die Trennung der beiden Achsen dient für ein besseres Verständnis der Mechanismen von Emotionsregulation.
Arousal-Regulation
Das Arousal beschreibt das Maß an körperlicher und emotionaler Erregung, das mit einem Affekt oder eben einer Emotion einhergeht. Es gibt Emotionen, die aktivieren, zum Beispiel Angst, Ärger oder Stolz, aber auch jene, die eher deaktivieren, wie Dankbarkeit oder Trauer.
Ziel der Arousal-Regulation ist es, eine angemessene Handlungsfähigkeit zu gewährleisten. Denn wir können nur dann resilient reagieren und uns anpassen, wenn wir unsere Fähigkeit zur Selbstwirksamkeit bewahren.
Hier spielt unser autonomes Nervensystem (ANS) eine tragende Rolle. Das ANS lässt sich in zwei Hauptzweige unterteilen: Das sympathische Nervensystem und das parasympathische Nervensystem. Der Sympathikus, wie wir diesen Zweig auch nennen können, ist für die Erhöhung des Arousals zuständig. Das bedeutet, er befähigt und zu Kampf- oder Flucht-Reaktion. Der Parasympathikus ist als Antagonist dagegen für die Senkung des Arousals verantwortlich. Er fördert Entspannung und Regeneration.
Das bedeutet, wenn wir eine Emotion mit einem hohen Arousal regulieren wollen, müssen wir entweder den Sympathikus beruhigen oder den Parasympathikus aktivieren. Und umgekehrt, wenn eine Situation ein höheres Arousal erfordert, dann müssen wir den Sympathikus aktivieren und die Aktivität des Parasympathikus unterdrücken. Sie können sich gewissermaßen die beiden Nervensysteme wie ein Gaspedal und eine Bremse vorstellen.
Valenz-Regulation
Die Valenz eines Affekts oder einer Emotion beschreibt, ob wie ihn/sie als angenehm oder unangenehm empfinden. In vielen Modellen wird hier auch von positiven und negativen Emotionen gesprochen – das wollen wir explizit vermeiden. Alle Emotionen erfüllen für uns eine zentrale Aufgabe bei der Bedürfniserfüllung, sodass wir keine davon als „negativ“ bezeichnen wollen.
Bei der Konstruktion von Emotionen, die wir aus Affekten herausbilden, ist unsere Bewertung entscheidend. Es ist unsere Bewertung der Situation, die eine Emotion entstehen lässt. Valenz-Regulation bedeutet daher, unsere emotionale Reaktion zu beeinflussen, indem wir unsere Interpretation der Situation verändern.
Dieser Form der Emotionsregulation liegt ein neurobiologischer Mechanismus zugrunde. Bei der Bewertung von Situationen sind maßgeblich zwei Hirnstrukturen beteiligt. Auf der einen Seite die Amygdala. Die Amygdala ist eine kleine, mandelförmige Struktur tief im Gehirn und spielt eine Schlüsselrolle bei der Verarbeitung von Emotionen, insbesondere bei der Erkennung von Gefahren und negativen Reizen. Sie ist unser neuronales Alarmzentrum, das Einfluss auf das sympathische Nervensystem nimmt.
Auf der anderen Seite steht der präfrontale Cortex (PFC), als maßgebliches Steuerungszentrum. Der PFC ist der vordere Teil der Großhirnrinde, direkt hinter der Stirn, und er ist für bewusstes Denken, Selbstregulation und kognitive Kontrolle zuständig. Diese beiden Systeme haben die Macht, sich gegenseitig zu blockieren. Wenn die Amygdala sehr stark „feuert“ entzieht sie dem PFC die Ressourcen und wir sind dann vollkommen emotionsgesteuert. Allerdings kann auch der PFC die Amygdala dämpfen, wenn wir ihn gezielt aktivieren. Und das passiert bei der Valenz-Regulation.
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Wie funktioniert Emotionsregulation?
Schauen wir uns im Folgenden genauer an, wie wir diese beiden Formen der Emotionsregulation nutzen können, um unsere Resilienz zu stärken und unsere Gefühle im Alltag als Kraftquelle nutzen können, anstelle uns von ihnen fesseln zu lassen.
Das Arousal regulieren – sich beruhigen oder aktivieren
Wenn wir von Emotionsregulation sprechen, meinen wir häufig das Herunterregulieren einer intensiven Emotion mit einem hohen Arousal, zum Beispiel Wut oder Panik. Jedoch kann es je nach Situation auch hilfreich sein, das Arousal zu steigern, zum Beispiel bei Langeweile oder bei Trauer. Beginnen wir mit Tipps, die die Herunterregulation unterstützen.
Das emotionale Arousal senken
Ein hohes Arousal bedeutet, dass das sympathische Nervensystem sehr aktiv ist. Effektive Emotionsregulation bedeutet in dem Fall, den Sympathikus zu beruhigen, bzw. den Parasympathikus zu aktivieren.
Pausen einlegen
Eine Möglichkeit, die genau so simpel wie effektiv ist, ist das Einlegen einer Pause. Oft verstärken sich emotionale Reaktionen, weil wir in einer Dynamik aus Stress, Reizüberflutung oder negativen Gedanken gefangen sind. In solchen Momenten hilft eine bewusste Pause, um das emotionale Arousal zu senken und eine neue Perspektive zu gewinnen. Das gibt dem PFC Zeit, wieder die Kontrolle zu übernehmen und verhindert impulsive Reaktionen.
Ein guter Weg, eine Pause einzulegen und gleichzeitig noch weitere positive Effekte für den Stressabbau zu nutzen, ist ein kurzer Spaziergang. Bewegung baut Stresshormone ab und fördert eine ruhige Atmung. Darüber hinaus hilft der Blick in die Ferne für eine Defokussierung (nicht nur biologisch, sondern auch mental) und der Anblick von Natur, wenn möglich, hat einen zusätzlich regulierenden Effekt auf das Nervensystem.
Ein Glas Wasser trinken ist ebenfalls eine gute Möglichkeit eine Pause einzulegen, und gleichzeitig dem Körper etwas Gutes zu tun. Trinken ist tatsächlich ein parasympathisches Signal (Chen et al., 2018). Noch dazu ist es eine sehr unauffällige Methode der Emotionsregulation.
Egal, was Sie nutzen, um eine Pause zu machen, wichtig ist, dass Sie bewusst die von einer starken Emotion begleiteten Tätigkeit unterbrechen und sich damit die Möglichkeit geben, die Emotion zu verarbeiten, um einen klareren Kopf zu bekommen. Das ist immer dann sinnvoll, wenn Sie merken, dass Ihre Emotionen „hochkochen“, Ihre Gedanken sich im Kreis drehen oder Sie drohen, impulsiv zu reagieren.
Atmung (zur Senkung des Arousals)
Eine Technik, die sich immer und jederzeit umsetzten lässt, und daher nicht nur sehr einfach, sondern auch extrem praktisch ist, ist eine gezielte Atmung zur Herunterregulation. Eine tiefe, bewusste Atmung aktiviert direkt den Parasympathikus und senkt so die Herzfrequenz und das Arousal. Innerhalb weniger Minuten und ohne, dass jemand Außenstehendes es mitbekommen würde, können Sie Ihre Emotionen effektiv regulieren.
Es gibt viele verschiedene Varianten einer solchen beruhigenden Atmung – wir wollen Ihnen hier kurz zwei vorstellen. Eine Variante ist die sogenannte Resonanzatmung, weil durch sie der Atemzyklus in Resonanz mit der natürlichen Herzrhythmik gebracht wird. Und so geht’s:
- Atmen Sie 4 Sekunden durch die Nase tief in den Bauch ein.
- Atmen Sie 6 Sekunden durch die Nase oder den Mund langsam aus
- Wiederholen Sie diesen Vorgang mindestens sechs Mal.
Eine weitere Methode ist das Box-Breathing, dass durch die Navy-SEAL-Methode bekannt wurde. Diese Methode funktioniert wie folgt:
- Atmen Sie 4 Sekunden durch die Nase ein.
- Halten Sie 4 Sekunden den Atem an.
- Atmen Sie 4 Sekunden durch den Mund aus.
- Halten Sie 4 Sekunden den Atem an.
- Wiederholen Sie diesen Zyklus beliebig oft.
Wir atmen sowieso – dann können wir den Atem auch aktiv und bewusst dafür einsetzen, unsere Fähigkeit zur Emotionsregulation zu stärken. Diese Techniken eignen sich hervorragend in akuten Fällen von starken Emotionen, doch Sie können sie auch einfach mal zwischendurch einsetzen und üben. Je natürlicher sich Atemübungen für uns anfühlen, desto besser und zielführender können wir sie zur Emotionsregulation einsetzen.
Das emotionale Arousal heben
Nicht immer geht es darum, das emotionale Arousal zu senken – manchmal ist das Gegenteil hilfreich. Wenn wir uns antriebslos, traurig oder gelangweilt fühlen, kann eine bewusste Aktivierung des sympathischen Nervensystems helfen, wieder in Schwung zu kommen.
Atmung (zur Hebung des Arousals)
Die Atmung ist nicht nur ein unsichtbares und sehr praktisches Regulations-Tool, sondern auch vielseitig. Oder wohl eher „feel-seitig“ ;) Ein schneller, kraftvoller Atem kann nämlich auch das Gegenteil zum oben Beschriebenem bewirken und das sympathische Nervensystem stimulieren. So funktioniert das „Power-Breathing“ (ähnlich der Wim-Hof-Methode):
- Setzen oder stellen Sie sich aufrecht hin
- Atem Sie 30 Mal schnell und tief durch die Nase ein und durch den Mund aus.
- Nach der letzten Atmung halten Sie kurz inne, bevor Sie für ein paar Atemzüge normal weiteratmen
- Wiederholen Sie den Zyklus 2-3 Mal.
Bitte beachten Sie, dass Sie diese Übung nur insoweit ausführen, wie es sich für Sie gut anfühlt. Wenn Sie Schwindel bemerken oder Kurzatmigkeit, brechen Sie die Übung sofort ab.
Den Herz-Kreislauf anregen
Wenn wir unser Arousal steigern wollen, müssen wir unsern Herz-Kreislauf in Schwung bringen – klingt logisch. Hierfür eignet sich besonders gut Bewegung. Seil- oder Trampolinspringen, Hampelmänner, ein zügiger Spaziergang oder auch Tanzen. Bewegung regt in dem Sinne nicht nur das Herz an, sondern hat den Vorteil, Endorphine als körpereigene Glückshormone auszustoßen, was im wahrsten Sinne die Laune hebt.
Doch gerade bei Emotionen mit einem niedrigen Arousal kann es uns doppelt so schwerfallen, uns zur Bewegung aufzuraffen. Hierfür eignen sich Methoden wie eine kalte Dusche oder kaltes Wasser ins Gesicht, das stimuliert den Sympathikus direkt. Aber auch rhythmische, schnelle oder energetische Musik (120+ BPM) kann das autonome Nervensystem beeinflussen – insbesondere, wenn wir laut mitsingen oder tanzen.
Die Valenz regulieren – sich zentrieren
Emotionsregulation findet nicht nur auf der Aktivität-Achse statt, wir können auch bewusst beeinflussen, wie unangenehm wir Emotionen bewerten. Auch hier gilt eine Regulation in beide Richtungen. In den meisten Fällen wollen wir eine unangenehme Emotion regulieren, sodass wir sie als weniger störend empfinden, beispielsweise wollen wir weniger Frust nach einer verpassten Chance spüren. In manchen Fällen kann es jedoch auch förderlich sein, eine angenehme Emotion etwas weniger angenehm zu empfinden, zum Beispiel die wiederkehrende Freude nach geldintensiven Einkäufen.
Das bedeutet bei der Valenz-Regulation geht es in erster Linie darum, sich in Richtung des Zentrums des Affektkompasses zu bewegen. Das gelingt von beiden Richtungen aus vor allem, indem wir unsere Amygdala dämpfen und den präfrontalen Cortex aktivieren.
Achtsamkeit
Mittels Achtsamkeit schaffen wir es, emotionale Reaktionen aus einer beobachtenden Perspektive zu betrachten, anstatt uns von ihnen kontrollieren zu lassen. Studien zeigen, dass Achtsamkeit sowohl den dorsolateralen PFC anspricht, der für Selbstregulation und kognitive Kontrolle zuständig ist, als auch den ventromedialen PFC aktiviert, der emotionale Verarbeitung mit dem rationalen Denken verbindet (vgl. Tang, Hölzel, & Posner, 2015). Das reguliert die Amygdala-Aktivität und emotionale Reize werden neutraler bewertet.
Achtsamkeit lässt sich im Alltag trainieren und so in akuten Situationen effizient einsetzen. Folgen Sie diesen drei Schritten für eine Achtsamkeitspause:
- Stoppen und Wahrnehmen: „Was fühle ich gerade?“ (z.B. Angst, Stress, Frust) „Wo spüre ich es im Körper?“ (Herzschlag, Atem, Muskelspannung)
- Benennen und Distanzieren: z.B. „Ich bemerke meinen Ärger, aber ich bin nicht mein Ärger“ oder „Diese Emotion ist da und sie ist vorübergehend, ich kann sie loslassen“.
- Bewusst reagieren: „Wie will ich bewusst mit dieser Situation umgehen?“
Achtsamkeit im Alltag zu leben bedeutet nicht, mindestens eine Stunde täglich zu meditieren. Vielmehr geht es im Sinne einer gesunden Regulationsfähigkeit darum, sich seiner Emotionen bewusst zu werden und sich von ihnen zu lösen.
Kognitive Neubewertung
Die kognitive Neubewertung – im NLP auch „Reframing“ genannt – steuert ebenfalls direkt den PFC an (Ochsner & Gross, 2005). Es geht dabei darum, eine Situation oder Emotion bewusst neu zu interpretieren, um ihre emotionale Bedeutung zu verändern. Denn Emotionen entstehen nicht einfach, wir konstruieren sie aufgrund unserer Bewertungen, der Theorie nach Lisa Feldmann Barrett folgend.
Wir können Ihnen leider keine Anleitung zur Neubewertung geben. Stellen Sie es sich vor, als würden Sie eine leicht rosarote Brille aufsetzen. Es geht nicht darum, eine toxische Positivität an den Tag zu legen, sondern eine wohlwollendere Perspektive einzunehmen. Hier sind einige Beispiele:
Ausgangssituation: „Ich habe so viel zu tun, das überfordert mich.“
Reframing: „Ich habe viele Aufgaben, aber das bedeutet, dass ich gebraucht werde. Ich kann Schritt für Schritt vorgehen.“
Ausgangssituation: „Ich habe einen Fehler gemacht, ich bin einfach schlecht in dieser Sache.“
Reframing: „Dieser Fehler ist eine Gelegenheit zum Lernen. Beim nächsten Mal werde ich es besser machen.“
Ausgangssituation: „Ich kann das Projekt in einer Woche abschließen, kein Problem.“
Reframing: „Ich bin motiviert, aber realistisch betrachtet brauche ich mindestens zwei Wochen, um es in guter Qualität zu liefern.“
Ausgangssituation: „Liebe allein wird unsere Beziehungsprobleme lösen.“
Reframing: „Liebe ist wichtig, und eine gesunde Beziehung braucht auch Kommunikation und gemeinsame Anstrengung.“
Bei der kognitiven Neubewertung geht es nicht per Se darum, etwas positiv neu zu bewerten, vielmehr um eine realistisch optimistische Umdeutung, die dafür sorgt, dass wir unsere Amygdala beruhigen können, indem wir unsere kognitive Einschätzung einer Situation verändern.
Wozu verhilft uns Emotionsregulation im Kontext Resilienz?
Emotionsregulation ist nicht nur eine der wichtigsten Fähigkeiten für einen gesunden und erfolgreichen Alltag, sie ist ein zentraler Bestandteil der Resilienz. Resilienz verstehen wir als jene Anpassungsfähigkeit bei Problemen, Stress und Krisen, die uns dabei hilft, Herausforderungen nicht nur ohne psychische und körperliche Folgen zu überstehen, sondern auch persönlich daran zu wachsen.
Hier das Wichtigste in Kurz:
- Handlungsfähigkeit in schwierigen Zeiten: Wir können besser einen kühlen Kopf bewahren und kluge Entscheidungen treffen, statt impulsiv zu handeln.
- Schutz vor chronischem Stress: Stresshormone werden langfristig reduziert und das Nervensystem entlastet.
- Stärkere soziale Beziehungen: wir können klarer kommunizieren und konstruktiv in Konflikten bleiben.
- Flexibler Umgang mit Herausforderungen: Wir hängen nicht an unangenehmen Emotionen fest, sondern können unsere Denkweise anpassen und herausfordernde Situationen schneller meistern und verarbeiten.
Resilienz brauchen wir besonders dann, wenn wir mit schwierigen Situationen konfrontiert sind – genau solche Momente, in denen unsere Emotionen gerne auch so stark werden, dass sie uns unsere Handlungsfähigkeit nehmen. Emotionsregulation unterstützt dabei, trotzdem nicht impulsiv zu reagieren oder gar in eine Starre zu verfallen. Wir bleiben selbstwirksam, was dazu führt, dass wir nicht nur gelingend mit Herausforderungen umgehen können, sondern sie auch schneller bewältigen und uns besser anpassen können.
Diese schnellere Anpassung hat als Konsequenz, dass wir durch Emotionsregulation weniger Gefahr laufen, in chronischen Stress und einer permanenten Aktivierung des sympathischen Nervensystems zu verfallen.
Unsere sozialen Beziehungen profitieren ebenfalls von der Emotionsregulation – beruflich wie privat. Resilienz hängt davon unter anderem davon ab, ob wir ein stabiles soziales Netzwerk haben. Menschen mit einer guten Emotionsregulation können Konflikte konstruktiv lösen, empathischer kommunizieren und somit soziale Bindungen besser pflegen. Statt also in einem Streit den Ärger an das mentale Mikrophon zu lassen, können wir ruhiger und sachlicher bleiben.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Emotionsregulation macht uns widerstandsfähiger, indem sie hilft, kluge Entscheidungen zu treffen, Stress abzubauen, Erlebnisse bewusst zu verarbeiten und gesunde soziale Beziehungen zu pflegen.
Quellen
Feldmann Barrett, L. (2017). How emotions are made: The secret life of the brain: Pan Macmillan.
Chen, W., Chen, L., Chen, Z., Xiang, Y., Liu, S., Zhang, H., & Wang, J. (2018). Influence of the water-drinking test on intraocular pressure, Schlemm’s canal, and autonomic nervous system activity. Investigative Ophthalmology & Visual Science, 59(8), 3232-3238.
Ekman, P. (2003). Emotions revealed. Henry Holt.
Gross, J. J. (1998). The emerging field of emotion regulation: An integrative review. Review of general psychology, 2(3), 271-299.
Hofmann, S. G., & Hay, A. C. (2018). Rethinking avoidance: Toward a balanced approach to avoidance in treating anxiety disorders. Journal of anxiety disorders, 55, 14-21.
Ochsner, K. N., & Gross, J. J. (2005). The cognitive control of emotion. Trends in Cognitive Sciences, 9(5), 242-249.
Rein, G., Atkinson, M., & McCraty, R. (1995). The physiological and psychological effects of compassion and anger. Journal of Advancement in Medicine, 8(2), 87-105.
Smith, C. A., & Lazarus, R. S. (1990). Emotion and adaptation. Handbook of personality: Theory and research, 21, 609-637.
Tang, Y.-Y., Hölzel, B. K., & Posner, M. I. (2015). The neuroscience of mindfulness meditation. Nature reviews neuroscience, 16(4), 213-225.
Bildquelle: www.depositphotos.com: Nervensystem@VektorMine, Brains Human@releon8211, note:Pause@ginasanders, Young Women enjoying@halfpoint, Illustrationen: Dylan Sara
Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).