Charakterstärke Kreativität und Resilienz – Wie kreative Prozesse unsere Widerstandskraft stärken können

Für wie kreativ halten Sie sich? Die Chance besteht nämlich, dass Sie kreativer sind, als Ihnen bewusst ist. Wir alle haben die Veranlagung zum kreativen Denken und somit das Potenzial zum kreativen Handeln.

Kreativität zieht sich durch unsere Welt, sie ist nahezu überall zu beobachten, wenn Sie mit einem geschulten Blick nach ihr suchen. Kreativität ist nämlich nicht immer offensichtlich: Gerade im Alltag, der für viele von uns eher von Routinen geprägt ist, sehen wir sie oft nicht. Dabei ist sie im Kleinen wie im Großen in unserem Leben vorhanden. Deshalb können auch nahezu alle Aufgaben von effektivem kreativem Denken profitieren.

Kreativität kann dementsprechend bewusst oder unbewusst angewendet werden: Denn immer wieder laufen Dinge „nicht wie geplant“, weil z.B. Unvorhergesehenes passiert. Oder wir entscheiden, dass sich in unserem Leben etwas ändern soll. Beide Situationen erfordern eine gewisse Flexibilität, Offenheit und Kreativität, damit Sie neue, geeignete Lösungen für bisher unbekannte Probleme finden können. 

Warum ist die Charakterstärke Kreativität wichtig für die eigene Resilienz?

Gerade in der heutigen sich schnell verändernden Welt und damit einhegenden Unsicherheiten ist nicht nur die Resilienz, sondern auch die Kreativität eine wichtige Schlüsselkompetenz, die uns dabei unterstützt, uns an neue Anforderungen anzupassen, innovative Lösungen zu finden und somit Herausforderungen zu meistern.

Resilienz Akademie | Charakterstärke Kreativität und Resilienz – Wie kreative Prozesse unsere Widerstandskraft stärken könnenKreativität ist mehr als der Ausdruck künstlerischer Fähigkeiten, sondern auch ein wichtiger Faktor für die Entwicklung und Stärkung von Resilienz. Indem wir kreative Prozesse in unseren Alltag integrieren, können wir unsere psychische Widerstandskraft erhöhen und besser mit den Stressoren des Lebens umgehen.

Sich kreativ zu beschäftigen, zum Beispiel im Rahmen der Kunsttherapie, kann zu nachweislichen psychologischen Verbesserungen führen, z.B. indem bestehende Leiden gelindert werden. Darüber hinaus kann angewandte Kreativität im Alltag ein Ausdruck von psychischer Gesundheit sein und/oder ebendiese fördern. Es ist auch davon auszugehen, dass Menschen eher dann kreativ werden, wenn sie sich schon glücklich und tatkräftig fühlen. Zwischen dem Wohlbefinden und der Kreativität scheint es also eng verknüpfte Wechselwirkungen zu geben.

Die Kreativität kann sehr eng mit Mechanismen, wie der adaptiven Emotionsregulation, dem Flow-Zustand, Sinnstiftung oder einem Wachstum durch die Bewältigung von Widrigkeiten einhergehen. Aus diesem Grund ist eine vollständige Abgrenzung unmöglich und schwer zu sagen, welche Faktoren genau zu den positiven Auswirkungen von kreativem Handeln führen (Elstein & Forgeard 2014).

Was macht die Charakterstärke Kreativität aus?

Kreativität ist eine der Charakterstärken, die in der positiven Psychologie unter den „Values in Action“ gefasst werden. Diese Charakterstärke findet sich innerhalb der Tugend „Weisheit und Wissen“ wieder, die auch Originalität und Einfallsreichtum umfasst.

Als kreativ gelten hier Personen, die einfallsreich sind und auf neue und ungewöhnliche Ideen kommen. Kreativität allein auf theoretischer Ebene zu praktizieren, reicht aber nicht aus. Diese Ideen müssen im nächsten Schritt auch angewandt und an die gegebene Situation angepasst werden, sodass durch diese positive Veränderungen ermöglicht werden. Kreative Handlungen sind also das Gegenteil von automatisierten Abläufen, die sonst in unserem Alltag sehr präsent sind. Sie verkörpern Neues in der Kombination mit Nützlichkeit (Peterson & Seligman 2004).

Kreatives Denken ist dementsprechend eng mit der Prospektion, der Vorstellung möglicher Zukünfte, verknüpft, da dabei von einem Ist- zu einem Soll-Zustand gedacht wird und dabei verschiedene Szenarien imaginiert werden (Elstein & Forgeard 2014).

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10 Prüfkriterien für Kreativität

Peterson und Seligman stellten für jede Charakterstärke 10 Prüfkriterien auf, die auf die jeweilige Eigenschaft zutreffen muss, damit sie als Charakterstärke bezeichnet werden darf. Um ein besseres Verständnis über den Begriff der Kreativität in diesem Kontext zu erlangen, werden diese kurz beschrieben:

Kriterium 1:

Kreativität ist erfüllend und lösungsorientiert, denn etwas aus intrinsischer Motivation heraus zu erschaffen, fühlt sich gut an.

Kriterium 2:

Sie wird in der Gesellschaft wertgeschätzt, denn diese ermöglicht Unterhaltung und Kultur, Schönheit, Eleganz oder schafft etwas, z.B. durch Erfindungen, das dem Allgemeinwohl dient.

Kriterium 3:

Kreativität geht nicht auf Kosten anderer: Sie dient auch dem Wohl anderer und ermöglicht positive Entwicklungen, indem Mitmenschen inspiriert werden zu eigenen kreativen Handlungen.

Kriterium 4:

Es gibt Begriffe, die das Gegenteil von Kreativität verkörpern und somit eine Abgrenzung erleichtern: Diese sind z.B. Langeweile, Monotonie, und Einfallslosigkeit.

Kriterium 5:

Kreativität ist wie eine Charaktereigenschaft: Das Level an Originalität, das Menschen aufweisen, bleibt meist eine relativ stabile Eigenschaft. Differenziert wird außerdem zwischen kreativer Exzellenz, wie sie bei einigen Künstler:innen der Fall ist, und alltäglicher Kreativität.

Kriterium 6:

Sie zeichnet sich durch Unverwechselbarkeit bzw. Einzigartigkeit aus: Die Kreativität kann keiner anderen Stärke zugeordnet werden, auch wenn sie mit den meisten vermischt werden kann.

Kriterium 7:

Für Kreativität gibt es berühmte Vorbilder, die durch besondere Exzellenz hervorstachen: z.B. Madame Curie, Bill Gates, Florence Nightingale.

Kriterium 8:

Es gibt kreative Wunderkinder: Über die Vorbilder hinaus gibt es auch weltberühmte Wunderkinder, wie z.B. Wolfgang Amadeus Mozart oder Anne Frank.

Kriterium 9:

Kreativität ist nicht immer gewünscht: Menschen lieben zwar Originalität, in unserer heutigen Welt ist sie aber gleichzeitig nicht immer vorhanden oder gefragt. Gründe dafür liegen in dem Wunsch nach Konformität. Dadurch lässt sich die Popularität vieler Trends erklären. Einförmigkeit und Monotonie ist außerdem ein natürlicher Teil des Lebens.

Kriterium 10:

Die Kreativität als erstrebenswerte Eigenschaft wird durch Institutionen und Rituale gefördert: Es gibt zahlreiche Einrichtungen, die kreative Exzellenz fördern. Auch Sie haben bestimmt schon einmal einen Kunstkurs, Musikunterricht, oder kreativen Schreibworkshop aufgesucht. Alltägliche Kreativität ist ebenso an vielen Stellen präsent, auch wenn diese weniger offensichtlich scheint. Diese kann z.B. auch in Haushaltstipps oder Anleitungen stecken (Peterson & Seligman 2004).

Wie Sie die Charakterstärke Kreativität fördern und welche Wirkung Sie dadurch erzielen können

Unsere Kreativität hängt eng mit unserem Problemlösungsverhalten, unserem Wohlbefinden und dem Erleben von Selbstwirksamkeit zusammen, die im Folgenden näher betrachtet werden.

Problemlösung

Resilienz Akademie | Charakterstärke Kreativität und Resilienz – Wie kreative Prozesse unsere Widerstandskraft stärken könnenResilienz und Kreativität haben einiges gemeinsam: zum Beispiel die Problemlösekompetenz.

Damit Menschen sich in Bezug auf Resilienz und Kreativität gut entwickeln können, ist es wichtig, diese schon früh zu fördern. Schüler:innen sollten frühstmöglich in ihrer Selbstständigkeit gefördert werden, damit sie lernen mit Schwierigkeiten umzugehen und an ihnen zu wachsen.

Kreativität erfordert dabei eine sichere Basis, wie stabilisierende Rahmenbedingungen, ebenso wie Freiräume, die auch Neues und Unkonventionelles zulassen und fördern.

Hier ist der Vergleich zum Explorationsverhalten, das bereits ab dem Säuglingsalter zu beobachten ist, hilfreich. Kinder möchten aus eigener Motivation heraus neue Erfahrungen machen und die Welt erkunden. Um sich dies zuzutrauen, benötigen sie aber eine sichere Bindung zu Bezugspersonen, die Unterstützung und Sicherheit geben können.

Von einem stabilen Ausgangspunkt aus, fällt es also leichter sich auf neue Erfahrungen und Ideen einzulassen und es bedeutet, dass Erholungs- und Rückzugsräume greifbar sind. Es bestehen also durchaus wechselseitige Beziehungen zwischen verschiedenen Faktoren, die die Kreativität fördern. Denn Selbstwirksamkeit, Wertschätzung und gesunde Beziehungen fördern Resilienz und Kreativität (Höflich 2016).

Steigerung des Wohlbefindens

Tägliches kreatives Handeln erhöht das Wohlbefinden, zum Beispiel indem Energielevel und Enthusiasmus zunehmen, Erschöpfung nachlässt und die allgemeine psychische Widerstandskraft erhöht wird.

An kreativen Zielen zu arbeiten, kann ebenso ein Zeichen dafür sein, dass es Menschen bereits gut geht und gleichzeitig die Kultivierung positiver Erlebnisse stärken.

Besonders spannend ist, dass tägliche kreative Handlungen wahrscheinlich einen positiven Effekt auf die meisten Menschen haben, unabhängig von der Persönlichkeit. Es ist also nicht erforderlich, eine sehr kreative Persönlichkeit zu sein, die besonders offen ist oder ein spezielles kreatives Talent hat, um von einem kreativen Hobby zu profitieren, dass das Interesse weckt und hin und wieder ausgelebt wird. Auch kleine Aha-Momente zu erleben oder sich mit einem kreativen Hobby zu beschäftigen, sind bereits begünstigend für und gleichzeitig Folgen eines positiven menschlichen Funktionierens.

Eine individuelle Gestaltung der eigenen Kreativität ist sinnvoll, denn manche Menschen können mehr von kreativen Hobbys profitieren, die gemeinsam mit anderen Menschen ausgeübt werden.

Andere wiederum könnten mehr von ruhigeren Einzelaktivitäten, wie Schreiben, profitieren (Conner et al 2018).

Selbstwirksamkeit

Die angewandte Kreativität kann unmittelbar die Selbstwirksamkeit steigern. Wenn Probleme durch eigenes Handeln konstruktiv gelöst und dadurch positive Erlebnisse ermöglicht werden, wird das Wohlbefinden auch durch die dadurch erlebte Selbstwirksamkeit gefördert. Die Wechselwirkungen zwischen den vorgestellten Förderungsmöglichkeiten und Wirkungen liegen eng beieinander.

Eine vielversprechende Methode zur Steigerung der Selbstwirksamkeit und Resilienz bei Erwachsenen und Kindern, stellt zum Beispiel das narrative Kreativitätstraining dar. Mitilhilfe literarischer Techniken, die einen Perspektivwechsel, kontrafaktisches Denken (“Was wäre, wenn?”) und kausales Denken (“Warum?”) fokussieren, kann die Problemlösungsfähigkeit verbessert werden (Benveniste et al 2023).

Kreativität zu fördern, schult also auch Lebenskompetenzen und macht damit das Erleben von Selbstwirksamkeit wahrscheinlicher: Diese Charakterstärke kann die adaptive Prospektion fördern, indem sie die psychologische Flexibilität erhöht. Psychologisch flexibel zu sein, bedeutet, die eigenen Kognitionen, Emotionen und Verhaltensweisen effektiv an bestimmte Situation anzupassen. Dies wird erleichtert, wenn Menschen durch Kreativität lernen, neue und effektive kognitive, emotionale und Verhaltensstrategien für sich zu entwickeln (Elstein & Forgeard 2014).

Ausblick

In welchem Ausmaß durch kreative Denkweisen das Wohlbefinden gesteigert werden kann, hängt auch davon ab, ob dieses im Kontext der persönlichen Situation, dem eigenen mentalen Zustand oder eines Problems angewandt wird. Die Frage, die wir uns an dieser Stelle, beantworten sollten, ist:

Wie können Sie in für Sie wichtigen Bereichen Ihre Kreativität im Denken und Handeln mehr fördern?

Dabei ist auch zu beachten, dass auch die Kreativität in einem ausbalancierten Verhältnis und der Situation entsprechend ausgelebt werden sollte, damit ihre Vorteile optimal genutzt werden können. Ein Übermaß an Kreativität in einer Situation, die mehr Beständigkeit erfordert, könnte nämlich auch zu einer ungewünschten Impulsivität oder Instabilität führen (Elstein & Forgeard 2014) 

Quellen

Conner, T.; DeYoung, C.; Silvia, P (2018). Everyday creative activity as a path to flourishing

Elstein, J.; Forgeard, M. (2014). Advancing the clinical science of creativity

Benveniste, M.; Enciso, P.; Fletcher, A. (2023). Narrative creativity training. A new method for increasing resilience in elementary students

Höflich, S. (2016). Können Probleme kreativ und stark machen? Problemlösekompetenz als gemeinsamer Nenner von Resilienz und Kreativität

Peterson, C.; Seligman, M. (2004). Character Strengths and Virtues. A Handbook and Classification. Oxford University Press Vol. 25

Bildquelle: www.depositphotos.com: Clarifying complex ideas theme with light bulb@Melpomene, Artist with paintbrush mixing oil paints@pressmaster, Watercolor brain creativity concept illustration@whatawin, A dice with light bulb symbols@izzuanroslan

Resilienz Akademie | Charakterstärke Kreativität und Resilienz – Wie kreative Prozesse unsere Widerstandskraft stärken könnenMoana Neumann, staatlich anerkannte Sozialarbeiterin (B.A.), ist freie, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz-Akademie. Seit Juni 2024 ist sie unterstützend in der Recherchearbeit tätig und beschäftigt sich mit wissenschaftlichen Aspekten der Resilienz. Diese Erkenntnisse bündelt sie auch in Blog-Artikeln, die sie für die Resilienz-Akademie verfasst.
Ihre Themen-Schwerpunkte lagen bereits im Bachelor-Studium im Bereich der Stärkenarbeit, unter anderem durch die Mitarbeit im Stärkenlabor der HAWK. Praxiserfahrungen sowie Theorien zusammenzubringen und eine leichte Anwendbarkeit von Methoden sind für sie zentral. Auch das systemische Denken und die Neugier auf Innovationen sind ihr in der Arbeit wichtig. So absolvierte sie 2023 eine Weiterbildung zur Schreibtherapeutin und bildet sich nach zweijähriger Berufstätigkeit erneut im Master „Gesundheit und Innovation in der Sozialen Arbeit“ weiter.


Sebastian Mauritz - Resilienz-Akademie

Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).

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