Kennen Sie das Gefühl, wenn im Job alles auf einmal zusammenkommt und Deadlines, interne Konflikte, mangelnde Ressourcen und eine herausfordernde Aufgabe gleichzeitig Druck ausüben? Hier passt diese wundervolle Wortneuschöpfung „Stresskalation“ sehr treffend – wenn Stress eskaliert und nicht mehr bewältigbar wird.
Dieses Gefühl kennen Angestellte ebenso wie Führungskräfte. Doch es sind die Führungskräfte, die einen großen Beitrag dazu leisten können, dass es eben nicht zur Stresskalation kommt. Sie können mentale Gesundheit am Arbeitsplatz fördern.
Warum Stresskalationen keine Seltenheit sind
Stress am Arbeitsplatz ist verständlich. Schließlich leben wir in einer Welt, die brüchig, ängstlich, non-linear und unverständlich ist. Die VUCA-Welt ist zur BANI-Welt geworden, und das ruft Stress in besonderem Maße hervor. Gerade in und nach der Corona-Krise stehen viele Arbeitnehmende wie Arbeitgebende vor großen Herausforderungen. Und das gilt sowohl für jene, die nach Beschäftigungspause oder -verlust wieder in die Arbeitsroutine einsteigen als auch jene, die im Lockdown tätig waren.
Es ist also allein durch die gerade vorhandene Situation eine Basis an Stress da, die durch die alltäglichen Stressoren im Arbeitsalltag das Fass regelrecht zum Überlaufen bringen. Aber was passiert, wenn das Fass überläuft?
Die Auswirkungen von Stress(kalation)
Nun müssen wir zwei Arten von zu viel Stress unterscheiden. Denn wie wir es von einer Eskalation in anderen Kontexten, wie beispielsweise einem Streit, gewohnt sind, kann es zu einem kurzen emotionalen Ausbruch kommen und beruhigt sich dann vergleichsweise schnell. Die Gemüter kochen kurzzeitig hoch und was danach übrig ist, muss „aufgekehrt“ werden. Auch das kann bei einer Stresskalation passieren. Schneller, sehr hoher Stress führt zu einem kurzzeitigen Zusammenbruch der Fassade.
Allerdings steht bei dieser Variante von viel Stress die Chance auf eine gute Regulation relativ hoch. Das System kann sich in der Regel wieder fangen und Stress mental wie körperlich zeitnah abbauen. Problematisch wird es, wenn die Stresskalation zum Dauerzustand wird. Dann sprechen wir von chronischem Stress. Dieser hat weitreichende Folgen auf unsere Regulationsfähigkeit und damit auch auf die psychische wie physische Gesundheit. Dieser Stress ist Antreiber für innere Kündigungen, Leistungsabfall und Burn-out.
Obwohl das Wohlbefinden von Mitarbeitenden sowie die innere Bindung zum Unternehmen eher im Verantwortungsgebiet des Gesundheitsmanagements und der HR (Human Resources)-Abteilung liegen mag, haben Führungskräfte eine Schlüsselfunktion. Sie sind es, die eine Kultivierung von Wohlbefinden und Resilienz im Unternehmen tragen.
Wie Führungskräfte Stresskalationen vermeiden – und Gesundheit fördern
Das Forbes Magazin hat vier konkrete Schritte identifiziert, wie Führungskräfte Wohlbefinden im Team stärken und Gesundheit fördern können. Hier finden Sie eine Zusammenfassung dieser vier Schritte:
Die eigene Rolle bei der Stresskalation erkennen
So hart das auch klingen mag: Führungskräfte sind eine der treibenden Kräfte in der Stresskalation. Natürlich sind auch Führungskräfte nicht gefeit vor Stress. Und so kann es dazu kommen, dass dieser Druck nach „unten“ weitergegeben wird. Projekte bekommen einen falschen Eindruck von Dringlichkeit, Zeiten werden nicht eingehalten, oder der Tonfall wird deutlich härter. Das wirkt sich auf die Mitarbeitenden aus, Stress führt zu Stress führt zu Stress – und voilà: Stresskalation.
Diesen rollenden Schneeball aufzuhalten ist oft einfacher gesagt als getan. Zumal es als Führungskraft durchaus auch vorkommt, Teil der Stresskalation eines anderen zu sein und den Stress ebenfalls von oben abzubekommen. Doch das darf keine Entschuldigung sein, den Plumpssack einfach weiterzureichen. Hier spielt die individuelle Resilienz und Regulationsfähigkeit eine maßgebende Rolle.
Umgang mit neuen Arbeitsformen
An vielen Arbeitsplätzen hat das „notgedrungene“ Home-Office nun einen Status erreicht, der auch über die Pandemie hinaus als Arbeitsform akzeptiert wird. Das bedeutet aber auch, dass die alten Strukturen sich reorganisieren müssen. Denn dieses hybride Arbeiten ist nicht einfach eine neue Variante zu arbeiten, sondern muss als völlig neue Art betrachtet werden.
Das bedeutet besonders für Führungskräfte die Aufgabe, den Rahmen für diese neue Arbeitsform zu schaffen – nicht nur auf technischer, sondern vor allem auf menschlicher Ebene. Hier ist werteorientierte und wertschätzende Kommunikation gefragt, um die Bedürfnisse der Arbeitnehmenden zu erfassen und an die Wünsche der Kund:innen und Klient:innen anzupassen.
Selbst agieren
Bei all den agilen Arbeitsformen passiert es nicht selten, dass in herausfordernden Situationen wohlmeinende Führungskräfte sich auf die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden stützen. Schließlich ist diese Selbstwirksamkeit ein wichtiger Faktor für eine gesunde und motivierende Arbeit. Doch gerade in Zeiten, die von Unsicherheit geprägt sind, kann das eher zu noch mehr Stress führen anstelle eines Kompetenzerlebens. Hier braucht es das Agieren von Führungskräften, die eine klare Leitlinie aufzeigen.
So ist es wichtig, ein gutes Mittelmaß an Stabilität ermöglichenden Strukturen zu geben und gleichzeitig Freiheit im Team zu ermöglichen.
Kultivieren Sie Gesundheit als Teil der Organisation
Das Wort Nachhaltigkeit erfährt im Rahmen der Klimakrise einen regelrechten Boom. Doch auch für Organisationen ist Nachhaltigkeit ein wichtiger Faktor. Nicht nur in Bezug auf Aspekte wie Klimaneutralität, sondern vor allem aus ökonomischer Sicht. Im „War for Talents“ und dem sich weiter ausbreitenden Fachkräftemangel ist es wichtig den Fokus auf die Nachhaltigkeit in der Personalführung zu legen. Und hierbei ist der Faktor Gesundheit maßgeblich.
Gerade die Pandemie hat uns gezeigt, dass die Bewahrung von Gesundheit sehr konkret in der Verantwortung der Arbeitgebenden liegt. So liegt es auch in Bezug auf Stress in den Händen der Führungskräfte Gesundheit, Resilienz und Stressmanagement als Teil der Organisation nicht nur zu etablieren, sondern auch zu kultivieren. Das Vorleben dieser Qualitäten ist ein wichtiger Schritt dabei.
Führungskräfte machen den Unterschied
Der Stressreport Deutschland 2019 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zeigt deutlich auf, dass Beschäftigte, die ressourcenvolles Handeln Ihrer Vorgesetzten erleben (in Form von Unterstützung oder Anerkennung), deutliche gesundheitliche Vorteile hatten. Verglichen mit Beschäftigten, die diese Führungsressourcen nicht erhielten, waren sie signifikant seltener körperlich oder emotional erschöpft und fehlten auch deutlich weniger krankheitsbedingt.
Stresskalationen zu vermeiden ist daher nicht nur aus zwischenmenschlicher Sicht sinnvoll, sondern auch aus wirtschaftlicher. Statt also die Ressourcen darauf zu verwenden, Krankheitsausfälle auszugleichen und mit einer stressbedingten Reduktion an Kreativität und Produktivität umzugehen, sollte der Fokus auf der Vermeidung von Stresskalationen liegen. Zu viel Stress wirkt sich negativ auf das Wohlbefinden der Beschäftigten und damit auch negativ auf das gesamte Outcome der Organisation aus. Resiliente Führungskräfte können diesen Stresskreislauf stoppen und so Gesundheit, Wohlbefinden und Erfolg im Unternehmen stärken.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).