Warum uns zu viele Optionen überfordern und wie wir damit umgehen können
Wir leben in einer Welt, die uns gerade zu überhäuft mit Angeboten. In allen möglichen Bereichen sehen wir uns einer Vielzahl an Auswahlmöglichkeiten ausgeliefert, sei es Politik, Medien, Konsumgüter oder Dienstleistungen. Ein großer Vorteil des kapitalistischen Systems, schließlich können wir so das Beste für uns heraussuchen.
Doch damit einher geht auch die „Qual der Wahl“, wie man so schön sagt. Zu viele Optionen stressen uns, insbesondere wenn es um wichtige Entscheidungen geht. Warum uns die Flut an Möglichkeiten überfordert und was wir dagegen tun können, lesen Sie im folgenden Text.
Entscheidungen sind großer Bestandteil des Lebens
Meist bemerken wir es im Alltag nicht, doch wir fällen permanent Entscheidungen. Was frühstücke ich, welchen Weg nehme ich zur Arbeit, welche Aufgabe bearbeite ich zuerst, etc. Solche Entscheidungen stressen uns in der Regel kaum. Allerdings gibt es auch Entscheidungen, die sehr viel mehr belasten. Zum Beispiel müssen Führungskräfte Entscheidungen mit einer großen Reichweite treffen, und das über andere Köpfe hinweg.
Stress entsteht, wenn uns das Ergebnis der Entscheidung sehr wichtig ist und wir die bestmöglichen Folgen wollen. Wenn dann noch eine große Auswahl an Entscheidungsmöglichkeiten hinzukommt, passieren die typischen Stressreaktionen: Kampf, Flucht oder Starre. Das ist jedoch hinderlich, wenn man bedenkt, wie oft wir Entscheidungen treffen müssen, ob beruflich oder privat.
Zu viele Optionen überfordern
Jeder Mensch hat sich beim Einkaufen mindestens ein Mal überfordert gefühlt. Schließlich kann es einen durchaus umhauen aus 285 verschiedenen Keksen die Packung auszuwählen, die man möchte. Oft entscheiden wir dann aus Gewohnheit oder einem einfachen Kriterium wie dem Preis heraus. Oder wir lassen die Kekse weg, weil wir uns nicht entscheiden können, und greifen stattdessen zur Lieblingsschokolade.
Doch wie kommt es, dass zu viele Optionen zu Stress führen und uns am Ende gar ganz von einer Entscheidung abhalten?
Das Auswahl-Paradox (oder Choice overload)
Dass uns eine große Auswahl einschüchtert und die Entscheidungsfindung hindert, machten Sheena Iyengar und Mark Lepper in einer Feldstudie im Jahr 2000 besonders deutlich. Das Auswahl-Paradox beschreibt in aller Kürze den Grundsatz: „Weniger ist mehr“. In der Studie zeigte, dass eine größere Auswahl an Marmeladen weniger zum Kauf führte als eine deutlich geringere. (Deswegen wird das Phänomen im Deutschen auch als Marmeladen-Paradox bezeichnet).
Die Gründe, warum die Kauflust schwindet, bzw. die Entscheidungsfindung so schwerfällt, sind unterschiedlich. Neurologen fanden heraus, dass die beiden Gehirnareale, die bei Entscheidungsprozessen aktiv sind, besonders auf eine Auswahl von 8-15 Optionen reagieren und die Aktivität bei mehr oder weniger Optionen geringer ist. Natürlich lässt sich diese optimale Anzahl an Möglichkeiten nicht auf alle Entscheidungsbereiche anwenden. Doch sie gibt einen Einblick, wann wir uns unter oder überfordert in der Entscheidungsfinden fühlen.
Entscheiden für sich und andere
Die Forschung geht also davon aus, dass viele Entscheidungsmöglichkeiten uns überfordern. Da hinzukommt, dass getroffene Entscheidungen bei vielen Optionen selten glücklich machen. Eine Studie aus dem Jahr 2012 von dem Marketingprofessor Evan Polman zeigte dagegen auf, dass die Überforderung davon abhängt, ob wir die Entscheidung für uns selbst oder für andere treffen.
Er führte mehrere Experimente zur Entscheidungsfindung durch, mit dem Ergebnis: Menschen sind glücklicher mit ihrer Entscheidung für sich selbst, wenn sie weniger Auswahl hatten. Sie sind glücklich mit der Entscheidung für andere, wenn sie eine große Auswahl hatten.
Der Unterschied kommt durch etwas zustande, das der Psychologe E. Tory Higgins „regulatorischen Fokus“ nennt. Das heißt, wenn wir für andere Entscheiden wollen wir sicher gehen, nichts zu übersehen und bevorzugen daher eine große Anzahl an Optionen. Eine große Auswahl bedeutet eine große Chance auf die richtige Wahl (promotion focus). Bei uns selbst haben wir dagegen eher Angst vor Fehlentscheidungen, schließlich bedeutet eine große Auswahl auch eine große Wahrscheinlichkeit das Falsche zu wählen (prevention focus).
Stressfrei entscheiden mit Resilienz
Die Philosophin Renata Salecl spricht von der „Tyrannei der Wahl“, beim Versuch zu erklären, warum zu viele Optionen uns stressen. Überall haben wir Wahlmöglichkeiten, bekommen sie regelrecht aufgebrummt, was große Auswirkungen auf unser Denken hat.
Warum stresst uns entscheiden?
Es ist die Angst vor der Fehlentscheidung, die Stress auslöst, sobald wir uns mit zu vielen Möglichkeiten konfrontiert sehen. Diese Angst hindert uns am Ende ganz daran, uns für etwas zu entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit bei zahllosen Altersversorgungen beispielsweise die eine richtige zu finden, scheint schier unmöglich. Außerdem verunsichern uns große Angebote, da sie schwer zu überblicken sind. Schließlich kann die perfekte Option somit leicht übersehen werden.
Zudem haben wir oft gefühlt keine Kontrolle über die Konsequenzen einer Entscheidung. Sicher kennen Sie den Gedanken, dass ausgerechnet die Schlange, an der Sie sich angestellt haben, die langsamste von allen ist. Die Angst vor möglichen, unabsehbaren Konsequenzen, stresst daher zusätzlich.
Wie Resilienz bei Entscheidungsprozessen hilft
Da wir Entscheidungen nicht entkommen können und der Supermarkt nun mal 285 verschiedene Kekse anbietet, ist ein stressfreier Umgang mit Entscheidungen im Leben hilfreich. Eine starke Resilienz hilft nicht nur dabei, entstandenen Stress herunter zu regulieren, sondern auch sich vor zukünftigem Stress durch Entscheidungsprozesse zu schützen. Und das Schöne ist: Diese innere Widerstandskraft können Sie jederzeit trainieren und weiter ausbauen.
Resilient entscheiden mit der Affektbilanz
Eine Affektbilanz hilft dabei Entscheidungen nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Bauchgefühl zu treffen. Achten Sie auf Ihren Körper und verleihen ihm durch eine einfache Skalierung eine Stimme. Dazu zeichnen Sie zwei Skalen von 0-100 für jeweils eine Entscheidungsmöglichkeit nebeneinander. Eine steht für die angenehmen Gefühle und eine für die unangenehmen. Je höher der Wert, desto stärker das Gefühl.
So können Sie Ihre Gefühle strukturieren und sich selbst sichtbar machen, wie Sie den Entscheidungsmöglichkeiten vom Bauchgefühl her gegenüberstehen.
Akzeptanz stärken für stressfreien Umgang mit Entscheidungen
Haben wir uns erst einmal entschieden, müssen wir auch mit den Konsequenzen leben. Die Angst vor einer Fehlentscheidung lässt sich durch eine hohe (Selbst-)Akzeptanz reduzieren. Bauen Sie eine gute Beziehung zu sich auf und lernen Sie sich selbst bei Fehlentscheidungen zu verzeihen.
Statt sich über lange Wartezeiten an der Kassenschlange zu ärgern, können Sie zum Beispiel die geschenkte Ruhezeit wertschätzen. Nehmen Sie Ihre Umgebung bewusst wahr – Vielleicht haben Sie die Entschleunigung gerade sogar gebraucht.
Beenden Sie die Qual der Wahl!
Die Forschung zeigt, dass wir mit bis zu 12 Entscheidungsmöglichkeiten am besten umgehen können. Doch allein die Bestellung eines Kaffees bietet manchmal schon mehr Auswahlmöglichkeiten. Allerdings können Sie aktiv etwas gegen stressige Entscheidungen tun. Resilienz als Kernkompetenz für einen gesunden Umgang mit Stress unterstützt Sie dabei.
Versuchen Sie nicht alle Entscheidungen mit dem Kopf allein zu fällen, sondern beziehen Sie Ihre Intuition mit ein. Dadurch schaffen Sie Wohlbefinden, denn Körper und Geist stimmen dann öfter bei Entscheidungen miteinander überein. Achtsamkeitstraining ist hierbei sehr sinnvoll. Akzeptanz ist ebenfalls ein wichtiger Faktor der Resilienz, der Ihnen die Belastung zu vieler Auswahlmöglichkeiten abnimmt. Fehlentscheidungen werden als weniger schlimm wahrgenommen oder gar als Chance zur Weiterentwicklung angesehen.
Sie bewältigen die Stressreaktionen Ärger, Angst und Starre am besten, indem Sie sich selbst die Qual der Wahl abnehmen und Ihre Resilienz trainieren.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).