„Sei doch nicht so sensibel“ – ist ein Satz, der leider noch viel zu häufig ausgesprochen wird. Sensibilität wird von manchen Menschen und insbesondere in manchen Berufszweigen als Schwäche angesehen. Dabei verfügen Menschen, die besonders sensibel sind, über eine ganz besondere Ressource. Doch um diese Resonanzfähigkeit als Stärke nutzen zu können, müssen Menschen mit Hochsensibilität eine starke Resilienz aufbauen.
Warum manche Menschen die Welt anders wahrnehmen
Es klingt teilweise wie eine Superkraft: Es gibt Menschen, die eine höhere Wahrnehmungsfähigkeit haben, als gewöhnlich. Sie können Stimmungen und Emotionen bei anderen schneller und besser erfassen, verarbeiten Sinnesreize intensiver und haben eine bessere Intuition. Dr. Elaine Aron, eine der führenden Forscherinnen und Pionierin auf dem Gebiet der Hochsensibilität schätzt aufgrund ihrer umfangreichen Forschungen, dass etwa 15-20% der Weltbevölkerung hochsensibel sind.
Diese Menschen, die sie als „High Sensitive Person“ (HSP) bezeichnete, profitieren allerdings nicht ausschließlich von ihrer Veranlagung. Denn die hohe Reizverarbeitung kann auch zu einer schnelleren Erschöpfung und Überstimulation führen. Schmerz oder Stress werden ebenfalls intensiver wahrgenommen, sodass der Alltag hochsensible Menschen vor besondere Anforderungen stellt.
Es gibt mehrere Theorien, warum manche Menschen hochsensibel sind, und wie es dazu kommt. Ein Faktor scheint die Genetik zu sein, wie Studien herausstellen konnten (Acevedo et al., 2014). Die Forschung zeigt, dass es sich dabei um multigenetische Einflüsse handelt, anstelle von einem „Sensibilitätsgen“. Doch die Genetik ist nicht der einzige Faktor, auch Umweltfaktoren spielen eine Rolle. So kann eine behütete und sensible Erziehung die Effekte verstärken, ebenso wie traumatische Erlebnisse oder auch übermäßiger Stress in der Kindheit.
Was ist Hochsensibilität?
Hochsensibilität ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das durch eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber äußeren und inneren Reizen gekennzeichnet ist. Wichtig zu wissen: Es handelt sich dabei nicht um eine Krankheit oder psychische Störung!
Merkmale von Hochsensibilität
Die folgenden Aspekte zeigen auf, wie sich Hochsensibilität äußert.
Intensive Wahrnehmung: Hochsensible Menschen nehmen subtile Details wahr, die anderen oft entgehen. Dazu gehören Veränderungen in der Umgebung, Stimmungen anderer Menschen oder feine sensorische Reize wie Geräusche, Licht oder Gerüche.
Tiefe Verarbeitung von Informationen: Sie neigen auch dazu, Erlebnisse und Eindrücke gründlicher zu reflektieren und tiefgehend zu analysieren. Diese tiefe Verarbeitung kann dazu führen, dass sie länger über Situationen nachdenken und intensiver auf Erlebnisse reagieren.
Starke emotionale Reaktionen: Hochsensible Menschen empfinden Emotionen intensiver und sind oft sehr einfühlsam. Sie können leicht von den Stimmungen und Gefühlen anderer beeinflusst werden und reagieren sensibler auf Kritik oder Konflikte.
Ausgeprägte Empathie: Hochsensible Menschen können sich besonders gut in die Gefühle und Bedürfnisse anderer hineinversetzen, was sie oft zu guten Zuhörern und einfühlsamen Gesprächspartnern macht.
Hohe Kreativität: Hochsensibilität steht auch in Verbindung zu kreativen Aktivitäten in Kunst, Musik oder Literatur. Kreative Ausdrucksformen können Hochsensiblen helfen, Empfindungen auszudrücken.
Neigung zur Überstimulation: Da sie Reize intensiver wahrnehmen und verarbeiten, fühlen sich hochsensible Menschen schneller überfordert, besonders in lauten, hektischen oder stressigen Umgebungen. Sie benötigen häufig mehr Ruhepausen und Zeit für sich selbst, um sich zu erholen.
Wie wird Hochsensibilität gemessen?
Wie können Sie nun feststellen, ob sie hochsensibel sind? Vielleicht haben Sie im Alltag schon einmal bemerkt, dass Ihnen eher Dinge in der Umgebung auffallen, als anderen oder Sie stark auf eine Situation emotional reagieren, die andere wenig berührt. Sie sehen: Bewerten heißt immer vergleichen. Wenn Sie also herausfinden wollen, ob Sie eine höhere Sensibilität haben, braucht es den Vergleich mit den Menschen in Ihrem Umfeld.
Wir alle kennen letztendlich nur unsere eigene Wirklichkeitskonstruktion und können nicht sehen, wie andere die Welt wahrnehmen. Das ist ein Punkt, der die Messung von Hochsensibilität schwierig gestaltet. Die bereits erwähnte Forscherin Elaine Aron hat einen Test mit 27 Fragen ausgearbeitet, der durch die subjektive Einschätzung die Einstufung der Sensibilität ergeben soll. Die Fragen lassen sich in drei Komponenten von Hochsensibilität einordnen:
- Leichte Erregbarkeit: Wie schnell jemand von inneren und äußeren Anforderungen überfordert ist
- Ästhetische Sensitivität: Wie empfänglich jemand gegenüber ästhetischen Reizen ist
- Niedrige Wahrnehmungsschwelle: Wie unangenehm sensorische Erregung auf äußere Reize empfunden wird
Abgesehen davon, dass der Test ohne weitere körperliche Messungen nur eine subjektive Empfindung der Menschen wiedergibt, gibt es noch einen weiteren Kritikpunkt. Die Aussagen sind nicht unbedingt trennscharf von anderen psychischen Konditionen abzugrenzen. So erreichen Menschen mit einer Angststörung beispielsweise ebenfalls die Ergebnisse, die auf eine Hochsensibilität hinweisen.
Hochsensibilität und die Big Five
Da es sich um eine Persönlichkeitseigenschaft handelt, wird in der Psychologie eine hohe Sensibilität in Bezug auf die am besten beforschten Persönlichkeitseigenschaften – die Big Five – untersucht. Diese fünf Eigenschaften werden im Englischen auch mit dem Akronym OCEAN abgekürzt. Es sind:
- Openness (Offenheit für Erfahrungen): Diese Dimension beschreibt, wie aufgeschlossen und neugierig eine Person gegenüber neuen Ideen, Erfahrungen und Veränderungen ist. Personen mit hoher Offenheit sind in der Regel kreativ und haben ein breites Interessensspektrum.
- Conscientiousness (Gewissenhaftigkeit): Dieser Aspekt misst, wie organisiert, verantwortungsbewusst und diszipliniert eine Person ist. Menschen mit hoher Gewissenhaftigkeit sind oft zuverlässig, sorgfältig und zielstrebig.
- Extraversion (Extraversion): Das bezieht sich darauf, wie gesellig, energiegeladen und kontaktfreudig eine Person ist. Extravertierte Menschen genießen oft die Gesellschaft anderer und sind oft optimistisch und aktiv.
- Agreeableness (Verträglichkeit): Diese Dimension beschreibt, wie kooperativ, freundlich und mitfühlend eine Person ist. Personen mit hoher Verträglichkeit neigen dazu, verständnisvoll und hilfsbereit zu sein.
- Neuroticism (Neurotizismus): Dies betrifft die emotionale Stabilität und Anfälligkeit für Stress. Personen mit hohem Neurotizismus erleben häufiger negative Emotionen wie Angst, Wut und Traurigkeit und reagieren empfindlicher auf Stress.
In der Vergangenheit wurde Hochsensibilität auch mit Introversion gleichgesetzt oder als Unterkategorie von Neurotizismus begriffen. Zwar zeigt die Forschung einen Zusammenhang zwischen den Persönlichkeitseigenschaften und einer hohen Sensibilität, doch das würde die biologischen Erkenntnisse zu diesem Persönlichkeitsmerkmal vollkommen Außen vor lassen. Eine Studie konnte zeigen, dass die ästhetische Sensitivität mit Offenheit für neue Erfahrungen zusammenhängt, während eine leichte Erregbarkeit und eine niedrige Wahrnehmungsschwelle mit Neurotizismus korrelierten (Smolewska, McCabe, & Woody, 2006).
Hochsensibilität und Resilienz
Hochsensible Menschen weisen eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber äußeren Reizen auf, die sowohl als Stärke als auch als Herausforderung betrachtet werden kann. Ihre Neigung, subtile Details und emotionale Schwingungen intensiver wahrzunehmen, macht sie anfälliger für Stress, weshalb gerade Betroffene eine hohe Resilienz brauchen. Dabei hilft Resilienz nicht nur bei einem gelingenderen Umgang mit Stress, sondern auch dabei, die gesteigerte Sensibilität als Ressource für ein erfülltes und gesundes Leben zu nutzen.
Wenn wir uns die Verbindung von Hochsensibilität und Stress anschauen, sollten wir zwei Ebenen betrachten. Auf der einen Seite gibt es Faktoren, die die Entstehung von Stress aufgrund des Persönlichkeitsmerkmals begünstigen. Und auf der anderen Seite ist auch die Stresswahrnehmung und Stressverarbeitung eine intensivere als bei den meisten Menschen, sodass hochsensible Menschen unter Umständen einer doppelten Belastung ausgesetzt sind.
Risikofaktoren für Menschen mit hoher Sensibilität
Die Risikofaktoren und die spezifischen Stressauslöser, die bei hochsensiblen Personen besonders ausgeprägt sind, unterscheiden sich oft von denen „normal“ sensibler Menschen. Hier sind einige der wesentlichen Faktoren:
Reizüberflutung (Overstimulation)
Hochsensible Menschen verarbeiten Reize intensiver und detaillierter, was zu einer schnelleren Überforderung führen kann. In einer Welt, die ständig lauter, schneller und komplexer wird, können sie sich leicht überfordert fühlen. Da hinzukommt, dass neurotypische Menschen sich möglicherweise nach einer Weile an bestimmte Reize gewöhnen, während die Reizintensität für Hochsensible oft konstant hoch bleibt.
Stressauslöser:
- Lärm und Hektik in überfüllten oder lauten Umgebungen
- Mehrfachaufgaben (Multitasking) oder ständige Unterbrechungen
- Intensive soziale Interaktionen, insbesondere in großen Gruppen oder bei oberflächlichen Gesprächen
Emotionale Ansteckung und Empathie
Hochsensible Personen haben ein stark ausgeprägtes Einfühlungsvermögen. Sie sind besonders empfänglich für die Gefühle anderer und neigen dazu, diese Emotionen in sich aufzunehmen und intensiv zu erleben. Das bedeutet auch, dass es ihnen manchmal schwerer fällt, sich emotional abzugrenzen und das eigene Arousal zu regulieren.
Stressauslöser:
- Begegnungen mit Menschen in emotionalem Stress oder Konflikten
- Übernahme der unangenehmen Gefühle anderer (z.B. bei traurigen Nachrichten oder in belastenden sozialen Situationen)
- Erwartungen anderer, denen sie aus Höflichkeit oder Schuldgefühlen nicht widersprechen können
Kritik und negative Rückmeldungen
Hochsensible Menschen neigen dazu, Kritik und negative Rückmeldungen tiefer und persönlicher zu nehmen. Dies liegt an ihrer stark ausgeprägten Selbstreflexion und der Tendenz, Fehler intensiv zu überdenken. So wird Kritik auch stärker emotional verarbeitet, was zusätzlichen Stress auslöst.
Stressauslöser:
- Direkte Kritik oder negative Rückmeldungen, insbesondere wenn sie in einer rauen oder unsensiblen Weise vorgetragen werden
- Fehlende Anerkennung für ihre Bemühungen, was sie stark verunsichern kann
- Konfrontationen oder Konflikte, in denen sie sich missverstanden oder ungerecht behandelt fühlen
Ungeplante Veränderungen und Unsicherheit
Hochsensible Menschen bevorzugen oft stabile, vorhersehbare Umgebungen, in denen sie sich sicher und geborgen fühlen. Plötzliche Veränderungen oder Unsicherheiten können daher besonders stressig sein. Während andere Menschen Veränderungen möglicherweise als aufregend oder als Chance für Wachstum betrachten, empfinden hochsensible Personen solche Situationen eher als bedrohlich und überwältigend, insbesondere wenn sie keine Zeit haben, sich darauf vorzubereiten.
Stressauslöser:
- Unvorhergesehene Veränderungen in Routine, Arbeit oder persönlichem Leben
- Situative Unsicherheit, z.B. fehlende Klarheit in zwischenmenschlichen Beziehungen oder am Arbeitsplatz
- Fehlende Zeit zur Verarbeitung neuer Informationen oder Situationen
Hohe Erwartungen an sich selbst
Viele hochsensible Menschen setzen sich selbst sehr hohe Standards und streben oft nach Perfektion. Dies kann zu einem konstanten Gefühl der Unzufriedenheit und einem hohen inneren Druck führen. Normal sensible Menschen können dagegen in der Regel besser zwischen berechtigter Kritik und übermäßigen Ansprüchen an sich selbst unterscheiden.
Stressauslöser:
- Selbstkritik und der innere Druck, perfekt sein zu müssen
- Angst vor dem Scheitern, da Fehler als persönliches Versagen empfunden werden
- Der Wunsch, es allen recht zu machen, was oft zu Überforderung und Burnout führen kann
Schutzfaktoren für Menschen mit Hochsensibilität
Was hilft nun dabei, Stress zu reduzieren oder vielleicht erst gar nicht aufkommen zu lassen? Hier kommt nun die Resilienz ins Spiel. Sie ist die Kompetenz zur mentalen Gesundheit – insbesondere unter schwierigen Bedingungen. In ihr vereinen sich die Fähigkeiten zur Adaptation und Regulation, sodass der Mensch bei Problemen, Stress und Krisen selbstwirksam bleiben kann, um die Anforderungen des Lebens gesund zu bewältigen. Resilienz entsteht dann, wenn wir mehr Schutzfaktoren nutzen können, als Risikofaktoren uns Stress bereiten. Sprich: Ressourcen > Stressoren.
Aus diesem Grund schauen wir hier nun auf die Schutzfaktoren.
Selbstakzeptanz und positives Selbstbild
Selbstakzeptanz bedeutet, die eigene Hochsensibilität als wertvollen Teil der Persönlichkeit zu erkennen und anzunehmen, ohne sich dafür zu schämen oder sie als Schwäche zu betrachten. Ein positives Selbstbild und das Bewusstsein für die eigenen Stärken tragen dazu bei, inneren Druck abzubauen und sich selbst gegenüber wohlwollender zu sein.
- Entwicklung eines positiven Selbstbildes: Hochsensible Menschen haben gegenüber neurotypischen Menschen einen biologischen Vorteil. Wenn sie sich ihrer einzigartigen Fähigkeiten in den Bereichen Empathie oder Kreativität bewusst werden, können sie diese mit der Zeit wertschätzen.
- Selbstmitgefühl praktizieren: Obwohl hochsensible Menschen extreme Fähigkeiten zur Empathie haben, fällt es ihnen oft schwer, sich selbst gegenüber empathisch zu sein. Diese Impathie, das Selbstmitgefühl, lässt sich allerdings trainieren.
Resilienz-Tipp 1:
Das Dankbarkeitstagebuch
- Anleitung: Nehmen Sie sich jeden Abend 5-10 Minuten Zeit, um drei Dinge aufzuschreiben, die Sie an sich selbst schätzen. Dies können kleine Erfolge, besondere Fähigkeiten oder Eigenschaften sein, die Ihnen an diesem Tag bewusst geworden sind. Zum Beispiel: „Heute habe ich meine Kreativität genutzt, um ein Problem zu lösen“ oder „Ich habe gut auf meine Bedürfnisse geachtet und rechtzeitig eine Pause eingelegt.“
- Ziel: Diese Übung hilft, ein positives Selbstbild zu fördern und die eigene Hochsensibilität als wertvollen Teil Ihrer Persönlichkeit zu erkennen.
Achtsamkeit und Stressbewältigungsstrategien
Achtsamkeit bedeutet, im gegenwärtigen Moment präsent zu sein und die eigenen Emotionen und Reaktionen bewusst wahrzunehmen, ohne sie zu bewerten. Diese Haltung kann hochsensiblen Menschen helfen, sich nicht von intensiven Gefühlen oder Reizen überwältigen zu lassen.
- Regelmäßige Achtsamkeitsübungen: Meditation, Atemübungen oder Yoga können dabei helfen, einen inneren Raum der Ruhe zu schaffen, in dem Hochsensible ihre Emotionen regulieren und Stress reduzieren können.
- Stressmanagement-Techniken: Techniken wie progressive Muskelentspannung oder das Erlernen von Coping-Strategien (z. B. kognitive Umstrukturierung) können helfen, mit Stressoren konstruktiver umzugehen.
Resilienz-Tipp 2:
Achtsames Atmen
- Anleitung: Setzen oder legen Sie sich bequem hin. Schließen Sie die Augen und konzentrieren Sie sich auf Ihren Atem. Atmen Sie tief ein und aus, zählen Sie dabei bis vier beim Einatmen, und zählen Sie bis sechs beim Ausatmen. Wiederholen Sie diesen Zyklus für 5-10 Minuten.
- Ziel: Diese Atemübung hilft, den Geist zu beruhigen, das Nervensystem zu entspannen und die Achtsamkeit im Moment zu fördern. Sie kann besonders in stressigen Situationen hilfreich sein, um sich zu zentrieren und Reizüberflutung entgegenzuwirken.
Gesunde Beziehungen und soziale Unterstützung
Ein starkes soziales Netz ist ein zentraler Schutzfaktor für hochsensible Menschen. Beziehungen, in denen sie sich verstanden und akzeptiert fühlen, bieten emotionale Unterstützung und Schutz vor Isolation.
- Pflege von unterstützenden Beziehungen: Hochsensible Menschen sollten Beziehungen pflegen, die von Empathie, Vertrauen und gegenseitigem Verständnis geprägt sind. Diese Verbindungen bieten Rückhalt in stressigen Zeiten.
- Austausch mit Gleichgesinnten: Der Kontakt zu anderen Hochsensiblen kann besonders wertvoll sein, da hier ein tiefes Verständnis für die gemeinsamen Herausforderungen vorhanden ist.
Resilienz-Tipp 3:
- Anleitung: Planen Sie jede Woche 8 Minuten ein, um mit einer Person, die Ihnen wichtig ist, ungestört zu sprechen. Stellen Sie sicher, dass Sie in dieser Zeit wirklich präsent sind und Ihrem Gesprächspartner aktiv zuhören. Achten Sie darauf, wie Sie sich während und nach dem Gespräch fühlen, und teilen Sie Ihre eigenen Gedanken und Gefühle offen mit.
- Ziel: Diese Übung stärkt die Qualität Ihrer Beziehungen und sorgt dafür, dass Sie sich mit Menschen umgeben, die Sie verstehen und unterstützen. Gleichzeitig fördert sie die Fähigkeit, sich emotional zu öffnen und sich verbunden zu fühlen.
Grenzen setzen und Selbstschutz
Das Setzen von Grenzen ist für hochsensible Menschen entscheidend, um sich vor Reizüberflutung und Überforderung zu schützen. Es bedeutet, bewusst „Nein“ zu sagen und die eigenen Bedürfnisse zu priorisieren.
- Selbstfürsorge durch Grenzen: Hochsensible Menschen können lernen, ihre physischen und emotionalen Grenzen zu erkennen und zu respektieren, indem sie z. B. Pausen einlegen oder sich aus belastenden Situationen zurückziehen.
- Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse: Sich regelmäßig Zeit für sich selbst zu nehmen und Aktivitäten nachzugehen, die regenerierend wirken, stärkt das innere Gleichgewicht.
Resilienz-Tipp 4:
Das „Nein-Sagen“-Training
- Anleitung: Üben Sie, in alltäglichen Situationen bewusst „Nein“ zu sagen, ohne sich zu rechtfertigen. Starten Sie mit kleinen Anfragen, bei denen Sie sich sicher fühlen. Zum Beispiel: Wenn Sie jemand bittet, an einer Besprechung teilzunehmen, die für Sie nicht wichtig ist, antworten Sie freundlich, aber bestimmt: „Ich danke Ihnen für die Einladung, aber ich kann heute nicht teilnehmen.“
- Ziel: Diese Übung hilft, klare Grenzen zu setzen und Ihre eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen. Sie stärkt Ihr Selbstbewusstsein und schützt vor Überforderung durch äußere Erwartungen.
Umgang mit intensiven Emotionen und Mitgefühl
Hochsensible Menschen müssen lernen, mit intensiven Emotionen umzugehen, ohne von ihnen überwältigt zu werden. Ein konstruktiver Umgang insbesondere mit unangenehmen Emotionen, wie Angst oder Trauer, ist ein zentraler Schutzfaktor.
- Emotionales Management: Durch Regulationstechniken oder Gespräche mit vertrauten Personen können hochsensible Menschen ihre Emotionen verarbeiten und reflektieren.
- Entwicklung von kognitiver Empathie: Emotionswissen hilft resonanzfähigen Menschen dabei, in ein empathisches aber distanziertes Mitgefühl mit den Emotionen anderer zu gehen, statt ins aktive Mitleiden.
Resilienz-Tipp 5:
Gefühlsbenennung
- Anleitung: Versuchen Sie das nächste Mal, wenn Sie eine starke Emotion spüren, dieses Gefühl so präzise wie möglich zu benennen. Es hilft auch, wenn Sie dabei sagen „Ich fühle gerade Trauer in meinen Schultern“, anstatt „Ich bin traurig.“
- Ziel: Mit dieser Übung regulieren Sie die Aktivität der Amygdala, dem wichtigsten Teil unseres Stressnetzwerkes, herunter.
Wozu Hochsensibilität nützlich ist
Hochsensibilität wird oft als Schwäche oder Last empfunden, dabei birgt sie immense Potenziale. Hochsensible Menschen sind in der Regel sehr empathisch und verfügen über eine starke emotionale Intelligenz. Diese Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, ist in sozialen Berufen, der Kunst und in beratenden Tätigkeiten von unschätzbarem Wert. Zudem neigen hochsensible Menschen dazu, tiefgründiger über Probleme nachzudenken und kreative Lösungen zu finden.
Kreativität und Innovation
Viele hochsensible Personen zeichnen sich durch eine ausgeprägte Kreativität aus. Sie nehmen Details wahr, die anderen entgehen, und können so neue Ideen entwickeln und ungewöhnliche Perspektiven einnehmen. In kreativen Berufen, wie Kunst, Design oder Schriftstellerei, kann diese Fähigkeit ein entscheidender Vorteil sein.
Auch im Büroalltag und in Unternehmen, in denen Sensibilität vielleicht eher als unangemessene Eigenschaft wahrgenommen wird, können diese Menschen ihre Fähigkeiten gewinnend für die Unternehmensziele einsetzen, kreative Lösungsansätze finden und Weiterentwicklung fördern.
Soziale Bindungen und Beziehungen
Dank ihrer Empathie und ihres Einfühlungsvermögens sind hochsensible Menschen oft besonders gute Zuhörer und einfühlsame Partner. Sie erkennen die Bedürfnisse und Gefühle anderer und können dadurch tiefere und erfüllendere Beziehungen aufbauen.
Auch im professionellen Kontext ist Hochsensibilität eine wertvolle Eigenschaft, beispielsweise als Coach, Psychotherapeut:in oder Arzt/Ärztin. Empathie ist der Grundstein für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, die das Wohl des Klienten oder der Patientin stärkt. Wichtig ist hier allerdings, eine kognitive Empathie zu trainieren, damit man sich selbst weniger belastet.
Resonanzfähigkeit als ethische Ressource
In einer Welt, die zunehmend von Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit geprägt ist, kann die Sensibilität hochsensibler Menschen eine wichtige ethische Ressource darstellen. Sie hinterfragen tiefgründiger, achten stärker auf zwischenmenschliche Nuancen und können so zu einem menschlicheren Umgang miteinander beitragen.
Hochsensibilität ist keine Schwäche, sondern eine besondere Form der Resonanzfähigkeit. Wenn hochsensible Menschen lernen, ihre Wahrnehmung als Stärke zu nutzen und ihre Resilienz zu stärken, können sie nicht nur ihr eigenes Wohlbefinden verbessern, sondern auch wertvolle Beiträge in vielen Lebensbereichen leisten. Die Herausforderung liegt darin, einen Weg zu finden, wie diese intensive Wahrnehmung zum eigenen Vorteil genutzt werden kann, ohne von ihr überwältigt zu werden. Resilienz und Selbstfürsorge sind dabei der Schlüssel.
Quellen
Acevedo, B. P., Aron, E. N., Aron, A., Sangster, M. D., Collins, N., & Brown, L. L. (2014). The highly sensitive brain: an fMRI study of sensory processing sensitivity and response to others‘ emotions. Brain and behavior, 4(4), 580-594.
Smolewska, K. A., McCabe, S. B., & Woody, E. Z. (2006). A psychometric evaluation of the Highly Sensitive Person Scale: The components of sensory-processing sensitivity and their relation to the BIS/BAS and “Big Five”. Personality and Individual Differences, 40(6), 1269-1279.
Bildquelle: www.depositphotos.com Big Five@joebite, caucasian healthy woman@mjth, medical record@pressmaster, gnew life@amenic181, easy feather@maximsamos, feather@galdzer
Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).