Wie unsere Einstellung über unser Alter sich auf unsere Resilienz auswirkt
Growth Mindset beschreibt die Tatsache, dass wir durch eine positive Haltung in unserer Denkweise mehr erreichen und glücklicher leben können. Wir haben zu jedem bestimmten Thema ein Mindset – also eine Denkweise, eine Einstellung, bzw. eine bestimmte Haltung. In diesem Text geht es um das Mindset über Altern und wie dieses unsere Resilienz beeinflusst.
Unsere Überzeugungen über das Altern
Als Teenager ist es noch ein berauschendes Gefühl ein Jahr älter zu werden. Schließlich kommt mit jedem Jahr auch mehr Freiheit und Eigenverantwortung hinzu. Ab einem gewissen Alter empfinden wir das Altern meist nicht mehr so toll. Man stellt sich die Frage, ob man schon alles erreicht hat, ob das Beste nicht vielleicht schon hinter einem liegt. Der ein oder andere mag hierbei an die berüchtigte Midlife-Crisis denken.
Oft fokussieren wir uns dabei auf die negativen Aspekte des Alterns. Allerdings zeigt sich, dass positives Denken über das Älterwerden die Resilienz fördert. Das bedeutet mehr Wohlbefinden auch im Alter und eine höhere Gesundheit.
Growth Mindset lässt Menschen länger leben
Eine Langzeitstudie der Universität Yale zeigte, dass ein positives Mindset über das Altern sich drastisch auf die Lebensspanne auswirkt. Im Jahr 1975 nahmen über 600 Menschen ab 50 an einer Umfrage zur Selbstwahrnehmung über das Altern teil. 23 Jahre später, im Jahr 1998, wurde diese Gruppe erneut untersucht. Dabei ging es um eine signifikante Veränderung bei den Themen ökonomischer Status, Einsamkeit, Gesundheit und Unterschied der Geschlechter. Und natürlich auch darum, wer noch lebte.
Die Forscher fanden heraus, dass diejenigen, die eine positive Selbstwahrnehmung über das eigene Altern zeigten, im Schnitt 7,5 Jahre länger lebten als jene ohne positives Mindset.
Die positive Einstellung gegenüber dem älter Werden bewirkte ein signifikant längeres Leben. Wenn wir nun also denken: „Früher war alles besser“, „Als ich jünger war, war ich glücklicher“, etc. lohnt es sich für ein längeres Leben, diese Denkweise zu reflektieren und ggf. anzupassen.
Growth Mindset für mehr Gesundheit
Eine andere Studie aus dem Jahr 2009 zeigt, dass eine negative Denkweise übers Altern sich ungünstig auf die Gesundheit in den folgenden Jahren auswirkt. Die Forscher befragten über 400 Menschen mit dem Durchschnittsalter von 36 Jahren zu ihren Denkweisen über Alter.
Nach 39 Jahren untersuchten sie die Gruppe erneut. Dabei zeigte sich, dass jene mit einem negativen Mindset ein doppelt so hohes Risiko haben, eine kardiovaskuläre Erkrankung zu bekommen.
Die Forscher erklärten, dass neben dem höheren Risiko für Herz- und Gefäß-Probleme, auch andere Gesundheitsaspekte betroffen sind von einer negativen Einstellung. Es zeigte sich, dass die Befragten mit negativen Denkweisen zum Alter deutlich stärker auf Stress reagierten und sich auch das Gesundheitsverhalten verschlechtert, beispielsweise durch mehr Rauchen oder größeren Alkoholkonsum. Beide Aspekte steigern ebenfalls das Risiko einer Herzerkrankung.
Das Growth Mindset hat aber auch noch weitere günstige Folgen.
Growth Mindset und Auswirkungen auf Kreativität, Erfolg, Beruf
Eine positive Einstellung hat nicht nur Auswirkungen auf Lebensdauer und Gesundheit, sondern auch auf das Erleben von Erfolg und Zufriedenheit im Beruf. Diese Erkenntnis machte der Gründer der Online-Plattform Amazon, Jeff Bezos, schon sehr früh.
Jeff Bezos‘ „Day One Philosophy“
Bei Amazon ist es immer Tag 1. Das ist die Firmenphilosophie, die Jeff Bezos für sein Unternehmen anstrebt. Er erklärt diese Denkweise damit, dass Tag 2 Bedeutungslosigkeit und Stillstand bedeute. Tag 2 führe zum Tod. Deswegen ist es für ihn seit 20 Jahren Tag 1.
Mit dieser Denkweise erlaubt er seinem Unternehmen stets zu wachsen, sich zu verbessern und zu verändern. Es ist ja schließlich gerade mal der Anfang. Genau das ist es, was ein Growth Mindset ausmacht. Es erlaubt weiter zu wachsen.
Was bedeutet das nun?
Eine positive Einstellung bei vorangeschrittener Zeit bedeutet, dass wir uns stets weiterentwickeln können. Diese Überzeugung fördert die Kreativität und erschafft neue Ziele. In der Mitte des Lebens scheint Sicherheit über Investitionen zu stehen. Wenn Sie nun allerdings erst bei Tag 1 stehen, was würden Sie dann noch erreichen wollen? Wie würden Sie Dinge anders angehen?
Zwei entscheidende Erkenntnisse
Resilienz ist zum einen das, was Menschen und Organisationen während und nach Krisen gesund hält. Man könnte Resilienz also auch als unseren inneren Schutzschild gegen Stress und Krisen beschreiben. Dazu gehört auch die sogenannte Midlife-Crisis. Wenn wir eine positive Denkweise üben, stärkt das auch unsere Resilienz. Dies gilt auch besonders für unsere Denkweise über das eigene älter Werden. Denn das ist etwas, mit dem sich jeder Mensch auseinandersetzt und unausweichlich ist. Aus den oben genannten Studien und Beispielen ergeben sich zwei elementare Erkenntnisse über die Wirkung unseres Mindsets über das eigene Alter:
1. Wie wir über die Zukunft denken beeinflusst Entscheidungen und Handlungen, die die Zukunft bestimmen.
Jemand Mitte 20 wird anders denken und handeln als jemand Mitte 50.
Einfacher lässt sich sagen: Unser Denken über das Alter ist wie eine selbsterfüllende Prophezeiung. Wenn wir denken „Im Alter wird alles schwerer und schlimmer“, dann wird das auch so kommen. Wenn wir nun allerdings denken, dass das Altern natürlich ist und wir trotzdem noch viel erreichen können, werden wir viel zufriedener sein, länger und gesünder leben. Man kann das auch als Selbsthypnose beschreiben. Je nachdem, wie ich mich selbst hypnotisiere, „programmiere“ ich gewissermaßen meinen Körper. Ellen Langer hat mit ihrer Priming-Forschung gezeigt, dass biologische Alterungsprozesse durch das eigene Denken umgekehrt werden können. Sich jung denken hilft Körper und Geist!
2. Lernen ist exponentiell.
Diese abstrakte Erkenntnis ergibt sich aus einer veränderten Denkweise. Wenn uns jemand nach unserem Alter fragt, antworten wir immer in Kalenderjahren. Das hat den Nachteil, dass das Alter dann linear ansteigt. Also mit jedem Kalenderjahr werden wir älter. Aus dieser Ansicht leiten sich dann die Stereotype ab, dass im Alter alles zwangsläufig schlechter wird.
Denken Sie stattdessen in Lernjahren, denn Lernen hat besondere Eigenschaften. Erstens kann man mit zunehmendem Alter auf viel mehr vernetztes Wissen zurückgreifen. Also alles Wissen, dass Sie über die Jahre sammeln, summiert sich nicht nur, Sie erkennen Muster und Ihr Erfahrungsschatz wird immer größer und wertvoller. Zweitens lernen wir schneller und besser durch das, was wir bereits gelernt haben, da wir mehr Wissensnetze und auch mehr strukturelles Wissen zu Verfügung haben.
Daraus folgt, dass das Altern in Lernjahren nicht linear ist, sondern wir werden mit wachsendem Alter immer wertvoller.
Growth Mindset und Lernen in Bezug auf Alter
Growth Mindset lässt sich auf Deutsch in etwa mit wachstums- und Möglichkeiten-orientierte Denkweise beschreiben. Es bedeutet, seine eigenen Vorstellungen flexibel zu gestalten und immer nach Möglichkeiten Ausschau zu halten. Fixed Mindset würde heißen, dass etwas nicht geht. Growth Mindset heißt, es geht NOCH nicht.
Auf das Altern bezogen heißt das, eine starre, negative Sichtweise auf das Altern zu haben, hat ungünstige Auswirkungen. Hingegen wird bei einem Growth Mindset die eigene Resilienz so gestärkt, dass wir gestärkt und mit einem Fokus auf Möglichkeiten altern und auch in späteren Lebensjahren Gesundheit und Zufriedenheit überwiegen kann. Gleichzeitig hilft diese Form des Denkens in allen anderen Bereichen des Lebens, da hier die auch die Resilienz-Schutzfaktoren Optimismus und Lösungsorientierung trainiert und gestärkt werden.
Fixed Mindset vs. Growth Mindset
Der Begriff „Growth Mindset“ stammt von Carol Dweck. Sie untersuchte zusammen mit ihren Kollegen und Kolleginnen, wie sich bei Schülern die Haltung gegenüber Fehlern auf die Leistung auswirkt. Der Begriff wird daher eng in Verbindung mit Lernen und dem Wachstum von Intelligenz gesehen.
In der Studie von Carol Dweck formuliert sie als Gegenteil vom Growth Mindset das Fixed Mindset. Hierbei handelt es sich darum, wenn Menschen daran glauben, Intelligenz sei festgelegt. Diese Denkweise führt dazu, sich Gedanken über die äußere Wirkung zu machen, weniger Herausforderungen anzunehmen und leichter aufzugeben. Wohingegen der Glaube an eine wachsende Intelligenz dazu führt, mehr Aufwand und Zeit in das eigene Lernen zu investieren. So nehmen Menschen mit dieser Denkweise mehr Herausforderungen an, lernen aus Kritik und Fehlern und gehen besser mit Hindernissen und Restriktionen um.
Neuroplastizität als Basis
Als Basis für ein Wachstums-orientiertes Mindset nennt Carol Dweck die Neuroplastizität unseres Gehirns. Denn unser Gehirn ist nicht mit dem Erwachsenenalter „fertig“ mit Wachstum, Entwicklung und Verschaltung und verändert sich ab einem gewissen Zeitpunkt nur noch zum Negativen. Neuroplastizität bedeutet, dass sich unser Gehirn durch Erfahrungen verändert. Es werden durch Wiederholung und Lernen neue Verbindungen geknüpft, und alte gestärkt. Auch die gesamt Meditations-Forschung weist eindeutig darauf hin, dass das Gehirn bis ins hohe Alter veränderbar ist und sogar massive degenerative Prozesse reversibel sind. Wir können also sogar im biologischen Sinne unser Denken verändern und durch das Denken körperliche Veränderungen herbeiführen.
Wie kann ich mein Mindset verändern?
Um sich die Frage zu beantworten, wie man sein eigenes Mindset verändern kann, muss man sich zunächst eine andere Frage stellen: Wie denke ich mich?
Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion sind ein wesentlicher Teil im Resilienzkonzept. Als Praktiken erhöhen sie unsere Bewusstheit über unser Denken, Fühlen und Handeln und führen zu einem besseren Verständnis von sich und dem eigenen Sein in der Welt. Hierbei ist die Erkenntnis wichtig, dass unsere momentane Denkweise wahrscheinlich irgendwo zwischen einem Fixed Mindset und einem Growth Mindset liegt. Die gute Nachricht ist, dass sie flexibel ist und in Richtung Wachstum verändert werden kann.
Veränderung durch Kurbeln
Diese Veränderung kann zum Beispiel durch „Kurbeln„ erreicht werden. Beim „Kurbeln“ handelt es sich um eine Technik, die Selbstakzeptanz und auch den eigenen Selbstwert steigert. Dazu verbinden Sie Integrationssätze mit einer beruhigenden Geste.
Diese Integrationssätze bestehen aus zwei Teilen. Zum einen dem Teil, indem es um Ihre Denkweise geht. Kommen wir hier wieder auf das Beispiel des Alterns zurück. Zu verändernde Denkweisen wären zum Beispiel: „Im Alter wird alles schwerer“, „Je älter ich werde, desto nutzloser bin ich“. Kurz gesagt, alles, was das eigene Altern mit negativen Auswirkungen verbindet und Begrenzungen beinhaltet.
Der zweite Teil besteht aus einem Selbstzuspruch, sich selbst zu akzeptieren, wertzuschätzen und zu lieben. Diese beiden Teile werden dann durch ein „Auch wenn“ eingeleitet.
Hier ein Beispiel, wie so ein Mindset verändernder Satz klingen könnte:
„Auch wenn ich mich im Alter nutzloser fühle, liebe und akzeptiere ich mich so wie ich bin.“
Machen Sie beim Aussprechen des Satzes eine kleine, kreisende Bewegung mit den Fingerspitzen Ihrer rechten Hand unterhalb des linken Schlüsselbeins. Dies kann auf der Kleidung erfolgen oder auch auf der Haut direkt.
Wahrnehmung und Wahrgebung
Unser Mindset erschließt sich aus unseren Erfahrungen und unserer Wahrnehmung. Doch tatsächlich ist die Wahrnehmung nichts Feststehendes, sondern jeder Mensch hat seine eigene Wahrnehmung. Denn wir selbst können mit einiger Übung bestimmen, wie wir auf unsere Umwelt schauen.Dr. Gunther Schmidt hat hier den Ausdruck der Wahrgebung vorgeschlagen. Das heißt, es gibt nicht die eine Wahrheit, sondern wir verleihen ihr eine subjektive Form von Wahrheit.
Mit unserer Wahrgebung lässt sich auch unser Mindset verändern. Altern in Lernjahren macht uns Menschen mit jedem Jahr wertvoller. Zu verstehen, dass unser Gehirn im Sinne eines Growth Mindsets wachsen kann, bedeutet, wie viel Potential wir haben können. Mithilfe dieser Erkenntnis und einer starken Resilienz sagen Sie nicht nur der Midlife-Crisis Adé, sondern führen ein wertvolles, erfolgreiches und vielleicht sogar längeres Leben.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienz-Expert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).