Es gibt verschiedene Haltungen und Verhaltensweisen, die uns in unserem Alltag unsere Resilienz klauen. Genauer gesagt unseren Kontakt zu den Ressourcen, die uns bei der Bewältigung von Problemen, Stress und Krisen halfen, verringern oder behindern. Im Fall von der Erwartungshaltung haben wir einen besonders gewieften Resilienz-Dieb, denn er lässt sich nicht vermeiden, im engeren Sinne. Umso wichtiger ist es, einen resilienten Umgang mit ihm zu finden.
Warum ist Erwartungshaltung ein Resilienz-Dieb?
Erwartungshaltungen sind allgegenwärtig und formen viele Aspekte unseres Lebens. Von der Arbeitswelt über Beziehungen bis hin zu persönlichen Zielen. Unsere Erwartungen können uns motivieren und uns dazu bringen, unsere Grenzen der Welt zu erweitern.
Doch was passiert, wenn unsere Erwartungen zu hoch oder unrealistisch sind? Dann handelt es sich um Täuschungen der Zukunft, die früher oder später unweigerlich in Ent-Täuschungen enden. Und das kann mit Stress verbunden sein. Erwartungen oder generell die Erwartungshaltung muss nicht zwangsläufig ein Resilienz-Dieb sein. Sie wird zu einem, wenn wir mit den Konsequenzen einer nicht erfüllten Erwartung nicht flexibel umgehen können und anpassungsfähig an die ent-täuschte Welt sind.
Was ist Erwartungshaltung?
Eine Erwartungshaltung ist die Annahme oder Überzeugung, dass bestimmte Ereignisse eintreten oder dass Menschen auf eine bestimmte Weise handeln werden. Diese Erwartungen können bewusst oder unbewusst sein und basieren oft auf unseren Erfahrungen, Wünschen und gesellschaftlichen Normen.
Erwartungen als Gehirn-Funktion
Was diesen Resilienz-Dieb so trickreich macht, ist, dass wir unsere Erwartungen nicht abschalten können. Denn sie sind ein Teil der Funktionsweise unseres Gehirns. Damit wir im Alltag gut funktionieren, ohne Unmengen an Energie auch für kleine Aufgaben aufzuwenden, hat die Evolution einen wundervollen Mechanismus hervorgebracht. Die Vorhersage. Unser Gehirn ist ein Vorhersagegenerator, der am laufenden Bande Erwartungen produziert. Wenn die Erwartungen erfüllt werden – alles super, weiter geht’s. Wenn sie aber mit der Realität nicht übereinstimmen, dann wird das Gehirn zur Lösungsfindung aktiv. Und diese Aktivität besteht in der Ausschüttung von Stresshormonen.
Erwartungshaltungen sind also gewissermaßen unser Auto-Pilot-System, das dafür sorgt, dass wir gut durch den Tag kommen.
Wann wird die Erwartungshaltung ein Resilienz-Dieb?
Was muss aber nun passieren, damit dieses nützliche Auto-Pilot-System dafür sorgt, dass wir weniger resilient sind? Wir haben gerade herausgestellt, dass eine nicht eintreffende Erwartung Stress im Sinne einer Wachheit und Aktivität auslöst. Wenn wir nun ständig sehr hohe Erwartungen haben, oder viele unrealistische, wird dementsprechend häufig und stark Stress zur Bereinigung des Ist-Soll-Unterschieds aktiviert. Das kann dann soweit gehen, dass wir nicht mehr in der Lage sind, den Stress ohne Weiteres zu regulieren.
Erwartungshaltung wird besonders dann zu einem gefährlichen Resilienz-Dieb, wenn sie zu starren Denkmustern wird. Diese Rigidität sorgt dafür, dass wir schneller und stärker auf einen Unterschied zwischen den Erwartungen und der Realität mit Stress reagieren. Wir werden weniger flexibel im Umgang mit Unerwartetem und tun uns schwerer mit der Anpassung an neue Umstände.
Darüber hinaus hat eine hohe Erwartungshaltung einen Einfluss auf unser Selbstwertgefühl. Erwartungshaltung ist nämlich nicht nur dann ein Resilienz-Dieb, wenn wir hohe Erwartungen an uns selbst haben und diese nicht erfüllen können. Wenn wir andere enttäuschen, hat das ebenfalls große Auswirkungen auf unseren Selbstwert und unser Selbstvertrauen. Ein gesundes Selbstwertgefühl ist jedoch entscheidend für Resilienz.
Wie können wir resilient mit Erwartungshaltungen umgehen?
Ein resilienter Umgang mit Erwartungshaltungen erfordert Achtsamkeit, Flexibilität und Selbstreflexion. Hier sind einige Strategien, die aus dem Resilienz-Dieb einen Resilienz-Schenker machen können:
Realistische Erwartungen setzen:
Überprüfen Sie Ihre Erwartungen regelmäßig und passen Sie sie an die Realität an. Setzen Sie sich erreichbare Ziele und vermeiden Sie es, zu hohe oder unrealistische Erwartungen zu haben. Natürlich soll das nicht davon abhalten, auch groß zu Träumen und nach Wunschzielen zu streben. Doch der Weg dahin kann eben auch kleinschrittig erträumt werden.
Achtsamkeit und Selbstbewusstsein:
Seien Sie sich Ihrer Erwartungen bewusst und erkennen Sie, wie sie Ihre Emotionen und Reaktionen beeinflussen. Achtsamkeitstechniken wie Meditation können helfen, im Moment präsent zu bleiben und negative Reaktionen auf enttäuschte Erwartungen zu minimieren.
Akzeptanz, zweitbeste Lösungen und Ehrenrunden:
Akzeptieren Sie, dass nicht immer alles nach Plan verläuft und dass Rückschläge – wertschätzender formuliert „Ehrenrunden“ (nach G. Schmidt) – ein Teil des Lebens sind. Seien Sie bereit, Ihre Pläne und Erwartungen anzupassen, wenn sich die Umstände ändern.
Kommunikation mit sich selbst und Selbstmitgefühl:
Konzentrieren Sie sich auf das Positive und praktizieren Sie Selbstmitgefühl. Vermeiden Sie Selbstkritik und erkennen Sie Ihre Fortschritte und Erfolge an, auch wenn sie nicht den ursprünglichen Erwartungen entsprechen.
Kommunikation und Klarheit:
Klären Sie Ihre Erwartungen mit anderen und stellen Sie sicher, dass sie realistisch und erreichbar sind. Eine offene Kommunikation kann Missverständnisse vermeiden und gemeinsame Ziele fördern.
Wozu ein resilienter Umgang mit Erwartungshaltungen führt
Ein resilienter Umgang mit Erwartungshaltungen hat viele Vorteile. Er kann zu einer verbesserten mentalen und physischen Gesundheit, einem stärkeren Selbstwertgefühl und einer besseren Fähigkeit führen, mit Stress und Rückschlägen umzugehen. Indem wir lernen, unsere Erwartungen zu managen und flexibel zu bleiben, können wir widerstandsfähiger und anpassungsfähiger werden. Dies ermöglicht es uns, Herausforderungen und Veränderungen als Wachstumschancen zu betrachten und gestärkt daraus hervorzugehen.
Letztlich können wir durch einen resilienten Umgang mit Erwartungshaltungen ein erfüllteres und ausgeglicheneres Leben führen. Wir lernen, die Realität zu akzeptieren, unsere Ziele zu erreichen und gleichzeitig unser Wohlbefinden zu bewahren. Resilienz ist dann nicht nur die Fähigkeit, Schwierigkeiten zu überstehen, sondern auch die Fähigkeit, inmitten von Herausforderungen zu gedeihen und zu wachsen.
Bildquellen: Grafiken by Dylan Sara
Rebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 240 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de) sowie des Resilienz-Podcasts Rethinking Resilience (www.Rethinking-Resilience.com).