Mit Design Thinking Resilienz stärken

Ich möchte ein kleines Experiment mit Ihnen machen. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit bitte auf irgendein Produkt, dass in Ihrer Nähe steht oder liegt. Das kann das Handy sein, auf dem Sie gerade diese Zeilen lesen, eine Wasserflasche, die neben Ihnen auf dem Tisch steht oder die Socken an Ihren Füßen. In jedem dieser Produkte stecken unzählige Gedanken und Entscheidungen, die dazu geführt haben, dass Sie dieses Produkt jetzt genau so in der Form wie es ist vor sich haben.

Wenn man nun ein neues Produkt entwickeln oder ein Bestehendes verbessern will, dann sind ebenso unzählige Gedanken und Entscheidungen ausstehend. Wie soll man da also am besten vorgehen? Design Thinking ist eine wertvolle Antwort.

Warum braucht es Design Thinking?

Resilienz Akademie | Mit Design Thinking Resilienz stärkenNicht nur Produkte lassen sich mit der Methode des Design Thinkings neu denken, auch ganze Geschäftsmodelle. Denn wir leben in einer Welt, die nicht nur unfassbar schnelllebig ist, sondern auch extrem vernetzt. Diese Kombination begünstigt Vorgänge wie Disruption. Wenn ein neues Produkt auf den Markt kommt, und es erfolgreich ist, kann man kaum so schnell schauen, wie es rund um die Welt zu finden sein wird. Unternehmen konkurrieren mit der gesamten Welt – und zwar nicht nur um Konsumenten, sondern auch um Mitarbeitende und Führungskräfte.

Die Fähigkeit zur Innovation ist zur Überlebenskompetenz geworden. Aber sicher kennen Sie das Gefühl, wenn man einen kreativen Einfall braucht, lässt er auf sich warten. Kreativität und Innovation lassen sich schlecht erzwingen und insbesondere nicht unter Stress. Hierbei hilft der Prozess des Design Thinkings, sodass man nicht erst auf eine Idee zur Verbesserung, Umorganisierung oder Produktentwicklung warten muss, sondern geleitet kreativ tätig werden kann.

Was ist Design Thinking?

Es gibt keine einheitliche Definition, was Design Thinking eigentlich ist. Im Deutschen könnte man es mit „Konstruktives Denken“ übersetzen. Als Entwickler des Ansatzes gilt die Innovationsagentur IDEO, die 1991 von David Kelly, Bill Moggridge und Mike Nutall gegründet wurde.

Tim Brown, der CEO von IDEO und Industriedesigner, erklärt Design Thinking wie folgt:

„Design Thinking ist ein auf den Menschen bezogener Innovationsansatz, der aus dem Werkzeugkasten eines Designers schöpft, um die Bedürfnisse von Menschen, die Möglichkeiten der Technologie und die Anforderungen an geschäftlichen Erfolg zu integrieren“.

Die Haltung, die hinter diesem Ansatz wird besonders durch einen Satz auf der Website von IDEO deutlich: „The Future must be made!“ – Die Zukunft muss gemacht werden! Der Ansatz soll Menschen und Unternehmen dabei helfen, die Zukunft aktiv zu gestalten, und dabei den Fokus auf den Menschen zu bewahren.

Die Grundprinzipien

Der Ansatz beruht auf drei grundlegenden Prinzipien oder Merkmalen: Team, Raum und Prozess.

Team

Beim Design Thinking stehen Multidisziplinarität und Diversität im Fokus. Das beruht auf der Überzeugung, dass Menschen aus unterschiedlichen fachlichen Richtungen mit verschiedenen Perspektiven Probleme besser lösen können. Die Vielfalt soll dabei unterstützen, bestmöglich auf die Bedürfnisse und Motivationen von Menschen einzugehen und Konzepte zu entwickeln, die von mehreren Standpunkten aus geprüft werden können.

Dabei sollen vor allem T-Förmige Persönlichkeiten im Team sein. Der Buchstabe T soll für Tiefe und Breite stehen. Die Teammitglieder sollen inhaltlich ein tiefes Verständnis von ihren Fachgebiet haben (was durch den senkrechten Teil des T’s repräsentiert wird). Gleichzeitig sollen sie auch über ein breites Allgemeinwissen verfügen, um sich in die andere Fachbereiche einarbeiten zu können (was durch den waagerechten Teil des T’s verdeutlicht werden soll). Das „T-Shape“ Modell wurde von der Firma McKinsey & Company entwickelt und ergänzt den interdisziplinären Team-Ansatz.

Raum

„Raum schaffen für Raum im Kopf“ ist das Motto dieses Grundprinzips. Teams sollen minimal begrenzt durch den Raum sein, und reichhaltige Möglichkeiten zum Festhalten von Ideen und basteln von Prototypen haben. Der Raum soll möglichst viel Flexibilität bieten. Also statt Konferenztisch und gemütlichen Sessel, sollten in einem Design Thinking Raum eher ein Stehtisch und maximal Hocker stehen. Whiteboards, Moderationskarten, Flipcharts, Pinnwände oder auch LEGO® SERIOUS PLAY® sind perfekt für freies und kreatives Denken.

Damit im Raum Kreativität fließen kann, achten Sie auf Pflanzen und möglichst bunte Materialien. Hilfreich ist zudem ein visueller Timer, um im Prozess fokussiert zu bleiben.

Prozess

Der Prozess ist das Kernstück des Design Thinkings – zumindest ist es jener Teil des Konzepts, der vielen bekannt ist. Im Folgenden beleuchten wir den Prozess nach dem Modell des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam. Dieses besteht aus sechs Schritten, die jedoch nicht strikt getrennt voneinander sind, sondern prozessschleifenartig zu verstehen sind. Um den Prozess einmal prototypisch zu skizzieren fokussieren wir hier auf ein fiktives Produkt.

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1.Verstehen:

Wie so viel im Leben, beginnt alles erstmal mit einem Problem – Oder zumindest einer Problemstellung. Was soll verbessert werden? Was würde das Leben mit diesem Produkt vereinfachen?

Meistens wird an diesem Punkt intensiv recherchiert, zum Beispiel auch mit Rückgriff auf ethnografische oder qualitative Marktforschung. Hierbei spielt die Interdisziplinarität eine zentrale Rolle, denn das Problem soll von bestenfalls von mehreren Personen definiert werden.

2. Beobachten:

Im zweiten Schritt zeigt sich der starke Fokus auf die Kundenorientierung. Es geht darum, sich in die Nutzer des Produkts hineinzuversetzen und deren Wünsche zu analysieren. So eine Analyse kann zum Beispiel durch Interviews mit realen Kunden oder durch explorative Perspektivübernahme (mit anderen Worten: Rollenspiele) erfolgen. Das Beobachten oder in dem Fall treffender, das Zuhören, ist elementar in diesem Schritt. Die Bedürfnisse der Anwender hat die oberste Priorität.

Die ersten beiden Schritte zeichnen sich durch divergentes Denken aus. Die Probleme sollen mit einem möglichst weiten Fokus, unsystematisch und experimentierfreudig erforscht werden.

3. Standpunkt definieren:

In diesem Punkt verengt sich der Fokus wieder und vereint die Ergebnisse der ersten beiden Schritte. Hier geht es darum, die gewonnenen Eindrücke und Erkenntnisse aus der Problemanalyse und der Kundenorientierung zusammenzutragen und festzuhalten.

Eine Möglichkeit, um dies zu bildlich und schriftlich festzuhalten, ist mit der Methode von Personas – ein Modell, das eigentlich aus dem Bereich der Mensch-Computer-Interaktion stammt. Sie erstellen fiktive Steckbriefe Ihrer Kunden, die die wichtigsten Attribute enthalten, wie beispielsweise Alter, Familienstand, Ziele und Wünsche, Ausbildung, Digitale Kompetenz, Einstellung gegenüber dem Produkt, Hobbys, Erwartungen. Das Ganze versehen Sie dann mit einem Namen und eine „Profilbild“, um sich die Persona wirklich vorstellen zu können. Das sind die Kunden, für die Sie das Produkt entwickeln.

Diese ersten drei Schritte bilden gewissermaßen den Raum des Problems. Dieser wurde zunächst explorativ und dann konkret erkundet und festgelegt.

4. Ideen finden:

Mit diesem Schritt öffnet sich so zusagen der Raum der Lösung, was gleichzeitig mit wiederholtem divergentem Denken einhergeht. Hier kommt das fast schon klassische Brainstorming zum Tragen, wobei alle Ideen willkommen sind, seien sie noch so verrückt oder unrealistisch. Quantität ist in diesem Schritt zunächst wichtiger als Qualität. Zudem soll bei diesem Schritt keine Kritik angebracht werden, die Ideen werden zu diesem Punkt nicht hinterfragt.

Was allerdings schon gemacht wird, ist eine Sortierung vorzunehmen. Kriterien für die Sortierung können beispielsweise Umsetzbarkeit, Effizienz oder Wirtschaftlichkeit sein.

5. Prototyp:

Anschließend an die Ideenfindung werden Prototypen angefertigt. Hier kommt das sogenannte Rapid Prototyping zum Einsatz: Es geht nicht darum, einen perfekt funktionierenden oder schönen Prototypen zu entwickeln. Vielmehr soll mit den einfachsten Mitteln schnell ein Prototyp zu Lernzwecken und zur Veranschaulichung angefertigt werden, der auch schnell wieder verworfen werden kann. Wichtig auch bei diesen einfachen Prototypen ist, dass man so wenig wie möglich dazu erklären muss. Ganz nach dem Motto „Show, don’t tell“.

Prototypen können Storyboards, 2-D-Modelle, Filme oder auch 3-D-Modelle beispielsweise aus LEGO® SERIOUS PLAY® sein.

6. Testen:

Mit dem Prototypen geht es dann in den Test. Ein so früher „Realitäts-Check“ bietet die Möglichkeit, sehr schnell und einfach die wichtigen Kriterien wie Funktionalität, Nutzen oder Akzeptanz zu überprüfen. Das Feedback von Nutzern ist hierbei elementar. Zudem braucht das Team hier die nötige Flexibilität, Ideen auch zu verwerfen. Denn mit diesem letzten Schritt ist der Prozess nicht abgeschlossen.

Kommen wir noch einmal auf das Prinzip der Prozessschleifen zurück: Bei jedem Schritt besteht die Möglichkeit, noch einmal zum Vorherigen zurückzukehren und die Gedanken und Entwürfe zu überarbeiten. Besonders zwischen Idee, Prototyp und Test braucht es meist mehrere Durchgänge, bis die Mängel ausgebessert und die Kunden wirklich zufrieden mit dem Produkt sind. Offenheit für Anregungen aus dem Team und von den Nutzern ist die Basis für erfolgreiches Design Thinking.

6 Schritte nach IDEO

Die Schritte nach IDEO unterscheiden sich geringfügig von den oben skizzierten Schritte. Der Vollständigkeit halber finden Sie diese hier in kurzer Form:

  • Frame a Question: Finden Sie eine Leitfrage
  • Gather Inspiration: Sammeln Sie Inspiration und finden Sie heraus, was die Menschen brauchen
  • Generate Ideas: Finden Sie Ideen, und lassen Sie offensichtliche Lösungen hinter sich
  • Make Ideas Tangible: Machen Sie die Ideen mit einem Prototypen greifbar
  • Test to Learn: Verfeinern Sie die Ideen durch Feedback

Wie uns Design Thinking beim Stärken der Resilienz hilft

In welchen Situationen brauchen wir Resilienz? Sicherlich nicht in jenen Momenten, in denen alles rund läuft. Eher dann, wenn wir mit einem Problem konfrontiert sind, für das wir zunächst keine Lösung finden. Und hierbei hilft Design Thinking. Schauen wir uns dazu zwei Kontexte an.

Design Thinking für Organisationale Resilienz

Wie bereits oben beschrieben, sind Schnelllebigkeit, Digitalisierung und Globalisierung für viele Unternehmen eine große Herausforderung. Anpassungsfähigkeit und Standhaftigkeit gegenüber Krisen – also Resilienz – ist eine Überlebenskompetenz in so einer Welt.

Design Thinking kann für die organisationale Resilienz nicht nur dann sinnvoll sein, wenn man ein neues Produkt entwickeln will. Es kann auch hilfreich sein, eine neue Organisationsstrategie zu entwickeln oder ein aktuelles Problem zu lösen. Es kann Teams helfen, in einen kreativen Modus zu kommen und so auch Zusammenarbeit zu fördern.

Design Thinking für persönliche Resilienz

Design Thinking – Resilienz AkademieFür persönliche Resilienz  ist nicht nur der Prozess an sich hilfreich. Darüber hinaus sind die Haltungen, die hinter dem Konzept Design Thinking stehen und die durch das ausführen gelebt werden, wertvoll für die eigene innere Widerstandskraft gegen Stress.

Die eine Haltung ist die der Offenheit für Ideen. Wir haben oft den Anspruch, dass ein Plan perfekt vorgedacht werden muss, bevor wir ihn zur Umsetzung bringen. In vielen Fällen ist das auch durchaus hilfreich. Allerdings kann es auch von Vorteil sein, seiner Fantasie einfach mal freien Lauf zu lassen und alle Ideen, die zu einem Problem kommen, zuzulassen. Das fördert die Fähigkeit zum divergenten Denken und steigert damit unsere Problemlösungsfähigkeit.

Die andere Haltung geht einher mit der ersten: Das Prinzip von Trial and Error. Es ist nicht nur in Ordnung Fehler zu machen, Handlungsstrategien zu überdenken und einen Schritt zurückzugehen. Es ist wichtiger Bestandteil des Prozesses. Auch diese Haltung führt vom Perfektionismus weg, hin zu einer freieren und kreativeren Lösungsorientierung. Ein schönes Zitat, das ich den Teilnehmenden meines Resilienz-Trainings immer mit an die Hand gebe, ist:

„Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better”
Samuel Beckett

Bessere Fehler machen ist letztendlich das, was uns weiterbringt, woraus wir am besten lernen. Beide Haltungen animieren dazu, Problemen und dem damit verbundenen Stress offen zu begegnen und uns nicht von der Problemtrance und dem Wunsch nach perfekten Lösungen gefangen nehmen zu lassen.

Design Thinking für besseres Lernen

Unter extremem Stress fällt es uns schwer kreativ zu werden und nach neuen Lösungsmöglichkeiten zu streben. Aus biologischer Sicht macht das auch Sinn – etwas Stress wirkt aktivierend, viel Stress schaltet uns dagegen in einen Überlebensmodus. Dabei ist es hinderlich kreativ tätig zu sein und erst einmal auszuprobieren. Wenn es ums Überleben geht müssen wir schnell auch bewährtes zugreifen können.

In unserem Alltag geht es allerdings selten ums direkte Überleben, und dennoch spüren wir in manchen Situationen extremen oder über einen längeren Zeitraum anhaltenden Stress. Design Thinking hilft uns dabei, generell besser mit Stress umzugehen, denn es verbessert unser Lernen.

Wenn Sie den Prozessmehrfach schon bei verschiedenen Problemen oder Fragestellungen durchlaufen sind, dann integriert sich sozusagen ein innovativer Denkmodus. Sie verinnerlichen die Haltungen, trainieren divergentes Denken und finden neue Lösungen, abseits des bereits bekannten. Mit anderen Worten: Regelmäßiges Design Thinking stärkt nicht nur Ihre Lernkompetenz, sondern erweitert auch Ihre Komfortzone. Durch die Fülle an Lösungsstrategien und die Akzeptanz des Nicht-Sofort-Gelingens, werden Sie resistenter gegen Stress und gehen flexibler mit Problemen und Herausforderungen um. Kurz: Sie stärken Ihre Resilienz.


Resilienz Akademie | Mit Design Thinking Resilienz stärkenSebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 200 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de).

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