Skeumorphismus – Das Alte im Neuen finden

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum das Icon auf Ihrem PC-Desktop wie ein Mülleimer aussieht? Oder warum viele Mailprogramme einen Brief als Symbol verwenden? Dieses Design-Prinzip nennt sich Skeumorphismus und soll Menschen dabei helfen, sich in der digitalen Umgebung besser zurechtzufinden. Denn hier wird Altbekanntes genommen, um es mit neuer Bedeutung zu füllen. Dieses Prinzip können wir auch nutzen, um Umbrüche und Change-Prozesse resilienter zu gestalten.

Warum die Verbindung von Altem und Neuem hilfreich ist

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wir lieben unsere Routinen, Abläufe und generell alles Bekannte. Diese Liebe zum Alten hat sich evolutionär einfach sehr bewährt, denn alles Bekannte ist sicher und das bedeutet überleben. Alles Unbekannte dagegen kann theoretisch erstmal bedrohlich sein, weshalb wir Veränderungen meistens nicht ganz so freudig entgegensehen – insbesondere großen, komplexen Veränderungen, wie es bei Change-Prozessen in Unternehmen der Fall ist.

Zurecht sehen wir Neues zu Beginn kritisch. Doch es braucht Veränderung, um sich weiterzuentwickeln. Das gilt sowohl für jeden Menschen individuell als auch für ganze Organisationen und Systeme. Anpassungsfähigkeit, sprich eine hohe Resilienz, ist deshalb ein zentraler Zukunfts-Skill. Dabei ist es hilfreich, Altes mit Neuem zu verknüpfen, weil es uns die Annahme des Neuen erleichtert. Wir können an bereits bestehende Wissensnetzwerke und bekannte Handlungsmuster anknüpfen, was das Neue weniger bedrohlich macht. Und somit auch Stress reduziert.

Was ist Skeumorphismus?

Resilienz Akademie | Skeumorphismus – Das Alte im Neuen findenDer Begriff „Skeuomorphismus“ leitet sich von den griechischen Worten „skeuos“ (was „Werkzeug“ oder „Gefäß“ bedeutet) und „morphē“ (was „Form“ bedeutet) ab. In seiner ursprünglichen Bedeutung bezieht sich ein Skeuomorph auf eine physische Ornamentik, die heute aus struktureller Sicht nicht mehr notwendig ist, aber aus traditionellen oder dekorativen Gründen beibehalten wird.

In modernem Kontext, besonders im Bereich des Designs digitaler Benutzeroberflächen, bezieht sich Skeuomorphismus auf Designelemente, die eine Funktion nachahmen, die sie in einem ursprünglichen Kontext hatten, aber in ihrem neuen Kontext nicht mehr funktional sind. Diese Elemente dienen oft dazu, dem Benutzer einen vertrauten Bezugspunkt zu bieten oder das Aussehen und Gefühl von etwas Physischem oder Traditionellem nachzuahmen, wie das Papierkorbsymbol. Ein weiteres Beispiel ist der Notizblock – heute digital im Smartphone oder auch der Desktophintergrund, der einer Schreibtischplatte mit Ordnern und Papierblättern ähnelt.

Das Konzept können wir nicht 1:1 auf die Resilienz übertragen, da es sich bei dem einen um die Designwelt und bei dem anderen um ein psychologisches Konstrukt handelt. Aber wie der Begriff der Resilienz selbst eigentlich aus der Physik stammt, so lassen sich doch Parallelen ziehen, wie wir das Prinzip hinter dem Skeumorphismus nutzen können, um unsere Resilienz im Umgang mit Veränderungen zu stärken.

Wie können wir das Prinzip hinter Skeumorphismus für eine starke Resilienz nutzen?

Wenn wir das Prinzip des Skeuomorphismus metaphorisch auf das Konzept der Resilienz übertragen, können wir einige interessante Ansatzpunkte entwickeln, um Resilienz in Individuen oder Systemen zu stärken:

  1. Anknüpfung an das Vertraute: Skeuomorphismus baut auf dem Vertrauten auf, um das Unbekannte zugänglich zu machen. Um Resilienz zu fördern, könnte man sich auf vertraute, bewährte Strategien stützen, um neue Herausforderungen zu bewältigen. Dies kann Zuversicht und Sicherheit vermitteln. Beispielsweise soll in einem Unternehmen eine neue IT-Lösung implementiert werden. Statt alle Mitarbeitenden direkt das neue System aufzuzwingen, nutzt das Unternehmen die bereits bekannte Strategie der Schulung, um zuerst einer kleinen Pilotgruppe das System näher zu bringen und es dann nach und nach zu implementieren.
  2. Schrittweiser Wandel: Gerade dieses „Nach und Nach“ kann eine wertvolle Strategie im Wandel sein. Statt abrupte und radikale Veränderungen vorzunehmen, trägt ein schrittweiser Übergang (ähnlich dem skeuomorphischen Designansatz) dazu bei, dass Menschen oder Systeme sich leichter anpassen und nicht in Schockstarre bei Veränderungsnot verfallen.
  3. Wert der Tradition: Die Wertschätzung des Alten ist ein wesentlicher Teil, um die Mitarbeiterbindung zu stärken und Kernwerte des Unternehmens, trotz Veränderung, zu bewahren. Hier können schon kleine Maßnahmen helfen, wie beispielsweise, dass bei einem Umzug in ein neueres Büro, die alten Möbel oder bestimmte physische Elemente mit nostalgischer Bedeutung für das Unternehmen mitgenommen werden oder neuen Mitarbeitenden die Unternehmensgeschichte näher gebracht wird.
  4. Durch visuelle oder konzeptuelle Hinweise lernen: Skeuomorphes Design verwendet visuelle Hinweise, um den Benutzern zu helfen, ein Interface oder eine Funktion zu verstehen. Ähnlich könnten resiliente Systeme oder Gemeinschaften visuelle oder konzeptuelle Hinweise verwenden, um die Anpassung zu vereinfachen. Ein Beispiel dafür sind bestimmte Planen, die Resilienz-Lotsen (SMA)® nutzen, um Veränderungen zu begleiten.

Das sind nur einige Beispiele, wie wir durch die Integration von Altem in dem neuen Übergangsphasen einfacher gestalten können. Welchen fallen Ihnen ein?

Wozu Skeumorphismus gut ist – und wozu nicht

Die Übertragung von Skeuomorphismus auf die Resilienz ist eine metaphorische Betrachtungsweise, die uns in bestimmten Bereichen helfen kann, vor allem Veränderungen und Übergänge für Betroffene leichter annehmbar zu machen. Das führt zu weniger Stress und einer leichteren Umsetzung von dem Neuen. Allerdings ist es nicht immer sinnvoll, das Alte mit ins Neue zu nehmen oder es darin finden zu wollen.

Wann Skeumorphismus hilfreich ist…

Resilienz Akademie | Skeumorphismus – Das Alte im Neuen findenAuf der einen Seite kann das Blicken durch „eine vertrautere Linse“ dazu führen, neue Strukturen und Konzepte zugänglicher zu machen. Entweder durch die Reduktion von Komplexität oder durch die Emotionsregulation der Angst vor dem Neuen. Wir öffnen uns eher für Neues, wenn wir uns dadurch nicht bedroht fühlen, und das sollte Ziel in der akuten Umbruchsphase solcher Change-Prozesse sein. Andernfalls könnten Mitarbeitende sich schnell verschließen, was auch der Mitarbeiterbindung schadet.

Zudem unterstützt die Brücke zwischen Alt und Neu dabei, dass Mitarbeitende vergangene Erfahrungen besser nutzen können, um sich auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten. Denn wir schöpfen unsere Bewältigungsstrategien aus dem bereits Bekannten. Daher kann es für Krisen oder Stress generell hilfreich sein, wenn nicht alle Erfahrungen durch Veränderungen „nutzlos“ werden.

Und schließlich zeigt eine Übertragung des Konzepts vom Skeumorphismus auf die Resilienz, dass Wertbewahrung ein wichtiger Faktor ist, wenn wir uns widerstandsfähig gegen Herausforderungen von morgen fühlen wollen. Nicht nur die Angst vor dem Unbekannten, sondern auch die Trauer in Bezug auf das Verlorengegangene ist in Change-Prozessen ein nicht zu unterschätzender Faktor. Um auch hier emotionalen Stress zu reduzieren, hilft die Wertschätzung von Bewährtem oder die Betonung von Tradition.

Lesen Sie HIER mehr zum Thema Change im Kontext von Resilienz.

Wann nicht…

Auf der anderen Seite ist es nicht immer sinnvoll, das Alte mit ins Neue zu übertragen. Zum Beispiel kann das Beibehalten alter Systeme oder Methoden parallel zur Einführung von neuen zu einer höheren kognitiven Belastung führen und Verwirrung auslösen. Das belastet die Mitarbeitenden zusätzlich zum generellen Veränderungsprozess.

Und ein zu starkes Festhalten an dem Alten kann die Innovationsbemühungen hemmen. Das verhindert möglicherweise, dass neue bessere Lösungen implementiert werden, nur um das Alte wertzuschätzen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Prinzip des Skeumorphismus erfolgreich in Veränderungsprozessen eingesetzt werden kann, wenn es gewissermaßen richtig dosiert wird. Die Bemühung, Altes mit Neuem zu kombinieren, erleichtert eine emotionale Annahme und die Bereitschaft, sich mit dem Unbekannten auseinanderzusetzen. Es kann jedoch auch dazu führen, dass wir zu sehr am Alten festhalten wollen, was Verbesserung im Weg stehen kann.

Fragen zur Reflexion:

  • Wann haben Sie schon einmal „Altes in Neues“ verwandelt und damit positive Erfahrungen gesammelt? Wann führte es eher zum Gegenteil?
  • Mit Blick auf Ihre Ziel- und Jahresplanung: Welchen Einfluss könnte Skeumorphismus darauf haben?
  • Wie können Sie Veränderungen und Übergänge, beispielsweise für Ihre Mitarbeitenden, leichter machen?

Bildquellen:

  • Depositphotos.com: Vector-Müll-Indikator @ th3fisa, Draufsicht auf Veränderungswort @ EdZbarzhyvetsky
  • Midjourney

Resilienz Akademie | Skeumorphismus – Das Alte im Neuen findenRebecca van der Linde, M.A. Germanistik und Kulturanthropologie, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Resilienz Akademie. Als Resilienz-Trainerin und Resilienz-Coach betreut sie den Blog der Resilienz Akademie und unterstützt in der konzeptionellen Entwicklung. Zudem agiert als SEO-Managerin für die Website. Ihr Schwerpunkt liegt auf der digitalen Präsenz der Themen rund um individuelle und organisationale Resilienz.

 


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Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, war und ist Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des jährlichen Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich bereits mit über 200 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen ausgetauscht hat (www.Resilienz-Kongress.de).

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