Was bedeutet für Sie „inneres Gleichgewicht“? Für Einige mag es der Ausgleich von Arbeit oder Stress und Freizeit sein, für andere ist es wiederum ein Gefühl innerer Zufriedenheit. Jedoch steht fest, dass Balance stets eher mit angenehmen, positiven Zuständen verbunden ist. Was ist es, das die Homöostase, unser inneres Gleichgewicht, für uns so bedeutsam macht?
Warum Homöostase wichtig ist
In allen Bereichen unseres Lebens finden wir Hinweise auf die elementare Bedeutung von Gleichgewicht: Wir sprechen von einer ausgewogenen Ernährung, Work-Life-Balance und in die eigene Mitte kommen. Das Gleichgewicht zu wahren scheint beinahe so wie ein in uns eingeschriebener Kodex zu sein, dem wir automatisch folgen wollen.
Einer der Gründe, warum Homöostase in unsere Umwelt für uns wichtig ist, könnte die Tatsache sein, dass das oberste Ziel des Körpers die Aufrechterhaltung der Homöostase ist. In jedem Moment, den Sie atmen, macht ihr inneres System den Abgleich von Ist- und Soll-Zustand und leitet Regulationsmaßnahmen ein, um das Gleichgewicht herzustellen.
Was ist Homöostase?
Homöostase, im biologischen Sinne, ist ein komplexer Prozess der Selbstregulation. Der Begriff stammt aus dem Lateinischen und setzt sich aus den Wortteilen „homois“ und „stasis“ zusammen. Das bedeutet so viel wie „gleich“ und „bleibender Zustand“. Homöostase ist ein gleichbleibender Zustand – also das innere Gleichgewicht.
Das Konzept der Homöostase wurde vom Physiologen Walter B. Cannon zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt. Er war es auch, der den Begriff der Fight-or-Flight-Response, als Beschreibung für die biologische Stressreaktion, prägte. Um zu erklären, wie der Körper auf Umweltreize reagiert, nutzt er den Begriff des „inneren Milieus“ von einem weiteren Physiologen: Claude Bernard. Nach Cannon ist die Homöostase die Aufrechterhaltung des inneren Milieus in Reaktion auf verändernde Umweltbedingungen.
Weil dieser gleichbleibende Zustand für ein gesundes funktionieren im Alltag eine enorme Bedeutung hat, gibt es im Körper raffinierte Mechanismen, die ohne unser aktives Zutun zur Homöostase beitragen. So produziert zum Beispiel die Bauchspeicheldrüse automatisch Insulin, wenn der Blutzuckerspiegel zu hoch ist oder das Hormon Glukagon, wenn der Spiegel zu niedrig ist. Dies ist nur einer der Regulationsmechanismen für unser inneres Gleichgewicht.
Homöostase durch Homöodynamik
Ein weiterer Begriff, der in dem Zusammenhang interessant ist, ist die Homöodynamik. Machen wir hierzu ein kleines Experiment, das ich von meinem guten Freund und geschätzten Kollegen Dirk W. Eilert lernen durfte:
Stellen Sie sich auf ein Bein und schließen Sie die Augen.
Beantworten Sie anschließend folgende Frage: Ist Gleichgewicht ein Zustand oder ein Prozess? Vielleicht haben Sie gemerkt, wie Ihr Fuß arbeiten muss, um das Gleichgewicht zu halten, oder Sie haben auch die Arme zu Hilfe genommen. Dieses Experiment macht deutlich, dass das Halten des Gleichgewichts einer stetigen Neuausrichtung und eines Austarierens bedarf.
Aus diesem Grund schlugen die Biologen Humberto Maturana und Francisco Varela 1980 den Begriff der Homöodynamik anstelle von Homöostase vor. Er soll verdeutlichen, dass wir Gleichgewicht nur durch stetige Dynamik und kontinuierliche Anpassung ermöglichen und nie vollends Erreichen und Halten.
Wie Sie die Homöostase unterstützen können
Der Körper erhält sein inneres Milieu durch Homöodynamik. Doch das sind meist unbewusste Prozesse, die wir nicht spüren und kaum Einfluss darauf haben. Haben wir dann überhaupt Einfluss auf die Homöostase? Oder lügen all die Ratgeber, die uns auf den Weg zum inneren Gleichgewicht führen wollen?
Obwohl wir ohne ärztliche Unterstützung nicht direkt in die körpereigenen Mechanismen zur Homöostase eingreifen können – wir können der Bauchspeicheldrüse schlecht kognitiv befehlen mehr Insulin zu produzieren – können wir unseren Körper bei der Regulation unterstützen. Ein Schlüssel dafür ist die Resilienz.
Resilienz für Regulation, Adaptation und Oszillation
Stress ist einer der Zustände, bei dem wir relativ gut wahrnehmen können, dass wir aus dem Gleichgewicht geraten sind. Dabei ist Stress eine Anpassungsreaktion auf einen Reiz in der Umwelt. Es ist Teil unserer Adaptabilität, denn Stress gibt uns die notwendigen Ressourcen, um Belastungen aus der Umwelt zu beseitigen und uns anzupassen.
Und bei der homöostatischen Regulation des Stresses können wir unseren Körper sehr wohl aktiv unterstützen. Etwa durch Emotionsregulation oder Regeneration. Und je höher unsere Resilienz ist, desto besser und schneller können wir diese Regulation gestalten und zur Homöostase beitragen.
Am Beispiel von Stress zeigt sich allerdings auch, dass wir die Oszillation, also den flexiblen Wechsel, von Gleichgewicht und Ungleichgewicht brauchen. Als die Menschheit vor Säbelzahntigern und anderen Gefahren wegrennen musste, war es wenig vorteilhaft, wenn der Körper den Blutdruck konsequent auf einem Level halten wollte. Diese fehlende Anpassungsfähigkeit an Stressoren hätte unseren Vorfahren das Leben kosten können. Das kurzzeitige Verlassen der Homöostase war, und ist auch heute ohne Säbelzahntiger, überlebensnotwendig.
Wichtig für einen gesunden Körper ist nach der Anpassungsreaktion die Regulation. Und dabei hilft eine starke Resilienz.
Wozu Homöostase führt: Resilienz gegen allostatische Last
Dieser Prozess, der kurzzeitigen oder auch langfristigen Anpassung an die Umwelt, nennt sich Allostase. Sie ist im Gegensatz zur Homöostase nicht die Regulation zu einem Sollwert hin, sondern die Anpassung des Sollwerts an sich. Eine dauerhafte Anpassung kann allerdings auch Nachteile haben, wenn der Körper nicht in die Regulation kommt. In dem Fall spricht man von allostatischer Last.
Es ist die Abnutzung von körperlichen und geistigen Ressourcen. Zum Beispiel zeugt ein dauerhaft starker Bluthochdruck von einer hohen allostatischen Last. Aber auch mentale Belastung, wie hoher Arbeitsdruck, Konflikte oder auch dauerhafte Unterforderung führen zu dieser Abnutzung.
Langzeitstress ist ein großer Treiber dieser Last, weshalb eine hohe Resilienz mit passenden Regulationsstrategien ein guter Weg ist, um wieder in die Regulation zu kommen, die abgenutzten Ressourcen wieder zu füllen und Homöostase zu fördern.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).