Resilienz ist die Fähigkeit sich anzupassen und Stress zu regulieren, um mit Belastung flexibel umgehen zu können. Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, um Stress zu messen, wie beispielsweise eine Analyse des Cortisolspiegels. Doch auch Resilienz bzw. die Resilienzfähigkeit lässt sich messen – mit der Herzratenvariabilität.
Was ist die Herzratenvariabilität?
Was glauben Sie, wie ein gesundes Herz schlagen sollte – regelmäßig oder unregelmäßig? Vielleicht erstaunt es Sie, wenn wir Ihnen nun verraten, dass „unregelmäßig“ die korrekte Antwort ist. Natürlich ist damit schon ein gleichmäßiger Rhythmus gemeint, doch die kleinen Unregelmäßigkeiten zwischen den Herzschlägen ist es, die eine gesunde Funktion des Herzens ausmacht.
Zum Beispiel schlägt Ihr Herz mal nach 828 Millisekunden, dann nach 845, nach 745 usw. Dieser Unterschied nennt sich Herzratenvariabilität – kurz: HRV. Eine hohe HRV bedeutet dann, dass die Schwankung zwischen den Herzschlägen größer ausfallen. Doch warum ist es gut, wenn unser Herz nicht regelmäßig wie ein Metronom schlägt?
Die Antwort auf diese Frage ist Flexibilität. Wenn unser Herz so funktionieren wurde, als müsste jeder Herzschlag mit exakt dem gleichen Rhythmus erfolgen, würde das unsere Anpassungsfähigkeit massiv einschränken. Je schwingungsfähiger unser Herz ist, desto besser können wir auch mit Belastungen umgehen.
Warum die Herzratenvariabilität die Resilienz anzeigen kann
Um zu verstehen, wie die HRV die Resilienz anzeigt, müssen wir zunächst einen Blick auf unser vegetatives Nervensystem werfen. Genauer gesagt, auf den Sympathikus und den Parasympathikus. Während der Sympathikus mit Aktivität bestimmter Körperfunktionen einhergeht, um Kampf- oder Fluchtreaktionen zu ermöglichen, sorgt der Parasympathikus für Entspannung und Regeneration. Vereinfacht kann man sagen: Der Sympathikus jagt den Tiger, der Parasympathikus verdaut ihn.
Nun ist es aber nicht so, dass immer nur einer der beiden aktiv ist. Der Sympathikus, als aktivierender Teil, ist immer aktiv, jedoch bestimmt die Aktivierung des Parasympathikus, wie stark. Sie sind daher in gewisser Weise Kontrahenten im Nervensystem, die sich ein bestimmtes Aktivierungskontingent teilen. Ein aktivierter Parasympathikus senkt die Aktivität des Sympathikus und umgekehrt.
Der Parasympathikus ist eng mit der HRV verknüpft. Je aktiver der Parasympathikus, desto höher die Herzratenvariabilität und umgekehrt. Das bedeutet also, dass eine hohe HRV anzeigt, wie gut es unserem System gelingt, die Balance zwischen sympathischer und parasympathischer Aktivierung zu halten. Oder mit anderen Worten, wie gut Regulation gelingt.
Wie Sie die Herzratenvariabilität messen können
Dank des technischen Fortschritts brauchen Sie kein Langzeit-EKG, um Ihre HRV zu messen. Es gibt schon diverse mobile Messgeräte in kleinerer Preisklasse, die eine Messung möglich machen. Tatsächlich bieten viele Smartwatches bereits diese Funktion an, jedoch sollten Sie hier vorsichtig sein. Eine Messung am Handgelenk kann ungenauer sein als ein Brustgurt beispielsweise.
Angenommen Sie haben ein Messgerät und eine App, die Ihnen die Daten auswertet. Kann eine Messung Ihnen nun sagen, wie resilient Sie sind? Nein. Zumindest nicht sofort. Denn um etwas bewerten zu können, im Sinne von resilient oder weniger resilient, brauchen Sie Vergleichswerte. Nun ist es aber so, dass die Forschung nicht klar definieren kann, was ein Normwert ist. Denn die Herzratenvariabilität ist höchst individuell, genau wie jedes Herz individuell ist. Sie können sich also nicht an anderen orientieren, sondern nur an sich selbst.
Wie regulationsfähig Sie sind, zeigt sich, wenn Sie über einen längeren Zeitraum regelmäßig Ihre HRV messen. So bietet es sich an, auch in verschiedenen Situationen Ihre HRV zu überprüfen, z.B. in einem Meeting und während Sie Zuhause etwas lesen, oder während Sie Sport machen im Gegensatz einer Atemmeditation.
Was beeinflusst die Herzratenvariabilität?
Diese Frage stellte sich auch einer der HRV-Forscher Dr. Sylvain Laborde von der Sporthochschule Köln. In einer großen Metaanalyse fassten er und seine Kollegen zusammen, welche Faktoren Einfluss auf die „cardiac vagal control“ („Herz-Vagus-Kontrolle“) und damit Einfluss auf die HRV haben. Hier sehen Sie eine Auswahl der Ergebnisse:
Wirkt erhöhend:
- Entspannungstechniken: Meditation, Akupunktur, Massagen, Langsames Atmen, Yoga
- Kognitive Copingstrategien, wie Neubewertung, etc.
- Bestimmte Nahrungsmittel: Pistazien, Probiotischer Joghurt, fetthaltiger Fisch, Blattgemüse, dunkle Schokolade (Vegetarier:innen zeigten in Studien übrigens eine höhere HRV als Fleischesser:innen)
- Subjektives Empfinden von sozialer Unterstützung und Liebe
- Beten und Spiritualität
- Beruhigende Musik im Vergleich zu erregender Musik
- Singen
- Moderates Ausdauertraining (nach der körperlichen Aktivität)
- Pharmazeutika wie Beta-Blocker und Antidepressiva
- In (kaltes) Wasser eintauchen
Wirkt senkend:
- Mentaler Stress
- Trauma
- Hohe Mengen an Alkohol
- Rauchen und Passivrauchen (Zigaretten, Wasserpfeifen)
- Schlafentzug, Rotierende Schichtarbeit
- Fehlende soziale Integration, Einsamkeit
- Unangenehme Geräusche wie das Schreien eines Babys oder hohes Ausmaß an Umgebungsgeräuschen über den Tag verteilt
- Mediale Unterhaltung (wenn mit einem hohen Arousal verbunden)
- Während körperlicher Aktivität
- Luftverschmutzung, z.B. in urbanen Umgebungen
- Übertraining
- Heiße Umgebungen
Wie Sie sehen gibt es eine ganze Reihe an Einflussfaktoren auf die Herzratenvariabilität.
Resilienz steigern durch HRV-Messung
Die Messung der Herzratenvariabilität zeigt Ihnen, wie gut Ihr Parasympathikus funktioniert und Sie Stress und Anspannung regulieren können. Wenn Sie regelmäßig messen und dabei auch auf Ihren mentalen Zustand achten, wir Ihnen sicher auffallen, dass neben mechanischen Vorgängen wie die Atmung, auch psychische Vorgänge wie Gedanken einen Einfluss auf Ihre HRV nehmen können. Eine Studie zeigte, dass Angststörungen beispielsweise mit einer signifikanten Reduktion der HRV einhergehen.
Allerdings wirkt sich die Regulationsfähigkeit nicht nur auf die Herzratenvariabilität aus, sondern auch umgekehrt kann eine hohe HRV die Regulationsfähigkeit erhöhen. Diesen Zusammenhang erklärt das sogenannte neuroviszerale Integrationsmodell. Es zeigt auf, dass unser zentrales Steuerungsnetzwerk (der präfrontale Cortex) sowohl die Unterdrückung des Parasympathikus aufheben kann als auch ein aktivierter Parasympathikus das zentrale Steuerungsnetzwerk „hochfährt“.
Das bedeutet, dass wir durch eine gezielte Erhöhung unserer HRV auch unsere Regulationsfähigkeit und damit unsere Resilienz trainieren können. Hierzu eignet sich sogenanntes Biofeedback-Training. Da die HRV nicht durch bloße Selbstwahrnehmung messbar ist, benötigen Sie dazu einen Sensor und eine App zum Auswerten der Daten. Die meisten Apps besitzen bereits die Funktion des Biofeedbacks, das Ihnen anzeigt, wie sich beispielsweise eine kontrollierte Atmung auf Ihre HRV auswirkt.
Mittels der visuellen Rückmeldung lernen Sie Ihren Körper aus einer anderen Perspektive kennen und verstehen die Zusammenhänge von Resilienz-Techniken und Auswirkungen auf den Körper besser. Somit können Sie durch die Messung Ihrer Herzratenvariabilität gezielt Resilienz fördern und Fortschritte visuell nachverfolgen.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).