Stress ist ein Kurzzeit-Notfall-Programm. Das bedeutet, der Mensch ist nicht darauf ausgerichtet langanhaltend unter Stress zu stehen. Wenn wir heute allerdings davon sprechen, dann meinen wir genau diese dauerhafte Belastung. Noch dazu wird Stress als negativ oder sogar überflüssig (z.B. „Sich Stress machen“) angesehen. Doch wenn wir einen Blick auf die Steinzeit werfen, war es überlebensnotwendig! Die biologischen Stressreaktionen sind heute noch genau die gleichen wie zu Zeiten von Jägern und Sammlern. Mit dem Unterschied, dass sie damals wirklich nur für eine bestimmte Situation aktiviert wurden.
„Fight-or-Flight“ Theorie
Die biologischen Stressreaktionen wurden von dem US-amerikanischen Physiologen Walter Cannon in der sogenannten „Fight-or-Flight“ Theorie zusammengefasst. Er erforschte die neurobiologischen Abläufe der Reaktion von Tieren auf Bedrohung, und leitete daraus die Kampf-oder-Flucht-Reaktion ab. Diese Theorie beschreibt die schnelle psychische und physische Anpassung an Gefahrensituationen.
Diese Stressreaktion beginnt bei der Wahrnehmung. Beim ältesten Teil des Hirns, dem Stammhirn oder genauer gesagt: dem periaquäduktale Grau (PAG), kommen die visuellen Reize an. Wenn dieser keinen Stressoren (Auslöser für Stress) wahrnimmt, geht die Information weiter ins Großhirn. Das verarbeitet und speichert sie. Erst hier wird uns dann die Information tatsächlich bewusst. Vereinfacht gesagt: Das Denken beginnt. Wenn dem Stammhirn jetzt allerdings ein Signal für Gefahr gesendet wird, bleibt keine Zeit für ausgiebiges Denken. Das Großhirn geht in den Stand-by Modus und der Körper übernimmt die weiteren Reaktionen. Das PAG steuert dann sehr schnell die Angriffs- oder Fluchtreflexe.
Stellen Sie sich vor, Sie machen Urlaub im australischen Outback. Da begegnet Ihnen auf dem Boden ein langes dünnes Objekt und noch bevor Sie es realisiert haben, sind Sie unwillkürlich einen Satz zurück gesprungen. Erst jetzt haben Sie Zeit zu schauen, ob es sich um einen Stock oder eine Schlange handelt. Diese blitzschnelle Reaktionszeit könnte darüber entscheiden, ob Sie gebissen werden oder nicht, falls es sich um ein gefährliches Tier handelt.
Die Körperreaktionen bei Fight und Flight
Stress ist ein Überlebensprogramm. Durch die Stressreaktion werden die notwendigen Ressourcen für den Körper bereit gestellt, um entweder mit Kampf oder Flucht. Die Bereitstellung der Energie muss für eine schnelle Reaktion also ebenso schnell funktionieren. Hier spielt der Hypothalamus eine zentrale Rolle. Dieser liegt im Zwischenhirn und ist die Schaltstelle zwischen Gehirn und Hormonsystem. Er veranlasst die Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin. Das erhöht die Atemfrequenz und den Blutdruck. Hinzu kommt das stoffwechselanregende Hormon Cortisol. Alle überflüssigen Systeme werden runtergefahren, wie das Immunsystem und die Verdauung. So sammelt der Körper alle Energie kurzzeitig für den Kampf oder die Flucht.
Freeze und Fright
Den Stressreaktionen von Kampf und Flucht werden durch den Forscher Jeffrey Gray noch zwei weitere Reaktionen hinzugefügt, nämlich Freeze – Einfrieren. Diese Schreckstarre lässt sich auch bei Tieren sehr gut beobachten, die sich im Angesicht von Bedrohung tot stellen. Kämpfen und Flüchten sind Reaktionen, weil Betroffene die Hoffnung haben so der Situation zu entkommen. Wenn diese Hoffnung nicht besteht oder die Situation ausweglos erscheint, folgt die Starre. Der Mensch ergibt sich der Situation und resigniert.
Diese Reaktion kann in realen Gefahrensituationen hilfreich, gar lebensrettend sein (Bspw. bei Opfern von Gewaltverbrechen, Unfällen und in anderen traumatisierenden Situationen). Bei dieser Reaktion wird der Puls heruntergefahren, Denken und Schmerzempfinden werden kurzzeitig ausgeschaltet und auch Erinnerungen danach sind kaum oder gar nicht vorhanden.
Bei beispielsweise Zeitdruck heutzutage, ist diese Reaktion jedoch nicht förderlich. Erstarren führt in solch einer Situation zu keiner Lösung.
Fight, Flight, Freeze in der heutigen Welt
Bei allen drei Reaktionen liegt der Knackpunkt im „Kurzzeitig“! Wie bereits gesagt: Der Mensch ist nicht darauf ausgelegt diese Stressreaktion über Tage oder Wochen aufrecht zu erhalten. Stress dient dazu die Energie im Körper zu mobilisieren. Wird diese nicht gebraucht, da der Stress weder durch wegrennen noch durch kämpfen gelöst wird, gerät der Körper aus dem Gleichgewicht. Dauerhaft gestresste Menschen können so chronische Krankheiten entwickeln.
Lethargie, Depressionen und Burn-out sind die Folge von zu langem Stress, der nicht abgebaut wird. Um es gar nicht erst zu solchen Erkrankungen kommen zu lassen, hilft Resilienztraining. Es stärkt die Widerstandfähigkeit gegen Stress, und Sie lernen Regulationstechniken für Gesundheit auch in der „stressigen“ Arbeitswelt.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienz-Expert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).
Da es in letzter Zeit wöchentlich zu überfällen in meinem Ort kommt, informiere ich mich gerade über Selbstverteidigung und über den damit verbundenen Stress solcher Situationen, wenn sie einem passieren.
Das komische ist, ich reagiere mit einer andern Form dieser Freeze-Reaktion…mein Gehirn hört nicht auf zu denken, sondern fängt dann erst richtig an. Ich denke soviel darüber nach in kürzester Zeit, ob und wie es angemessen ist zu handeln, dass ich gelähmt bin vor lauter Gedanken, obwohl ich psysisch in der Lage wäre mich zu verteidigen. Ist das eine gewöhnliche Variante der Freeze-Reaktion ? Sobald das Adrenalin einschießt weil ich mögliche Gefahren merke, wie als Beispiel randalierende Menschen und ich auf meinen touren mit meinem Hund oft sowas erlebe, und die ganzen Überfälle in letzter Zeit, fängt mein Hirn an sich zu überschlagen und ich kann keinen Gedanken mehr greifen. Ich muss dazu sagen, dass ich auch in psychologischer Behandlung bin und mein jügstes Problem ist unter dauerstress zu stehen. Nehme nun 50mb Quetiapin und es ist etwas besser aber ändert nichts an meine Freeze-Reaktion, falls ich wirklich mal Opfer eines Überfalls werde. Schon das schreiben dieses Textes und das gedankliche Auseinandersetzen mit so einem Überfall löst bei mir sehr starke Nervosität aus und ich merke, dass Adrenalin ausgeschüttet wird. Mir wurde heute, nachdem ich das so in meiner Frühstücksgruppe bei der AWO schilderte, empfohlen an einem Selbstverteidigungskurs teilzunehmen, da man dort unter anderm lernt mit seinem Kopf in solchen Situationen umzugehen. :)
Hallo Marius,
ich weiß, die Antwort ist etwas spät, aber ich bin auf diesen Artikel erst vor kurzem durch meine Recherche gestoßen und möchte, falls noch notwendig, gerne ein paar Tipps geben. Ich schreibe derzeit meine Seminararbeit mit dem Thema, wie die Ausübung von Kampfsport sich auf das Verhalten in Situationen wie von dir geschildert auswirkt.
Um es kurz zu machen. Die Idee von einem Selbstverteidigungskurs ist gut. Nur lass mich zwei Sachen ergänzen die hilfreich sein könnten:
1. Ein einzelner Kurs für ein paar Stunden wird leider nicht viel helfen. Nur das Training über Jahre hinweg wird in einer Stresssituation zum Erfolg führen. Es ist daher wichtig, dass du, falls das immer noch der Wunsch ist, dich in einem Kampfsportstudio anmeldest und dort mehrmals in der Woche trainierst. Nur so gehen die Bewegungen ins Muskelgedächtnis über und können unter enormen Stress abgerufen werden.
2. Damit du in einer solchen Situation nicht erschrickst, musst du dich an solche Situationen gewöhnen. Soll heißen, dass du dich gezielt Stress aussetzen sollst (natürlich im gesichertem Ramen und mit Menschen denen du vertraust). Gehe vielleicht einmal in der Woche ins Sparring (Kampf im Kampfsporttraining). Dadurch entwickelts du ein Gefühl für Gefahr und für deine Fähigkeiten, was im Ernstfall unermesslich wichtig ist.
Ich hoffe, dass ich dir auch noch 4 Jahre nach deinem Kommentar weiterhelfen konnte und das eine solche Situation nie eingetreten ist oder wird.
Mfg
Ludwig
Hi zusammen,
ich befinde mich gerade wieder im Fight or Flight mode, darum bin ich hier.
Mein Job im Außendienst hat sich in den letzten 18 Monaten sehr verändert und ist ein ziemliches Chaos geworden. Als es Ende Juli gar nicht mehr ging und ich von einer Panikattacke zur nächsten gehinkt bin (mit anschließenden Tagen im F or F mode, wurde ich krankgeschrieben und mein AG hat mir volle Rückendeckung versichert („Wir finden eine Lösung“).
Bin in Therapie und mache dort auch gute Fortschritte.
Meine Frage lautet – ist mein System überreizt, so dass es bei jedem noch so geringen Stress sofort in den F or F mode wechselt? Kann sowas passieren? Selbst der Urlaub auf Mallorca war in den Tagen vor der Abreise nicht voll Vorfreude sondern voller Stress im Kopf geprägt. Inklusive der körperlichen Begleiterscheinungen (Herzklopfen, Schwitzen, kribbelnde Hände)
Und – legt sich dieser Zustand der Hochempfindlichkeit wieder, wenn jetzt einfach mal ein paar Wochen lang nichts anliegt?
Ich hoffe sehr darauf. Ich weiß, dass man sowas nicht versuchen soll, wegzubekommen, denn dadurch wird es stärker. Aber eine gewisse Widerstandsfähigkeit sollte doch hoffentlich wieder herzustellen sein, damit ich irgendwann auch wieder arbeiten kann, ohne vorher eine Woche nicht schlafen zu können ????
LG,
Dennis
Hallo,
Ich melde mich um hier vielleicht Techniken/Tips zum Thema „einfrieren/erstarren“ zu bekommen.
Es fällt mir, mit 42 Jahren, immernoch sehr schwer äußere Konfrontationen ohne weiche Knie, schwitzige Hände und ich nenne es mal „gelähmter Geist“, zu bewältigen.
Banale Alltagssituationen wie z.b. beim Gassigehen mit meinem Hund: werde ich von einer Oma grundlos scharf angesprochen das ich auch ja den Hundehaufen entfernen soll, lassen mich Geistig und Körperlich erstarren.
Fragen wie: Wieso Ich? Ich habe doch nichts falsches getan! Warum ist jemand so zu mir- kommen dann in mir hoch.
Als Hintergrundinfo: Ich wurde häufig in meiner Kindheit bis hin zum Jugendlichen alter, häufig mit Gewalt konfrontiert, habe diese zwar auch erfahren, aber nie selber gegen jemanden ausgeführt oder provoziert. Ich habe es immer über mich ergehen lassen, da ich denke das Gewalt nie eine gute Richtung ist.
Ich dachte immer das ich vielleicht zu weich oder zu schwach bin & ich mich weder verbal noch körperlich durchsetzen könnte.
Daher habe ich mich vor einigen Jahren beim Kickboxen angemeldet um mich meinen „Dämonen“ zu stellen und sicherer im Umgang mit solchen Situationen zu werden. Dies gelingt teilweise, denn die Trainingseinheiten sind ja nicht vergleichbar mit Dingen die von Außen im Alltag auf einen einwirken.
Ich habe versucht zu recherchieren wie man Kindheitstraumatas loswird, zum Thema „Gewalt von Kindern gegen andere Kinder“ , jedoch blieb der Erfolg dort aus.
Ich würde mir wünschen, das ich Mechanismen finde um mich weiterzuentwickeln und mich von dieser Starre zu lösen.
Vielleicht gibt es ja Ansätze, die ich weiterverfolgen kann.
Viele Grüße
Chris
Guten Abend miteinander
Ich befasse mich bereits seit ein paar Monaten ebenso mit visuellen und vor allem akustischen Stressoren im Öffentlichen Verkehr in Form von stetig impulsiven Warnsignal-Reizen, wie z.B. Pfeifftönen, Blinklichter und auch Bildschirmen für die Fahrgäste, mit abwechselnden Informationsbilder und auch Werbe- und News-Clips. Aus meiner persönlichen und beruflichen Erfahrung heraus, sehe ich darin die Sorge einer permanenten, meist unbewussten und unterschätzten Überreizung der Sinne, die auch zu einer gesundheitlichen Dauerbelastung beitragen kann, mit den Symptomen wie z.B. Hypertonie (erhöhter Blutdruck), flacheres Atmen, z.T. Dyspnoe (Kurzatmigkeit), erhöhte Ausschüttung von Adrenalin, Noradrenalin, Gereiztheit, Schutzbewegung und -drehung des Kopfes von der Störquelle weg, man fühlt sich im bewegten Fahrzeug ohne Abschirmungsmöglichkeiten (Kopfhörer, geschlossene Augen) nicht wohl und in Stosszeiten schon gar bedrängt mit dem Gedanken an die Zielstation zum Aussteigen.
Wäre da eine optionale Wahlmöglichkeit (Drücker) für die Personen im Sinne des Behindertengleichstellungsgesetzes womöglich besser für die gemeinsame Inklusion und die Förderung der gegenseitigen Sensibilisierung, insbesondere, dass die Fähigkeit zur Selbstbestimmung der vor Ort betroffenen Person vor die Behinderung gestellt wird?
Mit den besten Grüssen und Wünschen für alle erholungsbedürftigen Personen
René